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Jahr für Jahr fährt der Antiquitätenhändler Erwin Diegelbaum in nie verändertem Turnus von Italien bis hinauf nach Österreich, um in Kellern oder auf Dachspeichern kostbare jüdische Handschriften und Bücher, Kultgeräte und Kleinodien aufzuspüren. Doch nicht nur ihnen gilt seine Suche. Zugleich will er den SS-Schergen finden, der vor Jahrzehnten seine Eltern ermordet hat. Und tatsächlich: Er findet ihn, der im Verborgenen noch immer die alten Machenschaften betreibt, und begegnet so noch einmal, in einem Moment lang erwarteter Vergeltung, seiner Vergangenheit.

Produktbeschreibung
Jahr für Jahr fährt der Antiquitätenhändler Erwin Diegelbaum in nie verändertem Turnus von Italien bis hinauf nach Österreich, um in Kellern oder auf Dachspeichern kostbare jüdische Handschriften und Bücher, Kultgeräte und Kleinodien aufzuspüren. Doch nicht nur ihnen gilt seine Suche. Zugleich will er den SS-Schergen finden, der vor Jahrzehnten seine Eltern ermordet hat. Und tatsächlich: Er findet ihn, der im Verborgenen noch immer die alten Machenschaften betreibt, und begegnet so noch einmal, in einem Moment lang erwarteter Vergeltung, seiner Vergangenheit.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2000

Die alljährliche Rundreise
des Erwin Siegelbaum
Warum Aharon Appelfelds Alter ego „ständig auf Achse” ist
Sprachlich dicht und doch mit einer großen, fast exaltierten Nüchternheit zieht dieser Roman seine ersten Bahnen: „Seit Ende des Krieges bin ich, wie man so sagt, ständig auf Achse. Mit Regionalzügen, Schienenbussen, Taxis und Pferdewagen bereise ich immer wieder eine lange, gewundene Route von Neapel bis in den kalten Norden. Die Jahreszeiten fliegen an mir vorbei wie Trugbilder. Ich habe die Strecke mit meinem Körper erkundet und kenne jede Pension und jedes Gasthaus, jedes Restaurant und Lokal ebenso wie die vielen verschiedenen Fahrzeuge, die mich in die verstecktesten Winkel bringen. ” Es ist der Ton der klassischen Moderne, schlackenlos, leicht unterkühlt, ein Hohelied der Einsamkeit, begleitet von einem melancholischen Unterton, der sich auf den nächsten Seiten verstärken wird.
Da reist einer Jahr für Jahr auf derselben Strecke, trifft sich um die gleiche Zeit mit den gleichen Menschen, sucht Halt bei ihnen und ist doch auf der Flucht: vor sich selbst und vor der Erinnerung, die ihn heimsucht wie eine Krankheit. Der Ich-Erzähler Erwin Siegelbaum ist ein Überlebender des Holocaust. Seine Rundreise beginnt immer am selben Punkt: in Wirblbahn, einem nur aus Feldern, Baracken und einer einzigen Straße bestehenden Ort. Dort hatten ihn die Viehwaggons ausgespuckt, zusammen mit dreiundzwanzig anderen Menschen, von denen einige die dreitägige Fahrt nicht überstanden haben. Es war am Ende des Krieges. Wirblbahn ist nicht der Name des kleinen, besonders grauenhaften Arbeitslagers, in das Erwin als 15-Jähriger mit seinem Vater kam, sondern es ist der Ort der Rettung. Einer zwiespältigen Rettung, einer Wiedergeburt im Zeichen des Todes, mit dem die Überlebenden ein Leben lang zu kämpfen haben.
