Der Rausch eines Sommers - ein flirrender Roman, der die Grenzen des Erzählens sprengt.Die Geschichte einer kleinen Gruppe von Leuten, die im Spiel um die Liebe, die Freundschaft und die Kunst aus der Zeit in einen endlosen Sommer geworfen werden, in dem alles möglich und schicksalsentscheidend ist. Ein Roman wie ein Requiem, musikalisch, melancholisch, verführerisch, der den Leser trunken macht.
Ein junges Mädchen in einem weißen Herrenhaus in Dänemark, ihr Freund, der scheue und zarte Junge, der Stiefvater mit dem Gewehr und dem Misstrauen gegenüber seiner Frau, die beiden jüngeren Brüder - diese kleine Gemeinschaft wird durchgerüttelt, als zwei junge Portugiesen in den endlosen Sommer eintreten. Der eine ist Künstler und verliebt sich in die Mutter des Mädchens. Eine Liebesgeschichte nimmt ihren Anfang, die so leidenschaftlich und gewaltig ist, dass alle, die in den Bannkreis dieser Amour Fou geraten, in einer Schicksalsgemeinschaft vereint sind, die auch noch besteht, als der endlose Sommer endet.
Der endlose Sommer - das ist dieser Ort, der nie existiert hat und an den wir nie zurückkehren können, d.h. dieser Augenblick der Jugend, in dem alles einfach und verwirrend zugleich erscheint und den wir alle noch einmal erleben möchten.
Die Autorin, Sängerin, Künstlerin und Übersetzerin Madame Nielsen ist ein Star in Skandinavien.
»Manchmal ist es so, daß man ein Buch am Schluß zuklappt und sich dann wünscht, die Autorin wäre eine gute Freundin und man könne sie anrufen, wann immer man sich traurig fühlt. Das passiert einem ja nicht allzu oft. Bei Karen Blixen und Marguerite Duras und Virginia Woolf ist es so. Und bei Madame Nielsen.« Christian Kracht
»Eine literarische Entdeckung. Als Leser wurde ich mitgerissen vom Fluss, der Weisheit und dem Witz des charmanten Erzählers. Als Autor beneide ich Madame Nielsen um ihren meisterhaften Text.« Sjón
Ein junges Mädchen in einem weißen Herrenhaus in Dänemark, ihr Freund, der scheue und zarte Junge, der Stiefvater mit dem Gewehr und dem Misstrauen gegenüber seiner Frau, die beiden jüngeren Brüder - diese kleine Gemeinschaft wird durchgerüttelt, als zwei junge Portugiesen in den endlosen Sommer eintreten. Der eine ist Künstler und verliebt sich in die Mutter des Mädchens. Eine Liebesgeschichte nimmt ihren Anfang, die so leidenschaftlich und gewaltig ist, dass alle, die in den Bannkreis dieser Amour Fou geraten, in einer Schicksalsgemeinschaft vereint sind, die auch noch besteht, als der endlose Sommer endet.
Der endlose Sommer - das ist dieser Ort, der nie existiert hat und an den wir nie zurückkehren können, d.h. dieser Augenblick der Jugend, in dem alles einfach und verwirrend zugleich erscheint und den wir alle noch einmal erleben möchten.
Die Autorin, Sängerin, Künstlerin und Übersetzerin Madame Nielsen ist ein Star in Skandinavien.
»Manchmal ist es so, daß man ein Buch am Schluß zuklappt und sich dann wünscht, die Autorin wäre eine gute Freundin und man könne sie anrufen, wann immer man sich traurig fühlt. Das passiert einem ja nicht allzu oft. Bei Karen Blixen und Marguerite Duras und Virginia Woolf ist es so. Und bei Madame Nielsen.« Christian Kracht
»Eine literarische Entdeckung. Als Leser wurde ich mitgerissen vom Fluss, der Weisheit und dem Witz des charmanten Erzählers. Als Autor beneide ich Madame Nielsen um ihren meisterhaften Text.« Sjón
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.05.2018Verweile doch
Madame Nielsen ist eine Kunstfigur. Das färbt auf ihren
Roman „Der endlose Sommer“ ab. Zum Glück
VON MEIKE FESSMANN
Wie aus dem Nichts herausgewirbelte Pirouetten, dynamisch, flüchtig, stolz, so entstehen die Figuren dieses Romans, der auf hinreißende Weise den Sommer einfängt und die Zeit mit dazu. Man kann ihm beim Werden zusehen, wie er sich schleifenförmig Satz für Satz vorantastet. Dabei wirkt er nicht wie ein literarisches Experiment, sondern wie ein kleines Wunder. Aus Sprache erschafft er eine vollkommene Welt, in der alles enthalten ist: das Begehren und die Erwartung, der Zweifel am eigenen Geschlecht, Gewalt und Eifersucht, Rebellion, Kunst und soziale Utopie. Auf knappstem Raum durchstreift er die Provinz, die Stadt, die Welt, er findet das reine Glück jenseits der Zeit und lässt sich doch historisch ziemlich exakt datieren.
