Produktdetails
- Verlag: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
- ISBN-13: 9783534123025
- Artikelnr.: 24375553
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.1996Freischwimmer von rechts
Zwielichtiger Gelehrter oder Gelehrter im Zwielicht: Carl Schmitt war nicht Hitlers "Kronjurist"
Andreas Koenen: Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum "Kronjuristen des Dritten Reiches". Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995. 991 Seiten, 128,- Mark.
Wie ist es zu erklären, daß Carl Schmitt, ein Staatswissenschaftler, der mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches sein Lehramt aus politischen Gründen verlor und danach 40 Jahre im Abseits des öffentlichen Lebens und des Wissenschaftsbetriebes seiner Disziplin verbrachte, auch heute noch, zehn Jahre nach seinem Tode, der meistdiskutierte, ebenso umstrittene wie bewunderte Theoretiker seines Fachgebietes geblieben ist?
Eine Antwort auf solche Fragen verlangt neben dem Überblick über sein Gesamtwerk auch die Untersuchung seines Verhaltens im Dritten Reich. Um die innere Versöhnung mit seinem Leben, die ja auch eine Versühnung sein mußte, hat er wohl bis zum Ende kämpfen müssen. Die Bitterkeit eines solchen Ringens wird nicht dadurch gemildert, daß es in der Lautlosigkeit des Selbstgesprächs vor sich geht. Sein "Glossarium" - Tagebuchnotizen aus den Jahren 1947-1951, von Eberhard Freiherr von Medem 1991 in einer vorzüglichen, dem Anspruch von Kritikern und Bewunderern des Gelehrten gleichermaßen gerecht werdenden Publikation - enthält gewiß wichtige, bisher nicht erörterte Aufschlüsse darüber, wie Carl Schmitt mit seiner Vergangenheit umgegangen ist und unter welchen Perspektiven er seinen Weg in die zweite Hälfte des Jahrhunderts eingeschlagen hat.
Konkreten Aufschluß über Carl Schmitts Verhalten im Dritten Reich gibt sein "Glossarium" freilich nicht. Die kürzlich erschienene, aus einer Dissertation hervorgegangene umfangreiche Untersuchung über den "Fall Carl Schmitt" und seinen "Aufstieg zum Kronjuristen des Dritten Reiches" von Andreas Koenen, eine Biographie seiner politischen Existenz, ist insofern ein Gewinn für alle, die sich mit dem wissenschaftlichen und politischen Schicksal dieses Gelehrten auseinandersetzen. Leider - aber das war wohl nicht Aufgabe dieser Arbeit - gibt diese Untersuchung kein Bild seines privaten Lebens; insofern besitzt sie nicht eigentlich biographischen Charakter. Eine unglaubliche Vielzahl von Quellen verwandeln zudem die Darstellung in einen Stausee, in dem der Ablauf auch wichtiger Entwicklungen nicht leicht zu verfolgen ist, beispielsweise die Rolle Schmitts als "Kronjurist" des Dritten Reiches. Die Bezeichnung selbst entstammt dem Artikel eines Emigranten in einer Schweizer Zeitschrift und ist eher als moralische Verurteilung denn als Bezeichnung einer Tatsache gemeint; der Autor wollte Schmitt damit bloßstellen. Das ist ihm auch gelungen.
