Jonas Wergeland, berühmter Fernsehstar Norwegens und auf dem Gipfel des Ruhms, ist tief gestürzt. Er ist des Mordes an seiner Frau Margrete angeklagt. In seinem facettenreichen Roman spürt der bedeutende norwegische Romancier Jan Kjaerstad den Rätseln von Jonas Wergelands Leben nach. Er war ein blendender Selbstdarsteller, ein Karrierist mit Hunger nach Macht und ein erfolgreicher Verführer der Frauen. Doch nun sitzt Jonas Wergeland als Mörder im Gefängnis. Ein Professor der Geschichte soll die Biographie des einstigen Publikumslieblings schreiben, doch er hat zu viel Material, zu viele Fragen - verändert man ein Leben, indem man es erzählt? Die Biographie will nicht gelingen. Eine geheimnisvolle Frau kommt dem Professor zu Hilfe. Wie Scheherazade erzählt sie ihm, der gebannt mitschreibt, Geschichten aus Jonas' Leben. Von der Kindheit, von Freundschaft, Verrat und Liebe, von Margrete, der Frau, die er als einzige wirklich geliebt hat. Wie ein Puzzle setzt sich ein Leben zusammen,
aber anders als erwartet ist es ein Leben der Mittelmäßigkeit. Um sich einen Platz an der Spitze zu erobern, vertuschte Jonas erfolgreich seine Banalität; in seinem Verhältnis zu Margrete wird sie ihm jedoch zum Verhängnis. Erneut löst Jan Kjaerstad mit seiner Fabulierkunst und Bilderflut, seinem literarischen Können und Ideenreichtum, seinen wunderbar erzählten Geschichten einen regelrechten Leserausch aus.
aber anders als erwartet ist es ein Leben der Mittelmäßigkeit. Um sich einen Platz an der Spitze zu erobern, vertuschte Jonas erfolgreich seine Banalität; in seinem Verhältnis zu Margrete wird sie ihm jedoch zum Verhängnis. Erneut löst Jan Kjaerstad mit seiner Fabulierkunst und Bilderflut, seinem literarischen Können und Ideenreichtum, seinen wunderbar erzählten Geschichten einen regelrechten Leserausch aus.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2002Zwischen Barks und Marx
Phantom der Atome: Jan Kjaerstad bleibt relativ unscharf
In der Mai-Ausgabe der literarischen Zeitschrift "Schreibheft" aus dem letzten Jahr wurden dem Norweger Jan Kjaerstad viele Seiten freigehalten. Die packte er randvoll. Er schrieb über Quantenphysik, Literatur, Musik, Informations- und Gentechnologie. Sein Vorhaben war kein geringes: "Ich werde einen Versuch unternehmen abzuschätzen, ob die Quantenphysik uns einen Fingerzeig für eine mögliche neue Prosa geben kann. Ich werde erörtern, inwieweit uns die Quantenphysik in der Reflexion darüber, was eine Erzählung ist und wie sich Einzelgeschichten miteinander verbinden lassen, Anregungen geben kann. Die Absicht ist also in gewisser Weise, ein neues Atommodell für die Prosa zu finden."
Aus diesem Gebirge kommt eine Maus, und die Maus piepst nicht besonders originell. Kjaerstad mag Sprünge und Risse im Dasein, ein Gewebe von Einzelgeschichten, statt Kausalitäten, Linearität und die langweilige Vorstellung von der einzig wahren Geschichte. Literatur und Wirklichkeit, Fiktion und Physik - der Schriftsteller packt den Tiger Niels Bohr in den Tank der Literatur und drückt aufs Gaspedal.