Erzählt ist er aus der Perspektive einer Figur, an der alles ambivalent und unsicher ist, eines „scheuen Jungen, der vielleicht ein Mädchen ist, es aber noch nicht weiß.“ Er spielt Gitarre in einer Band, und irgendwann in der Nacht seines ersten Konzerts, noch ist es Winter, Februar oder März, geht er mit einem Mädchen nach Hause. Um Stinas Familie herum entwickelt sich die Geschichte, deren Zentrum „die Mutter“ ist. Im „endlosen Sommer“, der dem Roman seinen Titel gibt, ist sie gerade mal doppelt so alt wie ihre siebzehnjährige Tochter. Deren Stiefvater darf zu Beginn des Romans die Rolle des gewaltbereiten Finsterlings spielen und gibt ihm eine düstere Grundierung, von der sich das Leben ohne ihn dann umso strahlender abhebt. Als Bankangestellter hat er mit ererbtem Geld einen Gutshof in Ostjütland gekauft, den er in kürzester Zeit ebenso herunterwirtschaftet wie die Beziehung zu seiner Frau. Als sie ein Studium beginnt, lässt er sie von Detektiven bespitzeln. Kunstgeschichte und Musikwissenschaft, „das ist doch lächerlich“, lautet sein Kommentar, schließlich habe sie zwei kleine Söhne zu versorgen. Er droht ihr mit Gewalt. Dann aber verschwindet er, einfach so.
Die große Freiheit beginnt. Der „weiße Hof“ erwacht zu blühendem Leben. Jeden Morgen, noch in der Dämmerung, reitet die Mutter mit ihrem schwarzen Hengst über die Felder. Die Tochter zieht aus dem Keller zurück in ihr oberirdisches Mädchenzimmer. Und nicht nur der schüchterne Gitarrist, dem sie nachts Geschichte um Geschichte erzählt, geht im Haus ein und aus. Auch der schöne und kräftige Lars gesellt sich dazu. Er ist ein bisschen träge, weiß nicht, was er will, aber er darf auf dem Hof einfach irgendwo an der Wand lehnen, mit seinen schönen Füßen im Sand wühlen, die kräftigen Hände, die nie etwas halten, nutzlos beim Gehen am Körper schlenkern. Irgendwann gesellen sich noch zwei portugiesische Tramper dazu, und die Sommer-Kommune ist komplett. Ein munteres Jonglieren mit Lebensentwürfen beginnt, arglos, ohne Konzept. Es sind die Körper selbst, welche die Anziehung übernehmen. Die Mutter, trotz ihrer Hippie-Vergangenheit eine Frau von „aristokratischer“ Ausstrahlung, hochgewachsen, das helle Haar bis zur Hüfte, mit leuchtendem Blick, um dessen Aufmerksamkeit die jungen Männer (und die Tochter) buhlen, findet in dem jüngeren der beiden Portugiesen, einem Künstler aus ärmlichen Verhältnissen, die ideale Ergänzung: „die selbstbewusste Verkörperung jenes Stolzes, den man, ohne ihm je zuvor begegnet zu sein, als den Stolz wiedererkennt, den ein Land oder vielleicht eher eine Kultur haben können“. Morgens kommt sie mit zerbissenen Lippen aus dem Schlafzimmer, der Portugiese schlendert selbstbewusst hinterher. Die anderen staunen. Fasziniert verfolgen sie das Spektakel der Liebe. Nur die Tochter fühlt sich übergangen. Müssten nicht ihr alle Blicke gelten?
Es hat etwas Märchenhaftes, wie Madame Nielsen ihre Geschichte inszeniert, in der sich nicht nur ihre Bewunderung für H. C. Andersen findet, nicht nur zahlreiche Motive Kierkegaards, der Bibel und der Romantik, sondern auch eine höchst verblüffende Beweglichkeit, mit der ihre Sprache zwischen Zeiten und Räumen navigiert. Während sie das emphatische Jetzt des „endlosen Sommers“ ausruft, kultiviert sie zugleich die lange Dauer und greift in Vergangenheit und Zukunft aus.
