Produktdetails
  • Verlag: Nomos
  • ISBN-13: 9783789064104
  • ISBN-10: 3789064106
  • Artikelnr.: 46743243
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In seiner Besprechung der Dokumentation über die Aufhebung der Immunität Pinochets sieht Arnd Koch die Herausgeber hinter ihrem eigenen Anspruch zurückbleiben. Denn nach eigenen Angaben wollten sie zeigen, dass auch ehemalige Staatsoberhäupter für Straftaten wie Mord und Folter uneingeschränkt zur Rechenschaft gezogen werden könnten, was aber in der Dokumentation des rechtlichen Verfahrens nach Ansicht des Rezensenten nicht so eindeutig zu Tage trete. Denn die englischen Gerichte hätten zwar die Immunität Pinochets aufgehoben, seien aber der Meinung, dass das ehemalige Staatsoberhaupt nur für Folterungen, die nach dem 8. Dezember 1988 verübt wurden, verurteilt werden könne, nicht aber für die ihm angelasteten Morde. Jedoch lobt Koch die Dokumentation für ihre "knappen Anmerkungen", die Überblick und Verständnis der häufig schwierigen völkerrechtlichen Ausführungen erleichterten.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.2000

Immunitätsschwächen
Pinochet und der völkerrechtliche Menschenrechtsschutz

Heiko Ahlbrecht, Kai Ambos (Herausgeber): Der Fall Pinochet(s). Auslieferung wegen staatsverstärkter Kriminalität? Juristische Zeitgeschichte, Abteilung 5: Juristisches Zeitgeschehen. Rechtspolitik und Justiz aus zeitgenössischer Perspektive, Band 4. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1999. XII, 250 Seiten, 79,- Mark.

Nachdem Augusto Pinochet Ugarte in London aufgrund eines internationalen Haftbefehls festgenommen worden war, berief er sich zu seiner Verteidigung auf die - ihm als ehemaligem Staatsoberhaupt zukommende - Immunität: Kein Gericht des Vereinigten Königreichs könne zuständig sein für Handlungen, die er in Ausübung souveräner Staatsmacht begangen habe. Mit dieser Argumentation, der sich auch Erich Honecker bedient hatte, spielte Pinochet auf den völkerrechtlichen Grundsatz an, daß kein Staat über einen anderen Staat zu Gericht sitzen darf ("par in parem non habet imperium").

Drei englische Gerichte hatten die Frage zu beantworten, ob die von Pinochet beanspruchte Immunität ohne Einschränkung gilt oder ob sie bei einem ehemaligen Staatsoberhaupt aufgehoben werden kann bei schwersten Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Mord und das systematische "Verschwindenlassen" von Personen.

Die Herausgeber dokumentieren das rechtliche Verfahren im "Fall Pinochet". In gekürzter Fassung finden sich beispielsweise die spanischen Haft- und Auslieferungsanträge sowie die zur Immunität Pinochets ergangenen britischen Gerichtsentscheidungen. Neben knappen Anmerkungen erleichtert eine Übersicht über die einschlägigen spanischen, britischen und internationalen Normen das Verständnis der mitunter diffizilen völkerrechtlichen Ausführungen. In zeitlicher Hinsicht reicht die Dokumentation bis ins Frühjahr 1999. Für die späteren Ereignisse, etwa die Auseinandersetzung über den Gesundheitszustand Pinochets als mögliches Auslieferungshindernis oder die jüngst durch ein chilenisches Gericht beschlossene Immunitätsaufhebung, ist ein zweiter Band angekündigt.

Mit ihrer Dokumentation wollen die Herausgeber zeigen, "daß die Taten von Diktatoren nicht bloß Untaten, sondern - weltweit verfolgbare - Straftaten sind, daß der überkommene Satz ,princeps legibus solutus' nicht mehr - jedenfalls nicht mehr bei ehemaligen Diktatoren - gilt". Jedoch ist die völkerrechtliche Immunität ehemaliger Staatsoberhäupter in den Entscheidungen der Gerichte in weitaus geringerem Umfang eingeschränkt worden, als es nach dieser Aussage den Anschein hat. So sprach sich zwar das House of Lords in seinem letztinstanzlichen Urteil gegen die Immunität Pinochets aus. Dies galt aber lediglich für Folterungen, die nach dem 8. Dezember 1988 verübt wurden. Dagegen sollte Pinochet nach der Mehrheitsmeinung der Richter hinsichtlich sämtlicher ihm zur Last gelegter Morde Immunität genießen. Das offensichtlich paradoxe Ergebnis ist die Folge einer streng positivistischen Argumentation, die für das Erlöschen der Immunität ausschließlich auf den Tag des Inkrafttretens der Folterkonvention der Vereinten Nationen in Großbritannien abstellte.

Mit der UN-Konvention hatten sich die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, einen Folterer entweder auszuliefern oder selbst vor Gericht zu stellen. Hieraus leiteten die Richter nicht nur eine universelle Gerichtsbarkeit jeden Staates ab, sondern auch den Verlust der Immunität für ein entmachtetes Staatsoberhaupt, das den Einsatz der Folter befahl oder billigte. Im Gegensatz zu einigen Stimmen in der völkerrechtlichen Literatur lehnten es die Londoner Richter selbst beim Vorwurf schwerster Menschenrechtsverletzungen ab, einen weiterreichenden Immunitätsverlust kraft Völkergewohnheitsrecht auszusprechen.

Der "Fall Pinochet" brachte nicht den Durchbruch für den völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz, kann jedoch als Schritt hin zu einem effektiveren Völkerstrafrecht bewertet werden.

ARND KOCH

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