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Im Sommer 1858 wurde das erste elektrische Telegrafenkabel zwischen Europa und Amerika verlegt. Die spektakuläre Unterwasserverbindung sollte Raum und Zeit überwinden - ein Projekt, das größten technischen Aufwand und erhebliches finanzielles Engagement zu rechtfertigen schien. Es gilt als Geburtsstunde der virtuellen Kommunikation.Christian Holtorf zeigt allerdings mit der ersten Wissensgeschichte des Atlantikkabels, dass es sich bei diesem Unternehmen vielmehr zunächst um einen Fehlschlag handelte. Die Kabelverbindung funktionierte nur knapp vier Wochen. Seine Recherchen in britischen,…mehr

Produktbeschreibung
Im Sommer 1858 wurde das erste elektrische Telegrafenkabel zwischen Europa und Amerika verlegt. Die spektakuläre Unterwasserverbindung sollte Raum und Zeit überwinden - ein Projekt, das größten technischen Aufwand und erhebliches finanzielles Engagement zu rechtfertigen schien. Es gilt als Geburtsstunde der virtuellen Kommunikation.Christian Holtorf zeigt allerdings mit der ersten Wissensgeschichte des Atlantikkabels, dass es sich bei diesem Unternehmen vielmehr zunächst um einen Fehlschlag handelte. Die Kabelverbindung funktionierte nur knapp vier Wochen. Seine Recherchen in britischen, kanadischen und US-amerikanischen Archiven haben ergeben, dass Missverständnisse, Irrtümer und Fehlverhalten die technische Entwicklung bestimmten: Die Visionäre täuschten sich, die Ingenieure ruinierten die Technik, und die Investoren verloren ihr Geld.Erst kulturelle Veränderungen in der Gesellschaft und die Entstehung neuer wissenschaftlicher Disziplinen wie der Ozeanographie und der Elektrophysik brachten später die gewünschten Erfolge. Die Bedeutung des Kabels lag also weitaus weniger in Globalisierung und Beschleunigung der Kommunikation als vielmehr in Beobachtung und Erklärung von bis dahin unbekannten Naturphänomenen. Raum und Zeit gewannen eine neue Gestalt, doch ihre Überwindung fand (noch) nicht statt.
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Autorenporträt
Christian Holtorf, geb. 1968, ist Professor für Wissenschaftsforschung und Wissenschaftskommunikation an der Hochschule Coburg. Der Historiker und Kulturwissenschaftler arbeitete zuvor im Deutschen Bundestag und als Abteilungsleiter im Deutschen Hygiene-Museum Dresden. 2010 Fellow der Smithsonian Institution in Washington D.C. Veröffentlichungen u. a.: Escape! Computerspiele als Kulturtechnik (Hg. mit Claus Pias, 2007); Tiere. Eine andere Anthropologie (Hg. mit Hartmut Böhme, Thomas Macho u. a., 2004).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2013

Da schien die Macht von Raum und Zeit gebrochen

Erhellender Rückblick auf eine Medienutopie und ihre technische Basis: Christian Holtorf schildert die Verlegung des ersten transatlantischen Telegrafenkabels.

Die Telegrafie ist eine aussterbende Technologie. Als praktisches Kommunikationsmittel dürfte sie den meisten heute nur noch aus Historienfilmen und Technologiemuseen bekannt sein. Vielerorts (zuletzt vor einigen Wochen in Indien) sind die Telegrafenämter geschlossen worden, anderswo führen sie ein Nischendasein für besondere, bisweilen skurrile Zwecke. Doch je weniger Telegramme versendet werden, so scheint es, desto mehr Bücher werden über die Telegrafie geschrieben - wofür es neben bloßer Faszination für alte Technologien auch gewichtige wissenschaftliche Gründe gibt: Die Daten einer in London abgeschickten und in New York abgerufenen E-Mail werden noch heute meist durch Unterwasserkabel im Atlantischen Ozean geleitet, und die technische Basis für das Kabelnetz, das dieses Wunder möglich macht, wurde vor über hundertfünfzig Jahren mit der Telegrafie geschaffen.