Abstrakte Diskurse, wie etwa eine Bemerkung über die Fürsorglichkeit des dänischen Staates oder eine Anspielung auf Baudrillards Konzept des Simulacrums, fließen selbstverständlich in die sinnliche Gegenwart der Erzählung ein. Es steckt eine gewaltige Verkörperungsenergie in dieser Sprache, deren lange Satzbögen Hannes Langendörfer meist treffend ins Deutsche übertragen hat (auch wenn ihm hier und da mal die Puste ausgeht). Keine zweihundert Seiten hat der Roman und führt uns doch bis nach Portugal, Gran Canaria und Kalifornien. Dort landen Stina und der schöne Lars. Aus seiner dänischen Lethargie gerissen, darf er einen Augenblick lang auf die Höhe seiner Möglichkeiten gelangen und wird zum Inbild eines blonden Surfer-Boys, bevor die Freunde in ihm einen der ersten Aids-Toten betrauern müssen.
Madame Nielsen wurde 1963 als Claus Beck-Nielsen in Jütland geboren und hat schon so manche Verwandlung durchgemacht. Er war Mitglied der legendären New Yorker The Wooster Group und ließ sich im Jahr 2001 auf einem Kopenhagener Friedhof symbolisch beerdigen, nicht ohne eine Nachlassverwaltung namens „Das Beckwerk“ zu gründen, die eigentlich nicht seinen Nachlass, sondern sein Leben verwaltete, indem sie ihm sagte, was seine lebendigen Überreste tun sollten.
Wie sich Else Lasker-Schüler in den 1910er-Jahren in Prinz Jussuf verwandelte, um nach dem Scheitern der Ehe mit Herwarth Walden Stärke zu zeigen, so entdeckte Claus Nielsen in einer Lebenskrise, dass er sich mit dem Habitus einer Dame wohler fühlt im Körper des dünnen Mannes, der er geworden war. Seit 2013 nennt er sich Madame Nielsen und kleidet sich auch so. Von der Kraft, die nötig ist, um sich in eine Kunstfigur zu verwandeln, ohne dem Geschlecht eine allzu große Rolle einzuräumen, ist in diesem Roman eine Menge zu spüren.
Seine Magie hat auch mit dem großen Freiheitsversprechen zu tun, das die 1980er-Jahre für die westliche Hemisphäre bereithielten, vom letzten Winkel in der dänischen Provinz bis zur amerikanischen Westküste. Es war das Freiheitsversprechen des Anything goes, eines Lebens für die Kunst, die Musik, die Theorie, für die Literatur und die Feier des Begehrens. Seine Unschuld verlor es, als das Virus mit den „drei großen Buchstaben“ auftauchte, das zur Krankheit mit den vier Buchstaben wurde. Zusammen mit der Bedrohung durch den Atomkrieg verkörperte sie „das irdische Höllenszenario ihrer Generation“. „Der endlose Sommer“ ist ein verträumter, verspielter und realitätsmächtiger Roman, der die Musikalität der Sprache ausreizt, um in starken Bildern die Zeit stillzustellen, als alles möglich zu sein schien.
Morgens kommt die Mutter
mit zerbissenen Lippen
aus dem Schlafzimmer
Das Virus „mit den drei großen
Buchstaben“ wird zur Krankheit
mit den vier Buchstaben
Der Habitus einer Dame im Körper eines dünnen Mannes: Madame Nielsen in klassischer Pose.
Foto: Sofie Amalie Klougart
Madame Nielsen: Der endlose Sommer. Ein Requiem. Aus dem Dänischen von Hannes Langendörfer.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018.
190 Seiten, 18 Euro.
E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Madame Nielsen ist eine Kunstfigur. Das färbt auf ihren
Roman „Der endlose Sommer“ ab. Zum Glück
VON MEIKE FESSMANN
Wie aus dem Nichts herausgewirbelte Pirouetten, dynamisch, flüchtig, stolz, so entstehen die Figuren dieses Romans, der auf hinreißende Weise den Sommer einfängt und die Zeit mit dazu. Man kann ihm beim Werden zusehen, wie er sich schleifenförmig Satz für Satz vorantastet. Dabei wirkt er nicht wie ein literarisches Experiment, sondern wie ein kleines Wunder. Aus Sprache erschafft er eine vollkommene Welt, in der alles enthalten ist: das Begehren und die Erwartung, der Zweifel am eigenen Geschlecht, Gewalt und Eifersucht, Rebellion, Kunst und soziale Utopie. Auf knappstem Raum durchstreift er die Provinz, die Stadt, die Welt, er findet das reine Glück jenseits der Zeit und lässt sich doch historisch ziemlich exakt datieren.
