Leidenschaftlich, fesselnd, wunderschön: Leïla Slimani über ihr Leben zwischen den Kulturen.
In diesem sehr persönlichen Buch erzählt Leïla Slimani von einer ungewöhnlichen Nacht, die sie allein im Museum Museo Punta della Dogana in Venedig verbringt, dem einstigen Zollgebäude der Serenissima. Einem Ort, an dem sich seit jeher Orient und Okzident begegnen und der zum Sinnbild ihrer eigenen Geschichte wird. Leïla Slimani nimmt uns mit auf eine Reise durch ihr Leben. Sie erzählt von ihrer Familie und ihrer Kindheit in Rabat, vom Alltag in Paris als Mutter und Schriftstellerin, vom Leben zwischen den Kulturen, ihrer Aufgabe als Schreibende und gesellschaftspolitisch engagierter Frau - und letztlich von der Kraft der Literatur.
In diesem sehr persönlichen Buch erzählt Leïla Slimani von einer ungewöhnlichen Nacht, die sie allein im Museum Museo Punta della Dogana in Venedig verbringt, dem einstigen Zollgebäude der Serenissima. Einem Ort, an dem sich seit jeher Orient und Okzident begegnen und der zum Sinnbild ihrer eigenen Geschichte wird. Leïla Slimani nimmt uns mit auf eine Reise durch ihr Leben. Sie erzählt von ihrer Familie und ihrer Kindheit in Rabat, vom Alltag in Paris als Mutter und Schriftstellerin, vom Leben zwischen den Kulturen, ihrer Aufgabe als Schreibende und gesellschaftspolitisch engagierter Frau - und letztlich von der Kraft der Literatur.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensentin Juliane Liebert lässt sich gern von Leila Slimani auf eine Nacht in der Punta della Dogana einladen. Die marokkanisch-französische Autorin findet in dem venezianischen Zollpalast erst keinen Zugang zu der ausgestellten Kunst, etwa jener der 2016 verstorbenen Künstlerin Etel Adnan und denkt deswegen im stillen Dialog mit Kunst und Büchern über den zu befreienden weiblichen Körper und ihre eigenen Erfahrungen mit Postkolonialismus nach, erklärt die Rezensentin. Das alles entwickelt sich Liebert zufolge, mit Ausnahme von einigen wenigen papiernen Stellen, zu einem fokussierten, reflektierten, beschreibenden Romanessay, der die Stärken und potenziellen Schwächen der Schriftstellerin sichtbar macht. "Der Duft der Blumen bei Nacht" verströmt einen wohligen Duft, schließt die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2022Schönes Scheitern
Unter Beobachtung: Eine Nacht allein im Museum führt Leïla Slimani zu den Quellen ihres Schreibens
Es sei der Text einer "Nichtsnutzigen", einer Frau, die mit der Kunst nichts am Hut habe, hieß es über Leïla Slimanis neues Buch im staatlichen französischen Radiosender France Inter. "Der Duft der Blumen bei Nacht" sei der Text über ein Versagen, und ob dieser gelungen sei oder nicht, stelle sich erst heraus, als Slimani näher auf die Unverdaulichkeit der Venusmuscheln eingehe, die sie zuvor genossen habe. Was diese Frage über Slimanis Literatur oder vielmehr über den Zustand der französischen Literaturkritik aussagt, sei dahingestellt. Das abschließende Urteil der erregten Kritikerrunde, Slimanis Bericht über den nächtlichen Einschluss im Museum Punta della Dogana in Venedig sei einer der schönsten literarischen Schiffbrüche dieser Tage, ist jedenfalls nachvollziehbar.
Die etwas überdreht wirkende Kritik erklärt sich zum Großteil daraus, dass Leïla Slimani eine der erfolgreichsten Gegenwartsautorinnen Frankreichs ist. Ihr mit dem Goncourt-Preis ausgezeichneter Roman "Dann schlaf auch du" über postkoloniale Machtstrukturen zwischen europäischen Gutverdienern und immigrierten Billiglohnarbeitern verkaufte sich allein im französischen Original mehr als eine Million Mal. Derzeit arbeitet die 1981 im marokkanischen Rabat geborene Slimani an einer Trilogie über ihre Familie, die mit einer Großmutter aus dem Elsass und einem Großvater aus Marokko ausreichend Stoff liefert für ein autobiographisches Romanwerk, eine "Familien-Saga".
