Noch nie war ein Bundespräsident schon vor seiner Wahl so populär wie Joachim Gauck. Nach dem ungeeigneten Vorgänger hoffen viele jetzt auf den "richtigen" Präsidenten. Albrecht Müller teilt diese Hoffnung nicht. Denn Joachim Gauck nimmt die aktuellen, großen Bedrohungen unserer Freiheit nicht ernst genug: die Macht der Finanzwirtschaft, den Abbau der sozialen Sicherheit und die Erosion der Demokratie. Gaucks Botschaft klingt wie ein lautes "Empört Euch nicht!" Damit ist auch er der falsche Präsident. Albrecht Müller zeigt, wie er doch noch der richtige werden kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2012Hofnarrenpräsident
Albrecht Müller war Wahlkampfleiter von Willy Brandt und Planungschef in dessen sowie Helmut Schmidts Kanzleramt. Das hat ihn aber nicht empfänglich gemacht für realistische Blicke auf die Politik. Er fordert in seinem heute erschienenen Büchlein einen kritischen Bundespräsidenten, den die "Bild"-Zeitung nicht unterstützen kann, der den Finanzmärkten die Leviten liest, die gefälschten Arbeitslosenzahlen und die europäische Zinspolitik durchschaut, die Reallohnentwicklung, Stuttgart 21 und die Altersarmut anprangert, die Sozialsysteme und den Renteneintritt mit 65 hochhält. Joachim Gauck erscheint ihm da eine Fehlbesetzung, der Mann gibt ja sogar zu, die Finanzmärkte nicht zu verstehen. Im Grunde stellt Müller sich den Bundespräsidenten als Gegenkanzler vor. Das liefe auf das Hofnarren-Modell hinaus. Die Regierung wählt sich einen Präsidenten, der ihr dann fortlaufend "den Spiegel vorhält". Darin sähe sie hinter den tausend Bergen die Epoche, in der Albrecht Müller Wahlkampfleiter und Planungschef war und in der wir natürlich noch keinen Kapitalismus hatten. Sie zurückhaben und den Großbanken, den Börsen, der Versicherungswirtschaft sowie den Reichen an das Vermögen zu wollen ist ein legitimes konservatives Programm. Wie man jedoch darauf kommt, dass es für dessen Durchsetzung eine Rolle spielt, was der Bundespräsident denkt, ist unerfindlich. Müller schimpft über Gauck, weil er in ihm das Symbol dafür erkennt, dass eine Mehrheit links der Mitte nicht abzusehen ist. Doch man versteht weder, weshalb er das für aussichtslos hält, noch warum es undemokratisch sein soll, wenn die Leute anders wählen, als es Müller gern hätte. (Albrecht Müller: "Der falsche Präsident". Was Pfarrer Gauck noch lernen muss, damit wir glücklich mit ihm werden. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2012. 64 S., br., 5,99 [Euro].)
kau
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Albrecht Müller war Wahlkampfleiter von Willy Brandt und Planungschef in dessen sowie Helmut Schmidts Kanzleramt. Das hat ihn aber nicht empfänglich gemacht für realistische Blicke auf die Politik. Er fordert in seinem heute erschienenen Büchlein einen kritischen Bundespräsidenten, den die "Bild"-Zeitung nicht unterstützen kann, der den Finanzmärkten die Leviten liest, die gefälschten Arbeitslosenzahlen und die europäische Zinspolitik durchschaut, die Reallohnentwicklung, Stuttgart 21 und die Altersarmut anprangert, die Sozialsysteme und den Renteneintritt mit 65 hochhält. Joachim Gauck erscheint ihm da eine Fehlbesetzung, der Mann gibt ja sogar zu, die Finanzmärkte nicht zu verstehen. Im Grunde stellt Müller sich den Bundespräsidenten als Gegenkanzler vor. Das liefe auf das Hofnarren-Modell hinaus. Die Regierung wählt sich einen Präsidenten, der ihr dann fortlaufend "den Spiegel vorhält". Darin sähe sie hinter den tausend Bergen die Epoche, in der Albrecht Müller Wahlkampfleiter und Planungschef war und in der wir natürlich noch keinen Kapitalismus hatten. Sie zurückhaben und den Großbanken, den Börsen, der Versicherungswirtschaft sowie den Reichen an das Vermögen zu wollen ist ein legitimes konservatives Programm. Wie man jedoch darauf kommt, dass es für dessen Durchsetzung eine Rolle spielt, was der Bundespräsident denkt, ist unerfindlich. Müller schimpft über Gauck, weil er in ihm das Symbol dafür erkennt, dass eine Mehrheit links der Mitte nicht abzusehen ist. Doch man versteht weder, weshalb er das für aussichtslos hält, noch warum es undemokratisch sein soll, wenn die Leute anders wählen, als es Müller gern hätte. (Albrecht Müller: "Der falsche Präsident". Was Pfarrer Gauck noch lernen muss, damit wir glücklich mit ihm werden. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2012. 64 S., br., 5,99 [Euro].)
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