Erzählt ist er aus der Perspektive einer Figur, an der alles ambivalent und unsicher ist, eines „scheuen Jungen, der vielleicht ein Mädchen ist, es aber noch nicht weiß.“ Er spielt Gitarre in einer Band, und irgendwann in der Nacht seines ersten Konzerts, noch ist es Winter, Februar oder März, geht er mit einem Mädchen nach Hause. Um Stinas Familie herum entwickelt sich die Geschichte, deren Zentrum „die Mutter“ ist. Im „endlosen Sommer“, der dem Roman seinen Titel gibt, ist sie gerade mal doppelt so alt wie ihre siebzehnjährige Tochter. Deren Stiefvater darf zu Beginn des Romans die Rolle des gewaltbereiten Finsterlings spielen und gibt ihm eine düstere Grundierung, von der sich das Leben ohne ihn dann umso strahlender abhebt. Als Bankangestellter hat er mit ererbtem Geld einen Gutshof in Ostjütland gekauft, den er in kürzester Zeit ebenso herunterwirtschaftet wie die Beziehung zu seiner Frau. Als sie ein Studium beginnt, lässt er sie von Detektiven bespitzeln. Kunstgeschichte und Musikwissenschaft, „das ist doch lächerlich“, lautet sein Kommentar, schließlich habe sie zwei kleine Söhne zu versorgen. Er droht ihr mit Gewalt. Dann aber verschwindet er, einfach so.
Die große Freiheit beginnt. Der „weiße Hof“ erwacht zu blühendem Leben. Jeden Morgen, noch in der Dämmerung, reitet die Mutter mit ihrem schwarzen Hengst über die Felder. Die Tochter zieht aus dem Keller zurück in ihr oberirdisches Mädchenzimmer. Und nicht nur der schüchterne Gitarrist, dem sie nachts Geschichte um Geschichte erzählt, geht im Haus ein und aus. Auch der schöne und kräftige Lars gesellt sich dazu. Er ist ein bisschen träge, weiß nicht, was er will, aber er darf auf dem Hof einfach irgendwo an der Wand lehnen, mit seinen schönen Füßen im Sand wühlen, die kräftigen Hände, die nie etwas halten, nutzlos beim Gehen am Körper schlenkern. Irgendwann gesellen sich noch zwei portugiesische Tramper dazu, und die Sommer-Kommune ist komplett. Ein munteres Jonglieren mit Lebensentwürfen beginnt, arglos, ohne Konzept. Es sind die Körper selbst, welche die Anziehung übernehmen. Die Mutter, trotz ihrer Hippie-Vergangenheit eine Frau von „aristokratischer“ Ausstrahlung, hochgewachsen, das helle Haar bis zur Hüfte, mit leuchtendem Blick, um dessen Aufmerksamkeit die jungen Männer (und die Tochter) buhlen, findet in dem jüngeren der beiden Portugiesen, einem Künstler aus ärmlichen Verhältnissen, die ideale Ergänzung: „die selbstbewusste Verkörperung jenes Stolzes, den man, ohne ihm je zuvor begegnet zu sein, als den Stolz wiedererkennt, den ein Land oder vielleicht eher eine Kultur haben können“. Morgens kommt sie mit zerbissenen Lippen aus dem Schlafzimmer, der Portugiese schlendert selbstbewusst hinterher. Die anderen staunen. Fasziniert verfolgen sie das Spektakel der Liebe. Nur die Tochter fühlt sich übergangen. Müssten nicht ihr alle Blicke gelten?
Es hat etwas Märchenhaftes, wie Madame Nielsen ihre Geschichte inszeniert, in der sich nicht nur ihre Bewunderung für H. C. Andersen findet, nicht nur zahlreiche Motive Kierkegaards, der Bibel und der Romantik, sondern auch eine höchst verblüffende Beweglichkeit, mit der ihre Sprache zwischen Zeiten und Räumen navigiert. Während sie das emphatische Jetzt des „endlosen Sommers“ ausruft, kultiviert sie zugleich die lange Dauer und greift in Vergangenheit und Zukunft aus.
Abstrakte Diskurse, wie etwa eine Bemerkung über die Fürsorglichkeit des dänischen Staates oder eine Anspielung auf Baudrillards Konzept des Simulacrums, fließen selbstverständlich in die sinnliche Gegenwart der Erzählung ein. Es steckt eine gewaltige Verkörperungsenergie in dieser Sprache, deren lange Satzbögen Hannes Langendörfer meist treffend ins Deutsche übertragen hat (auch wenn ihm hier und da mal die Puste ausgeht). Keine zweihundert Seiten hat der Roman und führt uns doch bis nach Portugal, Gran Canaria und Kalifornien. Dort landen Stina und der schöne Lars. Aus seiner dänischen Lethargie gerissen, darf er einen Augenblick lang auf die Höhe seiner Möglichkeiten gelangen und wird zum Inbild eines blonden Surfer-Boys, bevor die Freunde in ihm einen der ersten Aids-Toten betrauern müssen.
