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Als seine Frau schwanger wird, kriegt Harri es mit der Angst zu tun: Überall lauern Gefahren für Mutter und Kind, ein früherer Seitensprung bereitet ihm Schuldgefühle. Als das Kind kerngesund geboren ist, steigern sich die Sorgen nur: Harri glaubt, daß er Aids hat (trotz negativem Testergebnis), er ahnt Verschwörungen, hat Angst vor Steinwürfen durchs Fenster und gibt schließlich seine Arbeit auf, um die Familie schützen zu können. Dabei wird schnell klar: Die größte Bedrohung für den Familienfrieden ist Harri selbst. Bei einer Autopanne kommt ihm Eero zu Hilfe, ein Sprücheklopfer und…mehr

Produktbeschreibung
Als seine Frau schwanger wird, kriegt Harri es mit der Angst zu tun: Überall lauern Gefahren für Mutter und Kind, ein früherer Seitensprung bereitet ihm Schuldgefühle. Als das Kind kerngesund geboren ist, steigern sich die Sorgen nur: Harri glaubt, daß er Aids hat (trotz negativem Testergebnis), er ahnt Verschwörungen, hat Angst vor Steinwürfen durchs Fenster und gibt schließlich seine Arbeit auf, um die Familie schützen zu können. Dabei wird schnell klar: Die größte Bedrohung für den Familienfrieden ist Harri selbst.
Bei einer Autopanne kommt ihm Eero zu Hilfe, ein Sprücheklopfer und finnisches Mannsbild, wie es im Buche steht. Eero nimmt Harri mit auf einen Wochenendtrip, sie gehen zum Tanzen, lassen sich von Frauen abschleppen, verursachen einen Saunabrand, geraten in eine religiöse Erweckungsbewegung - und Harri merkt, daß auch Eero nicht der perfekte Mann ist. Lakonisch, finnisch, schräg. Wer Kaurismäki mag, wird Petri Tamminen lieben.
Autorenporträt
Petri Tamminen, geb. 1966, studierte Kommunikationswissenschaft in Tampere und arbeitete danach als Redakteur bei verschiedenen finnischen Tageszeitungen. Seit dem Erscheinen seines ersten Buches ist er freier Autor und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in einem blauen Holzhaus in Vääksy, einer kleinen Ortschaft unweit von Lahti. Außer Büchern hat er Kolumnen, Radiofeatures und Zeitungsessays geschrieben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.2003

Ich fühl' mich krank, ich geh' zum Elchtest
Wo Männer noch wie Winterstiefel sind: Petri Tamminens finnischer Western packt die Klischees beim Geweih

Angst, das wissen wir seit Kierkegaard und Heidegger, ist die Grundbefindlichkeit der menschlichen Existenz. "Wovor die Angst sich ängstet", schrieb Heidegger, "ist das In-der-Welt-sein selbst." Die Angst ist der Schwindel vor dem Abgrund des Nichts, und wer sie nicht spürt, dem mangelt es bloß an Sensibilität dafür, wie dünn das Eis ist, auf dem wir lebenslänglich dahinschlittern. Um Angst als unübertretbaren Bewußtseinszustand geht es auch in Petri Tamminens "Der Eros des Nordens", dem ersten Roman des finnischen Autors, der nun in deutscher Übersetzung vorliegt.

Finnland, wo die Birken sich "vor der dunklen Wand des Waldes bogen wie Würmer, die aus einem Kadaver quollen", bewährt sich da als eine Landschaft, in der die Angst wie selbstverständlich gedeiht. In langen Winternächten kommt der Mensch, der die eigenen Überlebenschancen abwägt, naturgemäß zu anderen Resultaten als sagen wir ein Bewohner der Copacabana. Doch was wäre die Angst ohne ihr Gegenteil: ohne Lebenslust, Draufgängertum, Großmäuligkeit. Was wäre Finnland ohne die kurzen, hellen Sommer, die die sorglose Lächerlichkeit brünstiger Männer offenbart. Auch davon erzählt Tamminen. Und weil es übersichtlicher ist, verteilt er die beiden Haltungen auf zwei gegensätzliche Figuren und auf zwei sehr unterschiedliche Romanhälften, die man sich durchaus auch in einer Verfilmung von Aki Kaurismäki vorstellen könnte.

Der erste Teil spielt in der Stadt. Er ist im Imperfekt erzählt und liest sich wie das ärztliche Protokoll einer Psychose. Anders als unter pathologischen Gesichtspunkten kann man das Verhalten des jungen Reporters Harri auch nicht beschreiben, bei dem sich Paranoia und Hypochondrie zum geschlossenen Wahnsystem verdichten. Ausgelöst durch die Schwangerschaft seiner Frau und die Geburt der Tochter, wird ihm die Verletzlichkeit des Lebens bewußt, so daß Tod und Vernichtung überall zu lauern scheinen. Jeder Mensch, der ihm auf der Straße begegnet, wird zu einer bakteriologischen Bedrohung. Das Kinderbett muß vom Fenster weggerückt werden, es könnte ja jemand einen Stein hereinwerfen. Harri fühlt sich von Männern in schwarzen Limousinen verfolgt, glaubt sich von Aids infiziert und läßt sich auch von einem negativen Testergebnis nicht belehren.

