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ÜberschreitungenEin Engländer kommt in das von den deutschen besetzte Frankreich und bezieht eine einsame Schloßfestung in der Bretagne. Dort geht er der Jagd auf erotische Objekte nach und lebt seine seinen erotischen Gelüste aus. Die Darstellungen sexueller Überschreitungen gehen Hand in Hand mit unnachahmlichem schwarzen Humor."Ich möchte von der wunderbaren Inspirationsquelle sprechen, die der Schmerz in Mischung mit dem Humor ist, im Verein mit einer gweissen Erotik, mit einem gewissen Sadismus und Masochismus, mit einer überscharfen Wahrnehmung und mit einer ungeheuren Lebenslust."André Pieyre de Mandiargues…mehr

Produktbeschreibung
ÜberschreitungenEin Engländer kommt in das von den deutschen besetzte Frankreich und bezieht eine einsame Schloßfestung in der Bretagne. Dort geht er der Jagd auf erotische Objekte nach und lebt seine seinen erotischen Gelüste aus. Die Darstellungen sexueller Überschreitungen gehen Hand in Hand mit unnachahmlichem schwarzen Humor."Ich möchte von der wunderbaren Inspirationsquelle sprechen, die der Schmerz in Mischung mit dem Humor ist, im Verein mit einer gweissen Erotik, mit einem gewissen Sadismus und Masochismus, mit einer überscharfen Wahrnehmung und mit einer ungeheuren Lebenslust."André Pieyre de Mandiargues
Autorenporträt
de Mandiargues, André Pieyre§André Pieyre de Mandiargues (1909-1991), stark von den deutschen Romantikern und französischen Surrealisten beeinflusst, hielt sich stets von literarischen Cliquen und Moden fern. Zu seinem mit fast allen bedeutenden französischen Literaturpreisen ausgezeichneten Werk gehören Lyrikbände ebenso wie Essays, Novellen, Romane, Theaterstücke und Kunstkritiken.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.1995

Immer Partei für die Frau
Schund als Privileg: André Pieyre de Mandiargues' "Engländer"

Warum ist dieses Buch nur so widerwärtig? Liegt es am zynischen Humor, liegt es an den genüßlichen Schilderungen, liegt es am behaglichen Kaminfeuer-Plauderton, mit dem hier über sexuelle Folterungen berichtet wird? Kurz: Liegt es wirklich daran, daß André Pieyre de Mandiargues uns in seinem Roman "Der Engländer" den Lustmord anpreist, als sei er ein amüsantes Gesellschaftsspiel? Oder ist die Widerwärtigkeit dieses Buches nicht doch eher der Offensichtlichkeit geschuldet, mit der hier auf den Schockeffekt spekuliert wird? Schließlich sollen wir uns provoziert fühlen, wir sollen "Skandal!" schreien und uns als moralisch korrekte Spießer entlarven - mit dieser öden Masche hatte uns ja bereits de Sade zu Tränen gelangweilt.

Die Handlung ist schnell erzählt. Sie spielt im wesentlichen auf einem französischen Schloß, das naturgemäß die Form eines Riesenphallus hat. Der Schloßherr ist eine Art sexuelles Supermonster: eine Reinkarnation von de Sade als Godzilla. Unter seiner Anleitung wird zunächst eine Prostituierte schmerzhaft mit einem riesigen Eiszapfen vergewaltigt. Sodann wird ein dreizehnjähriges Mädchen halb von Krabben aufgefressen, anschließend vom Hausherrn entjungfert, daß das Blut nur so spritzt, weiter mißbraucht, hernach vermutlich umgebracht.

Nun folgt eine Rückblende aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges: Der Herr berichtet, wie er einen Leutnant und einen General der Wehrmacht und dessen Nichte, die Prinzessin von Warmdreck, in seine Gewalt brachte. Den Leutnant ließ er von zwei Juden, die er bei sich versteckt hatte, mit einer Schere beschneiden, dann mußte der eine dem Wehrmachtsleutnant die Hoden abbeißen und sie herunterschlucken, dann ließ der Schloßherr ihn umbringen, damit sich die Juden weiter mit seiner Leiche vergnügen konnten. Nun kam die Reihe an den deutschen General: Er wurde von zwei Negern vergewaltigt, wobei ihm Montcul mit einer Cognacflasche das Gesicht zertrümmerte; zugleich penetrierte er die Prinzessin von Warmdreck. Und so geht das weiter. Das Ganze endet mit einem apokalyptischen Über-Orgasmus: Montcul sprengt sich mitsamt seinem phallischen Schloß und seinen Opfern in die Luft.

