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Literatur muss frei sein, wild, darf böse sein und muss auch weh tun können, sonst verliert sie ihren Reiz, sagt Melanie Möller. Sie muss ein Freiraum bleiben für ungeschützte Gedanken und scharfe Worte. Dafür liefert die Autorin einen wilden Ritt durch mehrere Jahrhunderte Literaturgeschichte im Kampf für die Freiheit des Worts.
Bibelverbot für Schulen in Utah, Verbannung von Klassikern aus Lehrplänen und Schulbüchern, glättende Übersetzungen, zensierte Klassiker, politisch korrekte Vorgaben für Literatur, Sensitivity-Reading, Triggerwarnungen, Verbot 'schwieriger' Vokabeln: Ein
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Produktbeschreibung
Literatur muss frei sein, wild, darf böse sein und muss auch weh tun können, sonst verliert sie ihren Reiz, sagt Melanie Möller. Sie muss ein Freiraum bleiben für ungeschützte Gedanken und scharfe Worte. Dafür liefert die Autorin einen wilden Ritt durch mehrere Jahrhunderte Literaturgeschichte im Kampf für die Freiheit des Worts.

Bibelverbot für Schulen in Utah, Verbannung von Klassikern aus Lehrplänen und Schulbüchern, glättende Übersetzungen, zensierte Klassiker, politisch korrekte Vorgaben für Literatur, Sensitivity-Reading, Triggerwarnungen, Verbot 'schwieriger' Vokabeln: Ein Verhängnis!, sagt Melanie Möller und warnt davor, den Leser zu unterschätzen. In Sachen Kunst darf es keine Abstriche geben. Wer verwässert, entmündigt den Leser - und der ist schlauer, als man denkt.

»Was fehlt, ist ein leidenschaftlicher Kampf für die Autonomie der Literatur, der diese schützt wie eine bedrohte Minderheit - und zwar kompromisslos«, so die Autorin. Melanie Möller führt ihn.
Autorenporträt
Melanie Möller ist Professorin für Latinistik an der Freien Universität Berlin. Sie schreibt regelmäßig für verschiedene Tageszeitungen und hat u.a. Monographien zu Cicero, Ovid, Homer und zur Rhetorik verfasst.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Not amused ist Rezensent Felix Stephan über Melanie Möllers Buch, das hinter jeder Ecke eine woke Armada vermutet, die uns allen das freie Denken verbieten möchte. Dabei ist Möllers Ansatzpunkt ja nicht in jeder Hinsicht falsch, stellt Stephan klar, es gebe durchaus Exzesse einer letztlich exklusorischen Inklusionsrhetorik, die es verdienten, analysiert und bekämpft zu werden. Aber die Altphilologin Möller schert eben laut Rezensent alles über einen Kamm, vor allem orientiere sie sich nicht an den schlaueren, sondern stets nur an den doofsten Argumenten ihrer Gegner und tue so, als wären diese repräsentativ. Um seine Argumentation zu illustrieren zeichnet Stephan Frantz Fanons intellektuellen Werdegang nach und zeigt auf, dass Möller in ihrer Lust an der Verallgemeinerung letztlich genauso agiert, wie die weiße französische Mehrheitsgesellschaft der 1950er, die sich das Imago eines bösen Anderen imaginiert und diesen dann zurechtweist. Am Ende ist das für den Kritiker Kulturkampfprosa, die uns in der Sache auch da, wo es durchaus nötig wäre, kein bisschen weiter bringt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Erfrischend polemisch" / "Brillante Provokation" Jörg Magenau Deutschlandfunk Büchermarkt 20240411

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2024

Rassismus - ja, und?
Die Altphilologin Melanie Möller polemisiert gegen die moralische Betrachtung von Literatur

Als Liebhaber der Literatur, zumal ihrer klassischen Werke, begegnet man Melanie Möllers Buch mit einem Vorschuss an Sympathie. Denn beim Blick auf die literarischen Debatten der vergangenen Jahre kann man wie die Verfasserin den Eindruck gewinnen, dass moralische Sensibilitäten bisweilen überhandgenommen haben, ob es um die Bewertung Otfried Preußlers oder die Übersetzung Amanda Gormans geht. Zudem gibt es heutzutage nicht mehr viele Altertumswissenschaftler, die sich an öffentlichen Debatten beteiligen - die Antike könnte aber besonders gut geeignet sein, um mit etwas Abstand über den Sinn moralischer Maßstäbe in Philologie und Literaturkritik zu reflektieren. So ist man neugierig und gespannt, wenn Melanie Möller, Latinistin an der FU Berlin, nach Zeitungsbeiträgen und Einführungen zu Homer und Ovid nun auch mit einem Thesenbuch an die Öffentlichkeit tritt.

