Der erste Roman eines Meisters
Die Geschichte von Arthur Ownby, Hüter eines verwilderten Apfelhains, dem jungen John Wesley Rattner und dem Schnapsschmuggler Marion Sylder spielt zwischen den Kriegen im gottverlassensten Tennessee. Marion hat vor Jahren in Notwehr Johns Vater getötet und in einer Mischgrube im Garten versenkt, ohne zu ahnen, dass Arthur sein stummer Augenzeuge war. Als Marion einen Autounfall hat, rettet John ihm das Leben. Der Junge, der den Tod seines Vaters rächen möchte, weiß so wenig, mit wem er es zu tun hat, wie umgekehrt Marion, und so entsteht eine Vater-Sohn-Beziehung zwischen den beiden in diesem vergifteten Garten Eden.
Ein stimmungssatter, gewalttätiger, fast lyrischer Roman mit unvergesslichen Bildern voll düsterer Schönheit.
Die Geschichte von Arthur Ownby, Hüter eines verwilderten Apfelhains, dem jungen John Wesley Rattner und dem Schnapsschmuggler Marion Sylder spielt zwischen den Kriegen im gottverlassensten Tennessee. Marion hat vor Jahren in Notwehr Johns Vater getötet und in einer Mischgrube im Garten versenkt, ohne zu ahnen, dass Arthur sein stummer Augenzeuge war. Als Marion einen Autounfall hat, rettet John ihm das Leben. Der Junge, der den Tod seines Vaters rächen möchte, weiß so wenig, mit wem er es zu tun hat, wie umgekehrt Marion, und so entsteht eine Vater-Sohn-Beziehung zwischen den beiden in diesem vergifteten Garten Eden.
Ein stimmungssatter, gewalttätiger, fast lyrischer Roman mit unvergesslichen Bildern voll düsterer Schönheit.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensentin Sylvia Staude merkt dem erstmals auf Deutsch vorliegenden Erstling Cormac McCarthys eine gewisse Unreife durchaus an. Sprunghaftigkeit, liegengelassene Motive und jede Menge Raunen, das die Figuren Staude nicht wirklich nahebringt. Doch der Text verfügt auch schon über die atmosphärische und metaphorische Wucht, todgesättigte Bilder vom Fressen und Gefressenwerden, die Staude aus späteren Texten McCarthys kennt und die sie schätzt. Auch wenn nicht viel passiert und der Verfall und das Elend neben der Dreiecksbeziehung dreier Männer die Hauptsache zu sein scheint in diesem Roman, die Lektüre ist er Staude dennoch wert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2016Ein merkwürdiger Schrein tief in Tennessee
Was kein Film zeigen kann: "Der Feldhüter" von Cormac McCarthy ist ein vielschichtiger Roman zwischen Drastik und Idylle. Warum erscheint dieses Debüt erst nach fünfzig Jahren auf Deutsch?
Karge Landschaften, wortkarge Menschen und rohe Gewalt - daran denken gewiss viele, sobald sie den Namen Cormac McCarthy hören. Das ist nicht falsch, aber es ist längst nicht alles, was diesen amerikanischen Autor ausmacht. Mit Sicherheit ist er ein Meister der lakonischen Dialoge, und seine Fiktionen zeigen gern mehr oder weniger moderne Varianten eines Wilden Westens. Genau das macht ihn ja auch so attraktiv für Verfilmungen, mögen sie nun glücken wie beim brillanten "No Country for Old Men" der Coen-Brüder oder völlig danebengehen wie Billy Bob Thorntons Verkitschung von "All the Pretty Horses".
Auch McCarthys erster Roman von 1965, der nun mit fünfzig Jahren Verspätung erstmals auf Deutsch erscheint, beginnt schon stark filmisch, auf staubiger Straße, an der ein Schild die Entfernung nach Knoxville mit 197 Meilen ausweist, und einem Anhalter, der einem vorbeirauschenden Sattelzug hinterherruft: "Du würdest nicht mal Jesus Christus mitnehmen, stimmt's?" Das könnte ein klassischer Genrefilm werden.
Aber dennoch weiß man schon nach den ersten Seiten dieses Debüts, warum die Literatur manchmal einfach mehr kann als jeder Film, und nach der Lektüre des ganzen Buchs weiß man es umso besser.
