Fantastische Geschichten voller Magie und Sprachgewalt
Das Gitter ist geschlossen, doch der Elefant ist verschwunden, zur Bestürzung der ganzen Stadt. Nur einer ahnt, was passiert ist.
Ein nächtlicher Anfall von Heißhunger und ein übermütig geplantes Verbrechen enden ganz anders als vorgesehen: so anders, dass sie Jahre später eine unvermutete Auferstehung erleben. Und eine Frau in den besten, ödesten Verhältnissen erkennt in der eigenen Schlaflosigkeit ein berauschendes Geschenk ...
Das Gitter ist geschlossen, doch der Elefant ist verschwunden, zur Bestürzung der ganzen Stadt. Nur einer ahnt, was passiert ist.
Ein nächtlicher Anfall von Heißhunger und ein übermütig geplantes Verbrechen enden ganz anders als vorgesehen: so anders, dass sie Jahre später eine unvermutete Auferstehung erleben. Und eine Frau in den besten, ödesten Verhältnissen erkennt in der eigenen Schlaflosigkeit ein berauschendes Geschenk ...
"Haruki Murakamis Sätze zerschmelzen oft wie Pralinen auf der Zunge." Bild am Sonntag
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.01.2008Vom Merkwürdigwerden und Seltsambleiben der Welt
Für alles gibt es eine seltsam logische Erklärung: Haruki Murakamis Erzählungen „Der Elefant verschwindet”
Haruki Murakamis Erzählungen und Romane schaffen die Genres, denen sie angehören, selbst, und verweben konsequent Märchenhaftes und Realistisches. In den verschiedensten Spielarten zeigt dies sein Buch „Der Elefant verschwindet”, das nun in einer Neuausgabe herauskommt, eine Sammlung von Erzählungen zwischen Harmlosigkeit und Bedrohlichkeit, zwischen Albträumen und Träumen jener Art, in denen man spazieren gehen möchte, Erzählungen, in denen Murakamis Helden aus der Ich-Perspektive vom Merkwürdigwerden und Seltsambleiben der Welt erzählen.
Vielleicht erzeugt keine der Erzählungen eine so dichte und zugleich für Murakami typische Atmosphäre wie „Der Aufziehvogel und die Dienstagsfrauen”, in der ein Anwalt auf der Suche nach einer entlaufenen Katze in eine Art Zaubergarten gerät und dabei einem Mädchen begegnet, das Sätze spricht, die wie von einer dritten, abwesenden Person gesprochen zu sein scheinen. Der zugewucherte, verlassene Garten und die Begegnung sind wie aus der Zeit gefallen und ein wenig unheimlich, aber auf eine gute, Neugier weckende Art, wie ein angenehmer Tagtraum.
„Scheunenabbrennen” ist die Geschichte eines Brandstifters, dessen Spezialität Scheunen sind. Der Erzähler kennt den zwielichtigen Mann bloß, weil eine Freundin mit ihm zusammen ist und ihn spontan mitbringt. „Es gibt alle möglichen Scheunen”, sagte der Mann. „In nur einer Viertelstunde brenne ich sie ab. Es ist, als hätten sie nie existiert. Niemand trauert ihnen nach. Sie . . . verschwinden einfach. In einem Nu.” Am Schluss ihres im Haschischrausch geführten Gesprächs kündigt der Mann an, in Kürze eine Scheune in der Umgebung abzubrennen. Der Erzähler erkundet daraufhin die Umgebung und stellt fest, dass auch nach Monaten keine Scheune abgebrannt wurde. Als er den Mann zufällig in einem Café wiedertrifft, behauptet der jedoch, es getan zu haben, und berichtet, dass seine Freundin spurlos verschwunden ist. Was ist wahr? Diese Frage stellt die Erzählung wie die Titelgeschichte, in der ein Elefant und sein Pfleger spurlos aus dem Zoo verschwinden, vor allem aber: Was hat das Scheunenabbrennen, oder vielleicht eher das unterbliebene Scheunenabbrennen, mit dem Verschwinden der Freundin zu tun? So entfernt diese Dinge sind, so hartnäckig drängt sich eine untergründige Verbindung zwischen ihnen auf.
Solche Verbindungen zwischen Entferntestem erzeugen die Skurrilität der Geschichten und lassen sie zwischen den verschiedenen Kategorien schweben. „Schlaf” bewegt sich zwischen psychosomatischer Studie, Sciencefiction, Traumerzählung und philosophischer Reflexion über Menschsein und Individualität, ohne dass eine dieser Klassifizierungen mehr Geltung beanspruchen könnte als eine andere. Eine Mutter entdeckt, dass sie nicht mehr schlafen kann oder vielmehr nicht mehr muss. Von einem Tag auf den anderen verfügt sie über unerschöpfliche Energie, und durch diese Veränderung ihres Wesens verändert sich für sie die ganze Welt. Ihr Alltag – für den Mann kochen, das Kind ins Bett bringen – verliert seine Selbstverständlichkeit. Sie liest Tag und Nacht und entfernt sich immer mehr aus dem Gefüge des Schläfergeschlechts, dem sie vor kurzem noch angehörte, wie der Prototyp eines neuen, eigentlicheren Menschen – eine unheimliche und im Unmöglichen realistisch anmutende Erzählung, die an Kafka erinnert.