Von einem persönlichen oder wenigstens irgendwie schriftlich zustande gekommenen Kontakt zu Hitler ist jedoch nichts bekannt geworden. Was die Bezeichnung "Kronjurist" - als Anklage gemeint - zu rechtfertigen scheint, ist der berüchtigte Artikel Schmitts zum sogenannten Röhmputsch, der allerdings gar nicht stattgefunden hatte. Mit dem Wort "Putsch" wurde vielmehr die Ermordung des SA-Chefs Röhm durch die SS verschleiert. Schmitt mußte sich, wie alle aufmerksamen Beobachter, über diesen Sachverhalt im klaren sein. Sein Artikel "Der Führer schützt das Recht" übersah bewußt, daß Röhm weder verhaftet noch vor ein Gericht gestellt worden war. Was wollte er also mit seiner Formel, daß Hitler "das Recht" mit dieser Gewalttat "schützt", ausdrücken? Die Antwort ist einfach: Es handelte sich weniger um eine zwiespältige als um eine zweischneidige Formel. Sie besagt, daß es das Recht des Führers sei, die alleinige und volle Verantwortung für die Ermordung Röhms zu tragen. Das klang so, als wende Carl Schmitt seine Formel vom Reichspräsidenten als Hüter der damals wohlgemerkt Weimarer Verfassung nun auf Hitlers Diktatur an. Diese Zweischneidigkeit der Schmittschen Formel vom "Rechtsschützer" Hitler wird vollends deutlich, wenn er im folgenden darlegt, daß diejenigen, die im Zusammenhang des angeblichen Röhmputsches den General von Schleicher ermordet hätten, vor Gericht gestellt werden müßten, weil sie nicht im Auftrag Hitlers gehandelt hätten.
Kritiker Carl Schmitts werden verständlicherweise geneigt sein, eine derartige Interpretation als nachgeschobene Entschuldigung aufzufassen. Aber der Beweis dafür, daß sie zutreffend ist, ergibt sich aus der Reaktion der SS. Sie hat genau verstanden, was der "Kronjurist" hatte ausdrücken wollen. Ihr Angriff auf Schmitt im "Schwarzen Korps", ihrem offiziellen Organ, leitete die Verdrängung Schmitts von der öffentlichen Bühne ein.
Die Zwiespältigkeit seines Verhaltens, die keineswegs das Prädikat Widerstand in Anspruch nehmen darf, bleibt auch während der folgenden Jahre im nachhinein betrachtet charakteristisch.
Aber wie stand es mit Carl Schmitts Antisemitismus? Er hat ihn, wie man seinem "Glossarium" der Jahre danach entnehmen kann, auch später nicht glaubwürdig begründen können. Der im deutschen Katholizismus wohl im Kulturkampf entstandene Vorwurf gegen die Juden, daß sie sich nur aus Opportunismus der protestantischen Konfession assimilierten, ist ihm, seinem Herkommen entsprechend, sicherlich vertraut gewesen. Aber nicht nur, daß in seinen Schriften vor 1933 nichts davon zu spüren ist: er hat ohne Vorbehalt Freundschaften mit Juden geschlossen; als Beispiel einer solchen Beziehung sei hier nur vermerkt, daß er sein wichtigstes und auch heute noch unangefochtenstes Buch, die "Verfassungslehre", 1928 erschienen, einem jüdischen Freund, der als Kriegsfreiwilliger 1915 gefallen war, gewidmet hat. Der antisemitische Affekt Schmitts, der ihn 1933 ergreift, ist die Reaktion auf die Kritik an seinem Eintritt in die Gefolgschaft Hitlers. Mit Recht weist Koenen darauf hin, daß man Schmitts Überwechseln zum Nationalsozialismus nicht nur als individuelles, sondern als gruppenspezifisches Verhalten beurteilen müsse. Ohne Zweifel gehörte er zu den Freischwimmern von rechts. Die katholische Herkunft Schmitts sollte man dabei nicht überschätzen. Nachdem die katholische Kirche seine Ehescheidung von der falschen Gräfin Dorotic und folglich auch seine neue Ehe nicht anerkannt hatte, war er seit Mitte der zwanziger Jahre kein praktizierender Katholik mehr. Entsprechend wuchs auch seine Distanz zur Zentrumspartei. Das hat Koenen offensichtlich übersehen.
