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Dieses Buch widmet sich dem Vergleich pädagogischer Berufskulturen in Deutschland und den USA. Im Zentrum steht dabei der erste Schultag. In der je unterschiedlichen Ausgestaltung und Durchführung dieses initialen Ereignisses zeigen sich bemerkenswerte berufskulturelle Differenzen pädagogischen Handelns. Während sich in dem deutschen Datenmaterial durchgängig das Bild einer widersprüchlichen, kritisch-distanzierten pädagogischen Berufskultur findet, verweist das amerikanische Datenmaterial auf den Modus einer in sich konsistenten, dabei aber affirmativ und bürokratisch-rational ausgerichteten…mehr

Produktbeschreibung
Dieses Buch widmet sich dem Vergleich pädagogischer Berufskulturen in Deutschland und den USA. Im Zentrum steht dabei der erste Schultag. In der je unterschiedlichen Ausgestaltung und Durchführung dieses initialen Ereignisses zeigen sich bemerkenswerte berufskulturelle Differenzen pädagogischen Handelns. Während sich in dem deutschen Datenmaterial durchgängig das Bild einer widersprüchlichen, kritisch-distanzierten pädagogischen Berufskultur findet, verweist das amerikanische Datenmaterial auf den Modus einer in sich konsistenten, dabei aber affirmativ und bürokratisch-rational ausgerichteten pädagogischen Handlungslogik. Die Untersuchung stützt sich auf ethnographische Studien zum Ablauf und zur Gestaltung erster Schultage in Deutschland und den USA und auf die objektiv-hermeneutische Rekonstruktion ausgewählter Schulleiter- und Lehreransprachen.

Das Buch wendet sich an Pädagogen, Erziehungs- und Sozialwissenschaftler sowie an Lehrer und deren Aus- und Fortbilder.

Autorenporträt
Dr. Sandra Rademacher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.2010

Der erste Schultag
Weshalb die Einschulung oft gemischte Gefühle hinterlässt

Dieser Tage war vielerorts Einschulung. Von den betroffenen Eltern werden danach immer wieder dieselben Beobachtungen mitgeteilt: dass die Plätze in der Turnhalle für Angehörige begrenzt werden mussten, dass die Schultüten und Schulranzen immer größer werden, dass die Begrüßungsreden nicht enden wollten. Einschulung ist, so drücken sich die Ethnologen aus, eine Statuspassage. Aber sie ist, anders als andere, eine gemischte: Während man nur entweder verheiratet oder unverheiratet sein kann, entweder volljährig oder nicht, geht hier beides. Vorher war es ein Kind, jetzt ist es auch noch ein Schüler. Neben die Familie tritt eine zweite Erziehungsinstanz, und zwar eine deutlich familienfernere als der Kindergarten.

Die Beteiligten wissen also, dass sich zwar nicht alles, aber vieles ändert. Entsprechend mitgenommen sind sie, entsprechend teilt sich auch den Zeremonien, die den Übergang eigentlich heilen sollen, dieses mulmige Gefühl mit.

Geteiltes Leid wäre halbes Leid. Ist das Unbehagen am ersten Schultag vielleicht unvermeidlich, weil ein Resultat eines Widerspruchs zweier Aspekte - Familie und Schule - , auf die beide Rücksicht genommen werden soll? Die Frage legt einen Vergleich nahe. Wie sieht es in anderen Ländern, anderen Schulkulturen mit der Einschulung aus? Das hat zuletzt die Hallenser Pädagogin Sandra Rademacher in einer sehr lesenswerten Studie untersucht (Der erste Schultag. Pädagogische Berufskulturen im deutsch-amerikanischen Vergleich, VS Verlag, Wiesbaden 2009).