In einer Schreibkrise hatte Slimanis Verlag sie dazu überredet, einen Band zur Reihe "Une nuit au musée" beizusteuern und dafür eine Nacht lang die dort ausgestellte moderne Kunst der Sammlung des französischen Sammlers und Multimilliardärs François Pinault auf sich wirken zu lassen. Zwar bekennt Slimani, dass die Abschottung, der Selbsteinschluss Voraussetzungen für ihr Schreiben sind, allerdings sind Museen für die Autorin bis heute "erdrückende Orte", an denen sie nur "Fremdheit und Distanz" empfindet. Sie selbst ist gar davon überzeugt, nichts über zeitgenössische Kunst zu sagen zu haben. "Der Duft der Blumen bei Nacht" basiere auf einem "Schreiben ohne Notwendigkeit", das sie sich "eingebrockt" habe. Ob das gut gehen kann?
Eine schmale Pritsche in einem Kabuff stellt man Slimani als Nachtlager zur Verfügung. Auf ihr hält es die rastlose Autorin nicht lange aus und streift stattdessen barfuß durch die dunklen Gänge auf der Such nach einem Ort, an dem sie unbeobachtet rauchen kann. Das Körperliche steht in Slimanis Bericht über eine Nacht, in der sie viel über Freiheit sinniert, aber diese keine Sekunde lang empfindet, immer wieder im Mittelpunkt. Man liest etwa von der erlösenden Wirkung des Todes, von der "Trostlosigkeit unserer Organfunktionen", von "Hässlichkeit nackten Fleisches" und der "Ohnmacht, zu der uns Krankheit verdammt". Es sind Themen, die den Lesern ihrer Romane über Mord, Sexsucht und bürgerliche Bigotterie geläufig sind.
In "Der Duft der Blumen bei Nacht" führt die flüchtige Betrachtung der Kunstwerke dagegen auch zu lockeren Assoziationsketten über literarische Referenzen, künstlerische Inspirationen und lebenskonkrete Reflexionen, die Slimani in ein dahinplätscherndes Selbstgespräch einflicht. Es geht um ihre "Sucht zu schreiben", um den Widerspruch zwischen ihrer Lust an Gesellschaft und der erzwungenen Zurückgezogenheit als Autorin, um ihre Existenz "ohne Verankerung, ohne Fundament, ohne prägendes Territorium" und ihre "verletzte Identität" zwischen Rabat und Paris. Amelie Thoma hat dieses Gedankenschweifen in ein flüssiges, kursorisches Deutsch gebracht, bei dem allein die Übertragung der Konjunktiv-Formen erstaunlich unsicher wirkt.
"Der Duft der Blumen bei Nacht" - der Titel spielt an auf den Nachtjasmin in den Straßen Rabats - ist eine kritische Selbstauskunft Slimanis darüber, wie sie zu der wurde, die sie ist. Sensationen werden nicht enthüllt, aber beredte Anekdoten aufgetischt. Dazu gehört auch, dass die Autorin, die in Frankreich als Ikone der weiblich-migrantischen Emanzipation gilt und in ihrer Jugend nachts die Straßen von Rabat wie eine Junge eroberte, weder Auto noch Fahrrad fahren kann, zugleich aber einer "Reisewut" erlegen ist, die sie manchmal vergessen lässt, in welchem Land sie sich befindet. Konsterniert liest man von Slimanis Angstzuständen im öffentlichen Straßenraum als Folge einer drastischen sexuellen Belästigung und erinnert sich zugleich an ihr öffentliches Eintreten im Kontext der MeToo-Kampagne für die "Freiheit, sich nicht als Opfer zu fühlen".
Überraschend ist auch der Ernst, mit dem die Autorin zu Werke geht. Hätte man die einsame Nacht im Museum nicht nutzen können, um genüsslich eben die Dinge zu tun, die im laufenden Betrieb nicht möglich sind, oder um sich wenigstens eine Gespenstergeschichte auszudenken mit nächtens zum Leben erweckten Kunstwerken? Slimani versteckt sich stattdessen auf der Toilette, um zu rauchen, und wähnt sich übrigens auch dort beobachtet von den Videokameras des Nachtwächters. Ungeachtet ihrer nervösen Verunsicherungen findet Slimani ein ruhendes literarisches Leitmotiv, das ihre Gedankensplitter und Assoziationen zusammenführt. Es ist der Zwiespalt zwischen dem Drinnen und dem Draußen, den sie in Bezug auf die Mehrheitsgesellschaft, auf ihre solitäre Arbeit als Autorin und ihr ganz persönliches Sicherheitsgefühl empfindet.
