Was ist Philosophie? Und welche Rolle spielt sie in der Gegenwartsgesellschaft? Zwischen Juli und Oktober 1966, einige Monate nachdem er durch das Erscheinen von Die Ordnung der Dinge schlagartig zum neuen Star der Philosophie aufgestiegen war, gab Michel Foucault in einem sorgfältig durchkomponierten Manuskript seine Antwort auf diese bis heute viel diskutierten Fragen. Im Gegensatz zu denjenigen, die entweder das Wesen der Philosophie enthüllen oder sie gleich für tot erklären wollen, begreift Foucault sie als einen Diskurs, dessen Ökonomie im Vergleich mit anderen Diskursen - wissenschaftlichen, literarischen, alltäglichen, religiösen - herausgearbeitet werden muss.
Der Diskurs der Philosophie schlägt somit eine neue Art und Weise der Philosophiegeschichtsschreibung vor, die von der reinen Kommentierung der großen Denker wegführt. Nietzsche nimmt allerdings einen besonderen Platz ein, da er eine neue Epoche einleitet, in der die Philosophie zur Gegenwartsdiagnose wird: Von nun an ist es ihre Aufgabe, einer Gesellschaft zu erklären, was ihr Zeitalter ausmacht. Nirgendwo hat Michel Foucault die Ambitionen seines intellektuellen Programms so deutlich gemacht wie in diesem Werk, das fast 60 Jahre nach seiner Niederschrift nun erstmals veröffentlicht wird. Eine kleine Sensation!
Der Diskurs der Philosophie schlägt somit eine neue Art und Weise der Philosophiegeschichtsschreibung vor, die von der reinen Kommentierung der großen Denker wegführt. Nietzsche nimmt allerdings einen besonderen Platz ein, da er eine neue Epoche einleitet, in der die Philosophie zur Gegenwartsdiagnose wird: Von nun an ist es ihre Aufgabe, einer Gesellschaft zu erklären, was ihr Zeitalter ausmacht. Nirgendwo hat Michel Foucault die Ambitionen seines intellektuellen Programms so deutlich gemacht wie in diesem Werk, das fast 60 Jahre nach seiner Niederschrift nun erstmals veröffentlicht wird. Eine kleine Sensation!
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Otfried Höffe, Emeritus der Uni Tübingen, nimmt sich Michel Foucaults erst vergangenes Jahr erschienenen, nun "sorgfältig" ediert auf Deutsch vorliegenden Essay vor und stellt fest: Foucault geht es um die grundsätzliche Frage, was Philosophie sei. Dass sich der Autor bei der Beantwortung auf die Fundamentalphilosphie konzentriert und angewandte Philosophien außen vor lässt, erkennt Höffe ebenso wie ihm Foucaults Verständnis des Philosophen als Exeget nicht entgeht. Dabei, so Höffe, erweist sich der Autor als Kenner der neuzeitlichen Philosophie. Schade, dass Platon und Aristoteles kaum vorkommen, findet Höffe, den hier Zweifel am diskursiven Charakter der Arbeit beschleichen. Kant allerdings stellt Foucault laut Rezensent prominent aus als "Gravitationspunkt der abendländischen Philosophie".
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.06.2024Ein Arzt,
kein Heiler
In einem bislang unveröffentlichten
Manuskript stellt Michel Foucault die schmerzhafte
Frage, was die Philosophie überhaupt vermag.
VON HELMUT MAURÓ
Streckenweise mutet es an wie ein aus dem Ruder gelaufenes Vorwort zu einem, ja eigentlich zu allen seiner bestsellerverdächtigen philosophischen Abhandlungen. Dieses vorgeblich überraschend aufgefundene Manuskript des französischen Philosophen Michel Foucault, Star der Pariser Intellektuellen-Szene der 60er- und 70er-Jahre, ist schwer einzuordnen in die Diskurse der Zeit. Zunächst nahm man an, die handschriftlichen Texte, die nun als „Diskurs der Philosophie“ publiziert wurden, seien nur Vorarbeiten zu seinen Vorlesungen an der Universität von Tunis in den Jahren 1966 und 1967. Jetzt behaupten die Herausgeber François Ewald, Orazio Irrera und Daniele Lorenzini, es handle sich stattdessen um die erste Fassung eines eigenständigen Essays oder geplanten Buches, die Foucault unmittelbar nach „Die Ordnung der Dinge“ verfasst hat, bevor er nach Tunesien ging.