Madame Nielsen wurde 1963 als Claus Beck-Nielsen in Jütland geboren und hat schon so manche Verwandlung durchgemacht. Er war Mitglied der legendären New Yorker The Wooster Group und ließ sich im Jahr 2001 auf einem Kopenhagener Friedhof symbolisch beerdigen, nicht ohne eine Nachlassverwaltung namens „Das Beckwerk“ zu gründen, die eigentlich nicht seinen Nachlass, sondern sein Leben verwaltete, indem sie ihm sagte, was seine lebendigen Überreste tun sollten.
Wie sich Else Lasker-Schüler in den 1910er-Jahren in Prinz Jussuf verwandelte, um nach dem Scheitern der Ehe mit Herwarth Walden Stärke zu zeigen, so entdeckte Claus Nielsen in einer Lebenskrise, dass er sich mit dem Habitus einer Dame wohler fühlt im Körper des dünnen Mannes, der er geworden war. Seit 2013 nennt er sich Madame Nielsen und kleidet sich auch so. Von der Kraft, die nötig ist, um sich in eine Kunstfigur zu verwandeln, ohne dem Geschlecht eine allzu große Rolle einzuräumen, ist in diesem Roman eine Menge zu spüren.
Seine Magie hat auch mit dem großen Freiheitsversprechen zu tun, das die 1980er-Jahre für die westliche Hemisphäre bereithielten, vom letzten Winkel in der dänischen Provinz bis zur amerikanischen Westküste. Es war das Freiheitsversprechen des Anything goes, eines Lebens für die Kunst, die Musik, die Theorie, für die Literatur und die Feier des Begehrens. Seine Unschuld verlor es, als das Virus mit den „drei großen Buchstaben“ auftauchte, das zur Krankheit mit den vier Buchstaben wurde. Zusammen mit der Bedrohung durch den Atomkrieg verkörperte sie „das irdische Höllenszenario ihrer Generation“. „Der endlose Sommer“ ist ein verträumter, verspielter und realitätsmächtiger Roman, der die Musikalität der Sprache ausreizt, um in starken Bildern die Zeit stillzustellen, als alles möglich zu sein schien.
Morgens kommt die Mutter
mit zerbissenen Lippen
aus dem Schlafzimmer
Das Virus „mit den drei großen
Buchstaben“ wird zur Krankheit
mit den vier Buchstaben
Der Habitus einer Dame im Körper eines dünnen Mannes: Madame Nielsen in klassischer Pose.
Foto: Sofie Amalie Klougart
Madame Nielsen: Der endlose Sommer. Ein Requiem. Aus dem Dänischen von Hannes Langendörfer.
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018.
190 Seiten, 18 Euro.
E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2018Ein Märchen ist's, erzählt von einem Blödling
Claus Beck-Nielsen alias Madame Nielsen schreibt einen verkitschten Künstler- und Liebesroman
Identität ist das große Ding unserer Tage, für eine kleine radikale Minderheit die nationale, für die Mehrheit aber die psychische oder sexuelle oder Genderidentität. Die Erzählung "Der endlose Sommer" stößt uns im ersten Satz mit der Nase darauf: "Der Junge, der vielleicht ein Mädchen ist, es aber noch nicht weiß." Dabei ist es gar kein Satz, jedenfalls kein vollständiger. Was überraschend ist, denn dann folgen auf den nächsten 185 Seiten Sätze, die sich gewaschen haben: Sie sind nicht nur meistens vollständig, sondern auch ungefähr so endlos wie der Sommer, von dem das Buch handelt.
Dabei spielt dieser Junge, mit dem hier angefangen wird, nicht die Hauptrolle, aber er ist, wie wir dann nach und nach verstehen, der Erzähler, "dieser hübsche, scheue Junge mit den feinen Zügen, den großen Augen und der großen Angst, vor dem Krieg und vor Krankheiten, vor dem Körper, dem Geschlecht und dem Tod".
