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Die von den Nationalsozialisten im 2. Weltkrieg angestrebte Neuordnung Europas zielte auf einen deutsch dominierten europäischen Großraum ab. In den faschistischen Bewegungen der besetzten Länder kursierten jedoch auch alternative Pläne. Im Zwiespalt zwischen ideologischer Solidarität mit dem Nationalsozialismus und Ablehnung seiner Annexionsansprüche entstanden politische Gegenentwürfe, die auf die Schaffung einer europäischen Föderation souveräner faschistischer Staaten hinausliefen. Diese Studie beleuchtet erstmals diese Europapläne und ihr Verhältnis zur NS-Außenpolitik anhand eines…mehr

Produktbeschreibung
Die von den Nationalsozialisten im 2. Weltkrieg angestrebte Neuordnung Europas zielte auf einen deutsch dominierten europäischen Großraum ab. In den faschistischen Bewegungen der besetzten Länder kursierten jedoch auch alternative Pläne. Im Zwiespalt zwischen ideologischer Solidarität mit dem Nationalsozialismus und Ablehnung seiner Annexionsansprüche entstanden politische Gegenentwürfe, die auf die Schaffung einer europäischen Föderation souveräner faschistischer Staaten hinausliefen. Diese Studie beleuchtet erstmals diese Europapläne und ihr Verhältnis zur NS-Außenpolitik anhand eines Vergleichs der faschistischen Bewegungen in den Niederlanden, Belgien und Frankreich.
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Autorenporträt
Robert Grunert, Dr. phil., geb. 1980, Studium der Geschichte und Soziologie an der Universität Bremen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Zukunftstraum Wirtschaftsraum
Die Europa-Pläne der westeuropäischen Faschistenführer

Hitlers Siege im Frühsommer 1940 brachten die faschistischen Minderheiten in Belgien, Frankreich und den Niederlanden in eine eigenartige Situation: Einerseits konnten sie die Siege des nationalsozialistischen Deutschlands über die westeuropäischen Demokratien prinzipiell nur gutheißen. Andererseits stellten sie gleichzeitig Niederlagen der eigenen Nation dar, deren Machtsteigerung sie sich doch auf die Fahnen geschrieben hatten. In dieser Situation lag es nahe, den Sieg der Nationalsozialisten als Auftakt zur nationalen Revolution im eigenen Land zu begreifen und sich von dieser Revolution einen angemessenen Platz in Hitlers "Neuem Europa" zu erhoffen. Die vergleichende Studie von Robert Grunert zeigt, dass die westeuropäischen Faschisten nicht nur für die nationalsozialistische Europa-Propaganda empfänglich waren, sondern ausnahmslos eigenständige Europa-Konzeptionen entwickelten. Diese unterschieden sich allerdings in unterschiedlichem Ausmaß von den imperialistischen Hegemonialvorstellungen Hitlers. Selbst mit den Überlegungen Heinrich Himmlers und Teilen der SS-Führung zur Privilegierung "germanischer" Völkerschaften in einem "Großgermanischen Reich" waren sie nur bedingt vereinbar. Nicht zuletzt deswegen war den Bemühungen der faschistischen Führer, mit Hilfe der deutschen Sieger die Macht im eigenen Land zu übernehmen, nur wenig Erfolg beschieden.

So strebte Anton Adriaan Mussert, der Führer der niederländischen Nationaal-Socialistische Beweging (NSB), die Bildung eines "Germanischen Staatenbundes" an, dem die Niederlande, erweitert um Flandern und die flandrischen Gebiete Nordfrankreichs als gleichberechtigte "dietsche" Volksgemeinschaft angehören sollten. Als Aufgabe des Staatenbundes sollte die "Rettung Europas" vor angloamerikanischem Kapitalismus und asiatischem Kommunismus gelten. Konkretisieren sollte er sich vor allem in einer gemeinsamen Wohlfahrts- und Sozialpolitik sowie in einer europäischen Verteidigungspolitik im Rahmen einer gemeinsamen Wehrmacht. Über die Entscheidungsfindung in einer solchen Gemeinschaft von Volksgemeinschaften äußerte sich Mussert nicht konkret. Eine dauerhafte Unterordnung unter die Oberherrschaft des Reiches lehnte er jedoch beharrlich ab, und er zögerte auch nicht, die Übergriffe und die Ausbeutung durch die deutschen Besatzer als kontraproduktiv zu kritisieren.

Die belgischen Rexisten um Léon Degrelle träumten von einer "brüderlichen Einheit" aller erfolgreichen nationalen Revolutionen in Europa, die auf der gleichartigen, wenn auch jeweils eigenständigen revolutionären Umgestaltung der beteiligten Nationen beruhte und zur Schaffung eines einheitlichen kontinentalen Wirtschaftsraums mit einem spezifischen europäischen Wirtschaftssystem führte. Der Partei-Ideologe José Streel bezeichnete dies als "industriekapitalistisch", im Gegensatz zum angelsächsischen Finanzkapitalismus und zum Sowjetkommunismus, die beide die weltpolitische Stellung Europas bedrohten. Belgien sollte diesem neuen Europa als ungeteilter Nationalstaat angehören - hier unterschieden sich die belgischen Rexisten von den niederländischen Nationalsozialisten und tendenziell auch vom Vlaamsch Nationaal Verbond (VNV), der mit einer Selbständigkeit der Flamen sympathisierte.

Degrelle wollte sogar die französischen Nord-Départements und Luxemburg in den belgischen Staat eingliedern und so die "burgundische" Tradition wiederbeleben. Damit stieß er ebenso wie Mussert auf den entschiedenen Widerspruch der französischen Faschisten um Jacques Doriot und seinen Parti Populaire Français (PPF). Doriot war zwar in realistischer Einschätzung der Machtverhältnisse bereit, das Elsass und Lothringen dem Deutschen Reich zu überlassen. Im Übrigen hoffte er aber, Frankreich durch eine solche Vorleistung eine starke Stellung im neuen Europa verschaffen zu können. Der Verzicht auf Elsass-Lothringen sollte durch Vergrößerung des französischen Kolonialreichs durch bislang englische Kolonien kompensiert werden, und Frankreich sollte nach dem Reich die zweite Stelle in der Staatenhierarchie des faschistischen Europas innehaben.

Mit Aussagen zur Organisation des neuen Europas hielt sich der Exkommunist Doriot zurück. Sein Rivale Marcel Déat von den Neo-Sozialisten sprach etwas deutlicher von einer "organischen" Hierarchie, die durch gemeinsame Werte wie Disziplin, Arbeit, die Zurückstellung individueller Bedürfnisse, Gehorsam gegenüber dem Staat und Gemeinschaftssinn zusammengehalten wird. Europa sollte sich zu einem gemeinsamen sozialistisch organisierten Wirtschaftsraum entwickeln, in dem aber die Vielfalt der beteiligten Nationen erhalten bleiben sollte.

Mit der Umsetzung ihrer ambitionierten Pläne kamen die westeuropäischen Faschisten nicht allzu weit. Mussert konnte lediglich verhindern, dass seine NSB von der SS unterwandert wurde. Déat wurde nach langwierigen Verhandlungen im März 1944 Arbeitsminister in der Regierung von Pierre Laval. Degrelle wurde von der Reichsregierung im November 1944, als die alliierten Truppen schon bis nach Aachen vorgedrungen waren, als "Chef der wallonischen Volksgruppe" anerkannt. Doriot wurde zu Beginn des Jahres mit der Führung eines "Französischen Befreiungskomitees" beauftragt, das freilich nichts mehr befreien konnte.

Insofern mag man die Europa-Pläne der westeuropäischen Faschistenführer als Fußnoten in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs abtun. Die Vehemenz, mit der sie verfolgt wurden, zeigt jedoch, dass das Bedürfnis nach Bildung supranationaler Wirtschaftsräume im kontinentalen Europa weiter verbreitet war, als man mit Blick auf die nationalistische Emphase der Faschisten annehmen möchte. Gleichzeitig liefern die Auseinandersetzungen der Faschisten mit der deutschen Besatzungsmacht, die Grunert im oft verwirrenden Detail schildert, reichhaltiges Anschauungsmaterial für eine Typologie des europäischen Faschismus.

WILFRIED LOTH

Robert Grunert: Der Europagedanke westeuropäischer faschistischer Bewegungen 1940-1945. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2012. 318 S., 44,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Instruktiv findet Rezensent Wilfried Loth, Professor am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen, diesen Einblick in die Europa-Diskurse faschistischer Parteien in den von den Nazis besetzten Ländern Westeuropas. Europa erscheint darin als Ausweg aus dem Dilemma, das sich aus aggressiv nationalistischen Ideologien einerseits und der Unterordnung unter das Deutsche Reich andererseits ergab. Vereinbar, so scheint es, waren die Europa-Diskurse zwischen diesen Parteien kaum - die französischen Faschisten wären wohl kaum mit der Annexion ihrer nördlichen Départements einverstanden gewesen, wie sie ihre niederländische und flämische Kollegen verfolgten. Aber Europa, so zeigt es das Buch laut Loth, wurde doch auch zu einer Projektionsfläche - etwa für eine gemeinsame Sozialpolitik und zuweilen sogar für den Traum von einer sozialistischen Wirtschaftsordnung. Gemeinsam war allen Parteien jedenfalls die Ablehnung des "Finanzkapitalismus" angelsächsischer Prägung.

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