Keine Zeichen der Bitterkeit
Aharon Appelfeld wurde 1932 in Czernowitz, der größten Stadt der Bukowina, geboren und wuchs in derselben Straße auf, in der auch Paul Celan und Rose Ausländer gelebt haben. Als er acht Jahre alt war, wurde seine Mutter von deutschen und rumänischen Antisemiten erschossen. Er selbst kam mit seinem Vater in ein Konzentrationslager, aus dem ihm die Flucht gelang. In den Wäldern hat er sich durchgeschlagen, landete als Küchenjunge bei der Sowjetarmee und ging schließlich 1946 nach Palästina. Als Aharon Appelfeld im November des eben vergangenen Jahres zum ersten Mal wieder in Deutschland war, sah man einen vor Freundlichkeit geradezu leuchtenden Mann. Selbst der Publizist Henryk M.  Broder, der den Autor im Berliner Literaturhaus vorstellte, konnte ihn nicht zum Eingeständnis von Rachegelüsten bewegen. Stattdessen betonte Aharon Appelfeld seine Verbundenheit mit der deutschen Kultur, vor allem mit der von seiner Mutter geliebten Literatur. Die Zeit in den Wäldern nach der Flucht aus dem Lager sei für ihn, den Heranwachsenden, auch ein großes Abenteuer gewesen, eine Legende.
Mit der prekären Charakterisierung der eigenen Existenz als der eines Über-Lebenden – eines also, der übrig ist, dessen Leben nur noch eine Dreingabe ist, über den als sicher erschienenen Tod hinaus und auch über den tatsächlichen seiner Angehörigen – geht Aharon Appelfeld vor allem literarisch um. Als absorbiere sein Schreiben alle dunklen Gefühle, zeigt er als Person keinerlei Zeichen der Bitterkeit. Sein Werk aber hat sich genau in diesem „Über-” angesiedelt. Immer wieder versucht es dessen merkwürdige Struktur zu erkunden.
Wiederholung als Rettung
Der eiserne Pfad, im hebräischen Original 1992 erschienen (Messilat barsel) und mit dem National Jewish Book Award ausgezeichnet, präsentiert sich bei uns in dem schlichten und zugleich poetischen Deutsch von Stefan Siebers. Siebers hat auch die bei Hoffmann und Campe publizierten Romane Tzili (1989), Der unsterbliche Bartfuß (1991) und Für alle Sünden (1996) übersetzt. Zeit der Wunder (1984 bei Ullstein) wurde dagegen aus dem Amerikanischen übertragen, wie auch Aharon Appelfelds Hauptwerk Badenheim (1982), das nicht mehr lieferbar ist. Eine gute Chance für den jungen Alexander Fest Verlag, diesen Roman, der eines der wichtigsten Bücher über den Holocaust ist, noch einmal in angemessener Form herauszubringen: als Übersetzung aus dem Hebräischen. Aharon Appelfeld, der in Israel rund dreißig Bücher veröffentlicht hat, gehört neben den Ungarn Imre Kertész; auch er verweigert jede Sentimentalität im Umgang mit dem nationalsozialistischen Massenmord. Und das tut gerade in Deutschland not.
Erwin Siegelbaum ist Antiquitätenhändler und durchkämmt auf seiner Reise die Märkte in der Provinz nach jüdischen Antiquitäten. Er verdient damit seinen Lebensunterhalt und leistet zugleich einen Beitrag zur Bewahrung der jüdischen Tradition. Sein Freund Max kauft ihm alles ab. Irgendwann sollen die Erinnerungsschätze nach Israel gebracht werden. Was ihn voran treibt aber, ihm Energie gibt, ist die Suche nach Nachtigel, dem SS-Mann, der seine Eltern ermordet hat. Er will – und wird – ihn töten.
Der Roman beschreibt eine Suche nach der verlorenen Zeit oder genauer: den verzweifelten Versuch, Raum und Zeit als Koordinaten des eigenen Lebens zurück zu erobern. Erwin Siegelbaum übergibt sich den Schienen wie einem Schicksal. Fast so, als könnten ihm die Gleise, indem sie ihn auf vorgezeichneten Strecken durch die Welt bewegen, ein flüchtiges Zuhause gewähren. Einige Orte, einige Personen bilden die Kreuzungspunkte des Schienengesträngs – ein Taxifahrer, der ihn abholt und alljährlich die Fortsetzungsgeschichte seiner scheiternden Ehe erzählt, eine ganz bestimmte Badewanne in einer Pension, die ihm für kurze Zeit Entspannung erlaubt (einmal zu lang genossen, überschwemmen ihn die Erinnerungen bis zur völligen Erschöpfung), ein paar Frauen, darunter auch die eine, die ihm wirklich etwas bedeutet hat und die er als Bild, eine verpasste Lebenschance, in seinem Innern trägt.