Dabei stieß sie auf hiesige Merkwürdigkeiten: Die Statuspassage vom Kind zum Schüler wird in deutschen Einschulungsfeiern häufig zurückgewiesen. Schon "Erster Schultag" ist dabei ein zweideutiger Ausdruck, denn am ersten Schultag findet noch gar keine Schule statt. Man begrüßt die Schüler auch nicht in den jeweiligen Klassenräumen, sondern eben in jenen Turnhallen und Aulen, die sie in ihrer Gesamtheit zu fassen vermögen. Einer Gesamtheit, die für die Schüler danach nie wieder eine relevante Größe sein wird. Gibt es keine Aula, sondern nur eine Turnhalle, fällt sogar der festliche Aspekt, jene imaginäre Einheit, "alle Schüler" anzusprechen, weg. Turnhallen sind keine festlichen Orte.

Alle Schüler. Alle Eltern. Alle Lehrer. Mit einem Vers aus der Sesamstraße kann man an dieser Stelle fragen "Eins von diesen Dingen ist nicht wie die andern, sag mir, welches Ding das ist". Die Eltern, sie sind nur am ersten Schultag da. Und also weiß man schon an diesem Tag nicht so recht, wo sie hingehören. An die Seite? Nach hinten? Und was ist mit den Verwandten? Eigentlich sind sie im Weg. Wer wird aber von der Schule angesprochen? Zumeist die Eltern oder die erweiterte Kernfamilie: "Ich begrüße Sie alle". Wenn der Schulleiter dann ergänzt: "Ich begrüße ganz besonders die Kinder, die heute zum ersten Mal die Schule besuchen", ist klar, dass er auch das nicht zu den Kindern, sondern über sie spricht.

Die Schüler selbst, so Rademacher, werden oft infantil angesprochen, man betont weniger den Schritt nach vorn, den sie jetzt machen, sondern beruhigt die Eltern, dass es keinen Bruch geben werde. Nicht Kinder werden zu Schülern, sondern oft werden auch ältere Schüler und Erwachsene - in Liedern und Rollenspielen - infantilisiert. Zugleich werden, den Beobachtungen der Pädagogin zufolge, die Erstklässler darüber getröstet, dass sie nun in der Schule sind. Die Schule wird als problematische Einrichtung dargestellt, die aber "so schlimm nun auch wieder nicht" ist.

Der Schuljahresbeginn wird auch von der Organisation der Schule aus als "Schulbeginn" interpretiert. Dabei beginnt natürlich nicht die Schule, sondern der neue Schüler. Indem die Schule also so tut, als müsse man sich die als bang unterstellte Perspektive des Kindes zu eigen machen, um diesem Tag gerecht zu werden, schwächt sie zugleich ihre Selbstdarstellung den neuen Schülern gegenüber.

Das, ergab der Vergleich, ist in den Vereinigten Staaten anders. Dort gibt es gar keinen Einschulungstag, sondern nur ein "back to school". Die Organisation betont ihre zyklische Normalität, die ständige Wiederkehr der Aufnahme, Weiterleitung und Abgabe von Schülern. Dazu passt, dass die Kindergärten in den Vereinigten Staaten oft den Grundschulen angelagert sind. Selbst der Erstklässler war insofern schon vorher da und ist nur aus den Ferien zurück. Und selbst wer vorher nicht da war, ist nur jemand, der den Namen seiner Lehrer noch nicht kennt. Die Zäsur des Schuleintritts wird eher heruntergespielt. Im Vokabular dominiert das "Wir": "Good morning our teachers and students". Es gibt gar kein Außen. Auch das ist ein Mythos, so sehr wie die "Pädagogik vom Kinde aus".

An deutschen Schulen hingegen, so Rademacher, werde die Verweigerung von Affirmation gepflegt. Pädagogik, das teile schon das Einschulungsritual mit, sei hier Pädagogik trotz der Organisation Schule, wenn nicht sogar gegen die Schule als Organisation. Nun denn, mag man sagen, dann lernen die Kinder hierzulande eben andere Einstellungen: von vornherein mehr Kritik als Affirmation. Doch wenn die Schule für das Kind eine Bedeutung haben soll, dann kann sie sich nicht selber dem Kind "vom Kinde aus" kritisch darstellen. Schüler haben nämlich einen Anspruch darauf, dass die Schule sich selbst affirmiert.

JÜRGEN KAUBE

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