Von Anfang an wird deutlich, dass ihr das Genre gefällt; sie schreibt mit Verve und ohne Rücksicht auf Verluste. In der Einleitung holt sie zum Rundumschlag gegen nahezu alle aus, die sich bislang mit moralischen Urteilen in der Literatur befasst haben: natürlich gegen diejenigen, die Texte zensieren wollen, aber auch gegen diejenigen, die zur Abwehr solcher Eingriffe auf den historischen Kontext der Werke verweisen, und selbst gegen diejenigen, die political correctness kritisieren, es aber aus humanistisch-didaktischer Perspektive tun. Sie alle sind in Möllers Augen der diskursiven Mode verfallen, indem sie moralische Vorstellungen an die Literatur herantragen. Möller selbst möchte dagegen etwas radikal anderes bieten: einen "leidenschaftlichen Kampf für die Autonomie der Literatur, der diese schützt wie eine bedrohte Minderheit - und zwar kompromisslos".

Möllers Buch will Literaturgeschichte und Streitschrift zugleich sein. In neun Kapiteln stellt sie Beispiele je eines antiken und (meist) eines modernen Autors nebeneinander, die aus moralischer Perspektive beanstandet worden seien. Gerade bei den antiken Werken ist in der Regel jedoch unklar, wer diese überhaupt kritisiert oder gar zensieren möchte, gegen wen Möller sie also so entschieden verteidigt. Immer wieder teilt sie gegen eine Monographie ihrer Fachkollegin Katharina Wesselmann aus. Doch ob diese wirklich solch scharfe Angriffe gegen die antike Literatur reitet, wie Möllers Polemik suggeriert, ist angesichts der von Möller gewählten, eher harmlosen Zitate fraglich (F.A.Z. vom 10. April).

Ansonsten kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Autorin weitgehend an Strohmännern abarbeitet. Das ist umso erstaunlicher, als die griechisch-römische wie die moderne Literatur seit 2500 Jahren natürlich immer wieder moralischer Kritik ausgesetzt gewesen ist: von Platons staatsmännischer Ablehnung Homers über christliche Auslassungen bis hin zu Debatten in der heutigen Fachdidaktik. Um wirklich einen Beitrag zur "Geschichte der Gewalt gegen (. . .) die Kunst" zu liefern, hätte man hier deutlich präziser arbeiten müssen.

Schwerer wiegen argumentative Mängel. So bleibt unklar, wo für Möller der unzulässige Eingriff in die "Freiheit der Literatur" beginnt: wenn Texte beschnitten, wenn sie angepasst, oder bereits wenn sie überhaupt moralisch bewertet werden, ein Interpret also beispielsweise das "sexistische" Gedankengut eines Texts thematisiert. Möllers allumfassende Polemik legt nahe, dass schon Letzteres für sie zu weit geht.

Ihre am häufigsten angewandte Strategie zur Verteidigung der inkriminierten Literatur ist dann jedoch eine, die sie nach diesem Ansatz gar nicht anwenden dürfte. Immer wieder versucht sie sich an einer Aufwertung vermeintlich schwacher Frauenfiguren: von Helena und Penelope bei Homer über Daphne und Atalanta bei Ovid bis zu Katharina in Shakespeares "The Taming of the Shrew". Dass alle diese mehr agency haben als eine oberflächlich-empörte Lektüre erkennt, mag durchaus richtig sein. Doch ist eine Interpretation, die die Kompatibilität antiker Werke mit modernen Wertvorstellungen herausstellt, nicht lediglich das Gegenstück einer Interpretation, die Unterschiede zwischen beiden betont? Warum ist eine Aussage wie "Die Gemeinplätze der Gattung scheinen aus heutiger Sicht bisweilen schwer verdaulich" (Wesselmann) für Möller dann schon übergriffig?

