Gemeinhin glauben die Leute, was der Bichel sagt. Er redet wie ein gelehrter Mann, wie ein Pfarrer oder ein studierter Doktor, und ist doch nur ein einfacher Viehhändler. Aber der Bichel kann erzählen. Diese Gabe ist nicht jedem gegeben. Der Bichel versteht es, die Leute in seinen Bann zu ziehen. Einen magischen Spiegel soll der Bichel besitzen, so hört man. Darin könne man geliebte Menschen sehen. Und der Spiegel verfüge über prophetische Kräfte, sage einem die Zukunft voraus. Nur über den Erdspiegel sprechen dürfe man nicht. Schlechte Gedanken reichten, um ihn zu zerstören. Und noch viel Schlimmeres könnten Zweifel und Unglauben anrichten! Seine Kritiker schimpfen den Bichel einen Menschenfänger, doch die meisten glauben ihm, wollen ihm glauben, dass sie ein besseres, ein leichteres Leben verdient haben. Die meisten - das sind junge Mädchen, hübsche und fleißige Töchter armer Tagelöhner. Sie mögen naiv und leichtgläubig sein, aber sie haben Träume. Bis eine nach der anderen plötzlich verschwindet ...
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Andrea Maria Schenkel hat für ihren historischen Krimi den Gerichtsbericht von Paul Johann Anselm von Feuerbach zur Vorlage genommen, informiert Rezensent Jan Drees. Feuerbach berichtete über den Prozess gegen einen Frauenmörder, der seine Opfer in die Falle lockte, in dem er versprach, ihnen den Erdspiegel zu zeigen, mit dem sie in die Zukunft würden sehen können, erfahren wir. Drees bekennt, dass er sehr viel lieber das Original von Feuerbach gelesen hat als Schenkels Krimi, der sich für ihn all zu sehr an der Schilderung der bestialischen Morde ergötzt. "Gewaltpornografie" nennt Drees das.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.2023Fasziniert vom Serienmörder
Andrea Maria Schenkel verfällt wieder einem echten Verbrechen
Der Bichel ist gewandt mit Worten. Wenn der Viehhändler in der Kneipe seine Geschichten erzählt, hängen die Menschen an seinen Lippen. Nur manchen fällt auf, dass er es anscheinend genießt, sein Publikum zu manipulieren. Er hat Freude daran, die Menschen hinters Licht zu führen, und wenn er lächelt, tut das zwar sein Mund, nie aber seine Augen. Doch das fällt den Frauen nicht auf, die der Bichel in sein Haus einlädt. Er verspricht ihnen, in die Zukunft blicken zu können dank eines Zauberwerkzeugs, des mystischen Erdspiegels.
Sie kommen und bringen ihre schönsten Kleider mit, denn das ist eine der Bedingungen, damit der Zauber gelingen kann. Einmal in der abgedunkelten Stube des Bichels angelangt, nimmt es mit ihnen schnell ein Ende, denn der Bichel ist nicht nur ein geschickter Manipulator, er ist auch ein Serienmörder.
Andrea Maria Schenkel ist für ihren Roman "Der Erdspiegel" zu ihren Wurzeln zurückgekehrt. Abermals widmet sie sich einem historisch verbürgten Kriminalfall. Schon in ihrem Debüt "Tannöd", das zum Millionenbestseller wurde, sowie in drei weiteren Romanen ("Kalteis", "Finsterau" und "Täuscher") hatte sie sich von realen historischen Fällen inspirieren lassen. Zuletzt folgte mit "Als die Liebe endlich war", in dem sie eine Geschichte jüdischer Auswanderer in Amerika erzählte, ein Ausflug außerhalb des Kriminalgenres. Der blieb jedoch kurz, denn "Der Erdspiegel" taucht abermals in die Untiefen realer Kriminalfälle ab und referiert auf den Fall eines Serienmörders in der Nähe von Regensburg um das Jahr 1811.
"Berichte über Kriminalfälle zogen schon vor über zweihundert Jahren Leser an, und daran hat sich bis heute nichts geändert", schreibt Schenkel in ihrer Danksagung und verweist auf die Aufzeichnungen des Rechtsgelehrten Paul Johann Anselm von Feuerbach, in dessen Textsammlung "Merkwürdige Criminal-Rechtsfälle" von 1811 sich der Fall des Andreas Bichel fand. Schenkel verwendet in diesem Zusammenhang die Bezeichnung "True Crime", die in den vergangenen Jahren besonders in der Welt der Podcasts für das Erzählen "echter" Kriminalfälle in Mode kam.
Schenkel tappt leider mit ihrem Buch auch in genau jene Falle, in die viele der "True Crime"-Formate laufen: Die Faszination für den Täter und seine Verbrechen ist die Motivation für das Erzählen der Geschichte. Es geht hier nicht um die gesellschaftlichen oder psychologischen Umstände, die zu den Taten führten. Auch die Opfer sind nur Vehikel zum Erzählen der grausigen Geschichte.
