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Wie stand Papst Pius XI. zum Faschismus? Während sein Nachfolger, Papst Pius XII., öffentlich zum Holocaust schwieg, galt Pius XI. (1922-1939), lange Zeit als wahrer Stellvertreter Christi, der auf der Seite der verfolgten Juden stand und Hitler durch die Enzyklika 'Mit brennender Sorge' in seine Schranken verwies.In der packenden Geschichte über die Geheimbeziehungen des Vatikan zur faschistischen Führung wird deutlich, dass sich Mussolini und Pius XI. zwar hassten, sich aus Gründen des Machterhalts aber dennoch stützten. Der ungebildete, ungläubige Duce und der gottesfürchtige Kleriker…mehr

Produktbeschreibung
Wie stand Papst Pius XI. zum Faschismus? Während sein Nachfolger, Papst Pius XII., öffentlich zum Holocaust schwieg, galt Pius XI. (1922-1939), lange Zeit als wahrer Stellvertreter Christi, der auf der Seite der verfolgten Juden stand und Hitler durch die Enzyklika 'Mit brennender Sorge' in seine Schranken verwies.In der packenden Geschichte über die Geheimbeziehungen des Vatikan zur faschistischen Führung wird deutlich, dass sich Mussolini und Pius XI. zwar hassten, sich aus Gründen des Machterhalts aber dennoch stützten. Der ungebildete, ungläubige Duce und der gottesfürchtige Kleriker schlossen einen verhängnisvollen Pakt. Erst mit Einführung der Rassengesetze 1938 und der immer größer werdenden Nähe zu Nazi-Deutschland dämmerte es Pius XI., mit wem er da paktiert hatte. Als er starb, konnte sein Nachfolger Eugenio Pacelli diesen Pakt fortsetzen. David Kertzers bahnbrechende Arbeit, die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, enthüllt das ganze Ausmaß der faschistischen Verstrickung.
Autorenporträt
Hubert Wolf ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster. Er wurde u.a. mit dem Leibnizpreis der DFG ausgezeichnet und war Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.12.2016

Aus der Schlüssellochperspektive
Der Vatikan und der italienische Diktator Benito Mussolini: Interesse an einem Ausgleich

Liebhaber saftiger Details kommen nicht zu kurz in diesem Buch, das David Kertzer zu weiten Teilen aus Akten der faschistischen Spitzeldienste kompilierte. Den Rest besorgen die erotischen Erinnerungen der schreibfähigen Liebhaberinnen Mussolinis. Kertzer selbst erwähnt in seinem Nachwort 25 000 gesichtete oder kopierte Dokumente, eine Reihe von Mitarbeiter(inne)n und gut zehn Jahre Arbeit an dem Buch, das kaum wegen seiner literarischen Qualitäten mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde.

Dafür werden die Leser mit einer Fülle unappetitlicher Details entschädigt. Die Hinrichtung des Mussolini-Schwiegersohns und Außenministers Italiens von 1936 bis 1943, des Grafen Ciano - "eine Schlachterei", so ein deutscher Diplomat -, schildert der Autor mit der gleichen hingebungsvollen Detailfreude wie den an den Füßen aufgehängten Mussolini und seine Freundin Clara Petacci, der eine mitleidige Seele den Jupe am Bein hochgebunden hatte. Aber kaum, "damit er nicht über ihren Kopf herunterhing", wie Kertzer erklärt.

Munter geht es dann weiter: Ein Papst, der an Durchblutungsstörungen litt. Ein Kardinal, der sich bei einem willigen Knaben etwas gedankenlos mit unverzollten Zigaretten bedankte. Ein italienischer König, der Adolf Hitler für geisteskrank und drogensüchtig hielt. Und der Erzbischof von Chicago (George Mundelen), der 1937 auf einer Diözesankonferenz vor seinem versammelten Klerus ausholte: "Vielleicht werden Sie fragen, wie es kommt, dass eine Nation von sechzig Millionen intelligenten Menschen sich in Furcht und Knechtschaft vor einem Ausländer, einem österreichischen Tapezierer und dazu einem schlechten, sowie ein paar Helfershelfern wie Goebbels und Göring beugt, die jeden Schritt im Leben des Volkes bestimmen."

"The Pope and Mussolini - The secret History of Pius XI and the Rise of Fascism in Europe", so der sehr viel präzisere Titel der Originalausgabe, ist über weite Strecken ein Buch über zwei Männer, die miteinander ins Geschäft kommen wollten. Mussolini, von Hause aus denkbar antiklerikal, war das klerikale Rom eine Messe wert. Dafür nahm er auch hin, dass seine noch etwas antiklerikalere Ehefrau eine spöttische Miene aufsetzte. Die Kirche half ihm, seine Macht zu konsolidieren. Der Klerus war nicht unfroh, nicht mehr länger verprügelt und zu Rizinusöl gezwungen zu werden. Der Papst war mehr daran interessiert, mit dem faschistischen Regime jenen Ausgleich zu finden, den ihm das liberale Bürgertum verweigert hatte. Dass er sich in seinem vehementen Antikommunismus mit der falschen Bewegung eingelassen hatte, realisierte er erst am Ende seines Lebens. Da war es zu spät.

