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Der alte Pertuska, Zauberer aus Leidenschaft, bekommt einen Schweineschwanz zugeschickt. Das ist nicht nur eine Beleidigung, sondern der Anfang einer unglaublichen Geschichte im Deutschland der Nazis. Sein Sohn Mauri will den Vater rächen, nur wie rächt man einen Schweineschwanz?

Produktbeschreibung
Der alte Pertuska, Zauberer aus Leidenschaft, bekommt einen Schweineschwanz zugeschickt. Das ist nicht nur eine Beleidigung, sondern der Anfang einer unglaublichen Geschichte im Deutschland der Nazis. Sein Sohn Mauri will den Vater rächen, nur wie rächt man einen Schweineschwanz?
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.1997

Wie schwindlig wird dem Schweinehund
Daniel Katz sitzt in Helsinki und hat doch den Roman zur Berliner Republik geschrieben / Von Heinrich Detering

Schiuch-fiuch, flrrr-flärr-flopp" - das ist, wie man unschwer erkennt, das Geräusch eines Fahrrades, das beim Bergabsausen in einen höheren Gang geschaltet wird. Gut gehört und schön gesagt - doch Obacht: Wer sich einem so rasanten Fahrvergnügen hingibt, muß sich auf Ohrensausen gefaßt machen. Fabulierlust und Schwindelgefühle wohnen dicht beieinander; nicht zufällig hausen Gehör und Gleichgewichtssinn im selben Organ. Und bei wenigen Erzählern dürfte dieses Organ besser entwickelt sein als bei Daniel Katz, dessen equilibristische Kunststücke auch standfeste Leser ins Wanken bringen können.

Nehmen wir nur den "Schweinehund", auf den seine Geschichte vom "falschen Hund" schon im Titel anspielt. Einen Schweinehund nennt der Ich-Erzähler sich selbst vor lauter Stolz auf seine ausgekochten Rachepläne, um deren Ausführung sich der größte Teil des Textes dreht. Das ist ironisch, denn als der wahre Schweinehund erweist sich jener greise Nazi in der vorpommerschen Provinz, dem die Anschläge des jüdischen Helden gelten. Der allerwahrste Schweinehund aber ist des Nazis monströser Wachhund, der den Erzähler bei der Umsetzung seiner Pläne im nächtlichen Garten anfällt und der (immer infolge der nämlichen Pläne) seinen Schwanz einbüßen wird - womit er wiederum zum Wiedergänger jenes Schweins wird, dessen abgetrennten Schwanz der besagte Nazi einst, zu Beginn der Herrschaft Hitlers, dem jüdischen Vater des Erzählers anonym zugeschickt hatte. Mit der Verstümmelung des Schweinehundes aber wäre der wichtigste Teil des Racheplans schon fast erfüllt, denn der falsche Schweineschwanz wird alsbald die richtigen, nämlich tödlichen Ereignisse auslösen, in deren Verlauf der Vater gerächt, die Gerechtigkeit wiederhergestellt und die verwirrendste aller möglichen Lösungen herbeigeführt wird.

Soviel zum Titel. Eine auch nur halbwegs vollständige Inhaltsangabe dieses turbulenten Buches würde sich anhören, als hätten sich Simmel und Sophokles zusammengetan, um die neuere deutsche Geschichte als soap opera zu erzählen. Was sonst soll man von einem Roman halten, in dem ein finnischer Turnlehrer (Kampfsport!) jüdischer Herkunft mit einer Vorliebe für ostasiatische Übungen (Weisheit!) erfährt, daß er krebskrank sei und nicht mehr lange zu leben habe (Schicksal!), daraufhin einen Plan schmiedet, mit dem er einen jugendlichen Neonazi mit ins Jenseits nehmen will (politische Gerechtigkeit!), dann auf verschlungenen Wegen das Tagebuch seines einst aus Deutschland vertriebenen, später in Israel gestorbenen Vaters zurückerhält, im Verlauf der Lektüre nicht nur neue Rache-, sondern auch Reisepläne entwickelt, bei deren Verwirklichung er im soeben wiedervereinigten Deutschland alte Nazis erledigt, neues Unrecht beobachtet (Treuhand!) und auch noch eine bittersüße Liebesgeschichte erfährt, am Ende wunderbar überlebt und über all dies selbst ein Tagebuch führt, das er teils an künftige Leser, teils (Trauerarbeit!) an den toten Vater adressiert? Es ist haarsträubend. Und als wäre es noch nicht genug der sentimentalen Versatzstücke, muß der tote Vater auch noch Zauberer und Zirkusclown gewesen sein, seinerseits bittersüß verliebt in eine Artistin, lachend unter Tränen in den Zeiten des Holocausts.