Dass der Erzähler, dessen Psyche offenbar nicht ganz in Ordnung ist, mit dem Autor, der vielleicht eine Autorin ist, identisch sein dürfte, erkennt man am Anfang aus kleinen Hinweisen, die dänische Leser schneller verstehen als wir (wie der Junge im Buch spielte der 1963 in Aarhus geborene Claus Beck-Nielsen, so sein bürgerlicher Name, von 1984 an in einer Band aus Odense und lernt ein Mädchen kennen, das Christina heißt wie Nielsens erste Ehefrau, die Schriftstellerin Christina Hesselholdt - deren Roman "Gefährten" eben auf Deutsch erschien).
Am Ende der Erzählung wird es dann deutlich: "Und der scheue Junge, mit dem alles begann, dieser zarte, schmale und oh so empfindsame Junge . . . wird endlich die alte Frau verstehen, die er ist, hauchfein und flüchtig wie Spinnweben . . . die zurückgezogen aus ihrer Zeit wie ein Schatten unter Fremden in der ,Stadt der Städte' lebt . . . als ihre eigene Muse . . . um zu erzählen, was verloren ging und bis eben vielleicht nie existiert hat." Das ist nicht nur eine einigermaßen selbstverliebte, kitschige Passage, sondern sie formuliert noch einmal, worum es Nielsen geht: dass nämlich erst die Kunst die Wirklichkeit erschafft.
Damit wird eine alte Anschauung übernommen, die einem in der Literatur immer wieder begegnet. Eine ihrer Vertreterinnen in Dänemark ist die Spätromantikerin Tania Blixen, der Nielsen nicht nur in Idee und Stil, sondern auch in Geschlecht und Aussehen nacheifert. Auch Stefan George (den Nielsen kennen könnte, er spricht sehr gut Deutsch) wäre ein Idol, wenn zum Beispiel vom "leuchtenden Schicksal" geträumt wird. Oder man denkt an Peter Høegs "Vorstellung vom zwanzigsten Jahrhundert". Oder an den großen Impressionisten Eduard von Keyserling mit seinen kurländischen Adelsromanen.
Aber im Gegensatz zu diesem schildert Nielsen keine reale Welt, und sein Ton entspricht nicht der Atmosphäre unserer Zeit. Dem Vorwurf des Kolportageromans beugt Nielsen freilich vor, indem das Buch schon am Anfang mit metafiktionaler Selbstironie als "Kitschroman" bezeichnet wird.
Und Nielsen geht noch weiter und zweifelt, ob überhaupt alles stattgefunden habe, was mit dem Macbeth-Zitat untermauert wird: "Ein Märchen ists, erzählt von einem Blödling, voller Klang und Wut, das nichts bedeutet"; hier im Deutsch von Dorothea Tieck. Nielsen zitiert natürlich auf Englisch und ersetzt das "nothing" am Schluss durch drei Pünktchen.
Worum geht es in diesem Märchen, "told by an idiot"? Eine kleine Gruppe junger Menschen trifft sich Mitte der achtziger Jahre halb zufällig in einem "weißen Hof" (da denkt man an Herman Bang), wohl auf Fünen, und erlebt einen summer of love auf ihre Weise: der scheue Junge, seine Freundin Christina, deren Mutter Ditte (Ende dreißig und Besitzerin des Hofs, eine "aristokratische Gestalt mit langen graziösen Gliedern und elfenbeinblondem Haar"), zwei jüngere Brüder, der schlaksige Lars und zwei portugiesische Rucksackreisende. Die rauschhafte Liebe zwischen dem einen der beiden, einem Künstler natürlich, und der doppelt so alten Mutter überstrahlt alles und mündet sogar in bürgerlicher Ehe: wahrscheinlich Anfang vom Ende des "endlosen Sommers".
Endlos sind wie gesagt auch die Sätze, allerdings sind sie Wunderwerke einer wie in Trance entstandenen großen Unlesbarkeit, sie gehen gefühlt über Seiten, aber sie stimmen, es gibt keine grammatikalischen Ungenauigkeiten, keine syntaktischen Unfälle, keine falschen Bezüge. Diese Feststellung ist mit Hochachtung für den Übersetzer verbunden, der die nicht ganz einfache Übung bewundernswert bewältigt hat.
Nielsen hat das blendend gemacht. Oder ist es doch nur Blendwerk? Nicht nur, weil wir uns hin und wieder dabei ertappen, zwei Seiten zurückblättern zu müssen, um den blendenden Satz noch einmal von vorn anzufangen, weil wir irgendwann den Überblick verloren haben. Sondern auch, weil die Geschichte an sich im Gegensatz zu den Sätzen, mit denen sie erzählt wird, eher dünn ist und sich darauf beschränkt, die Liebe als Aufhebung von Zeit und Raum zu feiern, und zwar mit einem oft pathetisch rosaroten Vokabular und einem triefend kitschigen Sound, so dass wir uns verwirrt fragen: Lesen wir jetzt eine billige Romanze, oder ist alles nur Ironie und Maskerade, so wie Lippenstift und Kleider Claus Beck-Nielsen zu einer Madame Nielsen machen?
