Zehntausende Berliner versammelten sich am Brandenburger Tor, als es hieß: Gustav ante portem. Sie schwenkten die Hüte zu seiner Begrüßung und rissen sich um die Zeitungen mit den neuesten Berichten. Gustav Hartmann, der Droschkenkutscher aus Wannsee, machte seine Fahrt zu einem großen Medienereignis und schrieb sich in die Annalen der Geschichte.Wie da einer zum Volkshelden wurde, das sah - trotz oder wegen des Presserummels - auch der Dichter Ernst Toller und freute sich dennoch, denn diesmal wurde einer gefeiert, der Paris friedlich erobert hatte. Unser Buch verfolgt, wie die Legende vom Eisernen Gustav entstand, geht aber erst einmal zurück zu den tatsächlichen Ereignissen und erzählt die wahre Geschichte des Gustav Hartmann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.08.2008Fahrt nach Paris
Berliner Droschkenkutscher
Reichsaußenminister Gustav Stresemann war wegen seiner Entspannungspolitik bei vielen Franzosen wohlgelitten. Aber für einen Moment ist er nur noch der "l'autre Gustav", der "andere Gustav", denn "der eine" war am 4. Juni in Paris eingetroffen und stahl dem Politiker für ein paar Tage bei der begeisterten Menge die Schau: Im Alter von 68 Jahren hatte sich der Berliner Droschkenkutscher Gustav Hartmann zu einer Kutschfahrt nach Paris aufgemacht, die er hin und zurück mit Bravour absolvierte. Gewöhnlich am Bahnhof Wannsee stationiert und bei Wind und Wetter zu Diensten, hatte er die "Schnapsidee" nach einem zufälligen Treffen mit einer französischen Reiterin gehabt und war trotz aller Skepsis der Familie davon nicht abzubringen. Die Fahrt übertraf alle Erwartungen: Menschen strömten hinzu, wo immer er ankam, in Dortmund waren es fast 200 000, in Paris annähernd 100 000, bei seiner Rückkehr war der Platz vor dem Brandenburger Tor hoffnungslos zu. In Paris empfing Außenminister Aristide Briand den Kutscher, umhalste das treue Pferd "Grasmus" und küsste es; in Berlin gab Stresemann einen Empfang, beim anschließenden Dinner legte Filmstar Henny Porten dem alten Herrn Eisbein und Erbsen vor. Die Fahrt des "Eisernen Gustav" war ein heute kaum noch nachvollziehbares Spektakel, es passte in die sensationshungrige Zeit. Anlässlich seiner 80. Wiederkehr erinnert Gunnar Müller-Waldeck in einem schönen Band daran. Mit viel Fakten und in freundlich lockerem Plauderton schildert er das vom Ullstein Verlag gesponserte Unternehmen, das der junge Redakteur Hans Hermann Theobald begleitete und medienwirksam vermarktete. Der Autor erinnert ebenso amüsant an das bis 1930 bestehende Droschkengewerbe, stellt Hartmann in eine Reihe mit anderen Berliner Originalen, erinnert an den Roman von Hans Fallada und die Rühmann-Verfilmung, unterhält sich mit noch lebenden Enkeln des 1938 verstorbenen Volkshelden und spricht mit heutigen Vertretern der Berliner Taxi-Innung, die Hartmann ein Denkmal setzten, aber erst nach einem haarsträubenden, den Leser noch heute zur Weißglut bringenden Irrlauf durch die Berliner Bürokratie.
DIRK KLOSE
Gunnar Müller-Waldeck: Der Eiserne Gustav. Die Geschichte des legendären Droschkenkutschers Gustav Hartmann. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2008. 272 S., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Berliner Droschkenkutscher
Reichsaußenminister Gustav Stresemann war wegen seiner Entspannungspolitik bei vielen Franzosen wohlgelitten. Aber für einen Moment ist er nur noch der "l'autre Gustav", der "andere Gustav", denn "der eine" war am 4. Juni in Paris eingetroffen und stahl dem Politiker für ein paar Tage bei der begeisterten Menge die Schau: Im Alter von 68 Jahren hatte sich der Berliner Droschkenkutscher Gustav Hartmann zu einer Kutschfahrt nach Paris aufgemacht, die er hin und zurück mit Bravour absolvierte. Gewöhnlich am Bahnhof Wannsee stationiert und bei Wind und Wetter zu Diensten, hatte er die "Schnapsidee" nach einem zufälligen Treffen mit einer französischen Reiterin gehabt und war trotz aller Skepsis der Familie davon nicht abzubringen. Die Fahrt übertraf alle Erwartungen: Menschen strömten hinzu, wo immer er ankam, in Dortmund waren es fast 200 000, in Paris annähernd 100 000, bei seiner Rückkehr war der Platz vor dem Brandenburger Tor hoffnungslos zu. In Paris empfing Außenminister Aristide Briand den Kutscher, umhalste das treue Pferd "Grasmus" und küsste es; in Berlin gab Stresemann einen Empfang, beim anschließenden Dinner legte Filmstar Henny Porten dem alten Herrn Eisbein und Erbsen vor. Die Fahrt des "Eisernen Gustav" war ein heute kaum noch nachvollziehbares Spektakel, es passte in die sensationshungrige Zeit. Anlässlich seiner 80. Wiederkehr erinnert Gunnar Müller-Waldeck in einem schönen Band daran. Mit viel Fakten und in freundlich lockerem Plauderton schildert er das vom Ullstein Verlag gesponserte Unternehmen, das der junge Redakteur Hans Hermann Theobald begleitete und medienwirksam vermarktete. Der Autor erinnert ebenso amüsant an das bis 1930 bestehende Droschkengewerbe, stellt Hartmann in eine Reihe mit anderen Berliner Originalen, erinnert an den Roman von Hans Fallada und die Rühmann-Verfilmung, unterhält sich mit noch lebenden Enkeln des 1938 verstorbenen Volkshelden und spricht mit heutigen Vertretern der Berliner Taxi-Innung, die Hartmann ein Denkmal setzten, aber erst nach einem haarsträubenden, den Leser noch heute zur Weißglut bringenden Irrlauf durch die Berliner Bürokratie.
DIRK KLOSE
Gunnar Müller-Waldeck: Der Eiserne Gustav. Die Geschichte des legendären Droschkenkutschers Gustav Hartmann. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2008. 272 S., 14,90 [Euro].
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