"Wenn jemand homosexuell ist und Gott sucht und guten Willens ist, wer bin ich, über ihn zu richten?" Diese Worte von Papst Franziskus ließen die Welt aufhorchen und viele homosexuelle Priester Hoffnung schöpfen. Doch ein grundlegender Wandel in der Haltung der katholischen Kirche gegenüber Homosexualität lässt weiter auf sich warten. Umso mehr Wirbel verursachte das Coming-out des hochrangigen polnischen Priesters Krzysztof Charamsa im Oktober 2015. Charamsa lehrte an der Gregoriana und war Mitglied der Kongregation für die Glaubenslehre. Charamsa, der mit einem Mann zusammenlebt, wählte bewusst den Zeitpunkt kurz vor Beginn der Familiensynode im Vatikan, um auf das "unmenschliche" Verhältnis der Kirche zu Homosexuellen hinzuweisen und auf die Tatsache, dass der Klerus in weiten Teilen homosexuell sei. In seinem Buch berichtet Charamsa von seinem persönlichen Werdegang und seiner Kirchenkarriere, eröffnet erschreckende Einblicke in den Alltag von kirchlicher Ausbildung und Klerus, beschreibt die Absurdität von Doktrinen und Vorschriften wie dem Zölibat. Dabei greift er immer wieder die homophoben Strukturen der katholischen Kirche an. Sein Coming-out wird für ihn zur großen Befreiung. Seine persönliche Geschichte ist die Geschichte "einer Kirche, die besessen ist vom Sex, die der Sex krank macht."
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.07.2017Ich hatte endlich
Gott erblickt
Das Coming-out des Priesters
Krzysztof Charamsa
Skandal in der Kurie: Der Sekretär des einflussreichen Kardinals Coccopalmerio soll vergangene Woche eine Party geschmissen haben, die so exzessiv wurde, dass Nachbarn sich gestört fühlten und die Gendarmerie holten. Die Ordnungshüter wiederum trafen den Berichten zufolge eine Gruppe von Männern – wie viele, ist nicht kolportiert – bei einer Sexorgie an. Mit Drogen. In München und Berlin, Barcelona und London wäre das keine Meldung wert. Im Vatikan hingegen hat ein solcher Vorfall den Rang einer Staatsaffäre, sogleich wird das Staatsoberhaupt informiert, der Papst. Das besonders Heikle daran ist, dass der geistliche Gastgeber der offenbar geselligen Runde eine Immobilie der Glaubenskongregation bewohnt. Denn ausgerechnet diese Einrichtung war bislang die Speerspitze der katholischen Kirche in der Auseinandersetzung mit Homosexualität. Eine der homophobsten Einrichtungen der Welt.
Der ehemalige Priester Krzysztof Charamsa, Jahrgang 1972, hat als Theologe für sie gearbeitet, ehe er sich zu seiner Sexualität bekannte. Im Herbst 2015 verkündete er hochoffiziell, er sei schwul und gedenke mit dem Mann zusammenzuleben, den er liebe. Von einem Tag auf den anderen betrachtete die Kirche ihren Monsignore als einen Feind. Wer seine Sexualität nicht verheimlicht oder – noch besser – gänzlich unterdrückt, kann kein Priester sein. Charasmas Coming-out und seine Demission waren natürlich auch ein Skandal.
Sein Buch „Der erste Stein“ ist eine Anklageschrift, aber keine Enthüllungsgeschichte. Ein Vorwurf, aber keine Dreckschleuder-Attacke. Kurzum: eine verzweifelte Abrechnung. Wer delikate Details über schwule Netzwerke in der Kirche erfahren will, sollte besser darauf warten, ob der Sekretär von Kardinal Coccopalmerio einmal ein Buch schreibt. Charamsa gehörte solchen Zirkeln nicht an. Wenn er mit einem befreundeten Kollegen ins Kino ging, um Ang Lees preisgekrönten Schwulen-Western „Brokeback Mountain“ anzuschauen, besprach man den Film züchtig unter theologischen Aspekten. Am liebsten aber, schreibt er, hätte er diesen Freund geküsst.
