Tosun ist der Sohn eines Istanbuler Papierfabrikanten, im Herbst 1958 kommt der junge Türke nach Deutschland - noch vor den Gastarbeitern. Nach dem Studium heiratet er Maria, die von einem bayerischen Bauernhof stammt, und gründet eine Familie, in der nur Deutsch gesprochen wird. Tosun wird Manager in einer deutschen Firma und deutscher Staatsbürger. Er beginnt, auf Deutsch zu träumen, und sogar sein Gaumen passt sich deutschen Gepflogenheiten an: Er entwickelt eine Vorliebe für Schweinebraten und Weißbier.
Doch heute, sechzig Jahre später, zieht Tosun eine ernüchternde Bilanz. Zwar hat er alles unternommen, um sich zu integrieren. Dennoch wurde ihm immer wieder bedeutet, dass er weniger wert sei als ein "echter" Deutscher. Ganz anders erging es seiner Schwester, die damals in die USA auswanderte - und dort nie Diskriminierung erfuhr.
Anschaulich und differenziert erzählt der Journalist Can Merey die Geschichte seines Vaters. Nach der Lektüre erscheint das Leben der drei Millionen Deutschtürken in neuem Licht - und die komplexe Beziehung Deutschlands zur Türkei.
Doch heute, sechzig Jahre später, zieht Tosun eine ernüchternde Bilanz. Zwar hat er alles unternommen, um sich zu integrieren. Dennoch wurde ihm immer wieder bedeutet, dass er weniger wert sei als ein "echter" Deutscher. Ganz anders erging es seiner Schwester, die damals in die USA auswanderte - und dort nie Diskriminierung erfuhr.
Anschaulich und differenziert erzählt der Journalist Can Merey die Geschichte seines Vaters. Nach der Lektüre erscheint das Leben der drei Millionen Deutschtürken in neuem Licht - und die komplexe Beziehung Deutschlands zur Türkei.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.2018Ein guter Deutscher
Can Merey erzählt, wie sein Vater aus Istanbul seit sechzig Jahren versucht, in Deutschland ein Deutscher zu werden - und weshalb es nicht klappt
Das ist die Geschichte eines Türken, der seit 1961 in Deutschland lebt, mit einer oberbayerischen Bauerstochter eine Familie gründete, in angesehenen Unternehmen arbeitete, die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt und überhaupt alles tat, ein Deutscher zu werden. Aber irgendwie hat es nicht geklappt. Heute erklärt er sein Lebensprojekt, in diesem Land eine neue Heimat zu finden, für gescheitert. Wie kann das sein?
Der Autor, der die Geschichte dieses Mannes erzählt, hat eine besondere Nähe zu ihm: Er ist sein Sohn, und zugleich ist er als dpa-Korrespondent (in Neu-Delhi, in Istanbul und seit neuestem in Washington) dazu in der Lage, ihn von außen, mit dem Blick der Öffentlichkeit zu sehen. Can Merey sucht in dem Buch über seinen Vater Antworten auf Fragen, die sich der Gesellschaft als ganzer stellen und die seit dem Özil-Rücktritt auch tatsächlich die ganze Gesellschaft beschäftigen: Wie kann es sein, dass selbst Deutschtürken der dritten Generation, die beruflich erfolgreich sind und integriert leben, sich nicht von Deutschland angenommen, sondern als Bürger zweiter Klasse fühlen? Ist die Ablehnung verantwortlich dafür, wenn Türken zu glühenden Anhängern von Recep Tayyip Erdogan werden?
Deutschen Boden betritt Tosun Merey, der Vater des Autors, erstmals 1958, als Abiturient, um einen mehrmonatigen Deutschkurs zu besuchen. 1961 kehrt er nach Deutschland zurück und studiert in München Betriebswirtschaftslehre. Kurz darauf tritt das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei in Kraft. Tausende Türken machen sich auf den Weg nach Almanya, um hier ihr Glück zu versuchen. Tosun selbst findet seins in einer Münchner Wohngemeinschaft, die ihn zum Atheisten werden lässt, und mit Maria, der Bauerstochter. Das Paar heiratet 1968, kauft ein Haus, bekommt zwei Söhne und Tosun die deutsche Staatsbürgerschaft. Zu Hause wird nur Deutsch gesprochen - als Can Merey Jahrzehnte später seine Korrespondentenstelle in Istanbul antritt, muss er erst einmal einen Türkischkurs machen. Der Vater isst Schweinebraten und geht lieber ins Wirtshaus als in die Moschee. Er ist integriert, die Zeichen stehen sogar auf Assimilation.
