Produktdetails
- Verlag: B & S Siebenhaar
- Seitenzahl: 296
- Abmessung: 205mm
- Gewicht: 370g
- ISBN-13: 9783934189492
- ISBN-10: 3934189490
- Artikelnr.: 24635244
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.2000Halb Ernst, halb August
Die Republik steht stramm: Der falsche Prinz Harry Domela
Harry Domela, der Hochstapler, war ein Unterhaltungskünstler. Zuerst verkürzte er denen die Zeit, die blind genug waren, den Gestrauchelten für einen Prinzen zu halten; später dann, als der Schwindel aufflog, konnte sich die Gesellschaft auch noch darüber amüsieren, dass sie dem Scharlatan auf den Leim gegangen war. Den Erwartungen der zwanziger Jahren hatten seine tolldreisten Aufzüge durchaus entsprochen, gern vergaß man über dem Spaß die Blamage, laut schallte das Gelächter über eine Republik, deren Bürger die Autorität so sehr vermissten, dass sie sogar einen Jüngling im fadenscheinigen Reiseanzug als kaiserlichen Nachkommen hochleben ließen und hofierten, nur weil er es verstand, den Gestus der Hohenzollern, der abgehaltenen Monarchen, nachzuahmen.
"Einfach scharmant" habe man ihn gefunden, wenn er als Graf von der Recke, als Fürst von Lieven oder als Baron von Korff, als Königliche Hoheit inkognito, aufgetreten sei, erzählt der Betrüger in seinen Erinnerungen, die jetzt wieder vorliegen. Historisches Interesse vor allem können diese Rückblicke heute beanspruchen, ein Sensationserfolg waren sie ehedem. Harry Domela jedoch hat das wenig geholfen. Das Glück konnte er, als es ihm zufiel, nicht halten. Zu früh schon hatten ihn die Umstände aus der Bahn geworfen. Im Ersten Weltkrieg bereits war die bürgerliche Familie im Kurländischen Grenzland zerbrochen. Im städtischen Asyl sollte der 1904 geborene Sohn aufwachsen. Mit kaum fünfzehn stand er bei der baltischen Landeswehr; als "Landsknecht" zog er mit den Freikorps, bis er endlich wieder wegmusste, "nach Deutschland, hin zum großen Mutterland".
Dass aber auch da kein Platz mehr für die Vertriebenen war, bekam der Deutschbalte nur allzu rasch zu spüren. Arbeit konnte er bestenfalls vorübergehend finden, als Knecht auf den ostelbischen Gütern oder als Hausbursche in den vornehmen Berliner Häusern, dort, wo er glaubte selbst hinzugehören und wo er doch nur geduldet war, das Opfer einer Armut, aus der sich der Griff nach den silbernen Löffeln unversehens ergab. Als habe es Hans Fallada erfunden, erscheint dieses Schicksal mitunter. Was den Figuren des Romanciers nachher allenthalben widerfuhr, hat Harry Domela beispielhaft durchlebt. Weil er die Not als Kränkung empfand, ist er immer wieder ausgebrochen in die halbseidenen Existenz, wenn sie nur den Zugang zum "Adlon", zum würdigen Dasein erlaubte.
Von der Schuld der Verhältnisse vor allem handelt das Buch, das gleich nach der Verhaftung des Hochstaplers entstand. Wie viel der Dargestellte dabei selbst verfasste, ist nicht genau zu sagen, deutlich erkennbar wird nur die Handschrift von Wieland Herzfelde, in dessen links orientiertem Malik-Verlag der Titel im Jahre 1927 erstmals herauskam. Wie ein Aufständischer, wie ein verkappter Revolutionär sollte der Leichtfuß da bisweilen wirken, wie ein Rächer, der die Gesellschaft, die ihm keine Chance gibt, vorführt.
Was der Figur dabei an Absichtlichkeit unterschoben wurde, dürfte dem Charakter jedoch kaum entsprochen haben. Denn Harry Domela, damals, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, gerade mal zweiundzwanzig Jahre alt, war, nimmt man alle ereichbaren Dokumente zusammen, gewiss kein Mann überlegten Handelns. Höhere Absichten hat er nie verfolgt. Sein Vorbild entstammte der Operette, wie ein Prinz Orlowski wollte der arme Schlucker Hof halten. Wie von selbst sollte sich das Glück einstellen, der Zufall die Laufbahn bestimmen. Der Ehrgeiz eines Felix Krull war Harry Domela nie gegeben. Immer wurde er herumgestoßen, immer musste ihn "jemand anders . . . zum Denken anregen". Gleichsam nebenher sollten sich die Dinge ergeben, das Glücksspiel, der kleine Betrug und die erste Haftstrafe 1922, ein existenzieller Bruch, nachdem fast keine Chance blieb, abgesehen von der einen, von der Möglichkeit, der Welt etwas vorzuspielen, was sie offenbar vermisste.
