Am 14. Januar 1785 versetzt ein grausiges Ereignis die Residenzstadt München in helle Aufregung. Die erst siebzehnjährige Fanny von Ickstatt fällt vom Nordturm der Frauenkirche, überlebt den Aufprall, um kurz darauf an ihren schweren Verletzungen zu sterben. Die angesehene Familie von Ickstatt wird in einer Flut von Anklagen und Beschuldigungen für den Tod des jungen Mädchens verantwortlich gemacht. Doch was steckt wirklich hinter dem mysteriösen Sturz? War es tatsächlich ein Unfall? Was versucht die Familie zu verbergen? Maria Magdalena Leonhard gelingt es, sowohl den genauen Hergang als auch die Hintergründe der Tragödie um Fanny von Ickstatt zu rekonstruieren. Vor allem aber deckt sie mithilfe bislang unveröffentlichter Dokumente die wahre, unglaubliche Ursache für Fannys Tod auf. Ein faszinierendes Stück bayerischer Zeitgeschichte spannender als jeder Krimi.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.11.2013Düstere Faszination
Ein Buch beschäftigt sich mit dem Freitod der Fanny von Ickstatt
Ein gefühlloser Vater, eine doppelzüngige Mutter und die schöne Tochter als Alleingelassene, die eine Verzweiflungstat begeht - das klingt eher nach der konstruierten Handlung eines Schmökers als nach einer realen Begebenheit. Doch das tragische Los der Fanny von Ickstatt versetzte Ende des 18. Jahrhunderts ganz München in Aufruhr, als die Adelige aus bester Familie sich an einem Januartag des Jahres 1785 von der Frauenkirche in den Tod stürzte. Dass von der Geschichte bis heute eine düstere Faszination ausgeht, liegt an den geradezu romanhaften Umständen – und das könnte auch der Grund sein, warum sich ein neues Buch mit der Episode beschäftigt. „Der Fall Fanny von Ickstatt. Eine Münchner Tragödie im 18. Jahrhundert“ heißt der Band von Maria Magdalena Leonhard, der gerade im Allitera-Verlag erschienen ist.
In ihrer Vorbemerkung betont die Autorin, dem in München vor allem durch den Rechtsgelehrten Johann Adam Freiherr von Ickstatt geläufigen Namen habe sie eine bedeutsame Facette hinzufügen wollen; immerhin schwinge in dem Namen auch die „Erinnerung an ein dramatisches Ereignis von Liebesleid und Liebestod“ mit, zu dessen Aufklärung ihre Untersuchung beitragen will. Ohne die Wucht der Vorkommnisse vom Winter 1785 schmälern zu wollen: Es dürfte heute nur wenige Menschen in der Stadt geben, denen sie ein Begriff sind. Insofern bräuchte Leonhard ihr Buch gar nicht als überfällige Studie zu präsentieren – man liest die knapp 150 Seiten auch ohne diesen Überbau gerne als das, was sie sind: eine spannende und noch dazu wahre Geschichte.
Die Autorin zitiert ausführlich aus zeitgenössischen Quellen, um das Bild ihrer Protagonistin möglichst lebensnah zu zeichnen, und holt dabei weit aus. Die Regierungszeit des bayerischen Kurfürsten Max III. Joseph von 1745 bis 1777 schildert sie als eine Epoche reformfreudiger Politik. Leonhard bietet eine Art kompakten Schnellkurs zur Historie der Aufklärung in Bayern, bevor sie sich der jungen Fanny widmet. Dass das 1768 geborene Mädchen in der freiheitlichen Atmosphäre eines fortschrittlichen Elternhauses aufwuchs, scheint ihre vielfältigen Begabungen auf erstaunliche Weise gefördert zu haben. Die Mutter habe ihre Kinder „nach den geradezu modernen Erziehungsprinzipien des Oheims“ heranwachsen lassen, und aus Fanny wurde ein frühreifes Kind, das am Klavier improvisierte und schon mit neun Jahren ein Trauerspiel entwarf. Ihre Mutter war als geistvolle Schönheit am Münchner Hof offenbar eine Attraktion, entsprechend großer Druck muss auf Fanny gelastet haben. Zeitgenossen schilderten das Mädchen als sensible Seele mit Hang zu überstürzten Reaktionen. Dass Leonhard in dem als Scherenschnitt erhaltenen Profil der jungen Frau all diese Eigenschaften erkennen will, ist allerdings eine wenig überzeugende Interpretation.
Vielleicht sind solche Deutungen auch Versuche der Autorin, einer zeitlich weit entfernten Figur irgendwie nahe zu kommen. Beim Sturz in den Tod am 14. Januar 1785 versetzt sich Leonhard in ihre 17-jährige Protagonistin hinein und durchbricht den sonst angenehm unaufgeregten, sachlichen Ton ihres Buchs. „Der Luftdruck packt sie mit mächtiger Faust“, heißt es über den Sprung vom Nordturm der Frauenkirche, „reißt ihr den Kopf in den Nacken und presst ihr die Augen zu.“ Das liest sich zwar dramatisch, aber viel eindrucksvoller und bedrückender sind die überlieferten Schilderungen des Dekans Felix von Effner, der zu der Sterbenden vor seiner Wohnung neben dem Dom eilte. Effner berichtet von dem schlimm entstellten Kopf der jungen Frau. Nach ihrem Aufprall seien noch ihr Filztuch vom Kirchendach gefallen und das zierliche „Häublein“.
Die Umstände des Todes einer jungen Münchner Adeligen, deren Hochzeit mit einem vielversprechenden Offizier aus Ingolstadt Stadtgespräch war, hat noch am selben Tag Gerüchte in Umlauf gebraucht. Folgte Fanny dem Beispiel empfindsamer Literaturschwärmer, die sich nach dem Vorbild von Goethes Werther aus Liebesleid das Leben nahmen? Warum suchte die Familie um jeden Preis die Version vom Unfall zu stützen? Wie eng war die Verbindung zwischen der attraktiven Mutter des Opfers und dem jungen Bräutigam? Hier beginnt der eigentliche Krimi. Über die Auflösung wird, wie sich’s gehört, natürlich nichts verraten.
ANNE GOEBEL
Maria Magdalena Leonhard, Der Fall Fanny von Ickstatt. Eine Münchner Tragödie. Allitera Verlag 2013, 148 Seiten, 12,90 Euro
MÜNCHNER SEITEN
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ein Buch beschäftigt sich mit dem Freitod der Fanny von Ickstatt
Ein gefühlloser Vater, eine doppelzüngige Mutter und die schöne Tochter als Alleingelassene, die eine Verzweiflungstat begeht - das klingt eher nach der konstruierten Handlung eines Schmökers als nach einer realen Begebenheit. Doch das tragische Los der Fanny von Ickstatt versetzte Ende des 18. Jahrhunderts ganz München in Aufruhr, als die Adelige aus bester Familie sich an einem Januartag des Jahres 1785 von der Frauenkirche in den Tod stürzte. Dass von der Geschichte bis heute eine düstere Faszination ausgeht, liegt an den geradezu romanhaften Umständen – und das könnte auch der Grund sein, warum sich ein neues Buch mit der Episode beschäftigt. „Der Fall Fanny von Ickstatt. Eine Münchner Tragödie im 18. Jahrhundert“ heißt der Band von Maria Magdalena Leonhard, der gerade im Allitera-Verlag erschienen ist.
In ihrer Vorbemerkung betont die Autorin, dem in München vor allem durch den Rechtsgelehrten Johann Adam Freiherr von Ickstatt geläufigen Namen habe sie eine bedeutsame Facette hinzufügen wollen; immerhin schwinge in dem Namen auch die „Erinnerung an ein dramatisches Ereignis von Liebesleid und Liebestod“ mit, zu dessen Aufklärung ihre Untersuchung beitragen will. Ohne die Wucht der Vorkommnisse vom Winter 1785 schmälern zu wollen: Es dürfte heute nur wenige Menschen in der Stadt geben, denen sie ein Begriff sind. Insofern bräuchte Leonhard ihr Buch gar nicht als überfällige Studie zu präsentieren – man liest die knapp 150 Seiten auch ohne diesen Überbau gerne als das, was sie sind: eine spannende und noch dazu wahre Geschichte.
Die Autorin zitiert ausführlich aus zeitgenössischen Quellen, um das Bild ihrer Protagonistin möglichst lebensnah zu zeichnen, und holt dabei weit aus. Die Regierungszeit des bayerischen Kurfürsten Max III. Joseph von 1745 bis 1777 schildert sie als eine Epoche reformfreudiger Politik. Leonhard bietet eine Art kompakten Schnellkurs zur Historie der Aufklärung in Bayern, bevor sie sich der jungen Fanny widmet. Dass das 1768 geborene Mädchen in der freiheitlichen Atmosphäre eines fortschrittlichen Elternhauses aufwuchs, scheint ihre vielfältigen Begabungen auf erstaunliche Weise gefördert zu haben. Die Mutter habe ihre Kinder „nach den geradezu modernen Erziehungsprinzipien des Oheims“ heranwachsen lassen, und aus Fanny wurde ein frühreifes Kind, das am Klavier improvisierte und schon mit neun Jahren ein Trauerspiel entwarf. Ihre Mutter war als geistvolle Schönheit am Münchner Hof offenbar eine Attraktion, entsprechend großer Druck muss auf Fanny gelastet haben. Zeitgenossen schilderten das Mädchen als sensible Seele mit Hang zu überstürzten Reaktionen. Dass Leonhard in dem als Scherenschnitt erhaltenen Profil der jungen Frau all diese Eigenschaften erkennen will, ist allerdings eine wenig überzeugende Interpretation.
Vielleicht sind solche Deutungen auch Versuche der Autorin, einer zeitlich weit entfernten Figur irgendwie nahe zu kommen. Beim Sturz in den Tod am 14. Januar 1785 versetzt sich Leonhard in ihre 17-jährige Protagonistin hinein und durchbricht den sonst angenehm unaufgeregten, sachlichen Ton ihres Buchs. „Der Luftdruck packt sie mit mächtiger Faust“, heißt es über den Sprung vom Nordturm der Frauenkirche, „reißt ihr den Kopf in den Nacken und presst ihr die Augen zu.“ Das liest sich zwar dramatisch, aber viel eindrucksvoller und bedrückender sind die überlieferten Schilderungen des Dekans Felix von Effner, der zu der Sterbenden vor seiner Wohnung neben dem Dom eilte. Effner berichtet von dem schlimm entstellten Kopf der jungen Frau. Nach ihrem Aufprall seien noch ihr Filztuch vom Kirchendach gefallen und das zierliche „Häublein“.
Die Umstände des Todes einer jungen Münchner Adeligen, deren Hochzeit mit einem vielversprechenden Offizier aus Ingolstadt Stadtgespräch war, hat noch am selben Tag Gerüchte in Umlauf gebraucht. Folgte Fanny dem Beispiel empfindsamer Literaturschwärmer, die sich nach dem Vorbild von Goethes Werther aus Liebesleid das Leben nahmen? Warum suchte die Familie um jeden Preis die Version vom Unfall zu stützen? Wie eng war die Verbindung zwischen der attraktiven Mutter des Opfers und dem jungen Bräutigam? Hier beginnt der eigentliche Krimi. Über die Auflösung wird, wie sich’s gehört, natürlich nichts verraten.
ANNE GOEBEL
Maria Magdalena Leonhard, Der Fall Fanny von Ickstatt. Eine Münchner Tragödie. Allitera Verlag 2013, 148 Seiten, 12,90 Euro
MÜNCHNER SEITEN
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de