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Das Niveau der französischen Kunst war zu Beginn des 17. Jahrhunderts recht niedrig. Das sollte sich ändern, als ein sich langsam etablierendes absolutistisches System immer mehr nach einer Repräsentation verlangte, die sich bewußt absetzte von früheren Formen der politischen Selbstdarstellung. Nur eine hochwertige Kunst schien geeignet, das neue politische Selbstverständnis adäquat zum Ausdruck zu bringen. Die Politik hielt die Historienmalerei für besonders geeignet, ihre Vorstellungen zu versinnbildlichen, und auch der Kunst galt sie als der Höhepunkt ihrer Bemühungen. Die Wege sollten sich…mehr

Produktbeschreibung
Das Niveau der französischen Kunst war zu Beginn des 17. Jahrhunderts recht niedrig. Das sollte sich ändern, als ein sich langsam etablierendes absolutistisches System immer mehr nach einer Repräsentation verlangte, die sich bewußt absetzte von früheren Formen der politischen Selbstdarstellung. Nur eine hochwertige Kunst schien geeignet, das neue politische Selbstverständnis adäquat zum Ausdruck zu bringen. Die Politik hielt die Historienmalerei für besonders geeignet, ihre Vorstellungen zu versinnbildlichen, und auch der Kunst galt sie als der Höhepunkt ihrer Bemühungen. Die Wege sollten sich jedoch bald wieder trennen. Dies erlaubte es der Kunst, sich von der politischen Einbindung zu befreien, der sie so viel verdankte. Denn die erst durch das Zusammengehen mit der Politik mögliche Aufwertung der Kunst bildete die Grundlage für die Entwicklung einer modernen Idee vom Kunstwerk, die im 18. Jahrhundert zum Thema werden sollte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.08.2002