Mit solchen Clowns könnten die Tränen kommen, schlügen sie nicht, je länger man ihnen zusieht, immer absonderlichere Purzelbäume. Knapp vorbei am Bajazzo-Effekt nämlich saust die Geschichte unerwartet davon, schwungvoll und kurvig, im Zickzack zwischen Melodrama und Groteske und in immer höheren Gängen, "schiuch-fiuch, flrrr-flärr-flopp". Ihr running gag, ihr allmählich zündender Witz besteht einfach darin, daß es hier immer anders kommt, als man denkt; und auch das wiederum gilt nur genauso lange, bis der Leser sich darauf eingestellt hat - dann nämlich geht es wieder, überraschenderweise, ganz erwartungsgemäß aus.

So wie der erzählende Held, dieser lebenslustige Todeskandidat, dem keiner etwas vormacht, trotzdem fortwährend auf die Listen des Lebens hereinfällt, so geht der Leser den treuherzigen Vorgaben dieses makabren Slapsticks auf den Leim. Dieser Artist jongliert mit nationalen Klischees wie mit Wahrheitserwartungen und Genre-Regeln; ein "nordischer Einfaltspinsel" sei, wer noch an die Darstellbarkeit der Wahrheit glaube - sagt der Finne. Deshalb kippen die Zeiten in seiner Geschichte manchmal traumhaft weg und verwirren sich; deshalb wandelt nicht nur der Sohn als Wiedergänger des Vaters auf dessen Spuren, sondern scheinen auch andere Figuren Spiegelungen früherer zu sein, deshalb geraten mit Einst und Jetzt auch Gut und Böse in ein beunruhigendes und betörendes Zwielicht. "Ist mir mîn leben getroumet, oder ist ez wâr?" fragt sich der Held einmal, elegisch Walther von der Vogelweide zitierend. Ja, wer weiß schon, was hier geträumt und was wahr ist, wo die Aufzeichnung endet und die Erfindung beginnt?

Ist nicht schon des Vaters Tagebuch, das so ausführlich zitiert wird, in Wahrheit keineswegs das Produkt einer Dokumentation, sondern vielmehr Ergebnis seiner Imagination (und die Geheimschrift, aus der es übersetzt wird, von so unwahrscheinlicher Umständlichkeit, daß sie allein schon den Erzähler als Autor verrät)?

In ihren unterhaltsamsten Passagen ist diese Geschichte, im doppelten Wortsinn, Schwindel. Damit aber diese kitzlige Empfindung sich überhaupt einstellen kann, muß die Schwerkraft in Kraft bleiben, und dafür sorgt hier das Ohr des Erzählers. Sein Gehör für Geräusche, Mundarten und Markennamen, seine Vertrautheit mit west- wie ostdeutschen Gepflogenheiten und vor allem mit den weiten Feldern der deutschen Literaturgeschichte sichern seinem Roman die nötige Erdenschwere. Nicht nur Walther von der Vogelweide wird wortgetreu zitiert, auch Heinrich von Veldeke und Heinrich Heine, Celan und Enzensberger streifen durch die vorpommersche Gegenwart des Jahres 1991. Ein Zauberkünstler von düster-mittelalterlicher Erscheinung, der den Wanderzirkus nazifiziert hat, trägt den Namen "Wolfram"; man erkennt ihn an der "dunklen Rede" und einer Vorliebe für Wagner (nur daß in diesem Roman der Speer, der die von ihm selbst geschlagene Wunde schmerzlich heilen wird, eben der besagte Schweinehundeschwanz ist).

