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Richard Strauß, Schöpfer von Werken wie "Elektra", "Salome", "Der Rosenkavalier", befand sich lebenslang auf einer Gratwanderung zwischen karrieristischer Bürgerlichkeit und echtem Künstlertum. Die Musikwissenschaftlerin Veronika Beci versucht in dieser Biographie, dem Musiker und seinem Werk nahezukommen, dabei spart sie die zweifelhafte Rolle, die Strauß während der Nazizeit spielte, nicht aus.

Produktbeschreibung
Richard Strauß, Schöpfer von Werken wie "Elektra", "Salome", "Der Rosenkavalier", befand sich lebenslang auf einer Gratwanderung zwischen karrieristischer Bürgerlichkeit und echtem Künstlertum. Die Musikwissenschaftlerin Veronika Beci versucht in dieser Biographie, dem Musiker und seinem Werk nahezukommen, dabei spart sie die zweifelhafte Rolle, die Strauß während der Nazizeit spielte, nicht aus.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Rosenkavaliersdelikte
Veronika Beci rügt Richard Strauss / Von Michael Gassmann

Die Musikwissenschaft macht es ihren Komponisten nicht leicht. Zwei Hauptforderungen erhebt sie ihnen gegenüber, die nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen sind. Da wird zum einen ein ausgeprägter Personalstil verlangt, zum anderen gefordert, man müsse nicht nur auf der Höhe seiner Zeit, sondern ihr sogar ein Stück weit voraus sein. Nicht wenige geraten zwischen die Mühlen dieser Forderungen; die Langlebigen haben es besonders schwer. Was zum Beispiel soll man von Telemann halten, der bei Lully begann und (obwohl älter als Bach) im galanten Stil endete? Der stille Vorwurf der Rückgratlosigkeit ist kaum aus der Welt zu schaffen. Umgekehrt ist es im Falle von Elgar und Sibelius; auch sie wurden alt, blieben aber ihrem Stil treu; von Hermann Danuser wurden sie dafür in seiner "Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts" rechtskräftig zum "Epigonentum verurteilt".

Person und Werk von Richard Strauss stellen vor diesem Hintergrund eine Provokation dar: Einerseits kommt man an ihm als Anführer der musikalischen Moderne um 1900 kaum vorbei, andererseits machte er den Schritt in die Atonalität nicht nur nicht mit, sondern vollzog mit dem "Rosenkavalier" 1911 eine bewußte Kehrtwende; er wurde so alt, daß ihn von seinen komponierenden Altersgenossen einzig Sibelius überlebte. Es ist sicher kein Zufall, daß Gustav Mahler, dem Freund und Rivalen, in der jüngeren Musikwissenschaft so viel mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden ist als Richard Strauss: Der 1911 Verstorbene brauchte die Frage, wie er auf die Traditionsumwälzungen des Jahrhundertbeginns reagiert hätte, nicht mehr zu beantworten; so konnte er in der musikwissenschaftlichen Literatur als "Prophet der Moderne" und "Komponist des Verfalls" geradezu zum Mythos avancieren. Um Strauss ist es in der Literatur vergleichsweise still, auch wenn das Strauss-Archiv in Garmisch mit der Publikation der Briefe fortfährt und Walter Werbeck erst vor zwei Jahren eine großangelegte Studie über die Tondichtungen vorgelegt hat.

Jetzt, wo sich in der Musikwissenschaft die ideologischen Nebel lichten und die erste Hälfte des Jahrhunderts wieder in ihrer ganzen Vielfalt erkennbar wird, könnte sich die Chance eröffnen, auch das Werk von Richard Strauss nach 1911 neu zu bewerten. Die Erkenntnis, daß eine stark ausgeprägte individuelle musikalische Sprache sich den Kategorien von Fortschritt und Reaktion entzieht, weil sie gewissermaßen eigenes Recht setzt, könnte hierbei leitend sein. Der fünfzigste Jahrestag seines Todes 1999 bietet einen Anlaß für eine solche Neubewertung; Veronika Beci war am schnellsten.

Leider zu schnell. Zwar scheint der bedeutungsschwangere Titel "Der ewig Moderne" eine provokante These zu enthalten, und im Vorwort streift Beci kurz das vielversprechende Konzept einer Erklärung des Strausschen OEuvres aus beständiger Lust an der Opposition. Doch leider ist das Buch bloß enttäuschendes Flickwerk aus bereits Bekanntem, das nur so tut, als ob es etwas Neues zu sagen hätte. Es ist der alte Trick mit dem Umschlagtext: Auf die Behauptung, das Straussche Werk werde "mißverstanden", folgt die Verheißung, daß ein "neuer Zugang" gefunden werde.

Bei der Lektüre sieht man die Autorin geradezu vor sich, wie sie Lexikonartikel, Briefausgaben und die Zusammenfassungen der Strausschen Opernlibretti nebst einem handlichen Geschichtsatlas um sich herum auf dem Schreibtisch versammelt und mal hier, mal dort sich das Nötige zusammenklaubt. Die chronologisch geordneten Kapitel werden so zu Pasticci, deren stereotyper Aufbau schon bald ermüdet. Es ist immer dasselbe: ein gegebenes Jahr, ein kurzer biographischer Abriß, in den eine Beschreibung der jeweiligen Örtlichkeit (München, Wien, Berlin) eingearbeitet ist, die Erwähnung einer Oper, deren Inhaltsangabe nebst kurzer musikalischer Analyse, und fertig.