"Der endlose Sommer" ist ein Künstler- und Liebesroman, dessen Figuren merkwürdig festgelegt sind. Was passiert eigentlich mit ihnen? Nach dem Rausch enden sie wieder im Reihenhaus eines gesichtslosen Provinzstädtchens. Nur der scheue Junge vom Anfang sitzt als alte Frau ganz unscheu in der "Stadt der Städte", nämlich Paris, und schreibt. Er/sie allein scheint eine Entwicklung durchgemacht zu haben, nur für ihn/sie geht der Sommer weiter.
PETER URBAN-HALLE
Madame Nielsen: "Der endlose Sommer". Roman.
Aus dem Dänischen von Hannes Langendörfer. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 190 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Claus Beck-Nielsen alias Madame Nielsen schreibt einen verkitschten Künstler- und Liebesroman
Identität ist das große Ding unserer Tage, für eine kleine radikale Minderheit die nationale, für die Mehrheit aber die psychische oder sexuelle oder Genderidentität. Die Erzählung "Der endlose Sommer" stößt uns im ersten Satz mit der Nase darauf: "Der Junge, der vielleicht ein Mädchen ist, es aber noch nicht weiß." Dabei ist es gar kein Satz, jedenfalls kein vollständiger. Was überraschend ist, denn dann folgen auf den nächsten 185 Seiten Sätze, die sich gewaschen haben: Sie sind nicht nur meistens vollständig, sondern auch ungefähr so endlos wie der Sommer, von dem das Buch handelt.
Dabei spielt dieser Junge, mit dem hier angefangen wird, nicht die Hauptrolle, aber er ist, wie wir dann nach und nach verstehen, der Erzähler, "dieser hübsche, scheue Junge mit den feinen Zügen, den großen Augen und der großen Angst, vor dem Krieg und vor Krankheiten, vor dem Körper, dem Geschlecht und dem Tod".
Dass der Erzähler, dessen Psyche offenbar nicht ganz in Ordnung ist, mit dem Autor, der vielleicht eine Autorin ist, identisch sein dürfte, erkennt man am Anfang aus kleinen Hinweisen, die dänische Leser schneller verstehen als wir (wie der Junge im Buch spielte der 1963 in Aarhus geborene Claus Beck-Nielsen, so sein bürgerlicher Name, von 1984 an in einer Band aus Odense und lernt ein Mädchen kennen, das Christina heißt wie Nielsens erste Ehefrau, die Schriftstellerin Christina Hesselholdt - deren Roman "Gefährten" eben auf Deutsch erschien).
Am Ende der Erzählung wird es dann deutlich: "Und der scheue Junge, mit dem alles begann, dieser zarte, schmale und oh so empfindsame Junge . . . wird endlich die alte Frau verstehen, die er ist, hauchfein und flüchtig wie Spinnweben . . . die zurückgezogen aus ihrer Zeit wie ein Schatten unter Fremden in der ,Stadt der Städte' lebt . . . als ihre eigene Muse . . . um zu erzählen, was verloren ging und bis eben vielleicht nie existiert hat." Das ist nicht nur eine einigermaßen selbstverliebte, kitschige Passage, sondern sie formuliert noch einmal, worum es Nielsen geht: dass nämlich erst die Kunst die Wirklichkeit erschafft.
Damit wird eine alte Anschauung übernommen, die einem in der Literatur immer wieder begegnet. Eine ihrer Vertreterinnen in Dänemark ist die Spätromantikerin Tania Blixen, der Nielsen nicht nur in Idee und Stil, sondern auch in Geschlecht und Aussehen nacheifert. Auch Stefan George (den Nielsen kennen könnte, er spricht sehr gut Deutsch) wäre ein Idol, wenn zum Beispiel vom "leuchtenden Schicksal" geträumt wird. Oder man denkt an Peter Høegs "Vorstellung vom zwanzigsten Jahrhundert". Oder an den großen Impressionisten Eduard von Keyserling mit seinen kurländischen Adelsromanen.
Aber im Gegensatz zu diesem schildert Nielsen keine reale Welt, und sein Ton entspricht nicht der Atmosphäre unserer Zeit. Dem Vorwurf des Kolportageromans beugt Nielsen freilich vor, indem das Buch schon am Anfang mit metafiktionaler Selbstironie als "Kitschroman" bezeichnet wird.