Die Träume von einer "konservativen Revolution" oder, ohne daß damit eine Alternative gemeint war, einer "schöpferischen Restauration" und von einem daraus geborenen "Dritten Reich" (ein Wort, das Hitler wenig später für sich beschlagnahmte) waren freilich weder spezifisch katholisch, noch erreichten sie jemals das Niveau einer Ideologie oder Utopie. Aber sie trugen dazu bei, daß eine ganze Reihe politisch orientierungslos gewordener Intellektueller im Blick auf die zunehmende Schwäche der bürgerlichen Parteien dazu neigten, Hitlers "Machtergreifung" als einen Umsturz zu verstehen, der den Weg zu einer von ihnen erhofften Erneuerung von rechts her frei machen könnte. Es gibt keinen Zweifel daran, daß solche Hoffnung auch für Carl Schmitt das Motiv war, sich mit seinem Ehrgeiz dem neuen Regime zur Verfügung zu stellen.
Von heute aus gesehen, ist solches Verhalten moralisch wie intellektuell schwer zu begreifen. Erinnern wir uns aber, bevor wir unser Urteil darüber fällen, daran, wie die linke Intelligenzija - und keineswegs nur parteigebundene Kommunisten - sich vor Stalin als dem maßgebenden Hüter des sozialistischen Fortschritts noch in einer Zeit verbeugte, als sich der Fortschritt seiner Diktatur keineswegs in ökonomischen oder sozialpolitischen Erfolgen, sondern in der Bewachung der Bevölkerung durch den NKWD und die Schauprozesse gegen die ehemalige Elite seiner Partei manifestierte. An Informationen über all dies fehlte es damals nicht. Freilich begnügten sich linksgeneigte Intellektuelle wie Ernst Bloch, Lion Feuchtwanger, Jean Paul Sartre und andere mehr mit Komplimenten und Verbeugungen. Typisch dafür ist ein Zitat von Heinrich Mann (aus der in Moskau herausgegebenen "Internationalen Literatur" 1936): "Die Worte des Staatschefs Stalin . . . sind zuversichtlich, gütig und von großer klarer Geistigkeit. Es ist mir neu, daß das Haupt eines großen Staatsmannes diese Eigenschaften besitzt und sie mit einer bedeutenden Tatkraft vereinigt . . ." Man kann so verirrte Bewertungen wie diese gerade noch damit entschuldigen, daß sie nur einen flüchtigen Blick in das Schaufenster totalitärer Macht bezeugen, bevor sich solche Bewunderer wieder kritisch der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer pluralistisch organisierten Demokratie zuwandten.
Carl Schmitt hingegen, und er nicht allein, hoffte, mit der Machtergreifung Hitlers öffne sich das Tor zu einer Erneuerung Deutschlands, um dann zu erfahren, daß dieser Umsturz nur ein Absturz in die Barbarei war. Es lohnt sich, in diesem vernebelten Blickfeld der Erwartungen die Figur des Generals Erich Ludendorff ausfindig zu machen, der 16 Jahre zuvor Hitlers Putschversuch - "den Marsch auf die Feldherrnhalle" - in München mit Sympathie begleitet hatte. Ludendorff, wahrhaftig kein Freund der Weimarer Republik, schrieb an Hindenburg: "Sie haben einen Abenteurer zum Reichskanzler gemacht. Dieser Mann wird Deutschland zugrunde richten." Doch wenn auch Carl Schmitt solche Warnungen von rechts wohl geflissentlich überhört hat: Ein "Kronjurist" ist er mit Sicherheit nicht gewesen. Schon die Reaktion der SS-Führung auf seinen Beitrag zur Röhm-Affäre schloß das aus: 1936 war er bereits aus allen maßgeblichen Positionen sowohl der "Akademie für Deutsches Recht" wie des "Rechtswahrerbundes" ausgeschaltet; die Tatsache, daß Göring als preußischer Ministerpräsident den Versuch der SS, ihm auch den Titel eines "preußischen Staatsrats" wegzunehmen, zurückwies, will wenig besagen, denn dieses Gremium hatte keinerlei willensbildende Funktion.