"Sprachverrückt", redet der Erzähler so in deutschen Zungen; und Gisbert Jänicke ist das Kunststück gelungen, diese Polyphonie noch in der Übersetzung hörbar werden zu lassen. Getrieben von dieser Liebe zur deutschen Sprache und gehetzt von der "Angst vor allem Deutschen, darum trieb ich Spott damit", zeigt dieses Buch eines finnischen Juden, wie witzig, wie anstößig und aufregend ein Roman zur deutschen Vereinigung gelingen kann. Dies ist, allen Unkenrufen zum Trotz, eine Geschichte, die wie geschaffen ist für die Berliner Republik, geschrieben in Helsinki.

Der schreibende Held, der am Ende selbst auf die Frage, ob er Jude sei, keine Antwort mehr weiß, ist die Verkörperung dessen, was er den "Gegentypus" nennt - mit einem ehemals antisemitischen Begriff, den er in der Abhandlung eines faschistischen Psychologen gefunden hat: "Der Gegentypus haßt klare, eindeutige Antworten. Er beantwortet eine Frage oft mit einer Gegenfrage. Wenn man ihm einen Vorschlag macht, macht er einen Gegenvorschlag." Und wenn dieser Dialektiker in den Spiegel sieht, so wie es der Erzähler nach der Lektüre ebendieses Artikels im Friseursalon tut, dann erblickt er nicht eigentlich sein Ebenbild, sondern - folgerichtiger - den "Gegentypus des Gegentypus", der den Betrachter seiner selbst mißtrauisch beäugt.

So wie diese doppelte Drehung funktioniert Katz' fiktives Tagebuch. Seine Schreibweise ist die Arabeske, die die vorgegebenen Linienführungen umspielt, ohne sie durchzustreichen. Die erzählerische Schuß- und Sturzfahrt vollzieht sich gewissermaßen im Zeitlupentempo einer Redelust, der sich der Erzähler, ein hakenschlagender Hase auf der Wörterheide, ausdauernd hingibt. Dabei erweist sich der plaudernde Schriftgelehrte als ein Metaphysiker, der sich mit Vorliebe zwischen Bibel und Blasphemie bewegt. Sein Umgang mit religiösen Überlieferungen, vom Pessach-Ritual im ersten Satz bis zur unauffällig leitmotivischen Gestalt Hiobs, könnte allzu salopp, seine Leichtigkeit leichtfertig anmuten, ginge es nicht von der ersten Seite an um die Letzten Dinge. Katz formuliert die Theodizee - als Scherzfrage - oder umgekehrt.

Nicht die Tabuverletzung ist darum eigentlich sein Risiko, sondern vielmehr die possierliche Schwatzhaftigkeit; seine Aperçus sind selten witz-, aber zuweilen eigentümlich ziellos. Andererseits kann gerade darin wieder ihr Charme liegen. Wer außer Daniel Katz hätte beispielsweise so klangvoll austüfteln mögen, in welcher Sprache sich ideale Reisende aus Pommern und Südschweden auf der Butterfahrt zwischen Saßnitz und Trelleborg verständigen könnten, nämlich so: "Jäi häur gekjöpt sechs Kilo Köffä und drei Litör Starkspräit og een Magnetöföun hier pou Bouten." Das ist nicht nur wieder fein gehört und hübsch geschrieben - das Magnetöföun gibt der Einkaufsliste auch noch die Wendung ins Arabeske, die der Gegentypus so liebt wie die emblematische Frucht, die dieser Roman im Wimpel führen könnte. Denn "wer einmal einen Zierkürbis in der Hand gewogen hat, wird sich gewundert haben, wie eine so schwer erscheinende Frucht so aktiv schwerelos sein kann, sie zieht die Hand, die sie hält, fast in die Höhe." Wie wahr das ist, wissen alle, die je einen Zierkürbis in der Hand gewogen haben. Und wer Daniel Katz' schwindlige Geschichte vom Schweinehund liest, wird sich wundern, wie ein so schwer erscheinender Roman so aktiv schwerelos sein kann.

Daniel Katz: "Der falsche Hund". Roman. Aus dem Finnischen übersetzt von Gisbert Jänicke. Luchterhand Literaturverlag, München 1997. 379 S., geb., 42,- DM.

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