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Die naive junge Amerikanerin Maud erlebt das Berlin nach dem 2. Weltkrieg - ein satirisches Sittenbild, »temporeich und zynisch«. Zeit online
Die junge Amerikanerin Maud hat noch nicht viel von der Welt außerhalb der New Yorker High Society gesehen. Da bekommt sie die Gelegenheit, eine britisch-amerikanische Militärmission nach Berlin zu begleiten, die den Deutschen endlich demokratische Prinzipien näherbringen soll - eine fabelhafte Chance, vor ihrer Hochzeit noch rasch etwas zu erleben. Die chaotische Gruppe versammelt allerlei skurrile Charaktere und die so glamouröse wie naive Maud muss…mehr

Produktbeschreibung
Die naive junge Amerikanerin Maud erlebt das Berlin nach dem 2. Weltkrieg - ein satirisches Sittenbild, »temporeich und zynisch«. Zeit online

Die junge Amerikanerin Maud hat noch nicht viel von der Welt außerhalb der New Yorker High Society gesehen. Da bekommt sie die Gelegenheit, eine britisch-amerikanische Militärmission nach Berlin zu begleiten, die den Deutschen endlich demokratische Prinzipien näherbringen soll - eine fabelhafte Chance, vor ihrer Hochzeit noch rasch etwas zu erleben. Die chaotische Gruppe versammelt allerlei skurrile Charaktere und die so glamouröse wie naive Maud muss bald feststellen, dass die Deutschen weder ein Interesse an Demokratie haben noch daran, von ihr und den anderen Alliierten gerettet zu werden.

Eine bitterböse Satire über das Deutschland der Nachkriegszeit - von der Herausgeberin Nicole Henneberg in einem Nachwort historisch, biografisch und literarisch neu eingeordnet.
Autorenporträt
Gabriele Tergit (1894-1982), schrieb Romane, Feuilletons und Reportagen. Die ju¿dische Schriftstellerin emigrierte 1933 nach Palästina, 1938 zog sie nach London. Von 1957 bis 1981 war sie Mitarbeiterin des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland. Ihr literarisches Werk wurde erst spät in Deutschland wiederentdeckt. Heute gilt sie als bedeutende Autorin der Zwischen- und Nachkriegszeit.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Rezensentin Katharina Döbler begibt sich in diesem offenbar in den Fünfzigern entstandenen und vor mehr als zwanzig Jahren bereits überarbeitet erschienenen Buch von Gabriele Tergit einmal mehr ins Nachkriegsberlin. Dass sich Tergit-Herausgeberin Nicole Henneberg streng an das Originalmanuskript - samt englischsprachiger Passagen - hält, verbucht die Kritikerin als Gewinn. Und so reist sie in dieser, wie sie findet, kongenialen Mischung aus Reportage, Satire und Zeitgeschichte an der Seite der jungen, reichen und naiven New Yorkerin Maud zwecks Gründung einer demokratischen deutschen Zeitung nach Berlin und blickt mit dieser ganz ahnungslos auf Berliner "Nazi-Noblesse", "ökonomisch motivierte" Amerikaner oder "klug formulierende" Russen. Dass die Autorin die Ereignisse in Berlin nicht von oben herab kommentiert, ist für Döbler ein weiterer Vorzug dieses lesenswerten Buches.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.02.2023

Neues
Deutschland
Gabriele Tergits Nachkriegsroman
„Der erste Zug nach Berlin“ ist eine
bittere, lustige, meisterhafte Satire
VON FABIAN WOLFF
Keine der Wiederentdeckung so würdige Autorin wurde schon so oft wiederentdeckt wie Gabriele Tergit. Die erste von bisher drei Tergit-Wellen begann in den Siebzigern, als der Autor Frank Grützbach in einem Kölner Antiquariat „Käsebier erorbert den Kurfürstendamm“ fand und sich verliebte. Er machte aus dem koloritsatten Berlinroman von 1931 ein Hörspielfeature, dem 1977 die Einladung der damals 83-jährigen Schriftstellerin aus London zu den Berliner Festspielen folgte, als lebende Vertreterin des preußisch-jüdischen Bürgertums, dem sie mit den „Effingers“ ein ungeschöntes Denkmal gesetzt hat.
In den frühen Jahren der Berliner Republik wurde vor allem die Weimar-Journalistin Tergit aufgetan, ihre Feuilletons und Gerichtsreportagen für die Weltbühne und das Berliner Tageblatt sowie Texte aus der Exilstation Palästina, die vom Journalisten Jens Brüning herausgegeben wurden. Die letzte Welle wurde 2016 maßgeblich von der Literaturwissenschaftlerin Nicole Henneberg ausgelöst. Sie machte aus „Käsebier“ und den „Effingers“ Bestseller und sie trägt uns bis ins Jetzt, zur Wiederveröffentlichung von Tergits Roman „Der erste Zug nach Berlin“.
Der Roman, geschrieben in den frühen Fünfzigern, sticht in Tergits Werk hervor, und das nicht nur wegen seines dichten Anglizismusgewebes mit schönen Sätzen wie „Er sah aus wie ein Hollywood-Star, such ones who escape to happiness mit einem jungen Mädchen“. Statt straßenschlauer oder montierend ironischer Erzählstimme hat Tergit hier eine Ich-Erzählerin geschaffen, die weit weg ist von ihrem üblichen Personal.
Die 19-jährige Maud stammt aus dem WASP-Geldadel der amerikanischen Ostküste, ihr Onkel nimmt sie in den ersten Nachkriegsjahren mit auf eine Geschäftsreise ins besetzte Deutschland. Für Maud ist das eine willkommene Stundung ihrer Hochzeit mit einem Gouverneurssohn und ihre Form der „Grand Tour“ durch Europa, auf die Kinder der upper ten thousand vor dem Krieg geschickt wurden.
Tergit demoliert die Welt dieser Schicht treffsicher und in zischenden Dialogen. Nicht wenige von ihnen waren vor dem Kriegseintritt im isolationistischen „America First“-Komitee organisiert, auch wegen unverhohlener Sympathie für Nazi-Ideen. Und so wünscht sich Mauds liebe Tante Ketta einen Präsidenten, der „endlich die blödsinnige Einwanderung aufhebe“ und für ethnische Homogenität sorge: „African to African, Jew to Jew, female bird to male bird and Anglo-Saxon to Anglo-Saxon.“ Maud nickt zustimmend.
Die Nähe zu einer bekannten Passage aus „Mein Kampf“ („der Storch zur Störchin, Feldmaus zu Feldmaus“) wird kein Zufall sein. Tergit hatte als Gerichtsreporterin Goebbels und Hitler noch 1929 als Angeklagte erlebt und ihren Aufstieg so kritisch begleitet, dass Goebbels selbst in einem Naziblatt der „miesen Jüdin“ drohte. Erst nach einem missglückten Überfall der SA floh die stolze Berlinerin Tergit nach Prag, Palästina und schließlich Putney in London. In London macht auch Mauds Entourage halt, und es zeigt sich, dass der Roman, trotz amerikanischer Hauptfiguren, eine sehr englische Angelegenheit ist. Nicht nur, weil Tergit die inneren Debatten und Pathologien des zerfallenden Empires aus direkter Anschauung kannte, sondern weil sie diese mit großer Giftigkeit aufspießt. Maud liest über ein Preisausschreiben, bei dem aufgefordert wird, „alle Dinge aufzuschreiben, die wir aus dem Empire bekommen können oder auf die wir verzichten können und die noch immer woanders gekauft werden“. Hauptpreis ist eine Reise nach Irland, danach gibt es Silberbesteck und Aschenbecher mit den Wappen der Dominions.
Das ist nun so komisch, dass das Buch kurz hoffen lässt, Evelyn Waugh von links zu sein oder George Orwell mit Humor – und die Schlagzeile „Preisausschreiben für Empireindeedness“ ist so schön unübersetzbar, dass man Herausgeberin Nicole Henneberg wieder einmal danken muss, diesmal dafür, die zahlreichen Anglizismen aus dem Originalmanuskript wieder in die Druckfassung übertragen zu haben, sogar ohne kursive Verfremdung, aber in den Anmerkungen erklärt. (Ob sie allerdings, wie in ihrem Nachwort, dem 2011 plötzlich verstorbenen und um Tergit ebenfalls sehr verdienten Jens Brüning gar so ausführlich noch ins Grab hinein erklären muss, warum seine Arbeit als Herausgeber der Erstausgabe von 2000 den Text entstellt hat, ist eine andere Frage.) Die Anglizismendichte hat wenig mit dialogischem Realismus zu tun, die Verkehrssprache ist auch zwischen anglophonen Figuren Deutsch. Es ist der Tonfall von deutschen Émigré-Briefen, von Marx an Engels, von Arendt an Anders („is Monsieur still teaching at the New School, unseligen Angedenkens“), von einem ganzen zentraleuropäischen Jahrhundert. Über die Psychologie dieser Polyglossie wurde bisher überraschend wenig geforscht. Sie ist, in Tergits Roman, die Verankerung, vielleicht sogar Verheimatung in einer anderen, vermeintlich funkelnderen und doch fremden Welt – und gleichzeitig, für die Handwerkerin Tergit, ein weiteres Werkzeug in ihrer toolbox. Wie vielen aus ihrer Weimarer Generation war ihr Schreiben nicht heiliges Schicksal, als tägliches Ritual im Schreibzimmer zwischen neun und zwölf, sondern ein Brotberuf, zwischen kleiner und großer Form hechtend, auch dann noch, als die Schreibtische aus Gründen der Flucht und Verfolgung über Nacht gewechselt werden mussten. So besteht der Kern der Betrachtungen und Erfahrungen, die Maud im besetzten Berlin macht, aus Tergits Erlebnissen als eine Art Reporterin bei Reisen durch Deutschland 1948 und 1949, wobei wichtige Texte aus dieser Zeit noch unveröffentlicht und leider auch dieser Ausgabe nicht beigefügt sind.
Mit den politischen, ökonomischen, auch einfach moralischen Dimensionen des Schreibberufs hat Tergit schon 1931 in der Medienhypesatire „Käsebier“ gehadert. Ihr Nachkriegsroman ist eine Fortsetzung davon, nur wird jetzt nicht einfach nur ein Volkssänger durch Reklame und Schlagzeilen zum Star hochgeschrieben. Stattdessen wird publizistisch über die deutsche Zukunft entschieden, ob als britische Neo-Kolonie, als antibolschewistisches Bollwerk oder als sowjetischer Satellit, als zu wiedergeboren werdende Kulturnation oder vielleicht als Demokratie. Maud verfolgt diese Diskussion etwas überfordert von ihrem Arbeitsplatz bei einer vom Kontrollrat verantworteten Zeitung. Auch die täglichen Begegnungen mit Antisemitismus, Revanchismus und allgegenwärtiger Schuldabwehr in diesem Land, in dem es „überall am schlimmsten ist“ (Stig Dagerman in seinem Bericht aus Deutschland 1946), weiß sie nicht richtig einzuordnen.
Die Historikerin Zoé Samudzi schrieb neulich von „Germanness as collectively performed denial“. Bei Tergit erleben wir einige ihrer Urszenen – wobei es immer wieder auch die germanophilen Besatzer sind, die diese deutsche Wahrheit verleugnen. Schließlich ist Maud selbst Teil dieser Verleugnung. Sie hat eine schmerzhafte Affäre mit einem deutschen Schriftsteller, der es versteht, seinen braunen Moder als kulturelle Westbindung zu verkaufen. Das, auch hier ist Tergit wieder bemerkenswert klarsichtig, funktioniert nur, weil sich dieser Westen ihn allzu gerne kauft. Die Trübnis lässt Tergit immer wieder unaufdringlich, aber prägnant von wirklich integren Figuren erhellen. Zwei deutsche Widerstandskämpfer aus dem Londoner Exil alarmieren, dass sich die Redaktion „hier ’ne ausgesprochene Faschistenclique angelacht hat. Die Herren Nazis kriegen die Posten wie eh und je. Unsereiner kann ja nischt dagegen machen, aber wissen sollen Sie es wenigstens“.
Ein im KZ gemarterter antifaschistischer Journalist wird als „das andere Deutschland“ aufgesucht. Und das „andere Amerika“ ist der Journalist Merton, von Maud erst vulgär geziehen, dann schließlich der Lehrer hinter ihrer sentimental education. Eine große innere oder äußere Erweckung wird daraus bei der lakonischen Tergit aber nicht: you can only do so much. Diese gar nicht süße Bitterkeit steht nicht nur dem Buch gut zu Gesicht, sie ergänzt auch hoffentlich das bisherige Tergit-Bild als eine Autorin des melancholischen Blicks. Sonst läuft sie Gefahr, wie Joan Didion, Susan Sontag und Virginia Woolf gänzlich gestoffbeutelt und auf die Rolle „schreibende Frau“ reduziert zu werden, wobei jede politische und ästhetische Komplexität wie Didions Konservatismus und Sontags absolute Strenge eingeebnet wird, von persönlichen Verfehlungen wie Woolfs weißer Englishness als rassistischem und antisemitischem Konstrukt ganz zu schweigen. Solche Abgründe gibt es, trotz einleitender Warnung vor rassistischer Sprache, in Tergits Roman nicht, auch wenn sich an einer Passage zum Zionismus und Schwarzer Selbstbehauptung ganz unterschiedliche Positionen reiben können. Nur an dieser Stelle tritt Tergit als jüdische Schriftstellerin hervor. Die Shoah ist hier keine Größe, und es ist auch schwer vorstellbar, wo der Roman landen würde, wenn sie es wäre. Vielleicht bei Sylvia Plath.
Speaking of: Im Sommer 1953, den Plath knapp in New York überlebte und über den sie einige Jahre später in „Die Glasglocke“ schreiben sollte („ein verrückter, schwüler Sommer, in dem die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen"), beendete Tergit gerade in London ihr Manuskript über den Frühling einige Jahre vorher, in dem Europa geteilt wurde. Irgendwo in diesen Verbindungen steckt sie vielleicht tatsächlich, die Geschichte des Schreibens, zu der sowohl Plath als auch Tergit gehören. „Der erste Zug nach Berlin“ zeigt Tergit als Zeitkritikerin, at times delightfully nasty und mit moral hardness. Es ist ein Glück, dieses Buch jetzt zu lesen, beweist es doch Folgendes: Eine Schriftstellerin, die so oft wiederentdeckt werden kann, wird nie ganz gefunden werden.
Der Roman korrigiert Tergits
Ruf als Autorin des
melancholischen Blickes
Ihre erste Wiederentdeckung
im Jahr 1977 erlebte sie noch: die Autorin Gabriele Tergit.

Foto: Jens Brüning/Schoeffling Verlag 
„Die Herren Nazis kriegen die Posten wie eh und je“, heißt es bei Tergit: Tänzerinnen des Zirkus Krone auf dem Kurfürstendamm im Jahr 1948.
Foto: AP
Gabriele Tergit: Der erste Zug nach Berlin. Roman. Aus dem Nachlass herausgegeben und mit einem Nachwort von
Nicole Henneberg.
Schöffling & Co, Frankfurt am Main, 2023.
208 Seiten, 22 Euro.
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»Antisemitismus, Revanchismus, Schuldabwehr: In ihrem Roman 'Der erste
Zug nach Berlin' porträtiert Gabriele Tergit Nachkriegsdeutschland auf
unnachahmliche Weise.«
Fabian Wolff, Süddeutsche Zeitung