Das Telegrafennetz war zudem die erste stabile Lösung für ein grundlegendes Problem, an dem letztlich alle Telekommunikationstechnologien ansetzen: das Kommunikationstempo vom Personen- und Güterverkehr abzulösen, so dass Informationen verlässlich schneller reisen können als Menschen oder Dinge. Diese Pionierrolle als Verkabelungs-, Beschleunigungs- und Globalisierungsprojekt, die Tom Standage zu der schönen Retrospektivmetapher vom "viktorianischen Internet" beflügelte, macht die Telegrafie zu einem zentralen Thema der heutigen Medien- und Globalisierungsforschung.

Das Buch des in Coburg lehrenden Wissenschaftshistorikers Christian Holtorf widmet sich einer Episode aus der Telegrafiegeschichte, der Verlegung des ersten Transatlantikkabels, die auf den ersten Blick wenig geeignet erscheint, Erforscher des heutigen globalen Zeitalters von den Sitzen zu reißen. Denn die Verbindung funktionierte im Sommer 1858 nur für wenige Wochen. Wenn die Telegrafie Globalisierungsprozesse angestoßen hat, kann es also am ersten Transatlantikkabel kaum gelegen haben; eine zuverlässigere Verbindung folgte erst 1866.

Holtorf gelingt es gleichwohl, diese Geschichte auch über ihre musealen Reize hinaus interessant zu machen, indem er die Rede von der "dematerialisierenden" Beschleunigung der Kommunikation (Roland Wenzlhuemer) umkehrt und sich für die durchaus materiellen Qualitäten und die naturwissenschaftliche Wissensbasis interessiert, auf die Kommunikationstechnologien angewiesen sind. Aus dieser Perspektive drängt sich in der Tat gerade diese Episode vom Anfang der Telekommunikationsgeschichte auf, da aufgrund mangelnder Erfahrungen mit solchen Technologien nicht nur das Scheitern wahrscheinlich war, sondern auch die Chance groß, aus diesem Scheitern neues Wissen zu gewinnen. Die Geschichte dieses produktiven Scheiterns erzählt Holtorf in sechs sorgfältig recherchierten, klar geschriebenen, reich illustrierten und sinnvoll auf drei Themenblöcke ("Konstruktionen des Raums", "Aporien der Beschleunigung" und "Ökonomien der Globalisierung") aufgeteilten Kapiteln.

Der Kern der Story lässt sich so zusammenfassen: Die Initiative zur Idee eines transatlantischen Kabels - die Samuel Morse schon 1840 aufgebracht hatte - war durch den zügigen Ausbau des Telegrafennetzes zu Land, von Profiterwartungen, nationalen Interessen, aber auch von einem visionär-utopischen Diskurs angeregt worden, der die transatlantische Verbindung als Ausdruck der Fähigkeit des menschlichen Geistes pries, Zeit und Raum zum Verschwinden zu bringen. Praktisch versprach das Kabel, die von der damals etwa zehn Tage dauernde Schiffspassage abhängige Nachrichtenvermittlung zwischen den Kontinenten dramatisch zu verkürzen. Unter den heute bisweilen phantastisch anmutenden wissenschaftlichen Hypothesen, die das Unternehmen inspirierten, ragt das "Telegraph Plateau" des Ozeanographen Matthew F. Maury besonders heraus: eine vermutete Hochebene unter Wasser, die angeblich mit idealen Strömungs- und Temperaturbedingungen ausgestattet war - so als habe Gott selbst ein Kabel gerade an dieser Stelle vorgesehen. 1860 stellte sich heraus, dass das Seebett wesentlich unregelmäßiger war, als es Maury erwartet hatte, weil seine Messmethoden zur Erfassung des felsigen Meeresuntergrunds nicht ausgereicht hatten. Den Meeresraum genauer zu kartographieren, dazu hat dann nicht zuletzt das Scheitern des Transatlantikkabels Anlass gegeben.

Trotz solcher Fehlannahmen und diverser Abstimmungsschwierigkeiten gelang es unter Führung privater Betreiber (in der Atlantic Telegraph Company) und mit staatlicher Unterstützung Englands und der Vereinigten Staaten im August 1858, die Verbindung zwischen Neufundland und Irland in Betrieb zu setzen. Die zeitgenössischen Reaktionen waren euphorisch und geradezu poetisch im Fall der Londoner "Times", die das Bild von einem nun ausgetrockneten Ozean heraufbeschwor: In Sachen Kommunikation sei man nun dem Wunsch wie der Realität nach zu einem einzigen Land geworden.