Der König im Atelier
Nur gute Kunst genügt dem Herrscher, nur Bestes taugt zum Repräsentieren: Eine Studie über Kunstpolitik und Historienmalerei
„Ohne die Musen ist ein Held nicht lange Held, ohne ihre sorgfältige Hilfe bemühst du dich umsonst um deine Unsterblichkeit.” Aus diesen Worten des Literaten und königlichen Historiographen Nicolas Boileau an Ludwig XIV. spricht die Einsicht in einen Zusammenhang, der oft als Erkenntnis erst unserer Tage betrachtet wird: die Relevanz der Medien für die Repräsentation, die höfische wie auch die demokratische. Ludwig XIV. wusste bereits um die Bedeutung des Visuellen für seine Politik: Es genügte nicht, Sonnenkönig zu sein, man musste ihn auch darstellen und sich vor allem entsprechend darstellen lassen.
Für jene Richtung innerhalb der Kunstgeschichte, die sich für die Rolle der Bilder im politischen Raum interessiert, gab das absolutistische Frankreich daher stets ein besonders gutes Exempel ab: Wie der Souverän sich ein Image entwirft und auf welche Strategien bildlicher Repräsentation er vertraut, lässt sich hier in wünschenswerter Deutlichkeit beobachten.
Peinliche Verwechslung
In seiner umfangreichen Studie zur „Historienmalerei und Kunstpolitik im Frankreich des 17. Jahrhunderts” knüpft Thomas Kirchner an diese Forschungsrichtung an, um sich von ihr jedoch partiell wieder zu distanzieren; denn er möchte beim zentralen Begriff „Kunstpolitik” stärker die erste Silbe betont wissen. Allein eine Kunst, die sich auf höchstem ästhetischen Niveau befindet, leistet in seinen Augen politische Wirksamkeit. Die Debatten, die über die diesbezügliche Leistungsfähigkeit der verschiedenen Künste geführt wurden, generierten die Ausdifferenzierung der Bildgattungen im kunsttheoretischen Diskurs. So beschreibt Kirchner die Entwicklung der höfischen Repräsentation nicht linear, im Sinne also einer zunehmenden Funktionalisierung und Instrumentalisierung der Künste durch den Herrscher, sondern als einen kontroversen Prozess, den er mittels der schriftlich fixierten Kunsttheorie – oft spiegelt sie die an der Akademie geführten Diskussionen – anschaulich rekonstruiert.
Wie viel Wahrheit, wie viel Überhöhung verträgt das Herrscherporträt? Ist die dramatische oder die epische Erzählform geeigneter für einen Historienzyklus in der Galerie, und wie lässt sich das historisch Wahre mit dem Wahrscheinlichen zum Ausgleich bringen? Kirchner zeigt, warum die Bildnisgalerie, die zentrale Ereignisse aus der Vita des Porträtierten in Inschriften verbannte, ihren Stellenwert verlor, und er setzt die kunsttheoretischen zu den poetologischen Debatten über die wichtigsten literarischen Genera bei Hofe, das Epos und die Panegyrik, in Beziehung.
Bei der Suche nach einem Helden, dessen Vita für einen Historienzyklus geeignet erschien, weil sich mit ihm Anspruch demonstrieren ließ, fiel Ludwigs Wahl schon früh auf den makedonischen König Alexander den Großen. Er hatte ein Weltreich gebaut und sich wie kein Herrscher zuvor um seinen Hofmaler Apelles bemüht. Auch daran wollte Ludwig offenbar sein Verhalten ausrichten. Glaubt man den Legenden, die sich um die Entstehung von Charles Le Bruns Meisterwerk „Die Königinnen von Persien zu Füßen Alexanders” ranken, nahm der junge König hierbei starken Einfluss. Auch Alexander hatte sich vorzugsweise in der Werkstatt seines Hofmalers aufgehalten. Damit wird die Entwicklung des Gemäldes zum „Reflex des Themas”.
Le Brun verbildlicht ein Missgeschick der persischen Königin Sysigambis; sie verwechselte den makedonischen König mit dessen Heeresführer Hephaistion und wirft sich irrtümlich diesem zu Füßen. Doch Alexander reagiert mit nobler Geste und verzeiht – Milde gegenüber dem Besiegten ist die hervorstechende Tugend eines guten Herrschers. Alle beteiligten Bild-Personen reagieren intensiv auf diesen prekären und höchst dramatischen Moment der Verwechslung und Alexanders Reaktion auf sie. Ihre Affekte sind Mimik und Gestik ablesbar und werden wenige Jahre später von Le Brun in einem Akademie- Vortrag „Sur l’ expression générale et particulière” kodifiziert: Entzücken, Erstaunen, Mutlosigkeit und Hoffnung – es ist die Vielfalt, die malerische Qualität ausmacht.
Das Gemälde hatte großen Erfolg; Le Brun wurde zum „Premier Peintre du Roi” ernannt, in den Adelstand erhoben und erhielt den Auftrag für den Alexander-Zyklus. Doch in ihm wird nun ein anderes Erzählkonzept favorisiert: Statt des dramatischen das epische, das für die Darstellung von Schlachten ungleich geeigneter war. Dieses Muster ermöglicht es, eine Vielzahl untereinander verbundener Szenen ins Bild zu setzen, ohne dass diese ihren Sinn allein aus dem Handlungshöhepunkt beziehen.
Mit Maßen von über zwölf Metern Breite sprengten die Gemälde alles bislang Gesehene und können, wie Kirchner überzeugend argumentiert, nur für die Grand Galerie des Louvre geplant gewesen sein. Doch alle Überlegungen zum epischen oder dramatischen Helden erwiesen sich als nutzlos, als der Sonnenkönig seinen Willen änderte und kurzerhand die Residenz nach Versailles verlegte – lange bevor Le Bruns Alexander-Zyklus vollendet war: Auch gut hundert Meter bereits konzipierter Bildfläche hielten Ludwig nicht davon ab, den Louvre aufzugeben.
Kirchners Darstellung ist plausibel, seine gründliche Aufarbeitung der kunsttheoretischen Debatten wird seinem Buch den verdienten Platz sichern; nicht immer überzeugend ist die Terminologie, etwa die streng dichotome Verwendung der Begriffe „Kunst” und „Inhalt”; doch das mindert den Wert der Studie als grundlegende Arbeit zur französischen Kunstpolitik nicht. VALESKA VON ROSEN
THOMAS KIRCHNER: Der epische Held. Historienmalerei und Kunstpolitik im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Wilhelm Fink Verlag, München 2001. 528 Seiten, 94,80 Euro.
Le Brun: Apotheose von Ludwig XIV. 1677. Magyar Szépmüvészeti Múzeum, Budapest.
Foto: Yorck Project
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2002

Der Sonnenkönig sorgt sich um sein Image
Politik und Malerei: Zwei Studien rücken die Kunst im Zeitalter Ludwigs XIV. in ein neues Licht

"Daher ist Dichtung etwas Philosophischeres und Ernsthafteres als Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das Allgemeine, die Geschichtsschreibung hingegen das Besondere mit." Wenigen Sätzen der antiken Dichtungslehre ist eine vergleichbare Wirkungsgeschichte in der frühneuzeitlichen Kunsttheorie beschieden gewesen wie dieser Formulierung aus der "Poetik" des Aristoteles: Rechtfertigte sie bei der Komposition von Historiengemälden doch eine Bevorzugung des dichterisch "Wahrscheinlichen" vor dem historisch "Wahren" und damit zugleich ein hohes Maß an künstlerischer Freiheit. Dieses Problem bildete in einer breiten Überlieferungstradition den zentralen Gegenstand der Dichtungslehre und Kunsttheorie des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts und wurde nirgends so intensiv diskutiert wie im Frankreich Ludwigs XIV.