Belegt werden soll dies durch einen Brief vom Juli 1966, der im Manuskript enthalten ist. Darin schreibt er: „Ich muss versuchen, zu sagen, was ein philosophischer Diskurs heute sein kann.“ Daraus haben die Herausgeber wohl den Buchtitel für die Edition der Manuskripte abgeleitet. Aber erfahren wir wirklich Neues aus diesen Manuskripten, das nicht in seinen allseits bekannten Büchern zu finden ist?
Mit seinem bekanntesten, seinem ersten großen publizistischen Wurf „Die Ordnung der Dinge“ schaffte Foucault vor allem eines: Chaos. Die akademisch aufgeräumte Szene der französischen Philosophie stand kopf. Existenzialisten, Neomarxisten und Strukturalisten rieben sich die Augen, die Säulenheiligen Sartre, Lacan und Derrida wankten wie betrunkene alte Männer angesichts des frechen Neulings und seiner Behauptung eines völlig neuen philosophischen Ansatzes.
Dabei schien Foucault nur das zu tun, was alle Philosophen tun, nämlich Widersprüchen nachzugehen, dabei fragend noch mehr Brüche und Widersprüche aufzudecken. Längst hatte die Philosophie den Anspruch verloren, auch nur ungefähre Antworten zu geben. Und doch trieb auch die Strukturalisten und Poststrukturalisten – zu denen Foucault aber nie gehören wollte – das uralte Bedürfnis um, eine Wirklichkeit zu beschreiben. Allerdings nicht mehr in der selbstreferenziellen Tradition der personengebundenen Philosophiegeschichte, wie dies noch Karl Jaspers und selbst Peter Sloterdijk praktizierten, sondern in der Betrachtung geistesgeschichtlicher Strömungen und epochaler Denkmuster.
In dieser umfangreichen „Ordnung der Dinge“ von 1966, also vier Jahre vor seiner Berufung auf den Lehrstuhl Geschichte der Denksysteme am Collège de France, widmet sich Foucault den in der Wissenschaftsgeschichte eher vernachlässigten Bereichen der Ökonomie oder der Alltagssprache, aber auch sehr zeitgemäß der Psychologie und Ethnologie.
Er will wissen, wie Überzeugungen zustande kommen und hinterfragt alles, was man normalerweise als gegeben betrachtet. Seine Erkenntnisquelle sind dabei überraschende Verknüpfungen - etwa zwischen biologischen Theorien der Fortpflanzung und ökonomischen und linguistischen Theorien innerhalb eines festgelegten Zeitraums. Er versteht sich dabei nicht als Wissenschaftshistoriker, sondern eher als Phänomenologe, als Erforscher überzeitlicher Analogien der parallel untersuchten Wissenschaftsbereiche. Aber auch provokante Fragen wie die, um welche Art von Unmöglichkeit es sich handle, wenn wir davon sprechen, was für uns unmöglich zu denken sei, sind hier schon formuliert.
Aus solcherlei Überlegungen scheint nun, immer weiter gedacht und fabuliert, das vorliegende Manuskript entstanden zu sein, das noch nicht wie ein fertiges Buch klingt, eher wie die Mitschrift einer sich selbst gehaltenen Vorlesung. Foucault will, muss um des eigenen Überlebens willen der deprimierenden Behauptung entgegentreten, „dass die Philosophie am Ende ist, dass sie keine Rolle mehr zu spielen hat, dass sie keine neue Bedeutung entdeckt und kein Übel gelindert hat“. Gerade dieser düstere Befund sei die Erkenntnis und Grundlage einer neuen Ausrichtung der Philosophie. Seit der Antike habe der Philosoph nie davon abgelassen, ein Seher zu sein. Er sei immer Arzt und Exeget gewesen, Sinnstifter und Seelenheiler.