Nun hätte dieses Vorgehen, wenn es schon keine neuen Erkenntnisse zeitigt, wenigstens einen gewissen Informationswert, wenn nicht die sprachliche Präsentation zugleich schlampig und altklug wäre. So heißt es über Moskau, das Ziel einer Strausschen Konzertreise: "Man gibt sich weltoffen, mondän. Den Vormittag verbringt man im Bett unter seidenem Himmel, den Nachmittag mit Besuchen, den Abend im kaiserlichen Theater." Die Strömungen in der Kunst nach 1900 werden folgendermaßen beschrieben: "Auf allen Gebieten geht das große Suchen nach neuen Ausdrucksweisen los, es wird zu einer regelrechten Manie." Zu Strauss' Instrumentierungskunst fällt Beci nichts besseres ein als: "Übrigens echt Strauss, ein eher unübliches Instrument wie die Ratsche derart ausgiebig zu benutzen." Das ist die Sprache einer Autorin, die alles zu wissen glaubt und wenig begriffen hat.

Die sprachliche Schlamperei erstreckt sich auch auf die Terminologie: Den Begriff "Spätromantik" zum Beispiel wendet Beci auf Robert Schumann an, aber auch auf Eichendorff, dessen Lyrik "nicht in allen Teilen hochromantisch, viel mehr spätromantisch gebrochen erscheint", schließlich auf Elgar und auf Strauss selbst; Beci kann sich nicht entscheiden, ob sie den Begriff als Epochen- oder als Stilkategorie verwenden möchte. Für einen Zugang zu Richard Strauss' Werk fehlt der Autorin schlicht das musikanalytische Handwerkszeug. Welchen Nutzen etwa bezieht der Leser aus der Auskunft, der "Gesamtaufbau" der "Salome" ähnele "dem schlängelnden Ornament, das das Markenzeichen des Jugendstils ist"? Auch die ergänzende Erläuterung, daß die "Salome"-Musik "von einer Stimmung in die andere" gleite und die "dynamische und temporäre Linie" in "Schlangenbewegungen" verlaufe, hilft da kaum weiter.

Das Bild, das Beci von Strauss zeichnet, wird vom Ressentiment gegen den Erfolgreichen bestimmt; die Behauptung, daß der Komponist ein Karrierist gewesen sei, bildet gewissermaßen den roten Faden des Buches. Selbst wenn die Behauptung zuträfe, wäre der Befund wenig bedeutsam. Das Klischee vom bettelarmen, verkannten Genie findet sich hier verwandelt in die törichte Forderung, ein Komponist dürfe finanziellen Erfolg weder anstreben noch haben. Strauss hatte diesen Erfolg, und Beci kann das nicht hinnehmen. Da wird selbst die Gründung einer Familie, ja noch die Geburt des Enkelkindes als die Errichtung einer der Karriere förderlichen "bürgerlichen Maske" denunziert.

Als Indiz für Straussens Karrieristentum dient Beci das Verhältnis zum Kollegen Gustav Mahler. Herta Blaukopf hat in einem ausführlichen Essay, der ihrer Ausgabe des Briefwechsels der beiden Komponisten (1980) angefügt ist, ein ebenso fundiertes wie psychologisch einfühlsames Porträt dieser Freundschaft, die von Rivalität nicht frei war, gezeichnet. Von dieser Einfühlung findet sich leider in Becis Text nichts. Es ist ein Faktum, daß Strauss, der von Selbstzweifeln nicht übermäßig geplagt wurde, die Rivalität zu Mahler weit weniger stark empfand als dieser und seinen Kollegen nach Kräften förderte.

Um ihre Behauptung zu stützen, Strauss habe, um der eigenen Karriere zu nutzen, Mahler schaden wollen, greift Veronika Beci zu wissenschaftlich unlauteren Methoden: Aus einem Strauss-Brief an Mahler vom 5. Mai 1905 zitierend, erklärt die Autorin, Strauss habe Mahler von einer Aufführung seiner fünften Symphonie auf dem Tonkünstlerfest desselben Jahres in Graz abhalten wollen, "damit (Zitat Strauss) Sie (Mahler) eher das Fest ausreichend unterstützen könnten, ohne Ihrer obersten Behörde gegenüber in Verdacht eigennütziger Bestrebungen zu kommen", und vermutet, daß Strauss angesichts der übermächtigen Konkurrenz um den Erfolg seines "Heldenlebens" auf eben diesem Fest fürchtete. In Wahrheit referiert Strauss hier eine Äußerung Mahlers, der selbst darum gebeten hatte, statt der fünften Symphonie nur einige Lieder aufzuführen, um nicht eigennützig zu erscheinen. Hier versucht Beci, kaum haltbare Thesen mit falsch wiedergegebenen Quellen zu untermauern.

Runde Geburts- und Todestage können gute Gelegenheiten sein, musikwissenschaftliche Urteile, die jahrelang von Aufsatz zu Aufsatz kolportiert wurden, zu revidieren, und es steht zu hoffen, daß das kommende Jahr neuen Schwung in die Debatte um Richard Strauss bringen wird. Veronika Beci hat versucht, sich das Jubiläumsjahr zunutze zu machen, aber sie hat die Gelegenheit nicht genutzt.

Veronika Beci: "Der ewig Moderne". Richard Strauss 1864-1949. Droste Verlag, Düsseldorf 1998. 296 S., 26 Abb., geb., 49,80 DM.

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