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"Was treibt einen Menschen, der sich ein Leben lang nichts hat zuschulden kommen lassen, zu einem Mord?"
Dieser Frage geht Ferdinad von Schirach in seinem neuen Buch in gewohnt brillanter Art auf den Grund.
34 Jahre hat der Italiener Fabrizio Collini als Werkzeugmacher bei Mercedes-Benz gearbeitet. Unauffällig und unbescholten. Und dann ermordet er in einem Berliner Luxushotel einen alten Mann. Grundlos, wie es scheint. Der junge Anwalt Caspar Leinen bekommt die Pflichtverteidigung in diesem Fall zugewiesen. Was für ihn zunächst wie eine vielversprechende Karrierechance aussieht, wird zu…mehr

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Produktbeschreibung
"Was treibt einen Menschen, der sich ein Leben lang nichts hat zuschulden kommen lassen, zu einem Mord?"

Dieser Frage geht Ferdinad von Schirach in seinem neuen Buch in gewohnt brillanter Art auf den Grund.
34 Jahre hat der Italiener Fabrizio Collini als Werkzeugmacher bei Mercedes-Benz gearbeitet. Unauffällig und unbescholten. Und dann ermordet er in einem Berliner Luxushotel einen alten Mann. Grundlos, wie es scheint. Der junge Anwalt Caspar Leinen bekommt die Pflichtverteidigung in diesem Fall zugewiesen. Was für ihn zunächst wie eine vielversprechende Karrierechance aussieht, wird zu einem Albtraum, als er erfährt, wer das Mordopfer ist: Der Tote, ein angesehener deutscher Industrieller, ist der Großvater seines besten Freundes; in Leinens Erinnerung ein freundlicher, warmherziger Mensch. Wieder und wieder versucht er die Tat zu verstehen. Vergeblich, denn Collini gesteht zwar den Mord, aber zu seinem Motiv schweigt er. Und so muss Leinen einen Mann verteidigen, der nicht verteidigt werden will. Ein zunächst aussichtsloses Unterfangen, aber schließlich stößt er auf eine Spur, die weit hinausgeht über den Fall Collini und Leinen mitten hineinführt in ein erschreckendes Kapitel deutscher Justizgeschichte ...

Mehr Informationen zum Autor erhalten Sie auf seiner Website: http://www.schirach.de
Autorenporträt
Der SPIEGEL nannte ihn einen "großartigen Erzähler", die NEW YORK TIMES einen "außergewöhnlichen Stilisten", der INDEPENDENT verglich ihn mit Kafka und Kleist, der DAILY TELEGRAPH schrieb, er sei "eine der markantesten Stimmen der europäischen Literatur". Ferdinand von Schirachs Erzählungsbände "Verbrechen" und "Schuld" und seine Romane "Der Fall Collini" und "Tabu" wurden zu millionenfach verkauften internationalen Bestsellern, die bisher in mehr als 40 Ländern erschienen sind. Sein erstes Theaterstück "Terror" wurde parallel am Deutschen Theater Berlin und am Schauspiel Frankfurt uraufgeführt. Schirach wurde mit mehreren - auch internationalen - Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kleist-Preis. Seinen Erfolg erklärt die französische LIBÉRATION so: "Schirachs Meisterleistung ist, uns zu zeigen, dass - egal wie monströs dessen Taten zunächst scheinen mögen - ein Mensch doch immer ein Mensch ist." Ferdinand von Schirach lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2011

Diese fatale Schwäche für Pralinen oder Sellerie

Wenn die banalsten Dinge zur Chiffre der Undurchschaubarkeit des menschlichen Lebens werden: Ferdinand von Schirach schreibt einen Roman.

Von Patrick Bahners

Er darf das. Seinen ersten Roman zusammenzimmern und über der Eingangstür einen Satz von Großpapa Hemingway ans Gebälk nageln: "Wir sind wohl alle für das geschaffen, was wir tun." Bei jedem anderen Krimiautor sähe das affig aus. Nicht bei Ferdinand von Schirach, dem schreibenden Rechtsanwalt. Er ist ein harter Bursche, der als Kleinwildjäger durch das Unterholz der eigenen Prosa streift. Ungerührt bringt er Nebenfiguren zur Strecke, die getan haben, was sie zu tun hatten, und für mehr nicht geschaffen waren. Philipp, der Freund des Helden aus dem Internat am Bodensee, kommt kurz nach dem Abitur durch einen Holztieflader zu Tode, der plötzlich schräg auf der Straße steht. Die Eltern sitzen praktischerweise ebenfalls im Auto. Caspar Leinen, der Held, naturgemäß nicht. So ist von der Familie, als Caspar später den Mörder von Philipps Großvater verteidigen muss, weil er den Hörer des Notruftelefons der Pflichtverteidiger abgehoben hat, nur Johanna übrig, die verehrte ältere Schwester.

Während der ewigen Internatszeit war Johanna für Caspar unerreichbar gewesen, dann aber, in seinen letzten Ferien mit Philipp, kam sie netterweise aus London nach Venedig angereist, um ihm am allerletzten Abend einen Kuss zu geben. "Er sah ihr nach, und später konnte er sich an keine Zeit erinnern, in der er so glücklich war wie an diesen hellblauen Tagen am Meer." Wir sind wohl alle auch für das geschaffen, was uns angetan wird.

Der Großvater wird mit vollem Namen eingeführt, Hans Meyer. Und in der langen Rückblende auf lange Spätsommernachmittage voll von Schachpartien und Baumhausbauplanungen wird dem alten Herrn bei jeder Erwähnung die Ehre der vollständigen Namensnennung erwiesen. Er ist nie Philipps Großvater, sondern immer Hans Meyer. Aufgeweckte Leser - bei Wolfgang Ecke wurde man einst süchtig nach diesen kleinen Belohnungen! - haben sich gemerkt, dass der Name des Mordopfers bei der Eröffnung des Haftbefehls im Amtsgericht Berlin-Tiergarten mit Jean-Baptiste Meyer angegeben worden ist. Caspar Leinen erkennt den Namen aus dem Pass seines mit vier Schüssen in den Hinterkopf getöteten Ziehgroßvaters nicht, muss von Johanna darüber aufgeklärt werden, wen sein Mandant in der Brandenburg-Suite des Hotels Adlon aufgesucht hatte.

Der Autor, der als eiskalter Engel durch die Reihen seines Personals streicht, hält für den Erklärungsnotfall eine neue Nebenfigur in Reserve. Er dichtet Hans Meyer eine französische Mutter an: Sie nannte ihn "Jean-Baptiste nach Johannes dem Täufer". Und nicht nach Colbert oder Lully. Hans alias Jean-Baptiste Meyer, als Aufsichtsratschef eines Maschinenbaukonzerns einer der letzten Wirtschaftswundermänner, wird in der zweiten Romanhälfte als SS-Sturmbannführer enttarnt. In Italien hatte er nach einem Anschlag auf deutsche Soldaten die Tötung einer zehnmal größeren Gruppe von Partisanen angeordnet. Der Rentner Fabrizio Collini, der sich in der Lobby des Adlon widerstandslos festnehmen ließ, aber über das Tatmotiv jede Aussage verweigert, ist der Sohn eines Mannes, der auf Befehl Meyers erschossen wurde.

Dass der Kriegsverbrecher Meyer ausweislich der vom Autor angelegten Akten ein halber Franzose ist, geht in das Persönlichkeitsbild nicht ein, das der Roman von ihm zu geben versucht. Dabei sollte das Buch statt "Der Fall Collini" besser "Der Fall Meyer" heißen: In dem Kreuzverhör, das nach gängigem Muster die Spannung dem Höhepunkt zuführen soll, geht es nicht um die Bluttat im Hotelzimmer, sondern um die Rechtmäßigkeit von Geiselerschießungen im Zusammenhang der Partisanenbekämpfung. Seltsam, dass auch der Ermittlungsrichter den Fall nicht als Mordsache Meyer, sondern als Mordsache Collini führt, als wäre die Schuld des Italieners von Anfang an bewiesen.

In der Geschäftsstelle der für Kapitaldelikte zuständigen Staatsanwaltschaft, die wir mit den Augen des jungen Anwalts Leinen betrachten, stapeln sich überall die Akten, "geordnet nach einem undurchschaubaren Prinzip". Angeblich hat Leinen vor zwei Jahren eine Station seines Referendariats genau in dieser Abteilung absolviert. Sollte das Prinzip nicht doch das Alphabet oder das Eingangsdatum sein? Oder einfach das Aktenzeichen? Die banalste Einzelheit kann unter dem Blick des Desinteressierten zur Chiffre der Undurchschaubarkeit des Menschenlebens werden: Nach diesem Gesetz entsteht Ferdinand von Schirachs Prosa.

Den Effekt existentialistischer Abkühlung, der den Erzählungsbänden "Verbrechen" und "Schuld" maßloses Lob eingetragen hat, erzielt der Autor mit einem simplen Trick: Er baut Protokollsätze ein, die für die Sache ohne Belang sind und in der Geschichte ohne Bezug bleiben. Diese als Lakonismus bewunderte Manier ist in Wahrheit in grotesker Weise redundant. "Zwei Polizisten hatten die Vernehmung vorbereitet, die Akten der Staatsanwaltschaft lagen vor ihnen, gelbe Zettel klebten auf den Seiten, zu denen sie Fragen stellen wollten." Solche Sätze sollen gerade keine Atmosphäre schaffen. Der ältere der beiden Beamten "hatte drei erwachsene Kinder und eine Schwäche für Pralinen". Er könnte auch in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben und im Garten Sellerie anbauen.

Aus solchen nutzlosen Informationen spricht der Rechtsanwalt, der Beweise seiner Objektivität anhäuft: Organ der Rechtspflege, auch wenn er im Café gegenüber vom Gericht Wartezeit absitzt. "Nachdem er an der Theke bezahlt hatte, ging er über die Straße zum Haupteingang." Er bezahlte also nicht am Tisch bei der Kellnerin ("eine hübsche Türkin, über die es in Moabit viele Geschichten gab") und nahm nicht die Unterführung, die in der Turmstraße noch nicht gegraben worden ist. Im Gericht kommt der Kaffee "aus einem Automaten, er schmeckte nach Plastik und Milchpulver".

Wenn Caspar Leinen an handgeschöpftem Milchkaffee gelegen wäre, hätte er eine der vier Einladungen zu Vorstellungsgesprächen in großen Wirtschaftskanzleien annehmen müssen, die ihm nach dem zweiten Examen zugestellt wurden. Aber Leinen mag diese Sozietäten nicht. Dort geht es nur ums Geld! Und wer eine Sache nicht durch Geld aus der Welt geschafft hat, bevor sie bei Gericht zum Aufruf kommt, gilt als Verlierer. Leinen will bei Gericht auftreten. Will über "den geschundenen Menschen" reden und für den geschundenen Menschen. Und schon bei der ersten Pflichtverteidigung bebt der Boden der bürgerlichen Existenz, und die Kluft reißt auf, eine schauerlich gähnende Schlucht, zwischen der Pflicht und dem schönen Leben als eingebildeter Erbe. "Als er zu lesen begann, wusste er, dass er heute seine Kindheit zerstören würde und dass Johanna nicht mehr zurückkäme. Und dass all das keine Rolle spielte." Es muss auch keine Rolle spielen, denn auf der letzten Seite des Romans kommt Johanna zurück. Der Prozess ist eingestellt, der Angeklagte hat sich umgebracht, der Verteidiger muss nicht plädieren.

Was hat nun der Autor für den von ihm erfundenen geschundenen Menschen getan? Als schwitzenden Riesen führt er ihn ein. Im Land der Täter hat Fabrizio Collini sein Arbeitsleben verbracht, als Werkzeugmacher beim Daimler. Er schweigt. Statt seiner spricht sein Anwalt. Aber Leinen vervollständigt lediglich die Akten um die Akte Meyer, versetzt sich nicht in Collini hinein. Der Täter wird in dem Verfahren, das Ferdinand von Schirach veranstaltet, nicht zur Person. Vor dem Moment der Wahrheit nimmt der Autor Collini aus dem Spiel. Es bleibt eine kurze Botschaft an den Anwalt, eine Bitte um Verzeihung, "in der ungelenken Schrift seines Mandanten". Demnach hat dieser lebenslängliche Gastarbeiter, der "zuletzt" Meister war, nie ordentlich zu schreiben gelernt.

Apropos. Auch dieses Buch Ferdinand von Schirachs strotzt von falschen Konjunktiven, schiefen Bildern und kitschigen Sentenzen. Die Fans des Autors nehmen diese Unbeholfenheiten wohl als Indizien dafür, dass er Wahres berichte. Johanna Meyer fragt Caspar Leinen zum Schluss nach dem Erbgut des bösen Großvaters: "Bin ich das alles auch?" Und erhält die Antwort: "Du bist, wer du bist." Das ist bestenfalls ein Freispruch zweiter Klasse. Mit einem zweiten Roman, über Schuldvererbung in den besseren Kreisen unter Berücksichtigung der Hirnforschung, muss gerechnet werden. Daher sei hier in revisionssicherer Deutlichkeit festgestellt: Hemingway ist unschuldig.

Ferdinand von Schirach: "Der Fall Collini". Roman.

Piper Verlag, München 2011. 198 S., geb., 16,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kein gutes Haar lässt Patrick Bahners, der wie stets sehr ins Detail geht, an diesem Romanerstling des zuvor mit aus dem Rechtsleben gegriffenen Erzählbänden hervorgetrenen Ferdinand von Schirach. Wo er schon mal dabei ist, kritisiert Bahners auch das diesen Bänden ausgesprochene "Lob" als "maßlos". Zu den Dingen, die es in den Erzählungen bereits gab und die ihn am nun vorliegenden Roman besonders enervieren, gehört eine bestimmte Sorte von Sätzen, "Protokollsätzen", die zur Wirklichkeitsfindung nichts beitragen, auch wenn sie das als sinnlose Reihung von Sachverhalten zu tun vorgeben. Von der verwickelten Handlung ist auf jeden Fall soviel zu erfahren, dass der Autor durch die Geschichte der Familie des Protagonisten Caspar Leinen als "eiskalter Engel" geht und in Todesarten erfindungsreich die Brüchigkeit bürgerlicher Existenz vorführt. Das Motto von Hemingway macht den Rezensenten nicht glücklich, erschwerend kommen "falsche Konjunktive, schiefe Bilder und kitschige Sentenzen" hinzu. Ein freundliches Wort sucht man in dieser Besprechung vergebens.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ausgehärtet und genau kalkuliert ist von Schirachs Sprache, und das hat etwas äußerst Angenehmes, das Ungeheuere des Sachverhalts tritt so nur um so schärfer hervor.", Cicero 20151120