Diese zitierte Quelle illustriert eine besondere Stärke von Holtorfs Studie, die Technik-, Wissenschafts- und Diskursgeschichte der Telegrafie auf eine auch für technikhistorische Laien instruktive Weise miteinander verknüpft. Die Berücksichtigung vor allem der wissenschaftlichen Diskursebene öffnet auch erst den Weg zu der Erkenntnis, dass die historische Bedeutung des Kabels nicht durch sein Scheitern limitiert wird, sondern sich gerade aus den Erkenntnisschüben ergibt, zu denen das Scheitern des ersten Versuchs anregte.

Seine Aufmerksamkeit für die Diskursgeschichte der Telegrafie im Licht ihrer Realgeschichte (Technik, politische Ökonomie) verleiht dem Buch aber auch eine aktuelle Qualität: Zeitgenössische Zitate erinnern immer wieder an utopische Vorstellungen der Transatlantikpioniere, die sich von der Verkabelung mindestens die "Vernichtung von Raum und Zeit", wenn nicht gleich den Weltfrieden versprachen. Man muss nur Holtorfs Analyse der nationalen Interessenpolitik rund um die Verlegung der Telegrafenkabel lesen, um einzusehen, wie weit sich diese Hoffnungen auch damals schon von der Realität entfernten.

Damit bietet das Buch auch eine Art Ausnüchterungslektion gegenüber medienutopischen Heilsversprechen, die von schnelleren Kommunikationsverbindungen umstandslos auf eine bessere, kosmopolitische Welt schließen und sich bei jeder neuen Medientechnologie ebenso zuverlässig wiederholen wie die ähnlich stereotypen Topoi der Medienkritik. Heute, da sich als erste Assoziationen zu "Internet" vor allem die Stichworte "NSA" und "Geheimdienste" aufdrängen, könnte diese Lektion kaum zeitgemäßer sein. Wer sich sowohl über die historischen Ursprünge des Internets informieren als auch gegen Interneteuphorie immunisieren möchte, dem kann das Buch also nur empfohlen werden.

TOBIAS WERRON

Christian Holtorf: "Der erste Draht zur neuen Welt". Die Verlegung des transatlantischen Telegrafenkabels.

Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 352 S., Abb., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit Interesse folgt der Rezensent Felix Lüttge den Ausführungen des Historikers Christian Holtorf in dessen Buch "Der erste Draht zur neuen Welt". Er entfaltet darin die These, dass die Verlegung des ersten Telegrafenkabels durch den Atlantik in den 1850er Jahren nicht, wie oft kolportiert, eine Sternstunde der Menschheitsgeschichte war, sondern es sich vielmehr um eine durch und durch missglückte Aktion handelte. Lüttge scheint sich nicht sicher zu sein, ob er dieser Ansicht anstandslos folgen soll, ist aber einverstanden mit Holtorfs Erkenntnis, dass das Versagen auf dem Gebiet des Telegrafen auf anderen Gebieten Fortschritt brachte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.10.2013