Allerdings habe er seit Nietzsche eine neue Aufgabe bekommen: zu diagnostizieren – aber nicht mit dem Ziel einer Therapie, einer Erlösung von den gefundenen Übeln des Menschseins. Der Philosoph, so könnte man meinen, hat sich selber vom Chefarzt zum Famulus degradiert, der schaut, was mit dem Patienten los ist, um ihn dann kundigerem Personal zu übergeben. „In der gesamten abendländischen Kultur haben sich das Übel und der Sinn, dunkel oder offensichtlich, ständig gestützt, gestärkt, einander Halt gegeben und so eine Figur entworfen, die der Ort unserer Philosophie selbst und das Motiv war, immer wieder von Neuem zu philosophieren.“
Und auch dann, als mit Descartes die Philosophie „zum wahren Diskurs über die Wahrheit“ wurde, habe man nie mit „der alten Verwandtschaft mit der Exegese und der Therapie“ gebrochen. Man könne sogar sagen, dass die Philosophie, indem sie zu einem diagnostischen Diskurs werde, zu ihrer alten Verwandtschaft mit den jahrtausendealten Künsten zurückfinde, „die uns gelehrt haben, Zeichen zu erkennen, sie zu interpretieren, das verborgene Übel, das unerträgliche Geheimnis zu enthüllen, zu benennen, was im Herzen so vieler unklarer Worte majestätisch schweigt“.
Doch nun würde sich die Philosophie mit der Weigerung zur therapieorientierten Diagnose aus dieser Verflechtung lösen. Der Philosoph sei zwar, wie Nietzsche sagt, „Arzt der Kultur“, nunmehr aber ohne die Aufgabe, zu heilen. „Der Philosoph muss ganz einfach sagen, was ist.“ Foucault suggeriert, man könne dies voraussetzungslos tun, als gebe es doch eine objektive Wahrheit. Die bestünde dann darin, zu sagen, dass es keine gibt. Und er nimmt sich noch weiter zurück: „Aber es könnte gut sein, dass es ebenso wenig ein Rätsel gibt, wie es eine Krankheit gibt; es könnte gut sein, dass keine grundlegendere Sprache stillschweigend unsere Diskurse durchzieht; dass es an der Oberfläche der Welt nichts gibt, was ein Zeichen ist.“ Schon die Vorsicht der Diagnose, die heute die Aufgabe des Philosophen definiere, schließe es aus, „von vornherein eine Bedeutung anzunehmen.“
Aber dann kriegt er doch noch, mithilfe von Wittgenstein, die Kurve. Zu sagen, was ist, bedeute für den Philosophen, es ohne Abstand oder Distanz „im selben Augenblick, in dem er spricht“, zu sagen. Der Philosoph habe seine Pflicht erfüllt, wenn es ihm schließlich gelingt, das „Heute“ einzuholen, „um es für einen Augenblick im Netz seiner Worte aufblitzen zu lassen“. Er sei nur „der Mensch des Tages und des Moments“. Ein Vorübergehender, der dem Vorübergehen näher sei als jeder andere. Was klingt wie ein Resümee, war erst der Anfang des Buches, das man nun doch so nennen will.
Denn wie alle guten Philosophen ist Michel Foucault ein glänzender Formulierer, bisweilen auch Fabulierer, mithin ein sich grandios selbst bespiegelnder Herumdenker, was für den Leser immer wieder ein großer Spaß ist, durchzuckt von vermeintlichen oder tatsächlichen Erkenntnisfreuden.
Er will wissen, wie
Überzeugungen
zustande kommen
Wie alle guten Philosophen
ist auch Foucault
ein glänzender Formulierer
Michel Foucault:
Der Diskurs der Philosophie. Aus dem Französischen
von Andrea Hemminger.
Suhrkamp, Berlin 2024.
352 Seiten, 34 Euro.
Michel Foucault schrieb den Text nach seinem ersten Hauptwerk, „Die Ordnung der Dinge“, Mitte der Sechzigerjahre.
Foto: Imago / Pressens Bild / TT
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
kein Heiler
In einem bislang unveröffentlichten
Manuskript stellt Michel Foucault die schmerzhafte
Frage, was die Philosophie überhaupt vermag.