Dieser fälschlich als erotisch bezeichnete Roman nimmt seine Wirkung vom Mythos des Bösen: Er lebt vom Gestus der Grenzüberschreitung, des Tabubruchs, des Man-muß-es-doch-einmal-sagen-Könnens. "Ich möchte gern", schreibt André Pieyre de Mandiargues in einem gewundenen Vorwort, "daß die Schriftsteller und Schriftstellerinnen, denen das geistige Privileg zuteil geworden ist, mit dem Schlimmsten spielen zu dürfen, hin und wieder einmal das Sicherheitsventil ihrer inneren Hölle durchbrennen lassen . . ." Allerdings wird dies heroische Pathos in der deutschen Ausgabe durch ein langes, der Erzählung vorangestelltes Interview ad absurdum geführt - ein intimes Zwiegespräch, das auf peinliche Weise apologetisch wirkt.

Offenbar ging es dem Verlag Matthes & Seitz darum, zu beweisen, daß André Pieyre de Mandiargues kein Rechtsradikaler ist. Also gab man dem Autor die Gelegenheit, Statements folgender Art abzusondern: "Ich ergreife immer Partei für die Frau." Das soll wohl heißen: für die platonische Idee der Frau. Mit Frauen - im Plural - weiß André Pieyre de Mandiargues nichts anzufangen; sie kommen in "Der Engländer" ausschließlich als Wegwerfartikel und Unlustobjekte vor. Insofern entbehrt dieser Satz nicht der unfreiwilligen Komik, er erinnert fatal an Erich Mielkes "Ich liebe euch doch alle!"

Allerdings würde man dem Autor in der Tat unrecht tun, wenn man ihn als Rechtsradikalen bezeichnete. André Pieyre de Mandiargues ist nur ein ganz gewöhnlicher Apokalyptiker, der sich nach dem großen Kladderadatsch sehnt: Zur Rechtfertigung dieser Sehnsucht kommt ihm jede Ideologie gerade recht, sei es nun die Esoterik, der Calvinismus, der Surrealismus oder der politische Extremismus ganz gleich welcher politischen Couleur. Nur die bürgerliche Demokratie kann de Mandiargues auf den Tod nicht ausstehen.

In Wahrheit ist alles freilich noch viel einfacher. Da Pornographie sich in aller Regel als langweilige Nummernrevue präsentiert ("Ein neuer Pornofilm", erklärte Alfred Hitchcock, "kann dann gedreht werden, wenn ein neues Geschlechtsteil erfunden ist"), hat der Autor sie, damit sie überhaupt noch wirkt, mit immer grelleren Brutalitäten aufgeladen. Dies Verfahren wird nun im nachhinein politisch legitimiert: "Der Engländer" versteht sich allen Ernstes als Beitrag gegen den Nationalismus. Der sadistische Godzilla ist ein überzeugter Feind jeglicher "Vaterländerei", vor allem der angelsächsischen. Diese noble Feindschaft desavouiert sich in der beschriebenen Episode, wo die deutschen Soldaten zu Tode gequält werden. Allzu offenkundig wird hier darauf gesetzt, daß wir mit den Opfern kein Mitleid haben, weil es sich ja um Wehrmachts-Nazis handelt. Zudem tut der Autor so, als wäre der Nationalsozialismus nur eine Steigerungsform des französischen oder englischen Nationalismus gewesen. Muß noch eigens darauf aufmerksam gemacht werden, daß die bekannten Stereotypen ausgiebig bedient werden?

Es ist zum Lachen, mit welch preziöser Geste der Verlag uns diesen Roman präsentiert: Vornehm von einem "erotischen Meisterwerk" raunend, balanciert er ihn auf einem silbernen Tablett. Uns hat es nicht gefallen. Im Jargon dieses Buches zu sprechen: Man weiß, wenn man bei der Lektüre das Maul aufreißt, nie so recht, ob man es nun gerade zum Kotzen oder zum Gähnen findet. Es gibt auch einen Kitsch des Bösen. HANNES STEIN

André Pieyre de Mandiargues: "Der Engländer". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Heribert Becker. Matthes & Seitz Verlag, München 1994. 227 S., geb., 42,- DM.

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