Im programmatischen Untertitel stellt sich Krzysztof Charamsa „Als homosexueller Priester gegen die Heuchelei der katholischen Kirche“ vor. Im italienischen Original klingt es sogar noch kämpferischer, weil er von seiner „ribellione all’ipocrisia della Chiesa“ kündet. Ribellione heißt Auflehnung, noch interessanter ist aber der Begriff iprocisia („Heuchelei“), weil auch Papst Franziskus in letzter Zeit sehr oft darüber redet. Wurde Charamsas Appell gegen Verbohrtheit und Verlogenheit schon erhört? Das Thema scheint den Pontifex sehr zu beschäftigen, er hält Heuchelei und Scheinheiligkeit für einen Wesenszug ideologischer Schriftgelehrter. Dass Franziskus’ Entscheidung, den ehemaligen deutschen Bischof Gerhard Ludwig Müller als Präfekten der Glaubenskongregation abzusetzen, mit dieser immer wieder artikulierten Aversion gegen Paragrafenreiter und Haarspalter zusammenhängt, ist kaum von der Hand zu weisen.
Für Müllers Behörde war Charamsa zwölf Jahre lang tätig. Die Karriere des polnischen Priesters ließ höchste klerikale Würden erwarten. Vor seinem Coming-out wirkte er im Maschinenraum des kurialen Dogmen- und Vorschriftenbunkers. Als Assistenzsekretär der Internationalen Theologischen Kommission arbeitete er unter anderem daran, die Ehelosigkeit der Priester, den Zölibat, mit theologischen Argumenten zu untermauern. Er musste sich verbiegen, Tag für Tag. Viele Amtskleriker tun das in Rom, schreibt er, und sie verleugnen sich und ihre Sexualität bis zum Selbsthass – und bis dieser Selbsthass in Homophobie gerinnt.
Dieser Mann wirkt sehr fromm, immer noch. Für jene Katholiken, die ihre Religion als Restriktion interpretieren, wird genau dieser Umstand provozierend sein. Über seine erste Begegnung mit dem geliebten Partner berichtet er ziemlich intim: „Es war eine der schönsten Nächte, die ich jemals erlebt hatte, und ich betete zu Gott, dass diese Nacht nicht enden möge.“ Er beschreibt das intime Ereignis als Gotteserscheinung, und Selbstironie schwingt mit dabei: „Ich, Experte für Gott und alles, was göttlich war, und gleichzeitig . . . homophob, hatte endlich Gott erblickt.“
Es keimt der Entschluss, sich von der „paranoiden Kirche“ zu lösen. Ausgerechnet als Benedikt XVI. seinen Rücktritt verkündet, ist sich auch Charamsa seines Abschieds sicher. Die Ratzinger-Amtszeit bezeichnet er als schwulstes Pontifikat der Neuzeit – und gleichzeitig als das schwulenfeindlichste. Hier lechzen Kleriker beim Auftritt einer halbnackten Tänzergruppe vor Ergriffenheit, da schüren sie Hass auf Homosexuelle. Das meint Charamsa mit paranoid.
RUDOLF NEUMAIER
Zuvor wirkte er im
Maschinenraum des kurialen
Vorschriftenbunkers
Krzysztof Charamsa: Der erste Stein. Als homosexueller Priester gegen die Heuchelei der katholischen Kirche. Aus dem Italienischen von Michael Jacobs. C. Bertelsmann Verlag, München.
316 Seiten, 19,99 Euro.
E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Gott erblickt
Das Coming-out des Priesters
Krzysztof Charamsa
Skandal in der Kurie: Der Sekretär des einflussreichen Kardinals Coccopalmerio soll vergangene Woche eine Party geschmissen haben, die so exzessiv wurde, dass Nachbarn sich gestört fühlten und die Gendarmerie holten. Die Ordnungshüter wiederum trafen den Berichten zufolge eine Gruppe von Männern – wie viele, ist nicht kolportiert – bei einer Sexorgie an. Mit Drogen. In München und Berlin, Barcelona und London wäre das keine Meldung wert. Im Vatikan hingegen hat ein solcher Vorfall den Rang einer Staatsaffäre, sogleich wird das Staatsoberhaupt informiert, der Papst. Das besonders Heikle daran ist, dass der geistliche Gastgeber der offenbar geselligen Runde eine Immobilie der Glaubenskongregation bewohnt. Denn ausgerechnet diese Einrichtung war bislang die Speerspitze der katholischen Kirche in der Auseinandersetzung mit Homosexualität. Eine der homophobsten Einrichtungen der Welt.
Der ehemalige Priester Krzysztof Charamsa, Jahrgang 1972, hat als Theologe für sie gearbeitet, ehe er sich zu seiner Sexualität bekannte. Im Herbst 2015 verkündete er hochoffiziell, er sei schwul und gedenke mit dem Mann zusammenzuleben, den er liebe. Von einem Tag auf den anderen betrachtete die Kirche ihren Monsignore als einen Feind. Wer seine Sexualität nicht verheimlicht oder – noch besser – gänzlich unterdrückt, kann kein Priester sein. Charasmas Coming-out und seine Demission waren natürlich auch ein Skandal.