Das stärkste Argument für literarische Autonomie bietet ein Kafka-Zitat, das dem Werk vorangestellt ist. Ein gutes Buch, so Kafka, solle uns nicht glücklich machen, sondern "beißen und stechen", uns "mit einem Faustschlag auf den Schädel" wecken. Mit anderen Worten: Anerkannte Werte und Wahrheiten zu hinterfragen, ist eine zentrale Funktion der Literatur. Das ist zweifellos zutreffend, doch auch Kafkas schöne Metapher hat ihre argumentativen Grenzen. Nicht jeder Text, der uns mit rassistischen oder sonstigen unmoralischen Ideen schockiert, ist deswegen ein guter Text - ganz abgesehen davon, dass ein solcher Schock auch wieder voraussetzt, dass wir uns überhaupt von Literatur moralisch affizieren lassen. Für eine radikal ästhetische, womöglich formalistische Lektüre bietet Möller jedenfalls keine Anhaltspunkte.

Vielleicht wäre eine solche auch gar nicht wünschenswert. Denn dass es uns zunächst einmal verstört, wenn Catull seine Widersacher als "Schwuchteln" bezeichnet und ihnen mit Vergewaltigung droht, oder wenn in der "Verlobung von St. Domingo" Kleist "Neger" durchweg in schlechtem Licht erscheinen lässt, ist allzu verständlich. Wäre es da wirklich sinnvoll, sich solche Reaktionen abzutrainieren, wie man Möller verstehen mag? Oder ist die entscheidende Frage nicht vielmehr, wie man mit diesen Irritationen umgeht - ob man die Auseinandersetzung mit den entsprechenden Werken verweigert, oder ob man auch andere Dinge in ihnen sehen, die eigene Verstörung vielleicht sogar hermeneutisch fruchtbar machen kann?

Hier und anderswo hätte es reichlich Raum für Differenzierungen gegeben: zwischen moralischem Unbehagen und Aufrufen zur Zensur, zwischen Figuren- und Erzählperspektive, zwischen intendierter Amoralität und solcher, die nur bei Nicht-Berücksichtigung des historischen Kontexts entsteht. Vor allem hätte man systematisch darlegen können, warum auch die Beschäftigung mit "unmoralischer" Literatur lohnt. Stattdessen antwortet Möller Studenten, die sich über Kleists vermeintlichen Rassismus beschweren: "Ja, und? (. . .) Da müssen alle durch." Weniger Polemik und mehr Reflexion hätten ihrem Buch gutgetan. JANNIS KOLTERMANN

Melanie Möller:

"Der entmündigte

Leser". Für die Freiheit

der Literatur.

Eine Streitschrift.

Verlag Galiani,

Berlin 2024.

240 S., geb., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.06.2024

Krieg
der
Sternchen
Ein Trauerspiel: Die
Altphilologin
Melanie Möller
hat ein Traktat
gegen Moralismus
in der Literatur
geschrieben –
und macht alles
nur noch schlimmer.
Wenn der Berliner Altphilologin Melanie Möller in ihrer Streitschrift „Der entmündigte Leser“ so richtig der Kamm schwillt, setzt sie auf rhetorische Fragen. Ob denn das „Weib“ bald zum W-Wort abgekürzt werde? Ob Dicke bald nur noch Dicke übersetzen dürften? Ob der Name „Klößchen“ bei „TKKG“ schon fatshaming sei? An einer Stelle des Buches scrollt sich die Professorin seitenlang durch die Empfehlungsliste für sensible Sprache auf der Homepage des Goethe-Instituts Peking und schon an dieser Stelle will man von dem Buch eigentlich nur noch wissen, ob die Autorin womöglich mal jemanden zum Reden braucht.
Das Abendland ist bei Möller jedenfalls akut einsturzgefährdet, die Sensiblen, die Triggerwütigen und der woke Mob rücken auf die geweihten Tempel der Aufklärung vor und wenn ihnen nicht unmittelbar Einhalt geboten wird, ist es um Sappho, Ovid und Aristophanes schon bald geschehen. Unterschiede macht sie zur Sicherheit nicht zwischen Zensur seitens staatlicher Institutionen, Kampagnen rechter Aktivisten, Interventionen linker Feministen, Kontextualisierungen übervorsichtiger Pädagogen. In den Augen der Professorin sind einfach alle ein bisschen zu vertrottelt, charakterschwach und geltungssüchtig. Die längste Zeit haben sich die hermeneutischen Instrumente der Altphilologie zur Abwehr solcher ikonoklastischer Anstürme eigentlich gut bewährt, es gibt sie schließlich immer noch. Bedeutungsschichten herausarbeiten, Quellen prüfen, Zeithintergründe vermessen. Die größte Stärke der Philologie gegen jeden moralischen Furor liegt in dem zwanglosen Zwang ihres analytischen Bestecks. Und an den besten Stellen des Buches geht Möller auch genau so vor.
An allen anderen jedoch adaptiert sie die libertär-paranoide Ausnahmezustandsrhetorik, die in den Kulturkämpfen auch anderswo so gerne genommen wird, bei Verfassungsfehden um Kindergartenkantinen oder Auspuffumfänge. Dann ist also von „Zensur“ die Rede, von den „üblichen Verdächtigen der Debatte“, von der „woken Front“. In diesem Sprachgebrauch tritt unweigerlich eine eigene Wahrheit hervor, und das Meiste ist schon gesagt, bevor ein Argument überhaupt formuliert ist. Anstatt dem Gegenüber zumindest als Gedankenexperiment einmal zuzugestehen, dass er womöglich auch selbst schon einmal einen Gedanken gefasst hat, werden zur Feindmarkierung niederste Motive unterstellt, darunter – aber nicht ausschließlich – Narzissmus, Selbstsucht, Karrierismus, Humorlosigkeit und „perfide Zwangsmodernisierung“.
Das ist auch deshalb so fatal, weil man sich Möllers Anliegen eigentlich immer wieder gern anschließen möchte. Es wird ja tatsächlich ungemütlich, wenn Akademiker im Universitätsbetrieb von strengen Ermahnungen berichten, weil sie in Bewerbungsgesprächen nicht phonetisch gegendert haben. Wenn Seminararbeiten wegen fehlender Sternchen schlechter bewertet werden. Wenn Nabokovs „Lolita“ oder Wedekinds „Frühlings Erwachen“ von Lektürelisten gestrichen werden, weil sie genau das tun, was sie sich vorgenommen haben, nämlich moralische Konventionen herauszufordern.
Aber auch wenn man all das kritisieren will, und das soll und muss man spätestens dann, wenn Inklusion zum Ausschlusskriterium wird, ist man trotzdem nicht davon befreit, die grundlegenden Ideen, auf die sich jene berufen, die den Geist zu dekolonisieren behaupten, zumindest beiläufig zur Kenntnis nehmen. Möller aber reagiert auf die Abwesenheit jeder Nuance, indem sie ihrerseits alle Standards vermissen lässt. Sie sieht ein Haus brennen und zündet vor Schreck gleich die ganze Stadt an. In der Sachbuch-Disziplin der formelhaften Kulturkampfbewirtschaftung ist Möller nicht die erste, aber womöglich bald Klassenbeste, rhetorisch ist ihr Vorgehen jedenfalls mustergültig. Statt sich um die besseren Argumente der postkolonialen Denktradition zu kümmern, greift sie sich konsequent jene heraus, die offensichtlich absurd sind, um diese dann für repräsentativ zu erklären – wie es auch in den sozialen Netzwerken immer so gut funktioniert, wenn es darum geht, das jeweilige Binnenmilieu in Aufregung zu halten.
Das ist vor allem dann bedenklich, wenn man Möller die Bücher jener Philosophen gegenüberstellt, die für den gefühlten Niedergang zwar nicht namentlich, aber doch implizit verantwortlich gemacht werden, linke Theoretiker wie Simone de Beauvoir, Michel Foucault oder, vielleicht das beste Beispiel, Frantz Fanon. In seinem Gymnasium im französischen Überseegebiet Martinique wurde Fanon in den Dreißigerjahren noch beigebracht, dass er nicht schwarz sei, sondern ein Franzose unter Gleichen. Der erste Satz, den Fanon als Schüler in eigener Handschrift schrieb, lautete: Je suis français.
Später hat er dann die Aufklärung im französischen Mutterland ganz konkret mit seinem Körper verteidigt, indem er sich als Soldat den übrigens deutschen Maschinengewehren entgegenwarf. Nach dem Krieg kam es dann zu der berühmten Szene, die so etwas wie der Urknall seiner kolonialismuskritischen Erweckung wurde, deren Nachbeben bis heute in sämtlichen geisteswissenschaftlichen Instituten des Planeten spüren sind, sehr wahrscheinlich auch in der Freien Universität Berlin, in der Melanie Möller unterrichtet: Fanon saß in Lyon in der Straßenbahn, als ein kleiner Junge durch den ganzen Wagen rief: Schau Maman, un négre. Ein Moment, wie ihn etwa auch James Baldwin erlebt und oft beschrieben hat. Die Erkenntnis dieses und vieler weiterer Alltagsschocks: Der schwarze Franzose ist eben doch nicht gleich, die Aufklärung eben doch nicht farbenblind, der Universalismus nur immer so vollkommen wie seine jeweiligen Vertreter.
Fanons psychiatrische Praxis in Lyon ergab dann an zahllosen Fallbeispielen, dass seinen weißen Patienten vor allem die Stichworte „Natur“, „Kraft“ und „Sexualität“ einfielen, wenn sie an schwarze Männer dachten, und dass es ihnen buchstäblich unmöglich war, in einem schwarzen Mann einfach eine Person zu sehen. Ähnlich wie de Beauvoir es an der Rolle der Frau beobachtet hat und Foucault an den Kranken, stellte Fanon fest, dass auch der Schwarze in Frankreich in einem Gefängnis aus Projektionen eingekerkert war. Und dass weiße Franzosen mit Zorn, Aggression und Herablassung reagierten, wenn er sich nicht an die Rolle hielt, die ihm zugedacht war. Wenn er also zum Beispiel an der Universität Sorbonne auftauchte, um dort Reden zu halten, die nicht ausschließlich Dankbarkeit ausdrückten.
Vor diesem Hintergrund ist es jetzt leider tatsächlich beklemmend zu beobachten, dass Melanie Möller nun genau jene rhetorische Strategie an den Tag legt, die Fanon in den Fünfzigerjahren in seiner Praxis an den weißen Franzosen beobachtet hat: Sie erfindet sich ein nicht näher benanntes wokes, hypersensibles, getriggertes, jedenfalls gesichert schwachsinniges Gegenüber, um diesem dann maßregelnd zu erklären, es könne nicht richtig lesen.
Gegen wen sie sich ihre Streitschrift auch immer wendet: Er kommt vor allem als Zerrbild eines ungelehrigen, störrischen Schülers vor, der nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Kolonialismus sei eine psychopathologische Neurose, die als Normalität ausgegeben werde, heißt es einmal bei dem karibisch-französischen Dichter Aimé Césaire. Wenn man Melanie Möllers Buch vor sich hat, liest sich der Satz wie eine Art Vorwort.
Doch selbst die absonderlichsten unter den Kulturkriegern haben zumindest eine redliche Widerlegung ihrer mitunter tribalistischen, schamanistischen, essenzialistischen Glaubenssätze verdient. Es ist ja wahrlich nicht so, als ob es da nicht genug zu tun gäbe. Melanie Möller aber hat ein ganzes Buch geschrieben, um an der Stelle genau keinen Schritt weiterzukommen.
FELIX STEPHAN
Die Autorin erfindet
sich ein schwachsinniges
Gegenüber
Darf in der Kulturkampf-Schlagerparade natürlich auch nicht fehlen: Pippi Langstrumpf und der „Südseekönig“.
Foto: imago
Melanie Möller: Der entmündigte Leser. Für die Freiheit der Literatur. Eine Streitschrift. Galiani, Berlin 2024. 240 Seiten, 24 Euro.
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