Ein China der inneren Landkarte
Souverän sind Murakamis Rückblenden und Zeitsprünge, die seinen ohnehin offenen, rätselhaften Enden noch mehr den Anschein geben, überhaupt keine zu sein. Seine Sprache ist vielseitig: In der Geschichte „Der Elefant verschwindet” ist sie einfach gehalten, in anderen voller Vergleiche und Metaphern, die so kühn und treffend sind, dass man sie mehrmals liest. Dabei schwanken die Geschichten durchaus in ihrer Qualität. „Der Bäckereiüberfall” ist in so expressionistischem Stil geschrieben, dass sie überspannt wirkt – mit gewisser Logik, wie man zugeben muss, denn die charmante Geschichte „Der zweite Bäckereiüberfall” löst als Kontrapunkt nicht nur die stilistischen Spannungen, sondern auch einen Fluch auf dem Erzähler auf, indem statt einer Bäckerei ein McDonald’s überfallen wird. Und „Der Untergang des Römischen Reiches, der Indianeraufstand von 1881, Hitlers Einfall in Polen und die Sturmwelt” erinnert an Borges’ historisch grundierte Erzählungen, bleibt aber ein unbefriedigendes Experiment.
Auch „Frachtschiff nach China” ist ein Experiment. Ein Japaner berichtet von seinen drei ersten Begegnungen mit Chinesen: mit einem Lehrer, einer jungen Frau und einem Handelsvertreter, der einst dieselbe Schulklasse besuchte wie er. Alle Begegnungen brechen auf scheinbar zufällige Weise ab, ehe es zu einem tieferen Verständnis kommen könnte. Vielleicht muss es aber so sein. So bleibt China eine Projektionsfläche für die Phantasie auf der inneren Landkarte, geographisch nah und gleichzeitig äußerst fremd. Der serielle Erzählstil hat nichts Gekünsteltes, er harmoniert mit dem Gesetz der Serie, für das Murakami wie für seine anderen Rätsel eine seltsam logische Erklärung suggeriert. KAI WIEGANDT
HARUKI MURAKAMI: Der Elefant verschwindet. Erzählungen. Aus dem Japanischen von Nora Bierich. DuMont Buchverlag, Köln 2007. 189 Seiten, 14,90 Euro.
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Für alles gibt es eine seltsam logische Erklärung: Haruki Murakamis Erzählungen „Der Elefant verschwindet”
Haruki Murakamis Erzählungen und Romane schaffen die Genres, denen sie angehören, selbst, und verweben konsequent Märchenhaftes und Realistisches. In den verschiedensten Spielarten zeigt dies sein Buch „Der Elefant verschwindet”, das nun in einer Neuausgabe herauskommt, eine Sammlung von Erzählungen zwischen Harmlosigkeit und Bedrohlichkeit, zwischen Albträumen und Träumen jener Art, in denen man spazieren gehen möchte, Erzählungen, in denen Murakamis Helden aus der Ich-Perspektive vom Merkwürdigwerden und Seltsambleiben der Welt erzählen.
Vielleicht erzeugt keine der Erzählungen eine so dichte und zugleich für Murakami typische Atmosphäre wie „Der Aufziehvogel und die Dienstagsfrauen”, in der ein Anwalt auf der Suche nach einer entlaufenen Katze in eine Art Zaubergarten gerät und dabei einem Mädchen begegnet, das Sätze spricht, die wie von einer dritten, abwesenden Person gesprochen zu sein scheinen. Der zugewucherte, verlassene Garten und die Begegnung sind wie aus der Zeit gefallen und ein wenig unheimlich, aber auf eine gute, Neugier weckende Art, wie ein angenehmer Tagtraum.
„Scheunenabbrennen” ist die Geschichte eines Brandstifters, dessen Spezialität Scheunen sind. Der Erzähler kennt den zwielichtigen Mann bloß, weil eine Freundin mit ihm zusammen ist und ihn spontan mitbringt. „Es gibt alle möglichen Scheunen”, sagte der Mann. „In nur einer Viertelstunde brenne ich sie ab. Es ist, als hätten sie nie existiert. Niemand trauert ihnen nach. Sie . . . verschwinden einfach. In einem Nu.” Am Schluss ihres im Haschischrausch geführten Gesprächs kündigt der Mann an, in Kürze eine Scheune in der Umgebung abzubrennen. Der Erzähler erkundet daraufhin die Umgebung und stellt fest, dass auch nach Monaten keine Scheune abgebrannt wurde. Als er den Mann zufällig in einem Café wiedertrifft, behauptet der jedoch, es getan zu haben, und berichtet, dass seine Freundin spurlos verschwunden ist. Was ist wahr? Diese Frage stellt die Erzählung wie die Titelgeschichte, in der ein Elefant und sein Pfleger spurlos aus dem Zoo verschwinden, vor allem aber: Was hat das Scheunenabbrennen, oder vielleicht eher das unterbliebene Scheunenabbrennen, mit dem Verschwinden der Freundin zu tun? So entfernt diese Dinge sind, so hartnäckig drängt sich eine untergründige Verbindung zwischen ihnen auf.