Wohin das führt, zeigt sein Roman "Der Eroberer". Wie der Vorgänger "Der Verführer" dreht sich die Geschichte um Jonas Wergeland, einen einsamen Star des norwegischen Kulturfernsehens. Wergeland erschießt seine Frau aus dem üblichen Grund - weil die Frau mit Seitensprüngen aus der ehelichen Linearität ausschert. So billig wie dieses Ende soll das Leben des Helden nicht sein. Es setzt sich aus Geschichten, manchmal leise und weise, wer weiß schon mehr, zusammen. Die Geschichten werden von einer unbekannten Frau in einer Reihenfolge erzählt, deren Prinzip weder die Chronologie noch die Kausalität ist. Sondern: die Fügung. Na und, rufen wir, denen diese sogenannten Fügungen keinen Schauer über den Rücken jagen. Das Leben ist ein Molekül aus Hunderten von Atomen, die voneinander nichts wissen, aber miteinander verwandt sind, Ähnlichkeiten aufweisen: die gleiche Nase, die gleichen Füße und so weiter. Ein Professor möchte es riskieren und eine Biographie über den verurteilten Wergeland schreiben, und er empfängt die redselige Unbekannte mit offenen Ohren und offenen Armen.
Wir sitzen unterdessen mit verschränkten Armen da. Wir dösen nicht, aber wir sehen tatenlos zu, wie die norwegische Literatur in Geschwätz und Geschwafel untergeht. Was sollten wir anderes tun? Wenn wir nicht mit verschränkten Armen dasitzen würden, dann hätten wir uns spätestens auf Seite 22 nicht mehr im Griff gehabt und das Buch zugeklappt. Wir lesen dort zum Beispiel, was wir gerne für einen schlechten Witz halten würden, doch wir wissen schon hier, daß uns diese Vermutung leider immer wieder im Stich lassen wird - es ist bitterernst gemeint: "Eines Tages, Professor, wird jemand eine dicke Abhandlung darüber schreiben, welchen Einfluß Carl Barks auf ein paar Generationen von Europäern gehabt hat. Carl Barks, ja - nicht Karl Marx." Ist das nicht - wagen wir es, sagen wir es mit Niels Bohr - eine tollkühn von Kjaerstad gedachte Komplementarität von kapitalem Klang und kapitalistischer Kultur?
So geht's weiter - unverdrossen der Autor, wir mit anschwellendem Verdruß. Das Plateau der Platitüden zieht sich endlos hin. Noch auf Seite 535 wird der Frau des Helden, die allein schon wegen diesem Satz allen Grund hätte, mit dem eigenen Tod zu rechnen, ein zuckersüßes Bonmot in den Mund gelegt: ",Es braucht Zeit', sagte Margrete, als könnte sie seine Gedanken lesen. ,Es braucht Zeit, ein Mensch zu werden.'" Und wir? Wir, die wir unsere Gedanken lesen können, wir denken an die Zeit und die enorme Geduld, die es braucht, um die Lektüre dieses Buches zu Ende zu bringen, das sprachlich verklebt und intellektuell verquast ist, weshalb kein einziger Riß und kein einziger Sprung durch das daher- und dahinschwadronierte Dasein gehen. Der dritte Band der Trilogie über Jonas Wergeland wird noch übersetzt. Er soll "Der Entdecker" heißen.
EBERHARD RATHGEB
Jan Kjaerstad: "Der Eroberer". Roman. Aus dem Norwegischen übersetzt von Angelika Gundlach. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002. 539 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Phantom der Atome: Jan Kjaerstad bleibt relativ unscharf
In der Mai-Ausgabe der literarischen Zeitschrift "Schreibheft" aus dem letzten Jahr wurden dem Norweger Jan Kjaerstad viele Seiten freigehalten. Die packte er randvoll. Er schrieb über Quantenphysik, Literatur, Musik, Informations- und Gentechnologie. Sein Vorhaben war kein geringes: "Ich werde einen Versuch unternehmen abzuschätzen, ob die Quantenphysik uns einen Fingerzeig für eine mögliche neue Prosa geben kann. Ich werde erörtern, inwieweit uns die Quantenphysik in der Reflexion darüber, was eine Erzählung ist und wie sich Einzelgeschichten miteinander verbinden lassen, Anregungen geben kann. Die Absicht ist also in gewisser Weise, ein neues Atommodell für die Prosa zu finden."