Die Nacht im Museum führt Leïla Slimani zu den Wurzeln ihres Schreibens, das sie vor allem als Wiedergutmachung eines Unrechts versteht. Weil ihr Vater als ehemals hochrangiger Bankenchef in Marokko 2003 als Folge eines Justizirrtums im Gefängnis saß, will sie schreibend das Unrecht gegen alle Verstoßenen, gegen ihre Familie, gegen ihr Volk und gegen ihr Geschlecht wiedergutmachen. Sie beschreibt ihren leidvollen Weg zur Erkenntnis, dass sie sich als Schriftstellerin selbst ein Leben als Ausgestoßene auf einer Insel verordnet hat, um die anderen besser beobachten zu können. Am Ende dieser nicht eben beschwingten Nacht in Venedig ist man erleichtert, wenn Slimani den ersten Espresso mit Zigarette im Straßencafé genießt und sich darauf freut, in ihre Höhle zu den Romanfiguren zurückkehren zu können. CORNELIUS WÜLLENKEMPER
Leïla Slimani: "Der Duft der Blumen bei Nacht".
Aus dem Französischen von Amelie Thoma. Luchterhand Literaturverlag, München 2022. 160 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unter Beobachtung: Eine Nacht allein im Museum führt Leïla Slimani zu den Quellen ihres Schreibens
Es sei der Text einer "Nichtsnutzigen", einer Frau, die mit der Kunst nichts am Hut habe, hieß es über Leïla Slimanis neues Buch im staatlichen französischen Radiosender France Inter. "Der Duft der Blumen bei Nacht" sei der Text über ein Versagen, und ob dieser gelungen sei oder nicht, stelle sich erst heraus, als Slimani näher auf die Unverdaulichkeit der Venusmuscheln eingehe, die sie zuvor genossen habe. Was diese Frage über Slimanis Literatur oder vielmehr über den Zustand der französischen Literaturkritik aussagt, sei dahingestellt. Das abschließende Urteil der erregten Kritikerrunde, Slimanis Bericht über den nächtlichen Einschluss im Museum Punta della Dogana in Venedig sei einer der schönsten literarischen Schiffbrüche dieser Tage, ist jedenfalls nachvollziehbar.
Die etwas überdreht wirkende Kritik erklärt sich zum Großteil daraus, dass Leïla Slimani eine der erfolgreichsten Gegenwartsautorinnen Frankreichs ist. Ihr mit dem Goncourt-Preis ausgezeichneter Roman "Dann schlaf auch du" über postkoloniale Machtstrukturen zwischen europäischen Gutverdienern und immigrierten Billiglohnarbeitern verkaufte sich allein im französischen Original mehr als eine Million Mal. Derzeit arbeitet die 1981 im marokkanischen Rabat geborene Slimani an einer Trilogie über ihre Familie, die mit einer Großmutter aus dem Elsass und einem Großvater aus Marokko ausreichend Stoff liefert für ein autobiographisches Romanwerk, eine "Familien-Saga".
In einer Schreibkrise hatte Slimanis Verlag sie dazu überredet, einen Band zur Reihe "Une nuit au musée" beizusteuern und dafür eine Nacht lang die dort ausgestellte moderne Kunst der Sammlung des französischen Sammlers und Multimilliardärs François Pinault auf sich wirken zu lassen. Zwar bekennt Slimani, dass die Abschottung, der Selbsteinschluss Voraussetzungen für ihr Schreiben sind, allerdings sind Museen für die Autorin bis heute "erdrückende Orte", an denen sie nur "Fremdheit und Distanz" empfindet. Sie selbst ist gar davon überzeugt, nichts über zeitgenössische Kunst zu sagen zu haben. "Der Duft der Blumen bei Nacht" basiere auf einem "Schreiben ohne Notwendigkeit", das sie sich "eingebrockt" habe. Ob das gut gehen kann?
Eine schmale Pritsche in einem Kabuff stellt man Slimani als Nachtlager zur Verfügung. Auf ihr hält es die rastlose Autorin nicht lange aus und streift stattdessen barfuß durch die dunklen Gänge auf der Such nach einem Ort, an dem sie unbeobachtet rauchen kann. Das Körperliche steht in Slimanis Bericht über eine Nacht, in der sie viel über Freiheit sinniert, aber diese keine Sekunde lang empfindet, immer wieder im Mittelpunkt. Man liest etwa von der erlösenden Wirkung des Todes, von der "Trostlosigkeit unserer Organfunktionen", von "Hässlichkeit nackten Fleisches" und der "Ohnmacht, zu der uns Krankheit verdammt". Es sind Themen, die den Lesern ihrer Romane über Mord, Sexsucht und bürgerliche Bigotterie geläufig sind.