Als Reaktion des nun im Schatten des totalitären Staates lebenden Gelehrten, wenn auch keineswegs als Dokumentation offener Kritik oder gar seines Widerstandes ist sein 1938 erschienenes Buch über den "Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes" zu verstehen, in dem Schmitt den Leser hinter einem Flechtwerk geistesgeschichtlicher Reflexionen die Tragik des Staats erraten läßt, der, geschwächt in seiner zur bloßen Zweckrationalität geschrumpften Idee, der totalitären Bestie Leviathan zum Opfer fällt. Schmitt hat diesen modernen Leviathan nicht analysiert. In seinem der Realität des Dritten Reiches bewußt abgewandten Expressionismus läßt er keine aktuelle Kritik, geschweige auch nur eine Geste des Widerstandes erkennen. Er hat den "NS-Leviathan" bewußt nicht analysiert, sondern über ihn hinweggesehen und nach einer anderen Zukunft Ausschau gehalten. Sie ließ ja auch nicht lange auf sich warten.
Die Dynamik, mit der sich, beginnend schon mit dem "Anschluß" Österreichs und des Sudetenlandes, in der ersten Phase des Zweiten Weltkrieges die Hitler-Diktatur in den Rang der führenden Macht Mittel- und Westeuropas steigerte, machte den Großraum zum Schlüsselwort der Politik. Daß das Raumdenken bereits vorher, vor allem durch Haushofer, in die Sprache der Politik eingeführt worden war, bedarf hier vielleicht der Erwähnung, ehe man mit Carl Schmitt die Formel Heideggers, daß "die Welt nicht mehr im Raum, sondern der Raum in der Welt" sei, zitiert.
Für Schmitt bedeutet das Raumdenken den Abschied vom umgrenzten Territorium des Staates. Er hat schon damals daran erinnert, daß die Internationalisierung der Märkte, dann aber, mehr noch, die moderne Verkehrstechnik einen Blick auf eine neue Funktion frei machen. Auch die Beschleunigung der Zeit erweitert den Raum, der als Ganzheit, nicht durch seine Grenzen definiert wird; und Ganzheit heißt Zusammengehörigkeit, die sich als Vereinigung verwirklicht. "Der Raum, der große Raum", sagt Gaston Bachelard in seiner "Poetik des Raumes", ist der "Freund des Seins" - nichts anderes meint auch das Wort "Lebensraum" und Carl Schmitts "Nomos der Erde", der freilich erst nach dem Ende des Krieges erschienen ist und den "Fall Carl Schmitt" neu eröffnet. Denn dies ist eigentlich das Ergebnis, zu dem Koenen den Leser in seiner sorgfältigen Wegbeschreibung dieses Mannes im Dritten Reich führt: daß er 1933 zu Hitlers Partei übergelaufen ist und versucht hat, Einfluß zu gewinnen, hat ihm keine irgendwie einflußreiche Position verschafft. Der "Fall" Carl Schmitt beschäftigt die Öffentlichkeit erst, als er, trotz des Verlusts seines Lehrakts, zum meistdiskutierten Wissenschaftler seines Fachgebiets geworden ist.
Sein Weg aus der damals noch positivistisch artikulierten Allgemeinen Staatslehre in eine Verfassungslehre, von der aus er den riskanten Weg zur Theorie der Politik einschlug, hat ihn ideologisch, als Gelehrten und in seinem christlichen Ethos ins Zwielicht geführt. Aber der Fall Carl Schmitt ergibt sich eigentlich erst aus der Tatsache, daß er auf diesem gefährlichen Weg zum Lehrmeister des Absterbens der Staatsidee geworden ist. Das erstaunlichste an diesem neuen, dem eigentlichen Fall Carl Schmitt bleibt, daß sein "Begriff des Politischen" mit der vieldiskutierten Freund-Feind-Unterscheidung die Struktur der Ost-West-Auseinandersetzung in Europa und in der Welt 40 Jahre lang charakterisiert hat, ohne daß seine Kritiker und seine Anhänger es bemerkt haben - er selbst auch nicht. RÜDIGER ALTMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwielichtiger Gelehrter oder Gelehrter im Zwielicht: Carl Schmitt war nicht Hitlers "Kronjurist"
Andreas Koenen: Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum "Kronjuristen des Dritten Reiches". Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995. 991 Seiten, 128,- Mark.