Sein Buch „Der erste Stein“ ist eine Anklageschrift, aber keine Enthüllungsgeschichte. Ein Vorwurf, aber keine Dreckschleuder-Attacke. Kurzum: eine verzweifelte Abrechnung. Wer delikate Details über schwule Netzwerke in der Kirche erfahren will, sollte besser darauf warten, ob der Sekretär von Kardinal Coccopalmerio einmal ein Buch schreibt. Charamsa gehörte solchen Zirkeln nicht an. Wenn er mit einem befreundeten Kollegen ins Kino ging, um Ang Lees preisgekrönten Schwulen-Western „Brokeback Mountain“ anzuschauen, besprach man den Film züchtig unter theologischen Aspekten. Am liebsten aber, schreibt er, hätte er diesen Freund geküsst.
Im programmatischen Untertitel stellt sich Krzysztof Charamsa „Als homosexueller Priester gegen die Heuchelei der katholischen Kirche“ vor. Im italienischen Original klingt es sogar noch kämpferischer, weil er von seiner „ribellione all’ipocrisia della Chiesa“ kündet. Ribellione heißt Auflehnung, noch interessanter ist aber der Begriff iprocisia („Heuchelei“), weil auch Papst Franziskus in letzter Zeit sehr oft darüber redet. Wurde Charamsas Appell gegen Verbohrtheit und Verlogenheit schon erhört? Das Thema scheint den Pontifex sehr zu beschäftigen, er hält Heuchelei und Scheinheiligkeit für einen Wesenszug ideologischer Schriftgelehrter. Dass Franziskus’ Entscheidung, den ehemaligen deutschen Bischof Gerhard Ludwig Müller als Präfekten der Glaubenskongregation abzusetzen, mit dieser immer wieder artikulierten Aversion gegen Paragrafenreiter und Haarspalter zusammenhängt, ist kaum von der Hand zu weisen.
Für Müllers Behörde war Charamsa zwölf Jahre lang tätig. Die Karriere des polnischen Priesters ließ höchste klerikale Würden erwarten. Vor seinem Coming-out wirkte er im Maschinenraum des kurialen Dogmen- und Vorschriftenbunkers. Als Assistenzsekretär der Internationalen Theologischen Kommission arbeitete er unter anderem daran, die Ehelosigkeit der Priester, den Zölibat, mit theologischen Argumenten zu untermauern. Er musste sich verbiegen, Tag für Tag. Viele Amtskleriker tun das in Rom, schreibt er, und sie verleugnen sich und ihre Sexualität bis zum Selbsthass – und bis dieser Selbsthass in Homophobie gerinnt.
Dieser Mann wirkt sehr fromm, immer noch. Für jene Katholiken, die ihre Religion als Restriktion interpretieren, wird genau dieser Umstand provozierend sein. Über seine erste Begegnung mit dem geliebten Partner berichtet er ziemlich intim: „Es war eine der schönsten Nächte, die ich jemals erlebt hatte, und ich betete zu Gott, dass diese Nacht nicht enden möge.“ Er beschreibt das intime Ereignis als Gotteserscheinung, und Selbstironie schwingt mit dabei: „Ich, Experte für Gott und alles, was göttlich war, und gleichzeitig . . . homophob, hatte endlich Gott erblickt.“
Es keimt der Entschluss, sich von der „paranoiden Kirche“ zu lösen. Ausgerechnet als Benedikt XVI. seinen Rücktritt verkündet, ist sich auch Charamsa seines Abschieds sicher. Die Ratzinger-Amtszeit bezeichnet er als schwulstes Pontifikat der Neuzeit – und gleichzeitig als das schwulenfeindlichste. Hier lechzen Kleriker beim Auftritt einer halbnackten Tänzergruppe vor Ergriffenheit, da schüren sie Hass auf Homosexuelle. Das meint Charamsa mit paranoid.
RUDOLF NEUMAIER
Zuvor wirkte er im
Maschinenraum des kurialen
Vorschriftenbunkers
Krzysztof Charamsa: Der erste Stein. Als homosexueller Priester gegen die Heuchelei der katholischen Kirche. Aus dem Italienischen von Michael Jacobs. C. Bertelsmann Verlag, München.
316 Seiten, 19,99 Euro.
E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»Der erste Stein ist eine Anklageschrift, aber keine Enthüllungsgeschichte. Ein Vorwurf, aber keine Dreckschleuder-Attacke. Kurzum: eine verzweifelte Abrechnung.« Süddeutsche Zeitung