Wo für den Bürger kein Platz mehr zu sein schien, "konnte der falsche Prinz" aufsteigen, in der Heidelberger Studentenverbindung, bei den deutschnationalen Saxo-Borussen ebenso wie in der thüringischen Provinz, in Erfurt und in Gotha, unter Beamten und Offizieren. Der Eifer, mit dem man den Entwurzelten da wie dort in die Rolle des Prinzen Wilhelm von Preußen drängte, die Leichtigkeit, mit der der Arbeitslose, der Ungelernte den Part - "jeder Zoll ein Fürst" - ausfüllen konnte, beides zusammen, die regressive Sehnsucht der Gesellschaft und die Niveaulosigkeit ihres Narren, ergab schließlich die satirische Bestätigung aller Sorgen, die sich die Demokraten um die Republik machten. Nicht aus deren Souveränität, aus ihrer Not vielmehr hatte sich der peinliche Spaß ergeben, der Aufstieg eines Unterhaltungskünstlers, von dem anzunehmen ist, dass er selten nur wusste, was er tat, womit er in die Geschichte einging.
THOMAS RIETZSCHEL
Harry Domela: "Der falsche Prinz. Leben und Abenteuer von Harry Domela". Herausgegeben von Stefan Porombka. Verlag Bostelmann & Siebenhaar, Berlin 2000. 296 S., br., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Republik steht stramm: Der falsche Prinz Harry Domela
Harry Domela, der Hochstapler, war ein Unterhaltungskünstler. Zuerst verkürzte er denen die Zeit, die blind genug waren, den Gestrauchelten für einen Prinzen zu halten; später dann, als der Schwindel aufflog, konnte sich die Gesellschaft auch noch darüber amüsieren, dass sie dem Scharlatan auf den Leim gegangen war. Den Erwartungen der zwanziger Jahren hatten seine tolldreisten Aufzüge durchaus entsprochen, gern vergaß man über dem Spaß die Blamage, laut schallte das Gelächter über eine Republik, deren Bürger die Autorität so sehr vermissten, dass sie sogar einen Jüngling im fadenscheinigen Reiseanzug als kaiserlichen Nachkommen hochleben ließen und hofierten, nur weil er es verstand, den Gestus der Hohenzollern, der abgehaltenen Monarchen, nachzuahmen.
"Einfach scharmant" habe man ihn gefunden, wenn er als Graf von der Recke, als Fürst von Lieven oder als Baron von Korff, als Königliche Hoheit inkognito, aufgetreten sei, erzählt der Betrüger in seinen Erinnerungen, die jetzt wieder vorliegen. Historisches Interesse vor allem können diese Rückblicke heute beanspruchen, ein Sensationserfolg waren sie ehedem. Harry Domela jedoch hat das wenig geholfen. Das Glück konnte er, als es ihm zufiel, nicht halten. Zu früh schon hatten ihn die Umstände aus der Bahn geworfen. Im Ersten Weltkrieg bereits war die bürgerliche Familie im Kurländischen Grenzland zerbrochen. Im städtischen Asyl sollte der 1904 geborene Sohn aufwachsen. Mit kaum fünfzehn stand er bei der baltischen Landeswehr; als "Landsknecht" zog er mit den Freikorps, bis er endlich wieder wegmusste, "nach Deutschland, hin zum großen Mutterland".
Dass aber auch da kein Platz mehr für die Vertriebenen war, bekam der Deutschbalte nur allzu rasch zu spüren. Arbeit konnte er bestenfalls vorübergehend finden, als Knecht auf den ostelbischen Gütern oder als Hausbursche in den vornehmen Berliner Häusern, dort, wo er glaubte selbst hinzugehören und wo er doch nur geduldet war, das Opfer einer Armut, aus der sich der Griff nach den silbernen Löffeln unversehens ergab. Als habe es Hans Fallada erfunden, erscheint dieses Schicksal mitunter. Was den Figuren des Romanciers nachher allenthalben widerfuhr, hat Harry Domela beispielhaft durchlebt. Weil er die Not als Kränkung empfand, ist er immer wieder ausgebrochen in die halbseidenen Existenz, wenn sie nur den Zugang zum "Adlon", zum würdigen Dasein erlaubte.
Von der Schuld der Verhältnisse vor allem handelt das Buch, das gleich nach der Verhaftung des Hochstaplers entstand. Wie viel der Dargestellte dabei selbst verfasste, ist nicht genau zu sagen, deutlich erkennbar wird nur die Handschrift von Wieland Herzfelde, in dessen links orientiertem Malik-Verlag der Titel im Jahre 1927 erstmals herauskam. Wie ein Aufständischer, wie ein verkappter Revolutionär sollte der Leichtfuß da bisweilen wirken, wie ein Rächer, der die Gesellschaft, die ihm keine Chance gibt, vorführt.
Was der Figur dabei an Absichtlichkeit unterschoben wurde, dürfte dem Charakter jedoch kaum entsprochen haben. Denn Harry Domela, damals, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, gerade mal zweiundzwanzig Jahre alt, war, nimmt man alle ereichbaren Dokumente zusammen, gewiss kein Mann überlegten Handelns. Höhere Absichten hat er nie verfolgt. Sein Vorbild entstammte der Operette, wie ein Prinz Orlowski wollte der arme Schlucker Hof halten. Wie von selbst sollte sich das Glück einstellen, der Zufall die Laufbahn bestimmen. Der Ehrgeiz eines Felix Krull war Harry Domela nie gegeben. Immer wurde er herumgestoßen, immer musste ihn "jemand anders . . . zum Denken anregen". Gleichsam nebenher sollten sich die Dinge ergeben, das Glücksspiel, der kleine Betrug und die erste Haftstrafe 1922, ein existenzieller Bruch, nachdem fast keine Chance blieb, abgesehen von der einen, von der Möglichkeit, der Welt etwas vorzuspielen, was sie offenbar vermisste.
Wo für den Bürger kein Platz mehr zu sein schien, "konnte der falsche Prinz" aufsteigen, in der Heidelberger Studentenverbindung, bei den deutschnationalen Saxo-Borussen ebenso wie in der thüringischen Provinz, in Erfurt und in Gotha, unter Beamten und Offizieren. Der Eifer, mit dem man den Entwurzelten da wie dort in die Rolle des Prinzen Wilhelm von Preußen drängte, die Leichtigkeit, mit der der Arbeitslose, der Ungelernte den Part - "jeder Zoll ein Fürst" - ausfüllen konnte, beides zusammen, die regressive Sehnsucht der Gesellschaft und die Niveaulosigkeit ihres Narren, ergab schließlich die satirische Bestätigung aller Sorgen, die sich die Demokraten um die Republik machten. Nicht aus deren Souveränität, aus ihrer Not vielmehr hatte sich der peinliche Spaß ergeben, der Aufstieg eines Unterhaltungskünstlers, von dem anzunehmen ist, dass er selten nur wusste, was er tat, womit er in die Geschichte einging.
THOMAS RIETZSCHEL
Harry Domela: "Der falsche Prinz. Leben und Abenteuer von Harry Domela". Herausgegeben von Stefan Porombka. Verlag Bostelmann & Siebenhaar, Berlin 2000. 296 S., br., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein Leben, "als habe es Hans Fallada erfunden", resümiert Thomas Rietzschel über den falschen Prinzen Harry Domela, den die Herrschaften der Weimarer Republik für den kaiserlichen Nachkömmling hielten. Sie glaubten ihm, mit ihrer Sehnsucht nach der guten alten Kaiserzeit, und sie waren ihm nicht mal böse, als der Schwindel aufflog, schreibt Rietzschel, denn schließlich hatte man sich prächtig amüsiert. Wieland Herzfelde hat dem falschen Prinzen kurz nach seiner Verhaftung die Feder geführt, und für Rietzschel besteht Zweifel, inwiefern diese Selbstdarstellung als satirischer Rächer der Gesellschaft den ursprünglichen Absichten Domelas tatsächlich entsprach. Lesenwert seien seine frisch aufgelegten Erinnerungen allemal.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH