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1926 erklimmt Paul Kammerer einen Hügel im Schneebergmassiv. Dann setzt er sich einen Revolver an die Schläfe und seinem Leben ein Ende. Kurz zuvor ist Kammerer, den man als größten Biologen seit Darwin feierte, die Fälschung von Experimenten vorgeworfen worden. Der Fall erregt weltweit Aufsehen und ist bis heute ungeklärt. Klaus Taschwer rollt das Leben des "Krötenküssers" neu auf. Des Vaters der Epigenetik, der sich nicht nur in der Biologie, sondern auch als Komponist und Liebhaber von Alma Mahler einen Namen machte - und er liefert die erste heiße Spur im "Cold Case Kammerer", die zu einer…mehr

Produktbeschreibung
1926 erklimmt Paul Kammerer einen Hügel im Schneebergmassiv. Dann setzt er sich einen Revolver an die Schläfe und seinem Leben ein Ende. Kurz zuvor ist Kammerer, den man als größten Biologen seit Darwin feierte, die Fälschung von Experimenten vorgeworfen worden. Der Fall erregt weltweit Aufsehen und ist bis heute ungeklärt. Klaus Taschwer rollt das Leben des "Krötenküssers" neu auf. Des Vaters der Epigenetik, der sich nicht nur in der Biologie, sondern auch als Komponist und Liebhaber von Alma Mahler einen Namen machte - und er liefert die erste heiße Spur im "Cold Case Kammerer", die zu einer antisemitischen Verschwörung führt. Ein wahrer Krimi, der das kreative Milieu Wiens um 1900 zu neuem Leben erweckt.
Autorenporträt
Taschwer, Klaus
Klaus Taschwer, 1967 in Judenburg geboren, studierte Soziologie und Politikwissenschaft. Er war Gründer und Mitherausgeber des Wissenschaftsmagazins "heureka", Koleiter eines Universitätslehrgangs für Wissenschaftskommunikation und arbeitet seit 2007 als Redakteur im Bereich Wissenschaft beim "Standard" in Wien. 2003 erschien von ihm das Buch "Konrad Lorenz - Eine Biographie" im Zsolnay Verlag (zusammen mit Benedikt Föger). 2016 erhielt er den Österreichischen Staatspreis für Wissenschaftspublizistik.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.10.2016

Entlastung für den Krötenfälscher
Darwinismen und politische Intrigen: Klaus Taschwer präsentiert Belege für eine neue Hypothese zum spektakulären Sturz des Biologen Paul Kammerer

Der Lamarckismus, also die Annahme, dass erworbene Eigenschaften vererbt werden können, hat im zwanzigsten Jahrhundert zweimal einen öffentlichen k.o.-Schlag hinnehmen müssen: mit der Lyssenko-Affäre, die mitten im Kalten Krieg zeigte, dass politisch verordnete Genetik auch in der Sowjetunion zu verheerenden Missernten und nachfolgenden Hungersnöten führte; und mit dem Fall des Wiener Biologen Paul Kammerer, der zeitlebens davon überzeugt war, dass die Vererbung erworbener Eigenschaften neben der von Charles Darwin postulierten natürlichen Selektion einen zweiten Mechanismus der Evolution ausmacht. Kammerers ohnehin umstrittene wissenschaftliche Reputation war mit einem Schlag vernichtet, als 1926 nachgewiesen wurde, dass die unter veränderten Umweltbedingungen in wenigen Generationen gewachsenen Brunftschwielen bei der männlichen Geburtshelferkröte, die er als Beleg präsentierte, eine plumpe Fälschung darstellten. Noch im selben Jahr beging er Selbstmord, was als Eingeständnis seiner Verfehlung gedeutet wurde, auch wenn er kurz zuvor noch seine Unschuld beteuert hatte.

Mit Lyssenko und Kammerer wurde der Lamarckismus zu mehr als einer bloß falschen, historisch überholten Theorie, er wurde zu einem warnenden Beispiel für Betrug und ideologisch kontaminierte Pseudowissenschaft. Wer sich in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, unter den dominierenden Denkstilen von Neo-Darwinismus und Molekularbiologie, für die Vererbung erworbener Eigenschaften interessierte, bekam in der akademischen Biologie kein Bein auf die Erde. Wie umkämpft das Terrain war, zeigte sich 1971, als Arthur Koestler mit dem Buch "Der Krötenküsser" eine Rehabilitierung Paul Kammerers versuchte. Koestler trug Indizien dafür zusammen, dass nicht der unglückliche Biologe seine Kröten manipuliert habe, sondern er das Opfer einer Intrige wurde, um den Lamarckismus zu diskreditieren. Das Problem mit dieser These war, dass Koestler keinen Verdächtigen vorweisen konnte, der Kammerer so übel mitgespielt haben sollte. Seine Behauptung, dass der vorherrschende Darwinismus Kammerer zu Fall gebracht habe, war nicht allzu stichhaltig und konnte zudem als Konsequenz seiner eigenen Befangenheit ausgelegt werden, da er selbst ein erbitterter Kritiker des Neo-Darwinismus war.

Fünfundvierzig Jahre nach Koestler rollt der Wiener Journalist Klaus Taschwer den Fall Kammerer noch einmal auf, um den fehlenden Mosaikstein, also den möglichen Krötenfälscher, ans Tageslicht zu befördern. Gestützt auf zahlreiche neue Archivfunde, bietet er eine Perspektive an, die Kammerers Aufstieg und Fall in die von Koestler eher vernachlässigte politische Geschichte der Lebenswissenschaften in Wien einbettet. Dabei zeigt sich, dass Kammerers Forschungen nicht nur deshalb besonders spektakulär und auch umstritten waren, weil sie die damals umkämpfte akademische Alternative zwischen Darwinismus und Lamarckismus betrafen. Daneben ging es um handfeste gesellschaftspolitische Fragen.

Mit dem Aufstieg der Eugenik nach 1900 rückte unweigerlich die Frage in den Vordergrund, welche biopolitischen Maßnahmen der Staat zur Verbesserung des "Volkskörpers" ergreifen sollte. Verkürzt gesagt, setzte die mit Darwins Evolutionsbegriff operierende Richtung auf rigorose eugenische Interventionen, die sie als verlängerten Arm der natürlichen Selektion betrachtete. Dementsprechend sollten unerwünschte beziehungsweise als krankhaft angesehene Entwicklungen durch entsprechende Maßnahmen ausgemerzt werden. Es gab aber auch eine eugenische Linke, welche die natürliche Selektion keineswegs ablehnte, doch besagte Vererbung erworbener Eigenschaften als zweiten evolutionären Mechanismus ansah. Deren Forderungen im Sinne einer positiven Eugenik liefen, wiederum verkürzt, darauf hinaus, durch Investitionen in medizinische Prävention und Hygiene, Bildung und Gleichberechtigung zu einer Verbesserung der Gesellschaft beizutragen.

Kammer gehörte zu den führenden Vertretern einer solchen eugenischen Linken. Anders als jene, die Stärke und Konkurrenz als wesentliche Faktoren im Kampf ums Überleben sahen, postulierte er das Prinzip der Symbiose oder Solidarität als ebenso wichtigen biologischen Mechanismus für das Überleben einer Art. Damit vertrat er eine frühe Variante der Soziobiologie, die nicht, wie deren spätere Entwicklungen, von einem genetischen Determinismus ausging. Seine biologischen, pazifistischen und gesellschaftspolitischen Positionen entwickelte Kammerer in immer zahlreicher werdenden populärwissenschaftlichen Aufsätzen, Büchern und Vorträgen - nicht ganz freiwillig, denn da ihm eine Position an der Universität versagt blieb und das elterliche Erbe verlorenging, war Kammerer darauf angewiesen, Geld zu verdienen. Dadurch wurde er aber auch - darin Albert Einstein nicht ganz unähnlich - zu einem wissenschaftlichen Pop-Star und zu einem Hassobjekt der Wiener Nationalisten, die nach dem Ersten Weltkrieg an der Universität immer einflussreicher wurden. Genau hier sieht Taschwer den Schlüssel für den Untergang Kammerers.

