Sein Name war für den russischen Präsidenten tabu, bis Putin sich des verhassten Kontrahenten zuletzt doch entledigte: Alexej Nawalny, Putins gefährlichster Gegner. John Sweeney, der seit Jahrzehnten als Investigativjournalist zu den Abgründen der russischen Politik recherchiert und berichtet, kannte Nawalny persönlich. Nun liefert er eine packende Biografie über den Oppositionsführer und Hoffnungsträger, seine Stärken und Schwächen, die Attacken, denen er ausgesetzt war - und offenbart die Ziele und Strategien von Nawalnys mächtigen Gegnern. Temporeich, spannend und hochinformativ beleuchtet Sweeney die Geschichten hinter den Schlagzeilen und kommt zu einem klaren Schluss: Wenn Putin Einhalt geboten werden soll, muss der Westen ihm mit aller Entschiedenheit entgegentreten.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der Titel dieses Buches ist irreführend, hält der irritierte Kritiker Cord Aschenbrenner fest: Der wahrscheinlich vom russischen Regime ermordete Oppositionelle Alexej Nawalny steht gar nicht durchgängig im Zentrum, vielmehr konzentriert sich der britische Journalist John Sweeney auf das System Putin. Leider wartet Aschenbrenner vergeblich darauf, dass Sweeney das Versprechen einer umfassenden Analyse von Nawalnys Leben vorlegt, mehr liest er von Putin und seiner Oligarchenentourage. Er fragt sich zudem, ob die aufgesetzte Sprache wirklich nötig war und empfiehlt lieber die Lektüre der verdienstvollen Zeitschrift Osteuropa.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Putins Widersacher und Opfer Alexej Nawalny hat in John Sweeney einen würdigen Biografen gefunden.« Cicero
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.08.2024Putin,
Nawalny und ich
John Sweeney verspricht ein Buch über Russland,
die Opposition und das Scheitern des Westens. Es misslingt.
John Sweeney hat seine Verdienste. Der 66-jährige Brite hat als Journalist erst für die Sonntagszeitung The Observer, dann für die BBC gearbeitet; man wird ihn einen journalistischen Haudegen nennen dürfen. Furchtlos ist Sweeney Diktatoren, Gewaltherrschern und anderen unerfreulichen Gestalten rund um den Globus in den vergangenen 35 Jahren auf die Nerven gegangen – als Fragesteller und indem er über die unglücklichen Länder unter ihrer Herrschaft berichtet hat. Rumänien, Simbabwe, Tschetschenien, Nordkorea, zur Abwechslung die Scientology-Sekte und immer wieder und bis heute Russland waren seine Themen, manches, etwa seine Nordkorea-Recherche, war nicht unumstritten.
Als Russland im Februar 2022 die Ukraine überfiel, war Sweeney für die BBC in Kiew. Im selben Jahr erschien sein Buch über den „Killer im Kreml“ (so der deutsche Buchtitel); er ist ihm mehrmals begegnet. 2014, gab es als direkte Reaktion auf Sweeneys Fragen an Putin zum Abschuss des Flugs MH17 wenig später einen Hieb von einem Unbekannten in die Magengrube – „auf eine sehr spezielle, seltsam komische Art ein Kompliment des Kreml“. So stellt Sweeney es in seinem neuen Buch dar, das zwar den Titel „Der Fall Nawalny“ trägt, aber ebenso gut „Der Killer im Kreml II“ heißen könnte. Oder auch „Putin, Nawalny und ich“. Wer es in der Erwartung liest, eine Biografie des am 16. Februar 2024 in einem arktischen Straflager gestorbenen, sehr wahrscheinlich ermordeten Oppositionellen Alexej Nawalny vor sich zu haben, sieht sich überwiegend getäuscht.