Aus diesem Gebirge kommt eine Maus, und die Maus piepst nicht besonders originell. Kjaerstad mag Sprünge und Risse im Dasein, ein Gewebe von Einzelgeschichten, statt Kausalitäten, Linearität und die langweilige Vorstellung von der einzig wahren Geschichte. Literatur und Wirklichkeit, Fiktion und Physik - der Schriftsteller packt den Tiger Niels Bohr in den Tank der Literatur und drückt aufs Gaspedal.
Wohin das führt, zeigt sein Roman "Der Eroberer". Wie der Vorgänger "Der Verführer" dreht sich die Geschichte um Jonas Wergeland, einen einsamen Star des norwegischen Kulturfernsehens. Wergeland erschießt seine Frau aus dem üblichen Grund - weil die Frau mit Seitensprüngen aus der ehelichen Linearität ausschert. So billig wie dieses Ende soll das Leben des Helden nicht sein. Es setzt sich aus Geschichten, manchmal leise und weise, wer weiß schon mehr, zusammen. Die Geschichten werden von einer unbekannten Frau in einer Reihenfolge erzählt, deren Prinzip weder die Chronologie noch die Kausalität ist. Sondern: die Fügung. Na und, rufen wir, denen diese sogenannten Fügungen keinen Schauer über den Rücken jagen. Das Leben ist ein Molekül aus Hunderten von Atomen, die voneinander nichts wissen, aber miteinander verwandt sind, Ähnlichkeiten aufweisen: die gleiche Nase, die gleichen Füße und so weiter. Ein Professor möchte es riskieren und eine Biographie über den verurteilten Wergeland schreiben, und er empfängt die redselige Unbekannte mit offenen Ohren und offenen Armen.
Wir sitzen unterdessen mit verschränkten Armen da. Wir dösen nicht, aber wir sehen tatenlos zu, wie die norwegische Literatur in Geschwätz und Geschwafel untergeht. Was sollten wir anderes tun? Wenn wir nicht mit verschränkten Armen dasitzen würden, dann hätten wir uns spätestens auf Seite 22 nicht mehr im Griff gehabt und das Buch zugeklappt. Wir lesen dort zum Beispiel, was wir gerne für einen schlechten Witz halten würden, doch wir wissen schon hier, daß uns diese Vermutung leider immer wieder im Stich lassen wird - es ist bitterernst gemeint: "Eines Tages, Professor, wird jemand eine dicke Abhandlung darüber schreiben, welchen Einfluß Carl Barks auf ein paar Generationen von Europäern gehabt hat. Carl Barks, ja - nicht Karl Marx." Ist das nicht - wagen wir es, sagen wir es mit Niels Bohr - eine tollkühn von Kjaerstad gedachte Komplementarität von kapitalem Klang und kapitalistischer Kultur?
So geht's weiter - unverdrossen der Autor, wir mit anschwellendem Verdruß. Das Plateau der Platitüden zieht sich endlos hin. Noch auf Seite 535 wird der Frau des Helden, die allein schon wegen diesem Satz allen Grund hätte, mit dem eigenen Tod zu rechnen, ein zuckersüßes Bonmot in den Mund gelegt: ",Es braucht Zeit', sagte Margrete, als könnte sie seine Gedanken lesen. ,Es braucht Zeit, ein Mensch zu werden.'" Und wir? Wir, die wir unsere Gedanken lesen können, wir denken an die Zeit und die enorme Geduld, die es braucht, um die Lektüre dieses Buches zu Ende zu bringen, das sprachlich verklebt und intellektuell verquast ist, weshalb kein einziger Riß und kein einziger Sprung durch das daher- und dahinschwadronierte Dasein gehen. Der dritte Band der Trilogie über Jonas Wergeland wird noch übersetzt. Er soll "Der Entdecker" heißen.
EBERHARD RATHGEB
Jan Kjaerstad: "Der Eroberer". Roman. Aus dem Norwegischen übersetzt von Angelika Gundlach. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002. 539 S., geb., 24,90 [Euro].
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"Eine formvollendete epische Symphonie ..., ein Roman, der Leichtigkeit und Gewicht vereint und viele Leser verdient." (Stavanger Aftenblad)