Solche Verbindungen zwischen Entferntestem erzeugen die Skurrilität der Geschichten und lassen sie zwischen den verschiedenen Kategorien schweben. „Schlaf” bewegt sich zwischen psychosomatischer Studie, Sciencefiction, Traumerzählung und philosophischer Reflexion über Menschsein und Individualität, ohne dass eine dieser Klassifizierungen mehr Geltung beanspruchen könnte als eine andere. Eine Mutter entdeckt, dass sie nicht mehr schlafen kann oder vielmehr nicht mehr muss. Von einem Tag auf den anderen verfügt sie über unerschöpfliche Energie, und durch diese Veränderung ihres Wesens verändert sich für sie die ganze Welt. Ihr Alltag – für den Mann kochen, das Kind ins Bett bringen – verliert seine Selbstverständlichkeit. Sie liest Tag und Nacht und entfernt sich immer mehr aus dem Gefüge des Schläfergeschlechts, dem sie vor kurzem noch angehörte, wie der Prototyp eines neuen, eigentlicheren Menschen – eine unheimliche und im Unmöglichen realistisch anmutende Erzählung, die an Kafka erinnert.
Ein China der inneren Landkarte
Souverän sind Murakamis Rückblenden und Zeitsprünge, die seinen ohnehin offenen, rätselhaften Enden noch mehr den Anschein geben, überhaupt keine zu sein. Seine Sprache ist vielseitig: In der Geschichte „Der Elefant verschwindet” ist sie einfach gehalten, in anderen voller Vergleiche und Metaphern, die so kühn und treffend sind, dass man sie mehrmals liest. Dabei schwanken die Geschichten durchaus in ihrer Qualität. „Der Bäckereiüberfall” ist in so expressionistischem Stil geschrieben, dass sie überspannt wirkt – mit gewisser Logik, wie man zugeben muss, denn die charmante Geschichte „Der zweite Bäckereiüberfall” löst als Kontrapunkt nicht nur die stilistischen Spannungen, sondern auch einen Fluch auf dem Erzähler auf, indem statt einer Bäckerei ein McDonald’s überfallen wird. Und „Der Untergang des Römischen Reiches, der Indianeraufstand von 1881, Hitlers Einfall in Polen und die Sturmwelt” erinnert an Borges’ historisch grundierte Erzählungen, bleibt aber ein unbefriedigendes Experiment.
Auch „Frachtschiff nach China” ist ein Experiment. Ein Japaner berichtet von seinen drei ersten Begegnungen mit Chinesen: mit einem Lehrer, einer jungen Frau und einem Handelsvertreter, der einst dieselbe Schulklasse besuchte wie er. Alle Begegnungen brechen auf scheinbar zufällige Weise ab, ehe es zu einem tieferen Verständnis kommen könnte. Vielleicht muss es aber so sein. So bleibt China eine Projektionsfläche für die Phantasie auf der inneren Landkarte, geographisch nah und gleichzeitig äußerst fremd. Der serielle Erzählstil hat nichts Gekünsteltes, er harmoniert mit dem Gesetz der Serie, für das Murakami wie für seine anderen Rätsel eine seltsam logische Erklärung suggeriert. KAI WIEGANDT
HARUKI MURAKAMI: Der Elefant verschwindet. Erzählungen. Aus dem Japanischen von Nora Bierich. DuMont Buchverlag, Köln 2007. 189 Seiten, 14,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Kai Wiegandt bemerkt fasziniert, dass Haruki Murakami die Genregrenzen genauso wie die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit in seinen jetzt neu aufgelegten Erzählungen verschwimmen lässt. Er preist die atmosphärische Dichte - ein Markenzeichen des japanischen Autors - der Erzählung "Der Aufziehvogel und die Dienstagsfrauen" und lässt sich von der Zusammenführung vollkommen disparater Umstände in "Scheunenabbrennen" zu einer seltsamen Logik beeindrucken. Das macht schließlich auch die "Skurrilität" der Geschichten aus, die, wie Wiegandt einräumt, allerdings Qualitätsunterschiede aufweisen. So ist für seinen Geschmack beispielsweise "Der Bäckereiüberfall" in seinem bemüht expressionistischen Ton überzogen. Insgesamt aber wirken die Erzählungen durch ihre Rätselhaftigkeit, die ihn nicht selten an Kafka erinnern, und durch die abwechslungsreiche Sprache, so der begeisterte Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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