Vielmehr hat John Sweeney eine weitere Abrechnung mit dem zutiefst korrupten, mörderischen Herrschaftssystem Wladimir Putins, des „Psychopathen, der die russische Demokratie zerstörte“, verfasst, bei der die erst hoffnungsvolle, dann immer deprimierender werdende Geschichte Alexej Nawalnys zwar manchmal im Vordergrund steht. Er wolle verstehen, schreibt Sweeney, „wie ein nicht ganz makelloser russischer Held, ein Ritter in verbeulter Rüstung, zu Tode kam“. Damit spielt er an auf Nawalnys Tändelei mit russischen Rechten, auf ein paar üble nationalistische Videos in oppositioneller Frühzeit, Tatsachen, die Nawalny später nie leugnete.
Leider jedoch fehlt Sweeneys Schilderung der biografische Tiefgang – man erfährt nicht allzu viel über den Mann, über seine Herkunft, Familie und Freunde, seine Prägung, sein Denken. Was doch interessant wäre bei einem, der vom furchtlosen Anti-Korruptions-Blogger zum Präsidentschaftskandidaten und aussichtsreichsten Gegenspieler Putins und der Kreml-Partei „Einheitliches Russland“ (von Nawalny erfolgreich umbenannt in „Partei der Gauner und Diebe“) wurde; der weltweit als origineller, wirkmächtigster Kopf der außerparlamentarischen Opposition in Russland galt; und der als von der machthörigen russischen Justiz verurteilter Krimineller elend umkam.
Der Fall Nawalny, so wie John Sweeney ihn erzählt, ist nicht nur ein wendungsreicher Politkriminalfall – man denke nur an den Anschlag auf Nawalny mit dem Nervengift Nowitschok durch ein FSB-Giftmordkommando 2020, die Behandlung in der Charité und Nawalnys Entschluss, 2021 nach Russland zurückzukehren. Er sei auch „eine Studie über das außergewöhnliche Dahinscheiden des demokratischen Russlands“ und gleichzeitig „eine Analyse des Scheiterns der westlichen Staaten“, den ehemaligen KGB-Agenten Putin in Schach zu halten – also „drei Bücher in einem“, so Sweeney in der ihm eigenen Bescheidenheit. Wenigstens streckenweise läuft das hinaus auf eine ausgedehnte erneute Befassung mit dem russischen Präsidenten, der, bar jeder Skrupel und pathologisch misstrauisch, seine postsowjetische Autokratie von Anfang an mit den bewährten geheimdienstlichen Mitteln Russlands regiert hat: Verfolgung, Zersetzung und politischem Mord. Sweeney vergisst außer dem „kleinen Mann im Kreml“, den er als verschlagen, höhnisch und korrupt zeichnet, nicht die Garde ähnlich sympathischer Oligarchen und alter Geheimdienstkumpane, die ihn flankieren.
Natürlich lässt sich die Darstellung der politischen Entwicklung Alexej Nawalnys kaum trennen von dem Mann, den er verachtete, im Netz und in Youtube-Videos (das berühmteste, 100-millionenfach gesehene ist „Ein Palast für Putin“) immer wieder herausforderte und lächerlich machte und der ihn schließlich töten ließ. Davon ist Sweeney wie die meisten Beobachter überzeugt. Putin seinerseits fürchtete den charismatischen, nicht einzuschüchternden Nawalny derart, dass er seinen Namen in einer Art magischen Denkens nicht aussprach.
