Wiggo Ritter, ein junger Mann mit denkbar besten Voraussetzungen für eine Traumkarriere, ist ins Abseits geraten. Dem Vater, einem erfolgreichen Bankier, wollte er nicht nacheifern, und seine akademische Laufbahn als Philosoph ist gescheitert, weil erkeine Kompromisse eingehen kann. Einsam, arbeitslos, doch mit ungebrochenem Stolz fristet er zwischen skurrilen Jobs und so seltenen wie flüchtigen Liebschaften ein Schattendasein. Unverhofft fällt Licht in dieses Dunkel, als Wiggo den charismatischenGeschwistern Mauritz und Manuela begegnet: zwei perfekt getarnten Terroristen, Mitgliedern einer konservativen Organisation, die eine neue Elite inthronisieren will. Ihnen scheint Wiggo, der nichts mehr zu verlieren hat, der ideale Verbündete zu sein.Doch dann verliebt sich dieser Außenseiter ausgerechnet in Manuela - und gefährdet damit nicht allein die gesamte Organisation, sondern vor allem sich selbst.
Uwe Tellkamps kraftvoller, poetischer Roman birgt einen dramatischen Vater-Sohn-Kon
Uwe Tellkamps kraftvoller, poetischer Roman birgt einen dramatischen Vater-Sohn-Kon
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2005Es graut
Die deutsche Literatur in diesem Frühjahr
Das ist doch auch mal eine gute Nachricht: Sie verpassen in diesen Tagen nicht viel, wenn Sie die neuen deutschen Romane eher unbeachtet lassen. Da passiert nichts. Sie können sich anderem zuwenden. Ich würde es sogar empfehlen. Sie kommen nur in schlechte Stimmung, wenn Sie das alles lesen. Alles ist grau. Meistens regnet es. Die Helden sind blaß und träge und irgendwie gelähmt.
"Horror Vacui" heißt die graueste Neuerscheinung, die Autorin Tina Uebel, der Umschlag ist grau und leer, die Menschen sind es auch, das Buch beginnt: "Hier ist gar nichts. Dies ist ein grauenvoller Ort", und die Menschen reisen in ein noch immer größeres Nichts, und am Ende ist fast nichts passiert. Der Bachmannpreis-Gewinner Uwe Tellkamp trompetet mit einem so hohlen, leeren Pathos in seinem Buch "Der Eisvogel" eine angeblich neue, angeblich terroristische, angeblich konservative Revolutionsgruppe in einer Aufgeblasenheit herbei, daß am Ende nur Lüge und Leere bleiben. Den Beginn seines Schreibens erinnert er ganz im Ernst in einem Interview so: "Geschrieben habe ich seit dem 16. Oktober 1985, als ich, fasziniert von dem flutenden Sonnenlicht in unserem Garten und dem Lichteinfall auf eine Rose, mein erstes Gedicht schrieb." Karen Duve verschwendet ihr herrliches Talent an lebensleere Märchen und schreibt zu Recht: "Natürlich scherte sich niemand groß um die Gefühle eines Zwerges"; der noch weit talentiertere Frankfurter Autor Andreas Maier parliert in seinem neuen Roman "Kirillow" unnotwendig daher und nennt harmlose Mietergespräche aus Frankfurt-Bornheim seinen "Prolog aus der Hölle". Ein Feuer brennt da nicht. Es ist nur ein wenig gewöhnlich, grau und kühl. Wie überall in Deutschland in diesem sogenannten Frühling.
Vom Schreibkönner Christoph Peters erscheint jetzt schon, als sei er längst ein gefeierter Altmeister, das vergriffene Erstlingswerk "Heinrich Grewents Arbeit und Liebe" erneut und ist deswegen doch noch kein interessantes Buch, das man lesen müßte. Silke Scheuermann, die sehr schöne Gedichte schreiben kann, verbreitet in ihrem ersten Erzählungsband "Reiche Mädchen" die Atmosphäre eines stickigen, verrauchten Wartesaals des Lebens; in Leander Scholz' neuem Roman scheint immerhin die Sonne, aber seine Gehirntauschphantasien wirken so ausgedacht und überlyrisiert und geheimnisumkrämert und künstlich verdunkelt, daß das Lesen uns auch nicht weiterbringt. Christoph Hein versucht in aussichtslosem Kampf die Wahrheit über die Erschießung des Terroristen Wolfgang Grams zu erkämpfen und müht sich ab und bringt den Kampf nicht voran und die Wahrheit auch nicht.
Der Frühling ist anderswo.