Und Nielsen geht noch weiter und zweifelt, ob überhaupt alles stattgefunden habe, was mit dem Macbeth-Zitat untermauert wird: "Ein Märchen ists, erzählt von einem Blödling, voller Klang und Wut, das nichts bedeutet"; hier im Deutsch von Dorothea Tieck. Nielsen zitiert natürlich auf Englisch und ersetzt das "nothing" am Schluss durch drei Pünktchen.
Worum geht es in diesem Märchen, "told by an idiot"? Eine kleine Gruppe junger Menschen trifft sich Mitte der achtziger Jahre halb zufällig in einem "weißen Hof" (da denkt man an Herman Bang), wohl auf Fünen, und erlebt einen summer of love auf ihre Weise: der scheue Junge, seine Freundin Christina, deren Mutter Ditte (Ende dreißig und Besitzerin des Hofs, eine "aristokratische Gestalt mit langen graziösen Gliedern und elfenbeinblondem Haar"), zwei jüngere Brüder, der schlaksige Lars und zwei portugiesische Rucksackreisende. Die rauschhafte Liebe zwischen dem einen der beiden, einem Künstler natürlich, und der doppelt so alten Mutter überstrahlt alles und mündet sogar in bürgerlicher Ehe: wahrscheinlich Anfang vom Ende des "endlosen Sommers".
Endlos sind wie gesagt auch die Sätze, allerdings sind sie Wunderwerke einer wie in Trance entstandenen großen Unlesbarkeit, sie gehen gefühlt über Seiten, aber sie stimmen, es gibt keine grammatikalischen Ungenauigkeiten, keine syntaktischen Unfälle, keine falschen Bezüge. Diese Feststellung ist mit Hochachtung für den Übersetzer verbunden, der die nicht ganz einfache Übung bewundernswert bewältigt hat.
Nielsen hat das blendend gemacht. Oder ist es doch nur Blendwerk? Nicht nur, weil wir uns hin und wieder dabei ertappen, zwei Seiten zurückblättern zu müssen, um den blendenden Satz noch einmal von vorn anzufangen, weil wir irgendwann den Überblick verloren haben. Sondern auch, weil die Geschichte an sich im Gegensatz zu den Sätzen, mit denen sie erzählt wird, eher dünn ist und sich darauf beschränkt, die Liebe als Aufhebung von Zeit und Raum zu feiern, und zwar mit einem oft pathetisch rosaroten Vokabular und einem triefend kitschigen Sound, so dass wir uns verwirrt fragen: Lesen wir jetzt eine billige Romanze, oder ist alles nur Ironie und Maskerade, so wie Lippenstift und Kleider Claus Beck-Nielsen zu einer Madame Nielsen machen?
"Der endlose Sommer" ist ein Künstler- und Liebesroman, dessen Figuren merkwürdig festgelegt sind. Was passiert eigentlich mit ihnen? Nach dem Rausch enden sie wieder im Reihenhaus eines gesichtslosen Provinzstädtchens. Nur der scheue Junge vom Anfang sitzt als alte Frau ganz unscheu in der "Stadt der Städte", nämlich Paris, und schreibt. Er/sie allein scheint eine Entwicklung durchgemacht zu haben, nur für ihn/sie geht der Sommer weiter.
PETER URBAN-HALLE
Madame Nielsen: "Der endlose Sommer". Roman.
Aus dem Dänischen von Hannes Langendörfer. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 190 S., geb., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Peter Urban-Halle wird nicht recht warm mit Madame Nielsens "Endlosem Sommer". Wenn ihm die dänische, als Claus Beck-Nielsen geborene Performancekünstlerin autobiografisch geprägt von einem empfindsamen Jungen erzählt, der Mitte der achtziger Jahre auf einem Hof zwischen Aristokraten und Künstlern seine Frauwerdung vollzieht, hört der Kritiker Anklänge an Tania Blixen, Stefan George oder Eduard von Keyserling läuten. Bisweilen weiß er auch nicht recht, ob das Geschilderte nun ironisch oder einfach nur kitschig ist. Mit viel Lob bedenkt er hingegen den Übersetzer Hannes Langendörfer, der Nielsens endlose, teils über Seiten reichende und gelegentlich über den Inhalt hinwegtäuschende Sätze glänzend übersetzt hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
» Der endlose Sommer ist ein verträumter, verspielter und realitätsmächtiger Roman, der die Musikalität der Sprache ausreizt, um in starken Bildern die Zeit stillzulegen« Meike Fessmann Süddeutsche Zeitung 20180517