Die Calanques vor Marseille, tiefe Küsteneinschnitte, türkis glitzerndes Wasser, schroffe Felsen und versteckte Buchten. Doch etliche Meter unter der Wasseroberfläche liegt noch eine ganz andere Welt: jahrtausendealte Unterwasserhöhlen, an deren Wänden prähistorische Felszeichnungen prangen.
Der Archäologe und erfahrene Taucher Rémy Fortin erforscht die Höhlenmalereien, als er panikartig auftaucht und dabei schwerste Verletzungen erleidet. Seine letzten Fotos zeigen gigantische Stalagmiten, eine rätselhafte Hirschkopfstatue und den Schatten einer riesigen Gestalt. Hauptkommissar Michel de Palma, der »Baron« von Marseille, begibt sich auf eine prähistorische Spurensuche und stößt auf ungeklärte Morde, die einem uralten Ritual folgen.
Der Archäologe und erfahrene Taucher Rémy Fortin erforscht die Höhlenmalereien, als er panikartig auftaucht und dabei schwerste Verletzungen erleidet. Seine letzten Fotos zeigen gigantische Stalagmiten, eine rätselhafte Hirschkopfstatue und den Schatten einer riesigen Gestalt. Hauptkommissar Michel de Palma, der »Baron« von Marseille, begibt sich auf eine prähistorische Spurensuche und stößt auf ungeklärte Morde, die einem uralten Ritual folgen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2020Anormales schlag nach bei Foucault
Xavier-Marie Bonnot bietet einen Déjà-vu-Service für informierte Krimifans
Da liegt sie nun auf dem eingeschalteten Fernseher. Mausetot. Ein Auge weit aufgerissen, das andere von einem Hämatom zur Hälfte verdeckt. Doch damit ist es noch nicht getan: Ihre Brust wurde geöffnet. Entsetzlich, aber steigerungsfähig: Das Herz fehlt. Wenn kurz darauf, gleichsam als perverse Krönung der Schlachtszene, das Wort "Kannibalismus" fällt, weiß auch der begriffsstutzigste Leser, dass die Gewalt hier ein regelrecht mythisches Ausmaß erreicht hat.
Um diesen Aspekt zu unterstreichen, finden sich laufend solche Zitate: "Von den Sternen stürzt alle Zeit herab, so wird das Blut aus hundert Kehlen stürzen auf dein Grab!" Kulturgeschichtliche Trüffelschweine wissen sofort, aus welcher Oper die Verse stammen. Alle anderen werden von Xavier-Marie Bonnot aufgeklärt - Richard Strauss, "Elektra".
Der 1962 in Marseille geborene Autor studierte Soziologie und französische Literatur, bevor er in Geschichte promovierte. Die Früchte seiner Lektüren verteilt er großzügig im neuen Fall des Ermittlers Michel de Palma. Insofern ist "Der erste Mensch" ein Déjà-vu-Service für informierte Krimifans, die sich über Wiedererkanntes freuen. Der Autor kokettiert damit, hochkulturelle Versatzstücke in ein Genre-Produkt zu gießen, und sein Publikum begibt sich auf doppelte Spurensuche: nach dem Mörder und nach den Referenzen. Deren auffälligste springt uns auf fast jeder Seite an, hat der Protagonist doch denselben Nachnamen wie jener Regisseur, der in seinen Filmen - etwa "Carrie" oder "Scarface" - gerne auf Besessenheit und Gewaltexzesse setzt.
Das Geschehen ist ein Mosaik aus verschiedenen Handlungssträngen, welche zunächst nur eines gemein haben: Sie kreisen um Felszeichnungen und Kultobjekte, Rituale und Mythen. Zu Beginn stirbt ein Taucher, der prähistorische Spuren in einer provenzalischen Höhle untersucht. Mord? Wahrscheinlich. Wenig später flieht der verrückte Serienkiller Thomas Autran aus der Anstalt und schlägt anscheinend eine blutige Schneise quer durch Frankreich. Er sehnt sich zurück in die Zeit vor der neolithischen Revolution, was dem Leser bei jeder sich bietenden Gelegenheit ins Gedächtnis gehämmert wird. Autrans Schwester war einst eine renommierte Wissenschaftlerin (Kompetenzbereich Urgeschichte), sitzt inzwischen aber im Gefängnis und wird verdächtigt, ein inzestuöses Verhältnis zu ihrem Bruder gepflegt zu haben. Und dann sind da noch ihr akademischer Mentor, der, mittlerweile emeritiert, auf Körperpflege pfeift und mit einer Flinte vor seinem Haus hockt, und Autrans Therapeut, der einen "Neuansatz in der klinischen Psychiatrie" verfolgt und viel Gewese um Exorzismus und Schamanismus macht.
Im Mittelpunkt dieses Ensembles steht eine dreißigtausend Jahre alte Plastik, die 1970 bei Ausgrabungen entdeckt wurde und nun verschwunden ist - ein Hirschkopfmensch. Er ist das Totem, welches die Figuren offenbar so verrückt spielen und zu Jägern des verlorenen Schatzes werden lässt. Wenn es in Frankreich um Anormale und Außenseiter geht, ist es nur noch ein kleiner Schritt zu Michel Foucault, der auch prompt zitiert wird: "Der Weg vom Menschen zum wahren Menschen führt über den verrückten Menschen." Der Weg zu Bonnots Krimi-Stil führt dagegen in die Abgründe raunender Sprache. Tiefste Dunkelheit, heftig pochende Herzen, dunkle Geheimnisse: Alle Substantive, die der Autor nicht mit einem klischeehaften Adjektiv entwertet, haben großes Glück. Nicht besser sind die Bilder: Weht der Mistral Plastiktüten bis zu den Fenstern des Polizeipräsidiums hinauf, ist das für den Erzähler, "American Beauty" sei Dank, ein "Anblick, bei dem man übers Schicksal ins Grübeln kommen konnte".
Dabei ist de Palma eigentlich ein bodenständiger Typ, der dem Gemisch aus Archäologie und Psychiatrie die Routine des kurz vor seiner Pensionierung stehenden Ermittlers entgegensetzt. Er "liebte Unwetter, das Toben der Elemente, den Salzgeruch in der wilden Luft", er sucht Bibliotheken auf, ist dann allerdings angewidert von den Computern und hält Ausschau nach Karteikästen. Wie Georges Simenons Kommissar Jules Maigret zeigt sich auch de Palma nicht allein an der Lösung des Falls interessiert, sondern auch an den psychologischen Gründen hinter der Tat.
Seine Jugendliebe Eva bemerkt einmal, sie habe gelesen, "dass man den Wahnsinn durch die Poesie verstehen und heilen kann". Ein durchaus ironisches Statement, ist Bonnots Roman doch weit davon entfernt, poetisch zu sein.
KAI SPANKE
Xavier-Marie Bonnot: "Der erste Mensch". Ein Fall für Michel de Palma.
Kriminalroman.
Aus dem Französischen von Gerhard Meier.
Unionsverlag, Zürich 2020.
352 S., br., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Xavier-Marie Bonnot bietet einen Déjà-vu-Service für informierte Krimifans
Da liegt sie nun auf dem eingeschalteten Fernseher. Mausetot. Ein Auge weit aufgerissen, das andere von einem Hämatom zur Hälfte verdeckt. Doch damit ist es noch nicht getan: Ihre Brust wurde geöffnet. Entsetzlich, aber steigerungsfähig: Das Herz fehlt. Wenn kurz darauf, gleichsam als perverse Krönung der Schlachtszene, das Wort "Kannibalismus" fällt, weiß auch der begriffsstutzigste Leser, dass die Gewalt hier ein regelrecht mythisches Ausmaß erreicht hat.
Um diesen Aspekt zu unterstreichen, finden sich laufend solche Zitate: "Von den Sternen stürzt alle Zeit herab, so wird das Blut aus hundert Kehlen stürzen auf dein Grab!" Kulturgeschichtliche Trüffelschweine wissen sofort, aus welcher Oper die Verse stammen. Alle anderen werden von Xavier-Marie Bonnot aufgeklärt - Richard Strauss, "Elektra".
Der 1962 in Marseille geborene Autor studierte Soziologie und französische Literatur, bevor er in Geschichte promovierte. Die Früchte seiner Lektüren verteilt er großzügig im neuen Fall des Ermittlers Michel de Palma. Insofern ist "Der erste Mensch" ein Déjà-vu-Service für informierte Krimifans, die sich über Wiedererkanntes freuen. Der Autor kokettiert damit, hochkulturelle Versatzstücke in ein Genre-Produkt zu gießen, und sein Publikum begibt sich auf doppelte Spurensuche: nach dem Mörder und nach den Referenzen. Deren auffälligste springt uns auf fast jeder Seite an, hat der Protagonist doch denselben Nachnamen wie jener Regisseur, der in seinen Filmen - etwa "Carrie" oder "Scarface" - gerne auf Besessenheit und Gewaltexzesse setzt.
Das Geschehen ist ein Mosaik aus verschiedenen Handlungssträngen, welche zunächst nur eines gemein haben: Sie kreisen um Felszeichnungen und Kultobjekte, Rituale und Mythen. Zu Beginn stirbt ein Taucher, der prähistorische Spuren in einer provenzalischen Höhle untersucht. Mord? Wahrscheinlich. Wenig später flieht der verrückte Serienkiller Thomas Autran aus der Anstalt und schlägt anscheinend eine blutige Schneise quer durch Frankreich. Er sehnt sich zurück in die Zeit vor der neolithischen Revolution, was dem Leser bei jeder sich bietenden Gelegenheit ins Gedächtnis gehämmert wird. Autrans Schwester war einst eine renommierte Wissenschaftlerin (Kompetenzbereich Urgeschichte), sitzt inzwischen aber im Gefängnis und wird verdächtigt, ein inzestuöses Verhältnis zu ihrem Bruder gepflegt zu haben. Und dann sind da noch ihr akademischer Mentor, der, mittlerweile emeritiert, auf Körperpflege pfeift und mit einer Flinte vor seinem Haus hockt, und Autrans Therapeut, der einen "Neuansatz in der klinischen Psychiatrie" verfolgt und viel Gewese um Exorzismus und Schamanismus macht.
Im Mittelpunkt dieses Ensembles steht eine dreißigtausend Jahre alte Plastik, die 1970 bei Ausgrabungen entdeckt wurde und nun verschwunden ist - ein Hirschkopfmensch. Er ist das Totem, welches die Figuren offenbar so verrückt spielen und zu Jägern des verlorenen Schatzes werden lässt. Wenn es in Frankreich um Anormale und Außenseiter geht, ist es nur noch ein kleiner Schritt zu Michel Foucault, der auch prompt zitiert wird: "Der Weg vom Menschen zum wahren Menschen führt über den verrückten Menschen." Der Weg zu Bonnots Krimi-Stil führt dagegen in die Abgründe raunender Sprache. Tiefste Dunkelheit, heftig pochende Herzen, dunkle Geheimnisse: Alle Substantive, die der Autor nicht mit einem klischeehaften Adjektiv entwertet, haben großes Glück. Nicht besser sind die Bilder: Weht der Mistral Plastiktüten bis zu den Fenstern des Polizeipräsidiums hinauf, ist das für den Erzähler, "American Beauty" sei Dank, ein "Anblick, bei dem man übers Schicksal ins Grübeln kommen konnte".
Dabei ist de Palma eigentlich ein bodenständiger Typ, der dem Gemisch aus Archäologie und Psychiatrie die Routine des kurz vor seiner Pensionierung stehenden Ermittlers entgegensetzt. Er "liebte Unwetter, das Toben der Elemente, den Salzgeruch in der wilden Luft", er sucht Bibliotheken auf, ist dann allerdings angewidert von den Computern und hält Ausschau nach Karteikästen. Wie Georges Simenons Kommissar Jules Maigret zeigt sich auch de Palma nicht allein an der Lösung des Falls interessiert, sondern auch an den psychologischen Gründen hinter der Tat.
Seine Jugendliebe Eva bemerkt einmal, sie habe gelesen, "dass man den Wahnsinn durch die Poesie verstehen und heilen kann". Ein durchaus ironisches Statement, ist Bonnots Roman doch weit davon entfernt, poetisch zu sein.
KAI SPANKE
Xavier-Marie Bonnot: "Der erste Mensch". Ein Fall für Michel de Palma.
Kriminalroman.
Aus dem Französischen von Gerhard Meier.
Unionsverlag, Zürich 2020.
352 S., br., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Bonnot schickt seinen Ermittler auf ein Terrain, das sich Prähistoriker und Psychiater teilen. Wahn und Wissenschaft, Magie und Halluzinationen überlagern sich hier nicht nur motivisch, sondern geschichtlich. Bonnots Roman zielt auf die Entstehung der Psychiatrie aus dem Geiste des Schamanismus. Er spannt einen faszinierenden gedanklichen Kosmos auf. Besonders schön ist auch die Vorstellung einer großen Sensibilität der ersten Menschen. Wenn sie in modernen Gesichtskonstruktionen mit ungeschlachten Gesichtern dargestellt werden, liegt diese Brutalität vielleicht eher im Auge des modernen Betrachters.« Thekla Dannenberg Perlentaucher