VOLKER WEIDERMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die deutsche Literatur in diesem Frühjahr
Das ist doch auch mal eine gute Nachricht: Sie verpassen in diesen Tagen nicht viel, wenn Sie die neuen deutschen Romane eher unbeachtet lassen. Da passiert nichts. Sie können sich anderem zuwenden. Ich würde es sogar empfehlen. Sie kommen nur in schlechte Stimmung, wenn Sie das alles lesen. Alles ist grau. Meistens regnet es. Die Helden sind blaß und träge und irgendwie gelähmt.
"Horror Vacui" heißt die graueste Neuerscheinung, die Autorin Tina Uebel, der Umschlag ist grau und leer, die Menschen sind es auch, das Buch beginnt: "Hier ist gar nichts. Dies ist ein grauenvoller Ort", und die Menschen reisen in ein noch immer größeres Nichts, und am Ende ist fast nichts passiert. Der Bachmannpreis-Gewinner Uwe Tellkamp trompetet mit einem so hohlen, leeren Pathos in seinem Buch "Der Eisvogel" eine angeblich neue, angeblich terroristische, angeblich konservative Revolutionsgruppe in einer Aufgeblasenheit herbei, daß am Ende nur Lüge und Leere bleiben. Den Beginn seines Schreibens erinnert er ganz im Ernst in einem Interview so: "Geschrieben habe ich seit dem 16. Oktober 1985, als ich, fasziniert von dem flutenden Sonnenlicht in unserem Garten und dem Lichteinfall auf eine Rose, mein erstes Gedicht schrieb." Karen Duve verschwendet ihr herrliches Talent an lebensleere Märchen und schreibt zu Recht: "Natürlich scherte sich niemand groß um die Gefühle eines Zwerges"; der noch weit talentiertere Frankfurter Autor Andreas Maier parliert in seinem neuen Roman "Kirillow" unnotwendig daher und nennt harmlose Mietergespräche aus Frankfurt-Bornheim seinen "Prolog aus der Hölle". Ein Feuer brennt da nicht. Es ist nur ein wenig gewöhnlich, grau und kühl. Wie überall in Deutschland in diesem sogenannten Frühling.
Vom Schreibkönner Christoph Peters erscheint jetzt schon, als sei er längst ein gefeierter Altmeister, das vergriffene Erstlingswerk "Heinrich Grewents Arbeit und Liebe" erneut und ist deswegen doch noch kein interessantes Buch, das man lesen müßte. Silke Scheuermann, die sehr schöne Gedichte schreiben kann, verbreitet in ihrem ersten Erzählungsband "Reiche Mädchen" die Atmosphäre eines stickigen, verrauchten Wartesaals des Lebens; in Leander Scholz' neuem Roman scheint immerhin die Sonne, aber seine Gehirntauschphantasien wirken so ausgedacht und überlyrisiert und geheimnisumkrämert und künstlich verdunkelt, daß das Lesen uns auch nicht weiterbringt. Christoph Hein versucht in aussichtslosem Kampf die Wahrheit über die Erschießung des Terroristen Wolfgang Grams zu erkämpfen und müht sich ab und bringt den Kampf nicht voran und die Wahrheit auch nicht.
Der Frühling ist anderswo.
VOLKER WEIDERMANN
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Uwe Tellkamps Roman "Der Eisvogel" ist ein "politischer Zeitroman", der in der "Berliner Republik" spielt und das Thema Terrorismus aufgreift, das zur Zeit in der Kunst Konjunktur hat, konstatiert Ijoma Mangold. Der Terrorismus, den der Autor in seiner Geschichte darstellt, ist jedoch kein linker, sondern von "eigentümlich reaktionär-elitärer" Art, was ein "völlig neues Bild" entstehen lässt und zudem die sonst lauernde Gefahr von "Verklärungsfallen und Moralklischees" geschickt vermeidet, so der Rezensent beeindruckt. Der Banker-Sohn Wiggo gerät in eine terroristische Gruppe mit Namen "Organisation Wiedergeburt", die in Deutschland einen "Kasten- und Ständestaat" errichten will, fasst Mangold zusammen. Die Darstellung der "verschiedenen Milieus" aus denen die Mitglieder dieser Gruppe kommen, lassen für den Rezensenten einen "enorm plastischen Gesellschaftsroman" entstehen, wobei die "Grellheit" der Figurenzeichnungen Mangold an Balzac denken lassen. Er ist von dem "großartig halluzinierten" und dabei außerordentlich "glaubwürdig" dargestellten Gesellschaftsbild dieses Romans begeistert, wobei er insbesondere vom "raffinierten Stimmenchor", aus dem Tellkamp seinen Roman aufgebaut hat, beeindruckt ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ich glaube, wir haben einen großen Autor entdeckt" (Iris Radisch)