Sein Nachfolger wurde der geschmeidige Eugenio Pacelli, dann Pius XII.: Auch er hatte keine größeren Probleme, sich mit dem Faschismus zu arrangieren. Dagegen war Pius XI. vehement antinazistisch und sehr verärgert über die knieweichen Reaktionen auf die Rheinland-Remilitarisierung im Jahr 1936 gewesen. Am meisten empörten Papst Pius XI. die wohlwollenden Reaktionen der österreichischen Bischöfe auf den "Anschluss" vom 15. März 1938. Der Erzbischof von Wien, Kardinal Innitzer, wurde zu einem Widerruf gezwungen. Wie der deutsche Botschafter zu berichten wusste, sei der Text "dem Kardinal Innitzer mit einem Druck abgerungen worden, der nur als Erpressung bezeichnet werden kann".

Längst nicht alle im hohen Klerus artikulierten sich so unmissverständlich gegen die faschistischen Rassengesetze wie der Mailänder Kardinal Schuster in seiner Sonntagspredigt vom 13. November 1938, der von einem "Produkt neuheidnischer Ideologie, das niemals von der Kirche akzeptiert werden könne", sprach. Wie und unter welchen Einflüssen der in den Anfängen biologistisch nicht weiter belastete Faschismus sein antisemitisches Profil entwickelte und die Rassengesetzgebung in Italien einführte (und wie sich der Klerus dazu stellte), zählt sicher zu den gelungensten Kapiteln des Buches.

Dem Verlag gebührt ein Kompliment für die umfangreichen, sorgfältig ausgewählten Illustrationen. Und überhaupt für die anständige Ausstattung.

IGNAZ MILLER

David I. Kertzer: Der Erste Stellvertreter. Papst Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschismus. Theiss Verlag, Darmstadt 2016. 608 S., 38,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Jörg Ernesti liest David I. Kertzers Studie zu Papst Pius XI. Mit Spannung. Das liegt an der "brillanten" Erzählweise des Autors und seinen anschaulichen Charakterisierungen der Protagonisten. Ein Drama sondergleichen, meint Ernesti. Doch dann stellt er fest, dass Kertzer häufig allzu maliziöse Urteile fällt und der bestehenden Forschung außer einer zugespitzten These eigentlich nichts Neues hinzufügt. Vor allem stören den Rezensenten beim Lesen zunehmend die undifferenzierten Überzeichnungen und suggestiven Behauptungen, die ihm bisweilen sogar die Grenzen zur Unseriosität zu überschreiten scheinen. Den Pakt mit dem Teufel Mussolini kann Ernesti jedenfalls nicht erkennen, darüber, meint er, muss weiter gestritten werden, am besten etwas seriöser.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Ein anspruchsvoller Blockbuster« Joseph J. Ellis, Pulitzer-Preisträger »Ein neuer Maßstab für das Studium des Papsttums.« The Sunday Times »Kertzer erzählt die faszinierende und tragische Geschichte der eigennützigen Unterstützung des Vatikan für Mussolini in seiner frühen und verwundbaren Phase.« The New Yorker »Fesselnd ... der wahre Da Vinci Code - aber akribisch dokumentiert.« San Francisco Chronicle »Ein Buch, dessen narrative Kraft ebenso beeindruckt wie sein moralisches Feingefühl ... Kertzer hat eine faszinierende Geschichte von zwei reizbaren - und oft irrationalen - Potentaten entdeckt, schildert ihre undurchsichtigen Intrigen und zeigt, wie sie Macht ausübten - mit teils verblüffenden Ergebnissen.« The Guardian »David Kertzer ist es gelungen, eine faszinierende Parallelbiographie von Papst Pius XI. und Mussolini zu schreiben; spannend, ohne trivial zu werden.« Deutschlandfunk »Er [David Kertzer] kreiert eine erschütterliche Geschichte zum Bündnis von Vatikan und Faschismus und schafft durch seine brilliante Erzählweise und insbesondere seine anschauliche Charakterisierung der Protagonisten eine ganz besondere Dramaturgie, wie sie sonst nur in Thrillern zu finden ist.« youngspeech.de »Nach der Lektüre von David Kertzers exzellent geschriebenem Buch wird man das Geschichtsbild revidieren müssen. Pius XI. war - folgt man Kertzer - der erste Stellvertreter, der den Faschismus und damit vielleicht auch den Nationalsozialismus überhaupt erst möglich machte. Aus der einstigen Lichtgestalt wird ein, wenn auch tragischer, Dunkelmann. ... Wer sich mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts beschäftigt, kommt an diesem Buch nicht vorbei.« Hubert Wolf, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster »Eine kluge, informative und ausgewogene Darstellung des mentalen und kulturellen Beziehungsnetzes zwischen dem Vatikan Papst Pius' XI. und Mussolinis Faschismus.« Buchkultur »Ein exzellentes und genaues, dabei leichtfüßig erzähltes Buch.« religion.orf.at »Wer sich mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts beschäftigt, kommt an Kertzers anschaulich und spannend geschriebenem Buch nicht vorbei...« frankfurt-live.com »Ein weiterer Lesenswerter Vatikan-Krimi auf dem Büchermarkt!« Schwarzwälder Bote…mehr