Wie ist es zu erklären, daß Carl Schmitt, ein Staatswissenschaftler, der mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches sein Lehramt aus politischen Gründen verlor und danach 40 Jahre im Abseits des öffentlichen Lebens und des Wissenschaftsbetriebes seiner Disziplin verbrachte, auch heute noch, zehn Jahre nach seinem Tode, der meistdiskutierte, ebenso umstrittene wie bewunderte Theoretiker seines Fachgebietes geblieben ist?
Eine Antwort auf solche Fragen verlangt neben dem Überblick über sein Gesamtwerk auch die Untersuchung seines Verhaltens im Dritten Reich. Um die innere Versöhnung mit seinem Leben, die ja auch eine Versühnung sein mußte, hat er wohl bis zum Ende kämpfen müssen. Die Bitterkeit eines solchen Ringens wird nicht dadurch gemildert, daß es in der Lautlosigkeit des Selbstgesprächs vor sich geht. Sein "Glossarium" - Tagebuchnotizen aus den Jahren 1947-1951, von Eberhard Freiherr von Medem 1991 in einer vorzüglichen, dem Anspruch von Kritikern und Bewunderern des Gelehrten gleichermaßen gerecht werdenden Publikation - enthält gewiß wichtige, bisher nicht erörterte Aufschlüsse darüber, wie Carl Schmitt mit seiner Vergangenheit umgegangen ist und unter welchen Perspektiven er seinen Weg in die zweite Hälfte des Jahrhunderts eingeschlagen hat.
Konkreten Aufschluß über Carl Schmitts Verhalten im Dritten Reich gibt sein "Glossarium" freilich nicht. Die kürzlich erschienene, aus einer Dissertation hervorgegangene umfangreiche Untersuchung über den "Fall Carl Schmitt" und seinen "Aufstieg zum Kronjuristen des Dritten Reiches" von Andreas Koenen, eine Biographie seiner politischen Existenz, ist insofern ein Gewinn für alle, die sich mit dem wissenschaftlichen und politischen Schicksal dieses Gelehrten auseinandersetzen. Leider - aber das war wohl nicht Aufgabe dieser Arbeit - gibt diese Untersuchung kein Bild seines privaten Lebens; insofern besitzt sie nicht eigentlich biographischen Charakter. Eine unglaubliche Vielzahl von Quellen verwandeln zudem die Darstellung in einen Stausee, in dem der Ablauf auch wichtiger Entwicklungen nicht leicht zu verfolgen ist, beispielsweise die Rolle Schmitts als "Kronjurist" des Dritten Reiches. Die Bezeichnung selbst entstammt dem Artikel eines Emigranten in einer Schweizer Zeitschrift und ist eher als moralische Verurteilung denn als Bezeichnung einer Tatsache gemeint; der Autor wollte Schmitt damit bloßstellen. Das ist ihm auch gelungen.