Als Tosun anfängt, beim Büromaschinenkonzern Olivetti zu arbeiten, deutet sich zum ersten Mal an, dass seine Herkunft zum Problem werden könnte. Ein Kunde fragt seinen Vorgänger, ob es denn ein Türke sein müsse, der ihn nun betreut; er wolle mit Türken nichts zu tun haben. "Ich habe das damals wirklich für einen Einzelfall gehalten", sagt er heute im Gespräch mit seinem Sohn: "Das mit der Stimmung gegen Türken braute sich erst so allmählich zusammen, wie ein Nebel. Weniger mir persönlich gegenüber, es war eher die generelle Einstellung gegenüber Türken. Hass war es damals nicht, aber Herablassung."
Die Einzelfälle setzten sich mit den Jahren zu einem Muster zusammen. Immer wieder lassen ihn Deutsche spüren, dass er nicht willkommen ist. Einmal wird ihm wegen einer gesetzlichen Grauzone, von der Tosun selbst nichts ahnt, fast wieder die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Einfach so, von einer kühl lächelnden Beamtin. Und als er im Sommer 1978 seinen Jüngsten im Kindergarten der Deutschen Schule in Teheran anmelden will, wird der Junge mit der Begründung abgelehnt, man nehme nur "reinrassige Kinder" auf.
Als er später bei dem schwäbischen Elektronikkonzern SEL arbeitete, sei er, so sehr er sich auch bemüht habe, sich anzupassen, immer nur als Ausländer wahrgenommen worden. Die Firma schickte ihn nach Kairo, und viele Anrufer aus der Stuttgarter Zentrale redeten bloß in gebrochenem Englisch mit ihm, obwohl er selber Deutsch sprach. Einmal fragte er den Personalchef, ob er nicht eine andere Aufgabe im Unternehmen übernehmen könne. Der Personalchef wollte nicht recht mit der Sprache heraus und sagte schließlich, es gehe nicht um Qualifikation, aber er wisse nicht, "ob ich als Türke von Untergebenen akzeptiert würde". 1990 wurde er von SEL in ein Nato-Beratungsgremium entsandt, in dem er kaufmännischer Leiter einer Gruppe sein sollte, der auch zwei Deutsche angehören sollten. Doch die Deutschen lehnten den Auftrag ab - weil sie nicht unter einem Türken arbeiten wollten.
Erfahrungen wie diese führten dazu, dass er schon 1996 darum bat, mit gerade einmal 56 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand entlassen zu werden. Bis heute schleppt er nach der Einschätzung seines Sohnes ein Minderwertigkeitsgefühl mit sich herum. "Ich habe ein gutes Auskommen, ich werde in Bernau von den Nachbarn respektiert", sagt er heute seinem Sohn: "Ich habe deutsche Freunde. Ich müsste meine Sympathie mit wehenden Fahnen nach Deutschland tragen. Das kann ich aber nicht, weil ich irgendwie nicht als gleichwertiger Mensch betrachtet werde. Nicht, dass mich jemand persönlich beleidigt. Es ist vielmehr die stillschweigende, allgemein vorherrschende Meinung: Ach ja, die Türken . . . Das verletzt meine Würde."