In "Der Duft der Blumen bei Nacht" führt die flüchtige Betrachtung der Kunstwerke dagegen auch zu lockeren Assoziationsketten über literarische Referenzen, künstlerische Inspirationen und lebenskonkrete Reflexionen, die Slimani in ein dahinplätscherndes Selbstgespräch einflicht. Es geht um ihre "Sucht zu schreiben", um den Widerspruch zwischen ihrer Lust an Gesellschaft und der erzwungenen Zurückgezogenheit als Autorin, um ihre Existenz "ohne Verankerung, ohne Fundament, ohne prägendes Territorium" und ihre "verletzte Identität" zwischen Rabat und Paris. Amelie Thoma hat dieses Gedankenschweifen in ein flüssiges, kursorisches Deutsch gebracht, bei dem allein die Übertragung der Konjunktiv-Formen erstaunlich unsicher wirkt.
"Der Duft der Blumen bei Nacht" - der Titel spielt an auf den Nachtjasmin in den Straßen Rabats - ist eine kritische Selbstauskunft Slimanis darüber, wie sie zu der wurde, die sie ist. Sensationen werden nicht enthüllt, aber beredte Anekdoten aufgetischt. Dazu gehört auch, dass die Autorin, die in Frankreich als Ikone der weiblich-migrantischen Emanzipation gilt und in ihrer Jugend nachts die Straßen von Rabat wie eine Junge eroberte, weder Auto noch Fahrrad fahren kann, zugleich aber einer "Reisewut" erlegen ist, die sie manchmal vergessen lässt, in welchem Land sie sich befindet. Konsterniert liest man von Slimanis Angstzuständen im öffentlichen Straßenraum als Folge einer drastischen sexuellen Belästigung und erinnert sich zugleich an ihr öffentliches Eintreten im Kontext der MeToo-Kampagne für die "Freiheit, sich nicht als Opfer zu fühlen".
Überraschend ist auch der Ernst, mit dem die Autorin zu Werke geht. Hätte man die einsame Nacht im Museum nicht nutzen können, um genüsslich eben die Dinge zu tun, die im laufenden Betrieb nicht möglich sind, oder um sich wenigstens eine Gespenstergeschichte auszudenken mit nächtens zum Leben erweckten Kunstwerken? Slimani versteckt sich stattdessen auf der Toilette, um zu rauchen, und wähnt sich übrigens auch dort beobachtet von den Videokameras des Nachtwächters. Ungeachtet ihrer nervösen Verunsicherungen findet Slimani ein ruhendes literarisches Leitmotiv, das ihre Gedankensplitter und Assoziationen zusammenführt. Es ist der Zwiespalt zwischen dem Drinnen und dem Draußen, den sie in Bezug auf die Mehrheitsgesellschaft, auf ihre solitäre Arbeit als Autorin und ihr ganz persönliches Sicherheitsgefühl empfindet.
Die Nacht im Museum führt Leïla Slimani zu den Wurzeln ihres Schreibens, das sie vor allem als Wiedergutmachung eines Unrechts versteht. Weil ihr Vater als ehemals hochrangiger Bankenchef in Marokko 2003 als Folge eines Justizirrtums im Gefängnis saß, will sie schreibend das Unrecht gegen alle Verstoßenen, gegen ihre Familie, gegen ihr Volk und gegen ihr Geschlecht wiedergutmachen. Sie beschreibt ihren leidvollen Weg zur Erkenntnis, dass sie sich als Schriftstellerin selbst ein Leben als Ausgestoßene auf einer Insel verordnet hat, um die anderen besser beobachten zu können. Am Ende dieser nicht eben beschwingten Nacht in Venedig ist man erleichtert, wenn Slimani den ersten Espresso mit Zigarette im Straßencafé genießt und sich darauf freut, in ihre Höhle zu den Romanfiguren zurückkehren zu können. CORNELIUS WÜLLENKEMPER
Leïla Slimani: "Der Duft der Blumen bei Nacht".
Aus dem Französischen von Amelie Thoma. Luchterhand Literaturverlag, München 2022. 160 S., geb., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Es ist ein ungemein kluges Buch, frei von eitler Selbstbetrachtung, aber auch ohne peinliche falsche Bescheidenheit. Bewundernswert schafft es Leïla Slimani, tiefgründigen Themen eine geradezu elegante Leichtigkeit zu geben.« Michael Hirz / Kölner Stadt-Anzeiger