Was der Film zum Beispiel nicht kann, ist, den Klang von Regen ein "Chorgebet" zu nennen. Er hätte Mühe zu zeigen, dass eine Schnittwunde am Bein "wie quellender Teer aussieht", und er brauchte viel länger als einen halben Satz, um zu erzählen, dass gewisse Farmerjungs im hinterwäldlerischen Tennessee "als Farm nicht mehr hatten als ein paar schrumpelige Tomatenpflanzen und zwei gefräßige Schweine". Schier kapitulieren müsste er vor der Vorstellung, dass "eine graue, seelenlose Dämmerung den Horizont in Form nagte".
Ja, auch so lyrisch kann McCarthy schreiben. Man könnte sogar sagen, dass sein Debüt in erster Linie eine poetische Landschaftsbeschreibung ist, manchmal so tief durchtränkt von Symbolismus und Wettermetaphorik, dass man sich im neunzehnten Jahrhundert wähnt. Da rinnt Wasser dunkelviolett aus Hügeln heraus "wie aus offenen Wunden" oder fliegt durch den Garten "strahlend hell wie ein Blutstropfen, ein roter Kardinal".
Fast schon an romantische Allbeseeltheit erinnert das mehrmals - aber es fließt eben auch viel Blut. In dem mythischen Setting erzählt McCarthy eine Kriminalgeschichte, die durchaus als "hard boiled" durchgeht. Schlüsselszene ist ein Mord, den der Schnapsschmuggler Marion Sylder begeht, als ihn ein Anhalter auszurauben versucht. Der Kampf wird in furchtbarer Drastik geschildert bis zum bitteren Ende: "Als Sylder die Augen wieder aufmachte, starrte der Mann ihn eulenhaft an, die kleine Zunge spitzte zwischen den offenen Lippen hervor."
Der in eine Grube versenkte Tote war der Vater des Jungen John Wesley Rattner. Dessen Vornamen erinnern an einen methodistischen Erweckungsprediger des achtzehnten Jahrhunderts, doch ein Zusammenhang erschließt sich nicht sogleich: John streift verwahrlost durch die Wälder, fast wie ein alter Trapper: auf Rattenjagd. Ihn führt der Roman schicksalhaft zusammen mit dem unerkannten Mörder seines Vaters, der sich seiner annimmt und zum Ersatzvater wird. Die dritte Hauptfigur, der alte Arthur Ownby, hat den Mord beobachtet, informiert aber nicht die Behörden, sondern richtet der Leiche eine Art Schrein ein. Ownby, ein Sonderling, der schließlich mit einer Schrotflinte auf Polizisten schießt und in einer Irrenanstalt landet, ist der titelgebende "Orchard Keeper". Also auf verdrehte Weise ein Paradieswächter? Die deutsche Übersetzung von Nikolaus Stingl, die die poetische Sprache wie auch derben Dialekt sehr stilsicher verwandelt, nennt ihn etwas sachlicher einen "Feldhüter".
Die Geschichte spielt in den dreißiger und vierziger Jahren, doch hier wird es kompliziert: Denn McCarthy präsentiert das alles in sehr durcheinandergeratener Chronologie. Es gibt zudem kursiv gesetzte Textteile, die auf verschiedene Erzähler hindeuten, und manches ist mehrfach auf unterschiedliche Weise erzählt. Der Rezensent der "New York Times" bezeichnete dies 1965 als "jumpy, disconnected narrative" und bezichtigte McCarthy, Epigone William Faulkners zu sein, ein Vorwurf, der bis heute oft erhoben wird.
Aber auch das greift zu kurz, denn dafür führt McCarthy noch ganz andere Traditionen zusammen: Geradezu idyllische Szenen (der alte Ownby kocht sich Kaffee am Herd), dann auch märchenhafte und expressionistische Passagen wechseln ab mit neusachlicher Kälte bei der Kriminalgeschichte und der Beschreibung von tiefsitzendem Rassismus - und dann kommt auch noch ein schauerromantischer Zug dazu: Was hat es etwa auf sich mit dem metaphorisch aufgeladenen Green Fly Inn, einem Saloon, der auf Holzpfählen an einem Steilhang steht, sich manchmal im Wind grotesk auf die Seite legt wie ein schwankendes Schiff und später mitsamt Belegschaft in die Tiefe stürzt? Wer dächte da nicht vielleicht auch an Poes "Untergang des Hauses Usher"?