Can Merey erzählt die Geschichte seines Vaters als Paradebeispiel dafür, wie Erdogan vom gebrochenen Stolz vieler Deutschtürken profitiert. Als der und seine AKP an die Regierung kommen, hält Tosun zunächst nicht viel von dem frommen Politiker. Dann aber kurbelt Erdogan die türkische Wirtschaft an, und Tosun verfällt immer mehr dem starken Mann in Ankara. Je lauter die Kritik vor allem aus Deutschland wird, desto mehr habe sein Vater Erdogan verteidigt, schreibt Can Merey. Erst Erdogans zunehmend autoritärer Führungsstil führte letztendlich dazu, dass er wieder mit der AKP brach. Wie bei vielen anderen Deutschtürken sei auch Tosuns Ja zu dem Autokraten in weiten Teilen als ein Aufbegehren gegen ein Deutschland zu verstehen, von dem man sich gedemütigt fühlt. Je mehr die Ausgrenzung wuchs, desto leichter hatte Erdogan es mit seinem Werben. Je länger der Dauerstreit zwischen Berlin und Ankara anhielt, desto höher stieg er auf der Beliebtheitsskala.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine gerade veröffentlichte Studie des Zentrums für Türkeistudien in Essen: Immer mehr von den etwa 2,85 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland fühlten sich mehr mit der Türkei verbunden und weniger mit Deutschland. Ausgerechnet die objektiv besser Integrierten empfänden sich häufig als nicht zugehörig, da sie besonders sensibel für gesellschaftliche Diskriminierungen seien. Das Zentrum für Türkeistudien empfiehlt daher: "Heimatliche Verwurzelung und Interesse an den Geschehnissen im Herkunftsland sollten nicht als Integrationsverweigerung abgestempelt oder als Merkmal fehlender Loyalität zu Deutschland bewertet, sondern als Ergänzung zur durchaus ausgeprägten Zugehörigkeit zu Deutschland anerkannt werden." Als problematisch wird jedoch vermerkt, dass jeder zweite Türkeistämmige in Deutschland die türkische Regierung als Vertreter seiner Interessen wahrnehme. Erdogan vermittele ihnen das Gefühl: Ich bin für euch da.
"Der ewige Gast: Wie mein Vater versuchte, Deutscher zu werden" ist ein ruhiges, abwägendes Buch. Hier schreibt keiner, der den Deutschen endlich mal den sogenannten Spiegel vorhalten will. Wie sollte das auch gehen, Can Merey ist ja selbst Deutscher. Vielmehr ergründet der Journalist mit zunehmendem Unwohlsein, was gerade in seinem Land vor sich geht. Er zitiert Studien, die belegen, dass Deutsche mit türkischen Namen auf dem Arbeitsmarkt und bei der Wohnungssuche diskriminiert werden. Er legt dar, wie anstrengend es ist, ständig für sein gutes Deutsch gelobt zu werden, nur weil man einen orientalisch klingenden Namen hat. Gleichzeitig sieht er aber auch bei vielen Deutschtürken eine unerfüllte Bringschuld: "Natürlich gibt es Türken, die jede Integration verweigern. Wer als Ausländer die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnt, während er gleichzeitig die Vorzüge der Bundesrepublik genießt, der hat aus meiner Sicht hier nichts verloren."
Can Merey hat seiner Tochter übrigens keinen türkischen Namen gegeben. Er wollte einen Namen, der kein Stigma trägt.
KAREN KRÜGER
Can Merey: "Der ewige Gast: Wie mein türkischer Vater versuchte, Deutscher zu werden". Verlag Karl Blessing, 320 Seiten, 17 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Can Merey erzählt, wie sein Vater aus Istanbul seit sechzig Jahren versucht, in Deutschland ein Deutscher zu werden - und weshalb es nicht klappt
Das ist die Geschichte eines Türken, der seit 1961 in Deutschland lebt, mit einer oberbayerischen Bauerstochter eine Familie gründete, in angesehenen Unternehmen arbeitete, die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt und überhaupt alles tat, ein Deutscher zu werden. Aber irgendwie hat es nicht geklappt. Heute erklärt er sein Lebensprojekt, in diesem Land eine neue Heimat zu finden, für gescheitert. Wie kann das sein?
Der Autor, der die Geschichte dieses Mannes erzählt, hat eine besondere Nähe zu ihm: Er ist sein Sohn, und zugleich ist er als dpa-Korrespondent (in Neu-Delhi, in Istanbul und seit neuestem in Washington) dazu in der Lage, ihn von außen, mit dem Blick der Öffentlichkeit zu sehen. Can Merey sucht in dem Buch über seinen Vater Antworten auf Fragen, die sich der Gesellschaft als ganzer stellen und die seit dem Özil-Rücktritt auch tatsächlich die ganze Gesellschaft beschäftigen: Wie kann es sein, dass selbst Deutschtürken der dritten Generation, die beruflich erfolgreich sind und integriert leben, sich nicht von Deutschland angenommen, sondern als Bürger zweiter Klasse fühlen? Ist die Ablehnung verantwortlich dafür, wenn Türken zu glühenden Anhängern von Recep Tayyip Erdogan werden?
