Literatunten-Meinung
Isherwoods “Einzelgänger” ist ein Buch, das man wieder und wieder lesen kann. Im Abstand von einigen Jahren gelesen ergibt sich dabei häufig eine völlig neue Sicht. Jüngere Leser berichteten von anderen Sichtweisen auf das Buch als ältere. Leser um die 55 identifizieren sich
eher mit dem Protagonisten als jüngere.
Die Geschichte beschreibt einen Kreis: Vom Erwachen und dem…mehrLiteratunten-Meinung
Isherwoods “Einzelgänger” ist ein Buch, das man wieder und wieder lesen kann. Im Abstand von einigen Jahren gelesen ergibt sich dabei häufig eine völlig neue Sicht. Jüngere Leser berichteten von anderen Sichtweisen auf das Buch als ältere. Leser um die 55 identifizieren sich eher mit dem Protagonisten als jüngere.
Die Geschichte beschreibt einen Kreis: Vom Erwachen und dem “Hineinschlüpfen” des Geistes in Georges Körper verfolgt Isherwood den Literaturprofessor über 24 Stunden bis zu dem Moment, wo Georges Bewusstsein seinen Körper wieder verlässt. Ob George am Ende wirklich stirbt, oder ob es eine nur hypothetische, gedachte Möglichkeit bleibt, lässt Isherwood offen – und auch die Literatunten sind sich da nicht einig.
Auffällig ist, dass Isherwood bzw. sein Protagonist alles, was passiert, mit einem spezifisch “schwulen Blick” betrachtet: das Zusammenleben mit seinen Nachbarn, das Verhältnis zu seiner Freundin, das Tennisspiel zweier Studenten, seinen Unterricht im College… Und das in einem Roman, der Jahre vor Stonewall veröffentlicht wurde!
Der Roman geht unter die Haut. Er macht die unendliche Trauer Georges um seinen verunglückten Lebensgefährten greifbar. Man versteht, warum er sich einerseits von der Welt verlassen fühlt und sich andererseits von ihr distanziert. George kann sich für seine Trauer nicht in die Geborgenheit einer Gemeinschaft zurückziehen, die heterosexuellen Menschen zur Verfügung steht. Er ist allein. Sein Mann ist tot. Seine Umwelt kann und will seine Trauer nicht akzeptieren, weil sie seine Liebe nicht akzeptiert. Er ist “A Single Man”! (Die Übersetzung des englischen Titels in “Der Einzelgänger” ist wohl nicht sehr geglückt.)
Die Literatunten meinen: unbedingt (mal wieder) lesen!
Gerds Meinung
Ich war regelrecht überwältigt von der literarischen Wucht, die mich schon beim Lesen der ersten Zeilen dieses Romans übermannte. Was wäre ich froh, wenn ich so schreiben könnte, wie Isherwood…
Isherwood beschreibt 24 Stunden im Leben Georges, eines Highschool-Professors, der in der ach so toleranten Umgebung eines alternativen Wohnviertels von Los Angeles wohnt, und vor kurzem seinen Lebenspartner verloren hat. Ohne in ein wehleidiges Lamento zu verfallen, erzeugt er eine Atmosphäre der Trauer, der Verlorenheit, der Einsamkeit. Nichts und niemand kann George wirklich berühren. Nur einen Hoffnungsschimmer gibt es, die Begegnung mit einem Studenten, der sich wirklich für den Professor zu interessieren scheint, der es vielleicht vermag, ihm nahe zu kommen. Aber so, wie George zu Beginn des Romans erst langsam aus dem dinghaften Sein während des Schlafes zu sich, zu seinem Selbst findet, erlischt dieses Selbst in dem Augenblick, in dem eine neue Zukunft möglich scheint.
Große Literatur, unbedingt lesenswert!