VON HELMUT MAURÓ
Streckenweise mutet es an wie ein aus dem Ruder gelaufenes Vorwort zu einem, ja eigentlich zu allen seiner bestsellerverdächtigen philosophischen Abhandlungen. Dieses vorgeblich überraschend aufgefundene Manuskript des französischen Philosophen Michel Foucault, Star der Pariser Intellektuellen-Szene der 60er- und 70er-Jahre, ist schwer einzuordnen in die Diskurse der Zeit. Zunächst nahm man an, die handschriftlichen Texte, die nun als „Diskurs der Philosophie“ publiziert wurden, seien nur Vorarbeiten zu seinen Vorlesungen an der Universität von Tunis in den Jahren 1966 und 1967. Jetzt behaupten die Herausgeber François Ewald, Orazio Irrera und Daniele Lorenzini, es handle sich stattdessen um die erste Fassung eines eigenständigen Essays oder geplanten Buches, die Foucault unmittelbar nach „Die Ordnung der Dinge“ verfasst hat, bevor er nach Tunesien ging.
Belegt werden soll dies durch einen Brief vom Juli 1966, der im Manuskript enthalten ist. Darin schreibt er: „Ich muss versuchen, zu sagen, was ein philosophischer Diskurs heute sein kann.“ Daraus haben die Herausgeber wohl den Buchtitel für die Edition der Manuskripte abgeleitet. Aber erfahren wir wirklich Neues aus diesen Manuskripten, das nicht in seinen allseits bekannten Büchern zu finden ist?
Mit seinem bekanntesten, seinem ersten großen publizistischen Wurf „Die Ordnung der Dinge“ schaffte Foucault vor allem eines: Chaos. Die akademisch aufgeräumte Szene der französischen Philosophie stand kopf. Existenzialisten, Neomarxisten und Strukturalisten rieben sich die Augen, die Säulenheiligen Sartre, Lacan und Derrida wankten wie betrunkene alte Männer angesichts des frechen Neulings und seiner Behauptung eines völlig neuen philosophischen Ansatzes.
Dabei schien Foucault nur das zu tun, was alle Philosophen tun, nämlich Widersprüchen nachzugehen, dabei fragend noch mehr Brüche und Widersprüche aufzudecken. Längst hatte die Philosophie den Anspruch verloren, auch nur ungefähre Antworten zu geben. Und doch trieb auch die Strukturalisten und Poststrukturalisten – zu denen Foucault aber nie gehören wollte – das uralte Bedürfnis um, eine Wirklichkeit zu beschreiben. Allerdings nicht mehr in der selbstreferenziellen Tradition der personengebundenen Philosophiegeschichte, wie dies noch Karl Jaspers und selbst Peter Sloterdijk praktizierten, sondern in der Betrachtung geistesgeschichtlicher Strömungen und epochaler Denkmuster.
In dieser umfangreichen „Ordnung der Dinge“ von 1966, also vier Jahre vor seiner Berufung auf den Lehrstuhl Geschichte der Denksysteme am Collège de France, widmet sich Foucault den in der Wissenschaftsgeschichte eher vernachlässigten Bereichen der Ökonomie oder der Alltagssprache, aber auch sehr zeitgemäß der Psychologie und Ethnologie.
Er will wissen, wie Überzeugungen zustande kommen und hinterfragt alles, was man normalerweise als gegeben betrachtet. Seine Erkenntnisquelle sind dabei überraschende Verknüpfungen - etwa zwischen biologischen Theorien der Fortpflanzung und ökonomischen und linguistischen Theorien innerhalb eines festgelegten Zeitraums. Er versteht sich dabei nicht als Wissenschaftshistoriker, sondern eher als Phänomenologe, als Erforscher überzeitlicher Analogien der parallel untersuchten Wissenschaftsbereiche. Aber auch provokante Fragen wie die, um welche Art von Unmöglichkeit es sich handle, wenn wir davon sprechen, was für uns unmöglich zu denken sei, sind hier schon formuliert.
Aus solcherlei Überlegungen scheint nun, immer weiter gedacht und fabuliert, das vorliegende Manuskript entstanden zu sein, das noch nicht wie ein fertiges Buch klingt, eher wie die Mitschrift einer sich selbst gehaltenen Vorlesung. Foucault will, muss um des eigenen Überlebens willen der deprimierenden Behauptung entgegentreten, „dass die Philosophie am Ende ist, dass sie keine Rolle mehr zu spielen hat, dass sie keine neue Bedeutung entdeckt und kein Übel gelindert hat“. Gerade dieser düstere Befund sei die Erkenntnis und Grundlage einer neuen Ausrichtung der Philosophie. Seit der Antike habe der Philosoph nie davon abgelassen, ein Seher zu sein. Er sei immer Arzt und Exeget gewesen, Sinnstifter und Seelenheiler.