Deutschen Boden betritt Tosun Merey, der Vater des Autors, erstmals 1958, als Abiturient, um einen mehrmonatigen Deutschkurs zu besuchen. 1961 kehrt er nach Deutschland zurück und studiert in München Betriebswirtschaftslehre. Kurz darauf tritt das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei in Kraft. Tausende Türken machen sich auf den Weg nach Almanya, um hier ihr Glück zu versuchen. Tosun selbst findet seins in einer Münchner Wohngemeinschaft, die ihn zum Atheisten werden lässt, und mit Maria, der Bauerstochter. Das Paar heiratet 1968, kauft ein Haus, bekommt zwei Söhne und Tosun die deutsche Staatsbürgerschaft. Zu Hause wird nur Deutsch gesprochen - als Can Merey Jahrzehnte später seine Korrespondentenstelle in Istanbul antritt, muss er erst einmal einen Türkischkurs machen. Der Vater isst Schweinebraten und geht lieber ins Wirtshaus als in die Moschee. Er ist integriert, die Zeichen stehen sogar auf Assimilation.
Als Tosun anfängt, beim Büromaschinenkonzern Olivetti zu arbeiten, deutet sich zum ersten Mal an, dass seine Herkunft zum Problem werden könnte. Ein Kunde fragt seinen Vorgänger, ob es denn ein Türke sein müsse, der ihn nun betreut; er wolle mit Türken nichts zu tun haben. "Ich habe das damals wirklich für einen Einzelfall gehalten", sagt er heute im Gespräch mit seinem Sohn: "Das mit der Stimmung gegen Türken braute sich erst so allmählich zusammen, wie ein Nebel. Weniger mir persönlich gegenüber, es war eher die generelle Einstellung gegenüber Türken. Hass war es damals nicht, aber Herablassung."
Die Einzelfälle setzten sich mit den Jahren zu einem Muster zusammen. Immer wieder lassen ihn Deutsche spüren, dass er nicht willkommen ist. Einmal wird ihm wegen einer gesetzlichen Grauzone, von der Tosun selbst nichts ahnt, fast wieder die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Einfach so, von einer kühl lächelnden Beamtin. Und als er im Sommer 1978 seinen Jüngsten im Kindergarten der Deutschen Schule in Teheran anmelden will, wird der Junge mit der Begründung abgelehnt, man nehme nur "reinrassige Kinder" auf.
Als er später bei dem schwäbischen Elektronikkonzern SEL arbeitete, sei er, so sehr er sich auch bemüht habe, sich anzupassen, immer nur als Ausländer wahrgenommen worden. Die Firma schickte ihn nach Kairo, und viele Anrufer aus der Stuttgarter Zentrale redeten bloß in gebrochenem Englisch mit ihm, obwohl er selber Deutsch sprach. Einmal fragte er den Personalchef, ob er nicht eine andere Aufgabe im Unternehmen übernehmen könne. Der Personalchef wollte nicht recht mit der Sprache heraus und sagte schließlich, es gehe nicht um Qualifikation, aber er wisse nicht, "ob ich als Türke von Untergebenen akzeptiert würde". 1990 wurde er von SEL in ein Nato-Beratungsgremium entsandt, in dem er kaufmännischer Leiter einer Gruppe sein sollte, der auch zwei Deutsche angehören sollten. Doch die Deutschen lehnten den Auftrag ab - weil sie nicht unter einem Türken arbeiten wollten.