Bedauerlicherweise ist es jedoch so, dass die von Sweeney angestrebte Trias – Politkrimi, Tod der russischen Demokratie, Analyse des westlichen Scheiterns – ein vollmundiges Versprechen ist, das er nicht einhalten kann. Stattdessen folgt man Sweeneys mäandernder Art, sich in der Geschichte von Putins Herrschaft vor- und zurückzubewegen, stößt sich an Passagen von aufgesetzt wirkender Heiterkeit und fragt sich, ob Reflexionen über das Verhältnis Sweeneys zu Nawalny wirklich weiterführen. Vergeblich wartet man auf die Analyse des Scheiterns. Fragwürdig ist schließlich die manchmal raue, bisweilen obszöne Sprache, die Sweeneys Übersetzer getreulich übertragen haben, was sie aber besser hätten bleiben lassen. Sie wirkt, als wolle Sweeney unbedingt den harten Burschen markieren, der er doch unbestritten ist. Wer wirklich kenntnisreiche Aufklärung über den Fall Nawalny sucht, der lese Heft 4/2024 der Zeitschrift „Osteuropa“. Besseres findet man hierzulande nicht.
CORD ASCHENBRENNER
Alexej Nawalny als „Ritter
in verbeulter Rüstung“
John Sweeney:
Der Fall Nawalny – Mord im Gulag. Sein Leben, seine Ermordung – Was wirklich geschah. Heyne-Verlag, München 2024. 352 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Nawalny und ich
John Sweeney verspricht ein Buch über Russland,
die Opposition und das Scheitern des Westens. Es misslingt.
John Sweeney hat seine Verdienste. Der 66-jährige Brite hat als Journalist erst für die Sonntagszeitung The Observer, dann für die BBC gearbeitet; man wird ihn einen journalistischen Haudegen nennen dürfen. Furchtlos ist Sweeney Diktatoren, Gewaltherrschern und anderen unerfreulichen Gestalten rund um den Globus in den vergangenen 35 Jahren auf die Nerven gegangen – als Fragesteller und indem er über die unglücklichen Länder unter ihrer Herrschaft berichtet hat. Rumänien, Simbabwe, Tschetschenien, Nordkorea, zur Abwechslung die Scientology-Sekte und immer wieder und bis heute Russland waren seine Themen, manches, etwa seine Nordkorea-Recherche, war nicht unumstritten.
Als Russland im Februar 2022 die Ukraine überfiel, war Sweeney für die BBC in Kiew. Im selben Jahr erschien sein Buch über den „Killer im Kreml“ (so der deutsche Buchtitel); er ist ihm mehrmals begegnet. 2014, gab es als direkte Reaktion auf Sweeneys Fragen an Putin zum Abschuss des Flugs MH17 wenig später einen Hieb von einem Unbekannten in die Magengrube – „auf eine sehr spezielle, seltsam komische Art ein Kompliment des Kreml“. So stellt Sweeney es in seinem neuen Buch dar, das zwar den Titel „Der Fall Nawalny“ trägt, aber ebenso gut „Der Killer im Kreml II“ heißen könnte. Oder auch „Putin, Nawalny und ich“. Wer es in der Erwartung liest, eine Biografie des am 16. Februar 2024 in einem arktischen Straflager gestorbenen, sehr wahrscheinlich ermordeten Oppositionellen Alexej Nawalny vor sich zu haben, sieht sich überwiegend getäuscht.
Vielmehr hat John Sweeney eine weitere Abrechnung mit dem zutiefst korrupten, mörderischen Herrschaftssystem Wladimir Putins, des „Psychopathen, der die russische Demokratie zerstörte“, verfasst, bei der die erst hoffnungsvolle, dann immer deprimierender werdende Geschichte Alexej Nawalnys zwar manchmal im Vordergrund steht. Er wolle verstehen, schreibt Sweeney, „wie ein nicht ganz makelloser russischer Held, ein Ritter in verbeulter Rüstung, zu Tode kam“. Damit spielt er an auf Nawalnys Tändelei mit russischen Rechten, auf ein paar üble nationalistische Videos in oppositioneller Frühzeit, Tatsachen, die Nawalny später nie leugnete.
Leider jedoch fehlt Sweeneys Schilderung der biografische Tiefgang – man erfährt nicht allzu viel über den Mann, über seine Herkunft, Familie und Freunde, seine Prägung, sein Denken. Was doch interessant wäre bei einem, der vom furchtlosen Anti-Korruptions-Blogger zum Präsidentschaftskandidaten und aussichtsreichsten Gegenspieler Putins und der Kreml-Partei „Einheitliches Russland“ (von Nawalny erfolgreich umbenannt in „Partei der Gauner und Diebe“) wurde; der weltweit als origineller, wirkmächtigster Kopf der außerparlamentarischen Opposition in Russland galt; und der als von der machthörigen russischen Justiz verurteilter Krimineller elend umkam.
Der Fall Nawalny, so wie John Sweeney ihn erzählt, ist nicht nur ein wendungsreicher Politkriminalfall – man denke nur an den Anschlag auf Nawalny mit dem Nervengift Nowitschok durch ein FSB-Giftmordkommando 2020, die Behandlung in der Charité und Nawalnys Entschluss, 2021 nach Russland zurückzukehren. Er sei auch „eine Studie über das außergewöhnliche Dahinscheiden des demokratischen Russlands“ und gleichzeitig „eine Analyse des Scheiterns der westlichen Staaten“, den ehemaligen KGB-Agenten Putin in Schach zu halten – also „drei Bücher in einem“, so Sweeney in der ihm eigenen Bescheidenheit. Wenigstens streckenweise läuft das hinaus auf eine ausgedehnte erneute Befassung mit dem russischen Präsidenten, der, bar jeder Skrupel und pathologisch misstrauisch, seine postsowjetische Autokratie von Anfang an mit den bewährten geheimdienstlichen Mitteln Russlands regiert hat: Verfolgung, Zersetzung und politischem Mord. Sweeney vergisst außer dem „kleinen Mann im Kreml“, den er als verschlagen, höhnisch und korrupt zeichnet, nicht die Garde ähnlich sympathischer Oligarchen und alter Geheimdienstkumpane, die ihn flankieren.
Natürlich lässt sich die Darstellung der politischen Entwicklung Alexej Nawalnys kaum trennen von dem Mann, den er verachtete, im Netz und in Youtube-Videos (das berühmteste, 100-millionenfach gesehene ist „Ein Palast für Putin“) immer wieder herausforderte und lächerlich machte und der ihn schließlich töten ließ. Davon ist Sweeney wie die meisten Beobachter überzeugt. Putin seinerseits fürchtete den charismatischen, nicht einzuschüchternden Nawalny derart, dass er seinen Namen in einer Art magischen Denkens nicht aussprach.
Bedauerlicherweise ist es jedoch so, dass die von Sweeney angestrebte Trias – Politkrimi, Tod der russischen Demokratie, Analyse des westlichen Scheiterns – ein vollmundiges Versprechen ist, das er nicht einhalten kann. Stattdessen folgt man Sweeneys mäandernder Art, sich in der Geschichte von Putins Herrschaft vor- und zurückzubewegen, stößt sich an Passagen von aufgesetzt wirkender Heiterkeit und fragt sich, ob Reflexionen über das Verhältnis Sweeneys zu Nawalny wirklich weiterführen. Vergeblich wartet man auf die Analyse des Scheiterns. Fragwürdig ist schließlich die manchmal raue, bisweilen obszöne Sprache, die Sweeneys Übersetzer getreulich übertragen haben, was sie aber besser hätten bleiben lassen. Sie wirkt, als wolle Sweeney unbedingt den harten Burschen markieren, der er doch unbestritten ist. Wer wirklich kenntnisreiche Aufklärung über den Fall Nawalny sucht, der lese Heft 4/2024 der Zeitschrift „Osteuropa“. Besseres findet man hierzulande nicht.
CORD ASCHENBRENNER
Alexej Nawalny als „Ritter
in verbeulter Rüstung“
John Sweeney:
Der Fall Nawalny – Mord im Gulag. Sein Leben, seine Ermordung – Was wirklich geschah. Heyne-Verlag, München 2024. 352 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de