Der Herzschlag
der Erde
Keine Erfolgsgeschichte – das
erste Transatlantiktelegrafenkabel
In Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ findet sich ein Text über die Verlegung des ersten Telegrafenkabels durch den Atlantik in den 1850er Jahren. „Missgeschick“ ist ein Abschnitt darin überschrieben, „Noch einmal Missgeschick“ der darauf folgende. Es hätten diesen Titel auch weitere Passagen tragen können, wie der Historiker Christian Holtorf jetzt in einem Buch dargelegt hat. Das Unternehmen war, glaubt man Holtorf, ein Desaster. Nur knappe vier Wochen bestand die telegrafische Verbindung zwischen der Küste Irlands und Neufundlands, den Orten, an denen die Distanz zwischen Europa und Amerika am geringsten war. Wer in das Kabel investiert hatte, sah sein Geld nie wieder. Gerüchte machten die Runde, das Kabel habe niemals existiert und sei von Spekulanten erfunden worden, die sich damit bereichern wollten.
  Nach zwei gescheiterten Versuchen war es 1858 geglückt, die beiden Kontinente durch ein Unterseekabel zu verbinden. Auf hoher See hatten sich zwei eigens dafür umgebaute Kriegsschiffe getroffen. Weil kein einzelnes Schiff in der Lage war, die große Masse eines Transatlantikkabels zu transportieren, wurden zwei Kabelhälften miteinander verbunden und hinter den beiden Schiffen, die in entgegengesetzter Richtung die Heimreise antraten, ins Meer gelassen. Der Initiator und maßgebliche Finanzier des Projekts, Cyrus W. Field, der mit einer Papierfabrik ein Vermögen gemacht und sich mit nur 34 Jahren zur Ruhe gesetzt hatte, freute sich über „starke Ströme von Elektrizität“, die durch das Kabel tief unter dem Meeresspiegel Europa und Amerika miteinander verbanden. Starke Ströme, das hieß 1858 eine Übertragungszeit von ein bis zwei Wörtern in der Minute. Zum Vergleich: Durch das Überseekabel TAT-14, das, wie die Enthüllungen Edward Snowdens nun zeigten, offenbar von britischen Geheimdiensten angezapft wurde, werden heute pro Sekunde Hunderte von Gigabyte gejagt. Hätte es damals einen britischen Geheimdienst gegeben, der mitgehört hätte, er hätte sich gelangweilt.
  Die Qualität der Übermittlungen war schlecht, schon die erste Nachricht, die Europa am 10. August 1858 erreichte, war eine Bitte um Wiederholung: „Repeat, please.“ Bis auf wenige Ausnahmen telegrafierten die Techniker an den beiden Enden des Kabels über die schlechte Qualität der telegrafischen Signale selbst. Die Glückwünsche, die die Queen dem amerikanischen Präsidenten sendete, kamen nur unvollständig an und sorgten wegen ihrer vermeintlichen Kürze für einigen Unmut in der ehemaligen Kolonie. Es waren dann auch nicht mehr als 400 Nachrichten, die das Kabel passierten, bis es endgültig seinen Dienst aufgab – just in dem Moment, in dem Cyrus W. Field sich in New York feiern lassen und die transatlantische Telegrafie öffentlich vorführen wollte.
  Hoffnungen und Optimismus trieben das Projekt gegen alle Unwägbarkeiten voran. „No time for details“ notierte der Ozeanograph Matthew Fontaine Maury, der das Kabel unbedingt verlegt wissen wollte und kurzerhand ein „Telegraph Plateau“ auf den Meeresgrund kartographierte, das es gar nicht gab. Von einem „Sieg über Raum und Zeit“, den Stefan Zweig in seiner historischen Miniatur verkündet, vom nunmehr „einzigen Herzschlag der Erde“, auf der die Menschen nun gleichzeitig lebten, konnte keine Rede sein. Stattdessen offenbarte sich die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen in telegrafischen Meldungen, die ihr Ziel – in Ortszeit gemessen – erreichten, bevor sie losgeschickt wurden.
  Zeitangaben mussten in der telegrafischen Kommunikation, die zwar langsamer als erhofft war, immer in Relation zu einem Ort gesetzt werden. Das Kabel besaß, so Holtorf, „Experimentalcharakter für die Klärung offener Fragen“, indem es eine genauere Erforschung des bis dahin kaum bekannten Meeresbodens notwendig machte, einen präziseren Umgang mit der Zeit erzwang und die Elektrizitätslehre vor neue Herausforderungen stellte. Ob die Entdeckung elektromagnetischer Felder tatsächlich auf die gescheiterte Verlegung des transatlantischen Telegrafenkabels zurückzuführen ist, sei dahingestellt. Deutlich wird aber, dass das Kabel eine Epistemologie der Störung evozierte: Wo es versagte, wurde es für andere Zwecke produktiv.
FELIX LÜTTGE
Christian Holtorf: Der erste Draht zur Neuen Welt. Die Verlegung des transatlantischen Telegrafenkabels. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 352 Seiten, 39,90 Euro.
Selbst die Glückwünsche der
Queen kamen unvollständig an
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»Erhellender Rückblick auf eine Medienutopie und ihre technische Basis« (Tobias Werron, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.08.2013)