Die Autorin pflegt nicht nur sprachlich einen einfachen Stil, sie verharrt auch bei ihrer Fiktionalisierung an der Oberfläche, entwirft die Frauen, die der Bichel tötet, nicht als Charaktere, umreißt Schauplätze nur als grobe Skizzen. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die blutigen Verbrechen. Großen Raum nimmt die ausführliche Beschreibung der zerstückelten Leichen ein, als Ermittler sie ausgraben - über mehrere Seiten suhlt sich der Text in blutigen Details. Man hätte sich mehr Ideenreichtum und einen tiefgründigen Perspektivwechsel auf die Frauen auf den restlichen Seiten des Buches gewünscht. MARIA WIESNER
Andrea Maria
Schenkel: "Der Erdspiegel". Roman.
Kampa Verlag, Zürich 2023. 192 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Andrea Maria Schenkel verfällt wieder einem echten Verbrechen
Der Bichel ist gewandt mit Worten. Wenn der Viehhändler in der Kneipe seine Geschichten erzählt, hängen die Menschen an seinen Lippen. Nur manchen fällt auf, dass er es anscheinend genießt, sein Publikum zu manipulieren. Er hat Freude daran, die Menschen hinters Licht zu führen, und wenn er lächelt, tut das zwar sein Mund, nie aber seine Augen. Doch das fällt den Frauen nicht auf, die der Bichel in sein Haus einlädt. Er verspricht ihnen, in die Zukunft blicken zu können dank eines Zauberwerkzeugs, des mystischen Erdspiegels.
Sie kommen und bringen ihre schönsten Kleider mit, denn das ist eine der Bedingungen, damit der Zauber gelingen kann. Einmal in der abgedunkelten Stube des Bichels angelangt, nimmt es mit ihnen schnell ein Ende, denn der Bichel ist nicht nur ein geschickter Manipulator, er ist auch ein Serienmörder.
Andrea Maria Schenkel ist für ihren Roman "Der Erdspiegel" zu ihren Wurzeln zurückgekehrt. Abermals widmet sie sich einem historisch verbürgten Kriminalfall. Schon in ihrem Debüt "Tannöd", das zum Millionenbestseller wurde, sowie in drei weiteren Romanen ("Kalteis", "Finsterau" und "Täuscher") hatte sie sich von realen historischen Fällen inspirieren lassen. Zuletzt folgte mit "Als die Liebe endlich war", in dem sie eine Geschichte jüdischer Auswanderer in Amerika erzählte, ein Ausflug außerhalb des Kriminalgenres. Der blieb jedoch kurz, denn "Der Erdspiegel" taucht abermals in die Untiefen realer Kriminalfälle ab und referiert auf den Fall eines Serienmörders in der Nähe von Regensburg um das Jahr 1811.
"Berichte über Kriminalfälle zogen schon vor über zweihundert Jahren Leser an, und daran hat sich bis heute nichts geändert", schreibt Schenkel in ihrer Danksagung und verweist auf die Aufzeichnungen des Rechtsgelehrten Paul Johann Anselm von Feuerbach, in dessen Textsammlung "Merkwürdige Criminal-Rechtsfälle" von 1811 sich der Fall des Andreas Bichel fand. Schenkel verwendet in diesem Zusammenhang die Bezeichnung "True Crime", die in den vergangenen Jahren besonders in der Welt der Podcasts für das Erzählen "echter" Kriminalfälle in Mode kam.
Schenkel tappt leider mit ihrem Buch auch in genau jene Falle, in die viele der "True Crime"-Formate laufen: Die Faszination für den Täter und seine Verbrechen ist die Motivation für das Erzählen der Geschichte. Es geht hier nicht um die gesellschaftlichen oder psychologischen Umstände, die zu den Taten führten. Auch die Opfer sind nur Vehikel zum Erzählen der grausigen Geschichte.
Die Autorin pflegt nicht nur sprachlich einen einfachen Stil, sie verharrt auch bei ihrer Fiktionalisierung an der Oberfläche, entwirft die Frauen, die der Bichel tötet, nicht als Charaktere, umreißt Schauplätze nur als grobe Skizzen. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die blutigen Verbrechen. Großen Raum nimmt die ausführliche Beschreibung der zerstückelten Leichen ein, als Ermittler sie ausgraben - über mehrere Seiten suhlt sich der Text in blutigen Details. Man hätte sich mehr Ideenreichtum und einen tiefgründigen Perspektivwechsel auf die Frauen auf den restlichen Seiten des Buches gewünscht. MARIA WIESNER
Andrea Maria
Schenkel: "Der Erdspiegel". Roman.
Kampa Verlag, Zürich 2023. 192 S., geb., 22,- Euro.
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