Von einem persönlichen oder wenigstens irgendwie schriftlich zustande gekommenen Kontakt zu Hitler ist jedoch nichts bekannt geworden. Was die Bezeichnung "Kronjurist" - als Anklage gemeint - zu rechtfertigen scheint, ist der berüchtigte Artikel Schmitts zum sogenannten Röhmputsch, der allerdings gar nicht stattgefunden hatte. Mit dem Wort "Putsch" wurde vielmehr die Ermordung des SA-Chefs Röhm durch die SS verschleiert. Schmitt mußte sich, wie alle aufmerksamen Beobachter, über diesen Sachverhalt im klaren sein. Sein Artikel "Der Führer schützt das Recht" übersah bewußt, daß Röhm weder verhaftet noch vor ein Gericht gestellt worden war. Was wollte er also mit seiner Formel, daß Hitler "das Recht" mit dieser Gewalttat "schützt", ausdrücken? Die Antwort ist einfach: Es handelte sich weniger um eine zwiespältige als um eine zweischneidige Formel. Sie besagt, daß es das Recht des Führers sei, die alleinige und volle Verantwortung für die Ermordung Röhms zu tragen. Das klang so, als wende Carl Schmitt seine Formel vom Reichspräsidenten als Hüter der damals wohlgemerkt Weimarer Verfassung nun auf Hitlers Diktatur an. Diese Zweischneidigkeit der Schmittschen Formel vom "Rechtsschützer" Hitler wird vollends deutlich, wenn er im folgenden darlegt, daß diejenigen, die im Zusammenhang des angeblichen Röhmputsches den General von Schleicher ermordet hätten, vor Gericht gestellt werden müßten, weil sie nicht im Auftrag Hitlers gehandelt hätten.
Kritiker Carl Schmitts werden verständlicherweise geneigt sein, eine derartige Interpretation als nachgeschobene Entschuldigung aufzufassen. Aber der Beweis dafür, daß sie zutreffend ist, ergibt sich aus der Reaktion der SS. Sie hat genau verstanden, was der "Kronjurist" hatte ausdrücken wollen. Ihr Angriff auf Schmitt im "Schwarzen Korps", ihrem offiziellen Organ, leitete die Verdrängung Schmitts von der öffentlichen Bühne ein.
Die Zwiespältigkeit seines Verhaltens, die keineswegs das Prädikat Widerstand in Anspruch nehmen darf, bleibt auch während der folgenden Jahre im nachhinein betrachtet charakteristisch.
Aber wie stand es mit Carl Schmitts Antisemitismus? Er hat ihn, wie man seinem "Glossarium" der Jahre danach entnehmen kann, auch später nicht glaubwürdig begründen können. Der im deutschen Katholizismus wohl im Kulturkampf entstandene Vorwurf gegen die Juden, daß sie sich nur aus Opportunismus der protestantischen Konfession assimilierten, ist ihm, seinem Herkommen entsprechend, sicherlich vertraut gewesen. Aber nicht nur, daß in seinen Schriften vor 1933 nichts davon zu spüren ist: er hat ohne Vorbehalt Freundschaften mit Juden geschlossen; als Beispiel einer solchen Beziehung sei hier nur vermerkt, daß er sein wichtigstes und auch heute noch unangefochtenstes Buch, die "Verfassungslehre", 1928 erschienen, einem jüdischen Freund, der als Kriegsfreiwilliger 1915 gefallen war, gewidmet hat. Der antisemitische Affekt Schmitts, der ihn 1933 ergreift, ist die Reaktion auf die Kritik an seinem Eintritt in die Gefolgschaft Hitlers. Mit Recht weist Koenen darauf hin, daß man Schmitts Überwechseln zum Nationalsozialismus nicht nur als individuelles, sondern als gruppenspezifisches Verhalten beurteilen müsse. Ohne Zweifel gehörte er zu den Freischwimmern von rechts. Die katholische Herkunft Schmitts sollte man dabei nicht überschätzen. Nachdem die katholische Kirche seine Ehescheidung von der falschen Gräfin Dorotic und folglich auch seine neue Ehe nicht anerkannt hatte, war er seit Mitte der zwanziger Jahre kein praktizierender Katholik mehr. Entsprechend wuchs auch seine Distanz zur Zentrumspartei. Das hat Koenen offensichtlich übersehen.
Die Träume von einer "konservativen Revolution" oder, ohne daß damit eine Alternative gemeint war, einer "schöpferischen Restauration" und von einem daraus geborenen "Dritten Reich" (ein Wort, das Hitler wenig später für sich beschlagnahmte) waren freilich weder spezifisch katholisch, noch erreichten sie jemals das Niveau einer Ideologie oder Utopie. Aber sie trugen dazu bei, daß eine ganze Reihe politisch orientierungslos gewordener Intellektueller im Blick auf die zunehmende Schwäche der bürgerlichen Parteien dazu neigten, Hitlers "Machtergreifung" als einen Umsturz zu verstehen, der den Weg zu einer von ihnen erhofften Erneuerung von rechts her frei machen könnte. Es gibt keinen Zweifel daran, daß solche Hoffnung auch für Carl Schmitt das Motiv war, sich mit seinem Ehrgeiz dem neuen Regime zur Verfügung zu stellen.
Von heute aus gesehen, ist solches Verhalten moralisch wie intellektuell schwer zu begreifen. Erinnern wir uns aber, bevor wir unser Urteil darüber fällen, daran, wie die linke Intelligenzija - und keineswegs nur parteigebundene Kommunisten - sich vor Stalin als dem maßgebenden Hüter des sozialistischen Fortschritts noch in einer Zeit verbeugte, als sich der Fortschritt seiner Diktatur keineswegs in ökonomischen oder sozialpolitischen Erfolgen, sondern in der Bewachung der Bevölkerung durch den NKWD und die Schauprozesse gegen die ehemalige Elite seiner Partei manifestierte. An Informationen über all dies fehlte es damals nicht. Freilich begnügten sich linksgeneigte Intellektuelle wie Ernst Bloch, Lion Feuchtwanger, Jean Paul Sartre und andere mehr mit Komplimenten und Verbeugungen. Typisch dafür ist ein Zitat von Heinrich Mann (aus der in Moskau herausgegebenen "Internationalen Literatur" 1936): "Die Worte des Staatschefs Stalin . . . sind zuversichtlich, gütig und von großer klarer Geistigkeit. Es ist mir neu, daß das Haupt eines großen Staatsmannes diese Eigenschaften besitzt und sie mit einer bedeutenden Tatkraft vereinigt . . ." Man kann so verirrte Bewertungen wie diese gerade noch damit entschuldigen, daß sie nur einen flüchtigen Blick in das Schaufenster totalitärer Macht bezeugen, bevor sich solche Bewunderer wieder kritisch der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer pluralistisch organisierten Demokratie zuwandten.
Carl Schmitt hingegen, und er nicht allein, hoffte, mit der Machtergreifung Hitlers öffne sich das Tor zu einer Erneuerung Deutschlands, um dann zu erfahren, daß dieser Umsturz nur ein Absturz in die Barbarei war. Es lohnt sich, in diesem vernebelten Blickfeld der Erwartungen die Figur des Generals Erich Ludendorff ausfindig zu machen, der 16 Jahre zuvor Hitlers Putschversuch - "den Marsch auf die Feldherrnhalle" - in München mit Sympathie begleitet hatte. Ludendorff, wahrhaftig kein Freund der Weimarer Republik, schrieb an Hindenburg: "Sie haben einen Abenteurer zum Reichskanzler gemacht. Dieser Mann wird Deutschland zugrunde richten." Doch wenn auch Carl Schmitt solche Warnungen von rechts wohl geflissentlich überhört hat: Ein "Kronjurist" ist er mit Sicherheit nicht gewesen. Schon die Reaktion der SS-Führung auf seinen Beitrag zur Röhm-Affäre schloß das aus: 1936 war er bereits aus allen maßgeblichen Positionen sowohl der "Akademie für Deutsches Recht" wie des "Rechtswahrerbundes" ausgeschaltet; die Tatsache, daß Göring als preußischer Ministerpräsident den Versuch der SS, ihm auch den Titel eines "preußischen Staatsrats" wegzunehmen, zurückwies, will wenig besagen, denn dieses Gremium hatte keinerlei willensbildende Funktion.