Im vergangenen Jahr publizierte Taschwer ein Buch über die Universität Wien als "Hochburg des Antisemitismus" (F.A.Z. vom 12. August 2015), in dem er den Niedergang der Universität mit einer universitätsinternen Machtergreifung rechtsnationaler, katholischer und faschistischer Professoren erklärt, die die Karrieren jüngerer unliebsamer Wissenschaftler, vor allem von Juden und Sozialdemokraten, systematisch blockierten. Das betraf nicht nur die Biologie, sondern auch so unterschiedliche Disziplinen wie Physik, Philosophie, Ökonomie oder Sozialwissenschaften.

Im Zentrum dieser Machenschaften stand der Paläobiologe Othenio Abel, der eine konspirative Gruppe von rechtsradikalen Wiener Professoren organisierte, die so einflussreich war, dass ab 1923 Juden an der Philosophischen Fakultät quasi chancenlos waren. Abel war auch die treibende Kraft dafür, dass Kammerers Antrag für eine Titularprofessur an der Universität Wien abgeschmettert wurde. An diesem Punkt spult Taschwer eine Indizienkette ab, die darauf hinausläuft, dass Abel die Manipulation von Kammerers Kröte initiiert haben könnte.

Anfang 1926 meldete sich in Wien ein junger Biologe aus New York namens Gladwyn Kingsley Noble an, um besagte Kröte noch einmal genau zu untersuchen. Ein ziemlich großer Aufwand für die damalige Zeit, zumal Noble wusste, dass das besagte Exemplar zuvor bei Kammerers Besuch in England von ebenfalls skeptischen Biologen gründlich in Augenschein genommen worden war. Noble kannte Kammerer von dessen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten und hielt wenig von ihm als Wissenschaftler; dafür pflegte er, wie Taschwer plausibel nachweisen kann, um so engeren Umgang mit Othenio Abel.

Könnte also Nobles ungewöhnlicher Besuch in Wien darauf zurückzuführen sein, dass er von Abel einen Wink erhalten hatte? Das würde zumindest voraussetzen, dass es Abel gelungen war, einen Mitarbeiter in Kammerers Labor zu schleusen, der die Manipulationen vornahm, die dann von Noble als plumpe Fälschung entlarvt wurden.

Möglich ist dieses Szenario durchaus, auch wenn Taschwer natürlich weiß, dass er nur über Indizien, nicht über einen definitiven Beweis verfügt. Motive hätten Abel und seine Mitstreiter zur Genüge gehabt: Mit dem linken Pazifisten Kammerer, der zudem eine jüdische Mutter hatte, konnten sie einen besonders verhassten Kollegen ausschalten. Außerdem konnten sie den jüdischen Biologen Hans Przibram, Gründer und Leiter der Biologischen Versuchsanstalt im Prater, einer nicht-universitären Forschungseinrichtung, an der Kammerer all seine Experimente durchgeführt hatte, diskreditieren. Und da Abel auch in anderen Fällen nicht zögerte, persönliche Existenzen mit unsäglichen Lügen und Intrigen zu vernichten, wäre ihm ein solches Verhalten durchaus zuzutrauen. Doch ein Beweis ist das noch nicht. Insofern wäre zu wünschen, wenn, angestoßen durch dieses Buch, noch neue Quellen ans Licht kämen: beispielsweise der Nachlass Othenio Abels, der sich im Familienbesitz befindet und für die Forschung bislang nicht zugänglich ist.

Welchen Stellenwert hat Taschwers plausible, gründlich recherchierte Deutung des Falls Kammerer? Arthur Koestler hatte dessen Rehabilitierung damit gerechtfertigt, dass er die Frage der Fälschung mit der Frage des Wahrheitsgehalts von Kammerers Untersuchungen verquickte. Klugerweise verzichtet Taschwer auf eine solche Strategie. Ob Kammerers Ergebnisse und deren Deutungen ein Argument für die seit einigen Jahren an Boden gewinnende Epigenetik darstellen können, müsste durch aufwendige Wiederholungen seiner Experimente gezeigt werden. Man kann Kammerer als Opfer sehen, aber nicht, weil er recht hatte, sondern weil er eine Position vertrat, die sinistren Zeitgenossen ein Dorn im Auge war. Mit der Einbettung des Falls Kammerer in den akademischen Wiener Antisemitismus und Nationalismus gibt Klaus Taschwer dieser Geschichte noch einmal eine ganz andere Wendung: Sie wird zum Emblem für den selbstverschuldeten Abstieg der einst prächtigen Wissenschaftsstadt Wien in die pure Mittelmäßigkeit.

MICHAEL HAGNER.

Klaus Taschwer: "Der Fall Paul Kammerer". Das abenteuerliche Leben des umstrittensten Biologen seiner Zeit.

Carl Hanser Verlag, München 2016. 352 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Michael Hagner liest Klaus Taschwers Revision des Falls Paul Kammerer mit großem Interesse. Kammerer gehörte in den zwanziger Jahren zu jenen Vertretern eines linken Lamarckismus, die glaubten, dass auch erworbene Eigenschaften vererbt werden können, und daher Prävention, Hygiene, Bildung und Gleichberechtigung. Diesen zweiten Mechanismus der Evolution neben Darwins natürlicher Selektion hatte er mithilfe der Geburtshelferkröte nachweisen wolle, seine Forschungsergebnisse erwiesen sich jedoch bald als manipuliert, und Kammerer beging Selbstmord. Nur wer manipulierte damals und aus welchen Gründen? Wie Taschwer Kammerers Forschungen in die politische Geschichte der Lebenswissenschaften und der Eugenik in Wien einbettet und mit Hilfe einer gründlich recherchierten Indizienkette einen rechtsradikalen Professor auf den Plan ruft, findet Hagner faszinierend und durchaus plausibel, wenngleich der Autor auch Beweise schuldig bleibt. Als Anstoß für neue Quellenforschungen scheint ihm der Band allemal geeignet.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Empfehlenswert ist Taschwers Biografie auch, weil sie die abwechslungsreiche Geschichte der Biologie seit Lamarck knapp und kundig zusammenfasst." Peter Jungwirth, Wiener Zeitung extra, 26.11.16

"Mit der Einbettung des Falls Kammerer in den akademischen Wiener Antisemitismus und Nationalismus gibt Klaus Taschwer dieser Geschichte noch einmal eine ganz andere Wendung: Sie wird zum Emblem für den selbstverschuldeten Abstieg der einst prächtigen Wissenschaftsstadt Wien in die pure Mittelmäßigkeit." Michael Hagner, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.10.16

"Die engmaschig recherchierte Annäherung an das wilde Leben des Biologen, der sich vor 90 Jahren das Leben nahm, liest sich wie ein packender Thriller, der zudem mit neuen Erkenntnissen zu den Fälschungsvorwürfen gegen Kammerer glänzt." Nikolaus Täuber, APA, 26.09.16

"Die Geschichte liest sich weder spekulativ noch trocken. Im Gegenteil, Taschwer schafft es, ein lebendiges Bild der damaligen bürgerlichen Gesellschaft vor den Augen der Leser entstehen zu lassen." Peter Iwaniewicz, Falter, 13.10.16

"...ein vielschichtiges Charakterbild, ein lebendiges Zeitgemälde und eine spannende Kriminalgeschichte." Michael Lange, Deutschlandfunk, 23.10.16

"Alles in allem überzeugt "Der Fall Paul Kammerer" als spannender, leicht verständlicher Sachbuchkrimi." Miriam Plappert, www.spektrum.de, 15.11.16