Allerdings habe er seit Nietzsche eine neue Aufgabe bekommen: zu diagnostizieren – aber nicht mit dem Ziel einer Therapie, einer Erlösung von den gefundenen Übeln des Menschseins. Der Philosoph, so könnte man meinen, hat sich selber vom Chefarzt zum Famulus degradiert, der schaut, was mit dem Patienten los ist, um ihn dann kundigerem Personal zu übergeben. „In der gesamten abendländischen Kultur haben sich das Übel und der Sinn, dunkel oder offensichtlich, ständig gestützt, gestärkt, einander Halt gegeben und so eine Figur entworfen, die der Ort unserer Philosophie selbst und das Motiv war, immer wieder von Neuem zu philosophieren.“
Und auch dann, als mit Descartes die Philosophie „zum wahren Diskurs über die Wahrheit“ wurde, habe man nie mit „der alten Verwandtschaft mit der Exegese und der Therapie“ gebrochen. Man könne sogar sagen, dass die Philosophie, indem sie zu einem diagnostischen Diskurs werde, zu ihrer alten Verwandtschaft mit den jahrtausendealten Künsten zurückfinde, „die uns gelehrt haben, Zeichen zu erkennen, sie zu interpretieren, das verborgene Übel, das unerträgliche Geheimnis zu enthüllen, zu benennen, was im Herzen so vieler unklarer Worte majestätisch schweigt“.
Doch nun würde sich die Philosophie mit der Weigerung zur therapieorientierten Diagnose aus dieser Verflechtung lösen. Der Philosoph sei zwar, wie Nietzsche sagt, „Arzt der Kultur“, nunmehr aber ohne die Aufgabe, zu heilen. „Der Philosoph muss ganz einfach sagen, was ist.“ Foucault suggeriert, man könne dies voraussetzungslos tun, als gebe es doch eine objektive Wahrheit. Die bestünde dann darin, zu sagen, dass es keine gibt. Und er nimmt sich noch weiter zurück: „Aber es könnte gut sein, dass es ebenso wenig ein Rätsel gibt, wie es eine Krankheit gibt; es könnte gut sein, dass keine grundlegendere Sprache stillschweigend unsere Diskurse durchzieht; dass es an der Oberfläche der Welt nichts gibt, was ein Zeichen ist.“ Schon die Vorsicht der Diagnose, die heute die Aufgabe des Philosophen definiere, schließe es aus, „von vornherein eine Bedeutung anzunehmen.“
Aber dann kriegt er doch noch, mithilfe von Wittgenstein, die Kurve. Zu sagen, was ist, bedeute für den Philosophen, es ohne Abstand oder Distanz „im selben Augenblick, in dem er spricht“, zu sagen. Der Philosoph habe seine Pflicht erfüllt, wenn es ihm schließlich gelingt, das „Heute“ einzuholen, „um es für einen Augenblick im Netz seiner Worte aufblitzen zu lassen“. Er sei nur „der Mensch des Tages und des Moments“. Ein Vorübergehender, der dem Vorübergehen näher sei als jeder andere. Was klingt wie ein Resümee, war erst der Anfang des Buches, das man nun doch so nennen will.
Denn wie alle guten Philosophen ist Michel Foucault ein glänzender Formulierer, bisweilen auch Fabulierer, mithin ein sich grandios selbst bespiegelnder Herumdenker, was für den Leser immer wieder ein großer Spaß ist, durchzuckt von vermeintlichen oder tatsächlichen Erkenntnisfreuden.
Er will wissen, wie
Überzeugungen
zustande kommen
Wie alle guten Philosophen
ist auch Foucault
ein glänzender Formulierer
Michel Foucault:
Der Diskurs der Philosophie. Aus dem Französischen
von Andrea Hemminger.
Suhrkamp, Berlin 2024.
352 Seiten, 34 Euro.
Michel Foucault schrieb den Text nach seinem ersten Hauptwerk, „Die Ordnung der Dinge“, Mitte der Sechzigerjahre.
Foto: Imago / Pressens Bild / TT
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»[Das Buch zeigt] Foucault als einen intimen Kenner der neuzeitlichen Philosophiegeschichte.« Otfired Höffe Frankfurter Rundschau 20240927