Es ist evident, daß Ehe, Liebes- und Arbeitsfähigkeit unter dieser Generalverzagtheit leiden, daß Handlungen unmöglich sind, ja, daß die größte Gefahr für Harri nicht die Umwelt ist, sondern Harri selbst. So ist das Thema dieses ersten Teils der Stillstand, der sich aus der Angst ergibt: Stagnation und Verweigerung als Lebensbewältigungsstrategie.

Im zweiten Teil aber ist alles Bewegung und reine Gegenwart. Mit dem Auftritt des munteren Sportjournalisten Eero beginnt ein Roadmovie hinein ins Leben, und Harri spürt schon bald, wie alle Schwierigkeiten hinter dem Auto zurückbleiben. Eero nimmt den ängstlichen Freund mit auf einen sehr finnischen Wochenendausflug ins mittlere Ostbottnien, wo er ihm willige Frauen verspricht und heiter betrunkene Menschen lustige Tanzfeste feiern. Eero weiß, daß jeder Augenblick ausgekostet werden muß: Die Zeit ist kurz, aber sie ist jetzt. Und deshalb gilt es zuzupacken. Für ihn ist das Leben in Eishockeymetaphern vollständig abbildbar. Harri bezweifelt das, aber er spielt gerne mit, solange die Reise dauert, die für ihn eine Therapie ist.

Tamminen erzählt mit trockenem Sarkasmus und mit der nüchternen Sachlichkeit des Dokumentaristen. Er schildert Gemütszustände, als handle es sich dabei um Dinge, die in der Gegend herumliegen. Er distanziert sich nicht von seinen Figuren, so daß Harris Angst und Eeros Angeberei ganz zweifelsfrei den Zustand der Welt wiederzugeben scheinen. In satirischer Erwartungserfüllung verbreiteter Finnland-Klischees läßt er nichts aus, was naturgemäß dazugehört: eine traurige Elchgeschichte, eine abbrennende Sauna und Männer mit der zur Schau getragenen Ausdruckslosigkeit toter Kiefern. Männer sind wie Winterstiefel, sagt Eero: "Stark beansprucht und schlecht gepflegt." Wenn der Western nicht aus Amerika käme, wäre er wohl in Finnland erfunden worden.

Am Ende, kaum zu Frau und Kind zurückgekehrt, springt die Erzählung ins Imperfekt zurück. Harri, der sich unter der Dusche die Haare wäscht, fürchtet, Shampoo in die Augen zu bekommen. Das ist eingedenk seiner existentiellen Anfangsangst eine vernachlässigbare Sorge. Doch sicher sein, das weiß Harri, kann man sich nie. Tamminen überläßt seinen Helden damit sich selbst. Dessen Träume von sicheren Verstecken - Nischen unter Brücken, dichtem Gestrüpp oder dem Laderaum eines Express-Busses - hat er jedoch weitergeführt. Sein jüngstes, 2002 in Finnland erschienenes Buch ist eine Art Anleitung zum Aufspüren geeigneter Verstecke. Mit dieser merkwürdigen Selbstschutzfibel gelang Petri Tamminen in Finnland der Durchbruch. Hierzulande ist er noch zu entdecken. Der Suhrkamp Verlag könnte das unterstützen, wenn er den nächsten Tamminen nicht wieder im Taschenbuchprogramm verstecken würde.

Petri Tamminen: "Der Eros des Nordens". Roman. Aus dem Finnischen übersetzt von Stefan Moster. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 152 S., br., 8,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

In "Der Eros des Nordens" beschreibt der Autor Petri Tamminen verschiedene Bilder von Männlichkeit - "richtige Männer" und ängstliche "Zimperliesen" wie es Rezensentin Susanne Messmer auf den Punkt bringt. Harri, das Weichei mit seiner "unerträglichen Hypochondrie" und seinen "diffusen Superängsten", macht Messmer Angst: "So einen als Mann haben zu müssen, das mag man sich gar nicht vorstellen." Harris Sorgen haben ihren Ursprung in der Schwangerschaft seiner Frau und seiner Angst vor dem Vaterwerden. Und sie haben die Rezensentin "derart unterhaltsam auf die Palme" gebracht, dass sie das Buch "manchmal in die Tonne hauen" wollte. Aber alles wird anders, als Harri auf Eero trifft, der laut Rezensentin nicht "unbedingt stärker oder glücklicher ist als Harri; wo aber bei Harri alles nach hinten losgeht, wenn Schwierigkeiten auftauchen, da galoppiert Eero einfach nach vorn." In der sich entwickelnden Freundschaft zwischen den beiden ungleichen Männern entdeckt Messmer den Geist von Ernest Hemingway. Schöner hätte auch er nicht beschreiben können, wie Harri und Eero "gemeinsam Angelausflüge und Saufgelage veranstalten und wie sie es dann doch nicht schaffen, mit den Frauen, von denen sie sich abschleppen lassen, auch zu schlafen".

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