Als Reaktion des nun im Schatten des totalitären Staates lebenden Gelehrten, wenn auch keineswegs als Dokumentation offener Kritik oder gar seines Widerstandes ist sein 1938 erschienenes Buch über den "Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes" zu verstehen, in dem Schmitt den Leser hinter einem Flechtwerk geistesgeschichtlicher Reflexionen die Tragik des Staats erraten läßt, der, geschwächt in seiner zur bloßen Zweckrationalität geschrumpften Idee, der totalitären Bestie Leviathan zum Opfer fällt. Schmitt hat diesen modernen Leviathan nicht analysiert. In seinem der Realität des Dritten Reiches bewußt abgewandten Expressionismus läßt er keine aktuelle Kritik, geschweige auch nur eine Geste des Widerstandes erkennen. Er hat den "NS-Leviathan" bewußt nicht analysiert, sondern über ihn hinweggesehen und nach einer anderen Zukunft Ausschau gehalten. Sie ließ ja auch nicht lange auf sich warten.
Die Dynamik, mit der sich, beginnend schon mit dem "Anschluß" Österreichs und des Sudetenlandes, in der ersten Phase des Zweiten Weltkrieges die Hitler-Diktatur in den Rang der führenden Macht Mittel- und Westeuropas steigerte, machte den Großraum zum Schlüsselwort der Politik. Daß das Raumdenken bereits vorher, vor allem durch Haushofer, in die Sprache der Politik eingeführt worden war, bedarf hier vielleicht der Erwähnung, ehe man mit Carl Schmitt die Formel Heideggers, daß "die Welt nicht mehr im Raum, sondern der Raum in der Welt" sei, zitiert.
Für Schmitt bedeutet das Raumdenken den Abschied vom umgrenzten Territorium des Staates. Er hat schon damals daran erinnert, daß die Internationalisierung der Märkte, dann aber, mehr noch, die moderne Verkehrstechnik einen Blick auf eine neue Funktion frei machen. Auch die Beschleunigung der Zeit erweitert den Raum, der als Ganzheit, nicht durch seine Grenzen definiert wird; und Ganzheit heißt Zusammengehörigkeit, die sich als Vereinigung verwirklicht. "Der Raum, der große Raum", sagt Gaston Bachelard in seiner "Poetik des Raumes", ist der "Freund des Seins" - nichts anderes meint auch das Wort "Lebensraum" und Carl Schmitts "Nomos der Erde", der freilich erst nach dem Ende des Krieges erschienen ist und den "Fall Carl Schmitt" neu eröffnet. Denn dies ist eigentlich das Ergebnis, zu dem Koenen den Leser in seiner sorgfältigen Wegbeschreibung dieses Mannes im Dritten Reich führt: daß er 1933 zu Hitlers Partei übergelaufen ist und versucht hat, Einfluß zu gewinnen, hat ihm keine irgendwie einflußreiche Position verschafft. Der "Fall" Carl Schmitt beschäftigt die Öffentlichkeit erst, als er, trotz des Verlusts seines Lehrakts, zum meistdiskutierten Wissenschaftler seines Fachgebiets geworden ist.
Sein Weg aus der damals noch positivistisch artikulierten Allgemeinen Staatslehre in eine Verfassungslehre, von der aus er den riskanten Weg zur Theorie der Politik einschlug, hat ihn ideologisch, als Gelehrten und in seinem christlichen Ethos ins Zwielicht geführt. Aber der Fall Carl Schmitt ergibt sich eigentlich erst aus der Tatsache, daß er auf diesem gefährlichen Weg zum Lehrmeister des Absterbens der Staatsidee geworden ist. Das erstaunlichste an diesem neuen, dem eigentlichen Fall Carl Schmitt bleibt, daß sein "Begriff des Politischen" mit der vieldiskutierten Freund-Feind-Unterscheidung die Struktur der Ost-West-Auseinandersetzung in Europa und in der Welt 40 Jahre lang charakterisiert hat, ohne daß seine Kritiker und seine Anhänger es bemerkt haben - er selbst auch nicht. RÜDIGER ALTMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main