Erfahrungen wie diese führten dazu, dass er schon 1996 darum bat, mit gerade einmal 56 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand entlassen zu werden. Bis heute schleppt er nach der Einschätzung seines Sohnes ein Minderwertigkeitsgefühl mit sich herum. "Ich habe ein gutes Auskommen, ich werde in Bernau von den Nachbarn respektiert", sagt er heute seinem Sohn: "Ich habe deutsche Freunde. Ich müsste meine Sympathie mit wehenden Fahnen nach Deutschland tragen. Das kann ich aber nicht, weil ich irgendwie nicht als gleichwertiger Mensch betrachtet werde. Nicht, dass mich jemand persönlich beleidigt. Es ist vielmehr die stillschweigende, allgemein vorherrschende Meinung: Ach ja, die Türken . . . Das verletzt meine Würde."
Can Merey erzählt die Geschichte seines Vaters als Paradebeispiel dafür, wie Erdogan vom gebrochenen Stolz vieler Deutschtürken profitiert. Als der und seine AKP an die Regierung kommen, hält Tosun zunächst nicht viel von dem frommen Politiker. Dann aber kurbelt Erdogan die türkische Wirtschaft an, und Tosun verfällt immer mehr dem starken Mann in Ankara. Je lauter die Kritik vor allem aus Deutschland wird, desto mehr habe sein Vater Erdogan verteidigt, schreibt Can Merey. Erst Erdogans zunehmend autoritärer Führungsstil führte letztendlich dazu, dass er wieder mit der AKP brach. Wie bei vielen anderen Deutschtürken sei auch Tosuns Ja zu dem Autokraten in weiten Teilen als ein Aufbegehren gegen ein Deutschland zu verstehen, von dem man sich gedemütigt fühlt. Je mehr die Ausgrenzung wuchs, desto leichter hatte Erdogan es mit seinem Werben. Je länger der Dauerstreit zwischen Berlin und Ankara anhielt, desto höher stieg er auf der Beliebtheitsskala.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine gerade veröffentlichte Studie des Zentrums für Türkeistudien in Essen: Immer mehr von den etwa 2,85 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland fühlten sich mehr mit der Türkei verbunden und weniger mit Deutschland. Ausgerechnet die objektiv besser Integrierten empfänden sich häufig als nicht zugehörig, da sie besonders sensibel für gesellschaftliche Diskriminierungen seien. Das Zentrum für Türkeistudien empfiehlt daher: "Heimatliche Verwurzelung und Interesse an den Geschehnissen im Herkunftsland sollten nicht als Integrationsverweigerung abgestempelt oder als Merkmal fehlender Loyalität zu Deutschland bewertet, sondern als Ergänzung zur durchaus ausgeprägten Zugehörigkeit zu Deutschland anerkannt werden." Als problematisch wird jedoch vermerkt, dass jeder zweite Türkeistämmige in Deutschland die türkische Regierung als Vertreter seiner Interessen wahrnehme. Erdogan vermittele ihnen das Gefühl: Ich bin für euch da.
"Der ewige Gast: Wie mein Vater versuchte, Deutscher zu werden" ist ein ruhiges, abwägendes Buch. Hier schreibt keiner, der den Deutschen endlich mal den sogenannten Spiegel vorhalten will. Wie sollte das auch gehen, Can Merey ist ja selbst Deutscher. Vielmehr ergründet der Journalist mit zunehmendem Unwohlsein, was gerade in seinem Land vor sich geht. Er zitiert Studien, die belegen, dass Deutsche mit türkischen Namen auf dem Arbeitsmarkt und bei der Wohnungssuche diskriminiert werden. Er legt dar, wie anstrengend es ist, ständig für sein gutes Deutsch gelobt zu werden, nur weil man einen orientalisch klingenden Namen hat. Gleichzeitig sieht er aber auch bei vielen Deutschtürken eine unerfüllte Bringschuld: "Natürlich gibt es Türken, die jede Integration verweigern. Wer als Ausländer die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnt, während er gleichzeitig die Vorzüge der Bundesrepublik genießt, der hat aus meiner Sicht hier nichts verloren."
Can Merey hat seiner Tochter übrigens keinen türkischen Namen gegeben. Er wollte einen Namen, der kein Stigma trägt.
KAREN KRÜGER
Can Merey: "Der ewige Gast: Wie mein türkischer Vater versuchte, Deutscher zu werden". Verlag Karl Blessing, 320 Seiten, 17 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Ein ruhiges abwägendes Buch. Hier schreibt keiner, der den Deutschen endlich mal den sogenannten Spiegel vorhalten will.« Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung