Licht von droben
Im Werk des hochgeehrten israelischen Schriftstellers Amos Oz greift auch «Der dritte Zustand» von 1992 Themen auf, die typisch sind für ihn sind, - im selben Jahr wurde ihm prompt der «Friedenspreis des deutschen Buchhandels» verliehen. Da sind zunächst die permanenten
politischen Spannungen in Israel als objektiver Faktor zu nennen, dem die zutiefst menschlichen Eigenschaften…mehrLicht von droben
Im Werk des hochgeehrten israelischen Schriftstellers Amos Oz greift auch «Der dritte Zustand» von 1992 Themen auf, die typisch sind für ihn sind, - im selben Jahr wurde ihm prompt der «Friedenspreis des deutschen Buchhandels» verliehen. Da sind zunächst die permanenten politischen Spannungen in Israel als objektiver Faktor zu nennen, dem die zutiefst menschlichen Eigenschaften seiner Figuren als subjektive Faktoren gegenüber gestellt sind. Aus diesen existenziellen Urtrieben und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erwachsen permanent Konflikte, ein Dilemma konträrer Einflüsse also, das den Nährboden bildet für seine stets mit ironischem Unterton erzählten Geschichten. In denen dieser alltäglich zu bewältigende Balanceakt zwar nicht immer gelingt, die aber gleichwohl auf ein hoffnungsvolles, tröstliches Ende hinauslaufen, so auch im vorliegenden Roman.
In dreißig Kapiteln wird die Geschichte von Efraim Nissan erzählt, einem vierundfünfzig Jahre alten Intellektuellen, von seinen Freunden zuweilen Effi, meistens aber Fima genannt. Er ist geschieden und kinderlos, lebt allein in einer vom wohlhabenden Vater finanzierten Wohnung in Jerusalem, arbeitet weit unter seinen geistigen Fähigkeiten am Empfang einer gynäkologischen Gemeinschaftspraxis. Ein liebeswerter, blitzgescheiter Wirrkopf, weltfremd und lebensuntüchtig, «… das Abbild eines Schlemihls, der mit zwei linken Händen auf die Welt gekommen war und niemals lernen würde, einen tropfenden Hahn zu reparieren oder einen Knopf anzunähen», wie es im Roman lapidar heißt. Der von diversen Rückblenden ergänzte, linear erzählte Plot ist im Jahre 1989 angesiedelt und greift in seinen gesellschaftlichen Aspekten die damalige Situation in Staate Israel auf, zeigt die seinerzeit agierenden Politiker und maßgeblichen Wissenschaftler in ihren politischen Auseinandersetzungen. Fima nun führt mit seinen Freunden erbitterte Diskussionen über strittige politische Fragen und über vielerlei andere Probleme. Er erweist sich dabei einerseits als äußerst intelligenter Kopf mit unorthodoxen Ideen, ist andererseits aber auch sehr gefürchtet als lästiger, Ort und Zeit ignorierender Disputant, den man kaum noch loswird, hat er sich erstmal in ein Thema verbissen.
Mit Chamissos Märchenfigur Schlemihl hat Amos Oz die Tragik seines Helden treffend umschrieben. Er leidet unter dem Identitätsverlust eines einst hoffnungsvollen Wissenschaftlers, dessen Karriere nicht stattgefunden hat, dessen geistige Fähigkeiten sich nur noch in gelegentlichen Zeitungsartikeln artikulieren oder in hitzigen Debatten im privaten Kreis. Ein hoch gebildeter, gutmütiger Spinner, immer hilfsbereit, bei den Frauen erfolgreich auch ohne männliche Ausstrahlung, attraktiv allein durch seine Bereitschaft, zuzuhören, mitfühlend auf Probleme einzugehen. Ein ewiger Grübler, im Roman sprachlich in Form häufiger innerer Monologe dargestellt, deren Sätze sehr oft mit Fragezeichen enden. Den titelgebenden «dritten Zustand» schließlich verortet Fima kontemplativ zwischen Wachsein und Schlaf: «Nur wenn ein Wintermorgen wie dieser in einem durchscheinenden Lichtschleier aufzieht, den vielleicht der archaische Ausdruck nehora ma-alja, Licht von droben, umschreibt, nur dann kehrt die Wonne der ersten Berührung auf die Erde und in deine sehenden Augen zurück».
Mit ausgedehnten philosophischen Exkursionen, aber auch mit einer unverkennbar versöhnlichen, dem gesunden Menschenverstand verpflichteten Situationsanalyse dieser Krisenregion im Nahen Osten, bereichert dieser Roman seine Leser immer aufs Neue. Störend fand ich die als Chaot maßlos überzeichnete Figur des Protagonisten Fima, den sein Autor in alle denkbaren Fettnäpfchen treten lässt, was anfangs noch zu amüsieren vermag, irgendwann aber als klischeehaft überladen nur noch lästig ist. Amos Oz nutzt seinen Protagonisten - mit gutem Recht - als Sprachrohr für eigene Auffassungen und Erkenntnisse, es lohnt sich deshalb, diesen Roman aufmerksam zu lesen.