Symbolismus, Intertext: Auch diese Komponente weist schon auf McCarthys späteres Werk voraus - ein Werk, in dem ein Titel wie "No Country for Old Men" eben nicht nur den platten Slogan eines Krimis darstellt (weil darin die Figuren sterben, bevor sie alt werden können), sondern auch das Zitat einer Zeile aus W. B. Yeats' Gedicht "Sailing to Byzantium". Dieses Gedicht ist die Klage über eine hedonistische Welt, die den Sinn für Kunst verloren hat, und die Anspielung darauf lässt jenen ganzen Roman als eine Resonanz darauf erscheinen.
Eine Zeitkritik scheint auch im "Feldhüter" schon zu stecken, vielleicht sogar eine Menschheitskritik. Denn ständig stark präsent ist hier die Flora und Fauna, da rankt und sumpft es, springen Waschbären und wilde Wampum-Katzen herum, als könnten sie noch gegen den Menschen gewinnen. Und obwohl es zunächst nicht so scheint, regiert am Ende des Romans ein inzwischen typisch gewordenes McCarthy-Gefühl: nämlich dass die Menschheitsgeschichte womöglich nur eine kurze Phase in der Geschichte des Planeten ist, deren Spuren schon morgen wieder von Geißblatt und Giftefeu überwuchert sein könnten.
JAN WIELE.
Cormac McCarthy: "Der Feldhüter". Roman.
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2016. 287 S., br., 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was kein Film zeigen kann: "Der Feldhüter" von Cormac McCarthy ist ein vielschichtiger Roman zwischen Drastik und Idylle. Warum erscheint dieses Debüt erst nach fünfzig Jahren auf Deutsch?
Karge Landschaften, wortkarge Menschen und rohe Gewalt - daran denken gewiss viele, sobald sie den Namen Cormac McCarthy hören. Das ist nicht falsch, aber es ist längst nicht alles, was diesen amerikanischen Autor ausmacht. Mit Sicherheit ist er ein Meister der lakonischen Dialoge, und seine Fiktionen zeigen gern mehr oder weniger moderne Varianten eines Wilden Westens. Genau das macht ihn ja auch so attraktiv für Verfilmungen, mögen sie nun glücken wie beim brillanten "No Country for Old Men" der Coen-Brüder oder völlig danebengehen wie Billy Bob Thorntons Verkitschung von "All the Pretty Horses".
Auch McCarthys erster Roman von 1965, der nun mit fünfzig Jahren Verspätung erstmals auf Deutsch erscheint, beginnt schon stark filmisch, auf staubiger Straße, an der ein Schild die Entfernung nach Knoxville mit 197 Meilen ausweist, und einem Anhalter, der einem vorbeirauschenden Sattelzug hinterherruft: "Du würdest nicht mal Jesus Christus mitnehmen, stimmt's?" Das könnte ein klassischer Genrefilm werden.
Aber dennoch weiß man schon nach den ersten Seiten dieses Debüts, warum die Literatur manchmal einfach mehr kann als jeder Film, und nach der Lektüre des ganzen Buchs weiß man es umso besser.
Was der Film zum Beispiel nicht kann, ist, den Klang von Regen ein "Chorgebet" zu nennen. Er hätte Mühe zu zeigen, dass eine Schnittwunde am Bein "wie quellender Teer aussieht", und er brauchte viel länger als einen halben Satz, um zu erzählen, dass gewisse Farmerjungs im hinterwäldlerischen Tennessee "als Farm nicht mehr hatten als ein paar schrumpelige Tomatenpflanzen und zwei gefräßige Schweine". Schier kapitulieren müsste er vor der Vorstellung, dass "eine graue, seelenlose Dämmerung den Horizont in Form nagte".
Ja, auch so lyrisch kann McCarthy schreiben. Man könnte sogar sagen, dass sein Debüt in erster Linie eine poetische Landschaftsbeschreibung ist, manchmal so tief durchtränkt von Symbolismus und Wettermetaphorik, dass man sich im neunzehnten Jahrhundert wähnt. Da rinnt Wasser dunkelviolett aus Hügeln heraus "wie aus offenen Wunden" oder fliegt durch den Garten "strahlend hell wie ein Blutstropfen, ein roter Kardinal".