Der eiserne Pfad erkundet die Existenz eines Menschen, dessen Biografie vernichtet wurde. Erwin Siegelbaum kam mit dem Leben davon, aber man hat ihm den Ort und die Zeit geraubt, die Möglichkeit, sich in ein Kontinuum einzuordnen. In der Wiederholung sucht er Rettung. In ihr liegt, so heißt es an einer Stelle, „ein seltsames Hoffen. Als stünde am Ende unserer Tage nicht Vernichtung, sondern fortwährende Erneuerung”.
Aharon Appelfeld umschreibt den Bruch, den der Nationalsozialismus über alle konkreten Gräueltaten hinaus bewirkt hat. Den Bruch mit dem, was vorstellbar schien. Er schildert nicht die Verbrechen, sondern die Atmosphäre, die sie verbreiten, vorher und im Nachhinein. Auf eine den Atem zum Stocken bringende Weise ist ihm das in Badenheim gelungen. Nach Art eines Kammerkonzerts zeigt der 1939 in einem österreichischen Kurort spielende Roman den Übergang von der Normalität zum Unvorstellbaren. Das historische Wissen des Lesers steht dabei im schmerzhaften Kontrast zu der Unwissenheit der Figuren. Kein Erzählerkommentar überbrückt die Distanz.
Diesseits des Zeittunnels
Und so müssen wir mit ansehen, wie die Menschen, die vor kurzem noch hoch willkommene Kurgäste in Badenheim waren und nun plötzlich Juden genannt werden, im Glauben an eine Zukunft in Polen zum Bahnhof gehen: „Aber der Augenblick des Staunens endete jäh. Eine Lokomotive, eine Lokomotive mit vier schmutzstarrenden Viehwaggons tauchte zwischen den Hügeln auf und hielt im Bahnhof. Und die Menschen wurden aufgesaugt alle wurden aufgesaugt, so leicht, so leicht wie Weizenkörner von einem Trichter. ”
Die Erfahrung des Lagers wirkt im Werk Appelfelds wie ein Zeittunnel. Ein Loch, über das nicht viel gesagt werden kann, von dem aber jeder gezeichnet ist, der es verlässt. Der eiserne Pfad setzt Badenheim fort. Während Badenheim an ein impressionistisches Gemälde erinnert – die Diskrepanz zwischen der gezeichneten Idylle und dem historischen Hintergrund macht seine Wirkung aus –, ist Der eiserne Pfad ein Roman, der gleichsam am anderen Ende des Tunnels wieder auftaucht. Er erinnert uns daran, dass die Ästhetik der Moderne durch den nationalsozialistischen Massenmord ihre letzte Begründung erfahren hat. Die Tendenz zum Verstummen, zur Leere, zur Konzentration auf das nackte Wort war mit einem Schlag legitimiert. Der eiserne Pfad ist ein Werk von exemplarischer Modernität, und darin steckt seine ganze Geschichte.
MEIKE FESSMANN
AHARON APPELFELD: Der eiserne Pfad. Roman. Aus dem Hebräischen von Stefan Siebers. Alexander Fest Verlag, Berlin 1999. 208 Seiten, 36 Mark.
Aharon Appelfeld, geboren 1932 in Czernowitz, ging 1946 nach Palästina und wurde einer der bedeutendsten Schriftsteller Israels. Die Aufnahme entstand im November 1999 in Berlin.
Foto: Marianne Fleitmann
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"Appelfeld ist ein würdiger Nachfolger Kafkas. Ironie und surrealistische Weltsicht, merkwürdig wirklichkeitsnah, verleihen seinen Erkundungen einer Welt nach dem Holocaust geisterhafte Präzision."(New York Times Book Review)