Das Erscheinen von zwei bedeutenden Büchern zur französischen Kunstpolitik des siebzehnten Jahrhunderts macht deutlich, daß die deutschsprachige Kunstgeschichtsforschung auf diesem Gebiet den internationalen Vergleich nicht scheuen muß. Thomas Kirchner, der sich bereits 1991 durch eine Studie zu Charles Le Brun und den "Expressions des Passions" ausgewiesen hatte, liefert jetzt den großen historischen Rahmenentwurf zu seiner wegweisenden Analyse der akademischen Affektenlehre. Jutta Held wiederum greift nochmals Charles Le Brun heraus und erläutert seine Kompetenz als Theoretiker des Historienbildes anhand der berühmten Vorlesungsreihe, die 1667 und 1668 an der Pariser Akademie gehalten wurde: Es ist der Zugriff des absolutistischen Staates auf den akademischen Kunstdiskurs, der im Frankreich des siebzehnten Jahrhunderts paradigmatisch durchgespielt wurde.

Kirchner liest die politische Indienstnahme der Künste als eine Entwicklungsgeschichte, an deren Ende der epische Historienzyklus als Bildgattung steht. Über einzelne Stationen der Vorgeschichte kann Kirchner nachweisen, auf welchen Traditionen der Image-Entwurf des Sonnenkönigs beruhte: Schon das Porträt des Königs avancierte zum Idealbild des perfekten Herrschers. Im Zentrum der Abhandlung steht der monumentale, zwischen 1664 und 1673 entstandene, unvollendet gebliebene Gemäldezyklus der Taten Alexanders des Großen von Charles Le Brun, der wohl als die spektakulärste künstlerische Huldigung an Ludwig XIV. zu begreifen ist. Allein die Größe der Gemälde stellte alle allegorischen oder mythologischen Bildprogramme Frankreichs in den Schatten: Zusammengenommen hätte der Zyklus eine Hängefläche von etwa hundert Metern einnehmen müssen, weshalb eigentlich nur an die Grande Galerie des Louvre als Bestimmungsort zu denken ist.

Ideale Helden oder wahre Taten?

Kirchner interessieren weniger Fragen der politischen Ikonologie und der Anspielungen auf den Herrscher als die spezifische formale Machart dieser Gemälde: In ihnen erkennt er zu Recht den kühnen Entwurf einer epischen Malerei, die sich mit der edelsten literarischen Gattung der antiken Dichtung, dem heroischen Epos, zu messen hatte. In souveräner Kenntnis der Quellen läßt Kirchner die poetologische Diskussion um die Höherwertigkeit von Tragödie oder Epos auferstehen und verknüpft den literarischen Diskurs mit der Frage nach den Regeln für das vollendete Historienbild. Die Parallelisierung der Viten von Alexander und Ludwig XIV. war in der Panegyrik weit verbreitet. Die Schlachten des antiken Herrschers wurden mit den zeitgenössischen Feldzügen verglichen, was zu einer Aufwertung der Schlachtenmalerei führte. Den Prototyp hatte die italienische Renaissance mit den Kartons von Leonardo und Michelangelo, vor allem aber mit der "Sala di Costantino" im Vatikan (1524) bereitgestellt, in der Giulio Romano den Sieg Kaiser Konstantins an der Milvischen Brücke in einer atemberaubenden tour de force durch antike Pathosformeln auf die Wand gebracht hatte.

Historische Treue und archäologische Exaktheit blieben jedoch nicht die einzigen Forderungen an die Gattung: Die Bilder sollten auch einen größeren Handlungsrahmen evozieren und Anhaltspunkte für die moralphilosophische Reflexion bieten - dies berührte wiederum die so viel diskutierte ästhetische Kategorie des "Wahrscheinlichen". Hier setzt Kirchners Kunsttheorie der "epischen Malerei" an, denn in Le Bruns Alexander-Zyklus verbindet sich die Darstellung der Ereignisse mit der Evokation von Episoden, die das Kontinuum der Handlung erhellen und den Bildgegenstand zugleich zum Tugendexemplum erheben. Die repräsentative Historienmalerei konnte mit den Mitteln künstlerischer vraisemblance auch Inhalte darstellen, die über die historische Faktizität erhaben waren: Damit besaß die antike Geschichte nicht nur moralische Vorbildfunktion, sondern diente zugleich zur Legitimation des absolutistischen Herrschers. Die an antiken Themen entwickelte Bildstrategie sollte auch für die Darstellung zeitgenössischer Ereignisse verwendet werden.

Doch mußte die Malerei auf die Kritik am idealen Helden reagieren, die sich in Historiographie und Poetologie zunehmend abzeichnete. Im Falle Ludwigs XIV. wurde der historische Vergleich bei der Repräsentation und seine Rolle als neuer Alexander zurückgedrängt. Dagegen rückten die eigenen militärischen Taten des Königs in den Mittelpunkt. Die Überlegenheit der Modernen über das Altertum war auch zentraler Gegenstand der literarischen "Querelle des Anciens et des Modernes", und man wird Kirchner darin folgen müssen, die Gründe für den Abbruch der Arbeiten an Le Bruns Alexander-Zyklus in dieser ideengeschichtlichen Transformation zu suchen: Le Bruns Nachfolgeprojekt der "Histoire du Roy" galt ausschließlich den militärischen Taten Ludwigs XIV.

Für zeitgenössische Schlachten war aber das an antiken Gegenständen entwickelte künstlerische Vokabular nur noch bedingt nutzbar: Moderne Schlachten mußten modern dargestellt werden. Damit war die historische Wahrheit als Kontrollinstanz wieder in ihrem vollen Recht eingesetzt. Zwar erscheint der König auf den Tapisserien in hervorgehobener Position, doch stellte er keineswegs mehr den Angelpunkt der Handlung wie im Alexander-Zyklus dar. Eindringlich beleuchtet Kirchner die Arbeit an der Form, in der ein zeitgenössisches Geschehen wiedergegeben werden konnte. Doch weist er zugleich nach, daß bei repräsentativen Ausstattungsprogrammen auf eine allegorische Einkleidung des Geschehens nicht verzichtet wurde: Sollte Aristoteles am Ende also recht behalten haben? Die Geschichte selbst, die nur das Besondere darstellt, konnte eben noch nicht Gegenstand allgemeiner philosophischer Belehrung sein.

Jutta Held klärt am Beginn ihrer Arbeit, daß es auch ihr weniger um ästhetische als vielmehr um funktionsgeschichtliche Fragen geht: Die Autorin betont die Verknüpfung der Kunsttheorie mit dem politischen Anspruchsdenken und der historischen Situation der Sprecher. Daß Kunst für den König nicht unbedingt schön sein muß, lehrt die Anschauung - daß die Staatskunst aber auch auf strengen gestalterischen Prinzipien basiert, legt erst die Lektüre des akademischen Theoriegebäudes nahe. Helds Buch gliedert sich in vier Teile: Es beginnt mit einem geschichtlichen Abriß der 1648 gegründeten Académie royale de peinture et de sculpture bis zum Tod Colberts. Als miniaturhaftes Abbild des zentralisierten Staates habe die Akademie schnell ihre egalitäre Struktur eingebüßt und mit dem Maler Charles Le Brun, dem Exekutivorgan Colberts, selbst einen gewissermaßen absolutistischen Herrscher erhalten. Colbert unterstanden die berühmten Gobelin-Manufakturen, die nicht nur einen Wirtschaftsfaktor ersten Ranges, sondern auch ein wichtiges Medium der königlichen Propaganda darstellten. Auf die historische Einleitung folgt eine Analyse ausgewählter Vorlesungen, die an der Akademie über die vorbildhaften Gemälde von Raffael, Tizian und Poussin gehalten wurden. Detailliert legt Held die Argumentationsstrategien und konträren Auffassungen der einzelnen Redner dar: Dabei hebt sich Le Bruns rationale Bildlektüre deutlich von der metaphysischen Aufladung der Ekphrasen eines Philippe de Champaigne, der den Jansenisten nahestand, ab.

Politische Einheit der Handlung.

Fällt schon bei Le Bruns Inspektion von Raffaels "Hl. Michael im Kampf mit dem Satan" eine empirische Herangehensweise auf, die mit dem religiösen Sujet gewissermaßen in Konflikt gerät, wenn sie vor allem nach der physikalischen Grundlage des schwebenden Erzengels fragt, so kulminiert das rationale deskriptive Verfahren in der berühmten Vorlesung über Poussins "Mannalese", in der das Akademie-Oberhaupt seine Prinzipien des perfekten Historienbildes darlegt: Die Handlung müsse so gebaut sein, daß sich alle Nebenszenen nicht nur in logischer Folge, sondern in geradezu mechanistischer Präzision aus der Haupthandlung herleiten lassen. Das Gemälde sei kein historischer Tatsachenbericht, da dem Maler die Freiheit zugebilligt werden muß, die Einheit der Bildhandlung erst durch eine geschickte Zusammenführung zu erzeugen - bereits für Kirchner ein Indiz für die "epische" Form der Malerei, die sich narrativ erschließt.

Held prüft die kunsttheoretischen Äußerungen auf ihre politische Konnotation und ihren semantischen Zusammenhang mit Moralistik und Staatsphilosophie. Diese Untersuchung, etwa des Begriffs der "union", mündet in die Hauptthese des Buches, der zufolge eine enge Beziehung der ästhetischen Ideale mit der Staatslehre des Absolutismus auszumachen sei. Können die ästhetischen Gestaltungsprinzipien in bezug auf die Einheit der Handlung, die Subordination von Nebenszenen und die Zentralisierung der Bildkomposition wirklich mit dem politischen Diskurs der Zeit harmonisiert werden? Held erkennt in Le Bruns Postulat des Historienbildes nach dem Muster Poussins ein Äquivalent zum Konstrukt des gesellschaftlichen Zusammenhaltes im absolutistischen Staat: Auch dort finden sich die Individuen als Glieder in den Staatskörper eingebunden. Selbst die herausragende politische Funktion des Souveräns spiegele sich noch in dem kompositorischen Konstrukt biblischer Historien wie der "Blindenheilung" Poussins, bei der Christus das verbindende Zentrum der Handlung darstellt - womit sich das Bild des Souveräns über den Handlungszusammenhang des Historiengemäldes gelegt hätte. Der Band wird von einem Anhang beschlossen, der neben dem Abdruck der Originaltexte in der Ausgabe von 1725 erstmals eine vollständige Übersetzung der sieben Vorlesungen und der Vorrede ins Deutsche enthält.

Man kann es verkürzt sagen: Wenn der Leser sich durch den gelegentlich änigmatischen terminologischen Faltenwurf von Jutta Helds Buch durcharbeitet, so wird er manchen edlen Gedanken finden - strebt er aber nach umfassender historischer Belehrung, so greife er zu Kirchners Werk: Das Allgemeine und das Besondere - beiden eignet eben eine eigene Form der Belehrung.

MICHAEL THIMANN.

Thomas Kirchner: "Der epische Held". Historienmalerei und Kunstpolitik im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Wilhelm Fink Verlag, München 2001. 528 S., 117 S/W-Abb., geb., 94,80 [Euro].

Jutta Held: "Französische Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts und der absolutistische Staat". Le Brun und die ersten acht Vorlesungen an der königlichen Akademie, Berlin. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2001. 422 S., 8 Farbtafeln, br., 49,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Im Zentrum von Thomas Kirchners groß angelegter Studie steht die Analyse des großen, unvollendet gebliebenen Gemäldezyklus', mit dem - durch die Darstellung der Taten Alexanders des Großen - Charles Le Brun seinem Herrscher Ludwig XIV. huldigte. Die Vorgeschichte der Historienmalerei, die Kirchner schildert, lässt er auf dieses Werk zulaufen und setzt es in Beziehung zum heroischen Epos der Antike, also zu Fragen der literarischen Poetik wie der, ob die Tragödie oder das Epos höher zu schätzen seien. Der Dichtung nahe steht die Historienmalerei nicht zuletzt in der Forderung nach der Verallgemeinerbarkeit des Gezeigten, nach "moralphilosophischer Reflexion", wie es der Rezensent Michael Thimann formuliert. Bei der modernen Schlachtenmalerei war genau das jedoch, wie Kirchner zeigt, schwierig geworden: zeitgenössische Schlachten mussten "modern gezeigt werden". Dies ist, so das Fazit Michael Thimanns, ein "bedeutendes" Buch, das den "internationalen Vergleich" nicht scheuen muss.

© Perlentaucher Medien GmbH