Zwischen Realität und Wahn
Die Novelle erschien erstmals 1846 und gehört zu den Frühwerken von Fjodor Dostojewski. Seine Vorliebe für menschliche Abgründe, wie er sie in „Schuld und Sühne“ perfektioniert hat, zeichnet sich in diesem Werk bereits ab. Dennoch ist „Der Doppelgänger“ weit entfernt
von seinen genialen Hauptwerken.
Das Buch handelt von Jakow Petrowitsch Goljadkin, einem Titularrat…mehrZwischen Realität und Wahn
Die Novelle erschien erstmals 1846 und gehört zu den Frühwerken von Fjodor Dostojewski. Seine Vorliebe für menschliche Abgründe, wie er sie in „Schuld und Sühne“ perfektioniert hat, zeichnet sich in diesem Werk bereits ab. Dennoch ist „Der Doppelgänger“ weit entfernt von seinen genialen Hauptwerken.
Das Buch handelt von Jakow Petrowitsch Goljadkin, einem Titularrat an einer Petersburger Behörde und seiner psychischen Erkrankung. Bereits zu Beginn des ersten Kapitels deutet sich sein Realitätsverlust an, der sich durch das gesamte Buch zieht. „... ob er aufgewacht ist oder noch schläft, ob alles, was jetzt um ihn herum vorgeht, Wahrheit und Wirklichkeit ist oder eine Fortsetzung seiner wirren Träume.“ (7)
Es geht um verschmähte Liebe, um Verleumdung und um Probleme mit der Identität, alles drei Themen, die Stoff für große Romane liefern. Mit Identitätsproblemen haben sich in der Vergangenheit verschiedene Autoren beschäftigt, z.B. Leo Perutz in „Der schwedische Reiter“ und José Saramago in "Der Doppelgänger". Während es bei Perutz um real vertauschte Identitäten geht, ist es bei Saramago die psychische Zerrissenheit seines Protagonisten Afonso, die im Fokus steht.
Psychisch zerrissen ist auch Protagonist Goljadkin. Schwer verständlich aber vielleicht auch genial ist, dass dieser nicht wechselhaft mit unterschiedlicher Identität agiert, sondern „real“ als zwei Personen in Erscheinung tritt. Phasenweise ist für den Leser die Situation klar („Aber wie groß war das Erstaunen, als [um 8:00 Uhr morgens] nicht nur der Gast [Jakow Petrowitsch Goljadkin], sondern sogar auch das Bett, auf dem der Gast geschlafen hatte, aus dem Zimmer verschwunden war!“ (99)) und phasenweise ist das Thema einfach schwer verständlich umgesetzt worden.
Wer Dostojewski kennen lernen möchte, sollte „Die Brüder Karamasow“ oder „Schuld und Sühne“ lesen. „Der Doppelgänger“ ist m.E. eher was für diejenigen Leser, die sich im Rahmen literarischer Studien mit dem Lebenswerk Dostojewskis beschäftigen. Es ist ein Entwicklungsroman, der deutlich macht, dass die Beschreibung der menschliche Psyche zu Dostojewskis Stärken gehört.