Auf den ersten Blick hin handelt es sich bei dieser Publikation um eine Lebensbeschreibung des Reichskriminaldirektors und SS-Führers Arthur Nebe (1894-1945), der als Amtschef der Kriminalpolizei in der Sicherheitspolizei des Dritten Reiches neben Gestapo-Müller eine führende Rolle spielte.Da aber Nebes Handlungen ab 1941 immer mehr verbrecherische Züge annahmen und bei seinem kurzen Fronteinsatz als Führer einer Einsatzgruppe in Weißrußland ihren Höhepunkt erreichten, weitet sich seine Biografie zu einer Schreckensgeschichte der ersten Phase der Shoah aus, in der die jüdische Bevölkerung Weißrußlands durch Erschießungskommandos der Einsatzgruppe ermordet worden ist. In der bereits vorliegenden Literatur über Nebe ist gerade dieser Russlandeinsatz bisher nur unzulänglich und zusammenhanglos behandelt. Diese Lücke will das Buch in dem Hauptabschnitt Die Blutspur der Einsatzgruppe B unter Nebe schließen. Besonders aufschlussreich ist dabei das Kapitel üer das Massaker von Borissow,durch das der Widerstandskreis um Henning von Tresckow beim Stab der Heeresgruppe Mitte endlich auf den Mord an den Juden hingewiesen und in seinem Entschluss zum Attentat auf Hitler bestärkt worden ist. Dieses Massaker zeigt zudem die zwielichtige Rolle, die Nebe gegenüber dem Stab gespielt hat. Nebes Lebensgeschichte weist aber auch noch andere Eigentümlichkeiten auf, die ihn zu einem besonders aufschlussreichen Fall von ambivalentem Verhalten machen. An ihr lässt sich nämlich exemplifizieren, wie ein auf Karriere bedachter Mann sich Schritt für Schritt vom NS-Regime korrumpieren ließ, dabei zum Verbrecher wurde und sich am Ende selbst ruinierte. Doch muss bei ihm auch eine leise Ahnung der Verlogenheit und des Unrechtscharakters der NS-Herrschaft vorhanden gewesen sein, da er sich während seiner ganzen Karriere als Doppelspieler betätigte und über seinen Freund Gisevius eine Verbindung zur Opposition gegen Hitler unterhielt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2012Unwürdig
Kriminalist Arthur Nebe
Vollstreckt wurde das Todesurteil am 3. März 1945 in Plötzensee: Der 50 Jahre alte Reichskriminaldirektor und SS-Gruppenführer Arthur Nebe war - so urteilt jetzt Walter Kiess - ein Doppelspieler, der sich "in seinem Bestreben, auf beiden Seiten mit dabei zu sein, mit der einen Seite so weit eingelassen hat, dass er der Rachsucht der anderen Seite nicht entgehen konnte. Von diesem Zwielicht umgeben, ist es folgerichtig, dass Nebe in die Liste der Toten des 20. Juli keine Aufnahme finden kann." Der Autor, Jahrgang 1928 und Fachmann für Stadtbaugeschichte, kennt die Spezialliteratur über die Polizei, die Einsatzgruppen und den Widerstand gegen Hitler bis ins Detail - und anschaulich schreiben kann er auch. So führt er dem Leser Nebes Anteil an der fortschreitenden Eskalation der NS-Verbrechen drastisch vor Augen: Mordorgien der Einsatzgruppe B, Sprengung von Schwerkranken in Minsk, "Vergasungs-Experiment" in Mogilew oder Liquidierung von britischen Kriegsgefangenen nach Fluchtversuch. Der erfahrene Kriminalist und erfolgreiche Fahnder unterhielt Kontakte zu Widerstandszirkeln seit 1938, tat sich jedoch am 20. Juli 1944 vor allem durch Abwarten hervor, bis er untertauchte. Nach der Festnahme Anfang 1945 habe er Menschen, die ihm auf der Flucht geholfen hatten, rücksichtslos preisgegeben. Sein Taktieren vor dem Volksgerichtshof sei "feige und unwürdig" gewesen, "von keinerlei moralischem oder auch patriotischem Impuls getragen".
RAINER BLASIUS
Walter Kiess: Der Doppelspieler. Reichskriminaldirektor Arthur Nebe zwischen Kriegsverbrechen und Opposition. Ein historisches Sachbuch. Gatzanis Verlag, Stuttgart 2011. 432 S., 38,- [Euro].
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Kriminalist Arthur Nebe
Vollstreckt wurde das Todesurteil am 3. März 1945 in Plötzensee: Der 50 Jahre alte Reichskriminaldirektor und SS-Gruppenführer Arthur Nebe war - so urteilt jetzt Walter Kiess - ein Doppelspieler, der sich "in seinem Bestreben, auf beiden Seiten mit dabei zu sein, mit der einen Seite so weit eingelassen hat, dass er der Rachsucht der anderen Seite nicht entgehen konnte. Von diesem Zwielicht umgeben, ist es folgerichtig, dass Nebe in die Liste der Toten des 20. Juli keine Aufnahme finden kann." Der Autor, Jahrgang 1928 und Fachmann für Stadtbaugeschichte, kennt die Spezialliteratur über die Polizei, die Einsatzgruppen und den Widerstand gegen Hitler bis ins Detail - und anschaulich schreiben kann er auch. So führt er dem Leser Nebes Anteil an der fortschreitenden Eskalation der NS-Verbrechen drastisch vor Augen: Mordorgien der Einsatzgruppe B, Sprengung von Schwerkranken in Minsk, "Vergasungs-Experiment" in Mogilew oder Liquidierung von britischen Kriegsgefangenen nach Fluchtversuch. Der erfahrene Kriminalist und erfolgreiche Fahnder unterhielt Kontakte zu Widerstandszirkeln seit 1938, tat sich jedoch am 20. Juli 1944 vor allem durch Abwarten hervor, bis er untertauchte. Nach der Festnahme Anfang 1945 habe er Menschen, die ihm auf der Flucht geholfen hatten, rücksichtslos preisgegeben. Sein Taktieren vor dem Volksgerichtshof sei "feige und unwürdig" gewesen, "von keinerlei moralischem oder auch patriotischem Impuls getragen".
RAINER BLASIUS
Walter Kiess: Der Doppelspieler. Reichskriminaldirektor Arthur Nebe zwischen Kriegsverbrechen und Opposition. Ein historisches Sachbuch. Gatzanis Verlag, Stuttgart 2011. 432 S., 38,- [Euro].
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