Fast schon an romantische Allbeseeltheit erinnert das mehrmals - aber es fließt eben auch viel Blut. In dem mythischen Setting erzählt McCarthy eine Kriminalgeschichte, die durchaus als "hard boiled" durchgeht. Schlüsselszene ist ein Mord, den der Schnapsschmuggler Marion Sylder begeht, als ihn ein Anhalter auszurauben versucht. Der Kampf wird in furchtbarer Drastik geschildert bis zum bitteren Ende: "Als Sylder die Augen wieder aufmachte, starrte der Mann ihn eulenhaft an, die kleine Zunge spitzte zwischen den offenen Lippen hervor."
Der in eine Grube versenkte Tote war der Vater des Jungen John Wesley Rattner. Dessen Vornamen erinnern an einen methodistischen Erweckungsprediger des achtzehnten Jahrhunderts, doch ein Zusammenhang erschließt sich nicht sogleich: John streift verwahrlost durch die Wälder, fast wie ein alter Trapper: auf Rattenjagd. Ihn führt der Roman schicksalhaft zusammen mit dem unerkannten Mörder seines Vaters, der sich seiner annimmt und zum Ersatzvater wird. Die dritte Hauptfigur, der alte Arthur Ownby, hat den Mord beobachtet, informiert aber nicht die Behörden, sondern richtet der Leiche eine Art Schrein ein. Ownby, ein Sonderling, der schließlich mit einer Schrotflinte auf Polizisten schießt und in einer Irrenanstalt landet, ist der titelgebende "Orchard Keeper". Also auf verdrehte Weise ein Paradieswächter? Die deutsche Übersetzung von Nikolaus Stingl, die die poetische Sprache wie auch derben Dialekt sehr stilsicher verwandelt, nennt ihn etwas sachlicher einen "Feldhüter".
Die Geschichte spielt in den dreißiger und vierziger Jahren, doch hier wird es kompliziert: Denn McCarthy präsentiert das alles in sehr durcheinandergeratener Chronologie. Es gibt zudem kursiv gesetzte Textteile, die auf verschiedene Erzähler hindeuten, und manches ist mehrfach auf unterschiedliche Weise erzählt. Der Rezensent der "New York Times" bezeichnete dies 1965 als "jumpy, disconnected narrative" und bezichtigte McCarthy, Epigone William Faulkners zu sein, ein Vorwurf, der bis heute oft erhoben wird.
Aber auch das greift zu kurz, denn dafür führt McCarthy noch ganz andere Traditionen zusammen: Geradezu idyllische Szenen (der alte Ownby kocht sich Kaffee am Herd), dann auch märchenhafte und expressionistische Passagen wechseln ab mit neusachlicher Kälte bei der Kriminalgeschichte und der Beschreibung von tiefsitzendem Rassismus - und dann kommt auch noch ein schauerromantischer Zug dazu: Was hat es etwa auf sich mit dem metaphorisch aufgeladenen Green Fly Inn, einem Saloon, der auf Holzpfählen an einem Steilhang steht, sich manchmal im Wind grotesk auf die Seite legt wie ein schwankendes Schiff und später mitsamt Belegschaft in die Tiefe stürzt? Wer dächte da nicht vielleicht auch an Poes "Untergang des Hauses Usher"?
Symbolismus, Intertext: Auch diese Komponente weist schon auf McCarthys späteres Werk voraus - ein Werk, in dem ein Titel wie "No Country for Old Men" eben nicht nur den platten Slogan eines Krimis darstellt (weil darin die Figuren sterben, bevor sie alt werden können), sondern auch das Zitat einer Zeile aus W. B. Yeats' Gedicht "Sailing to Byzantium". Dieses Gedicht ist die Klage über eine hedonistische Welt, die den Sinn für Kunst verloren hat, und die Anspielung darauf lässt jenen ganzen Roman als eine Resonanz darauf erscheinen.
Eine Zeitkritik scheint auch im "Feldhüter" schon zu stecken, vielleicht sogar eine Menschheitskritik. Denn ständig stark präsent ist hier die Flora und Fauna, da rankt und sumpft es, springen Waschbären und wilde Wampum-Katzen herum, als könnten sie noch gegen den Menschen gewinnen. Und obwohl es zunächst nicht so scheint, regiert am Ende des Romans ein inzwischen typisch gewordenes McCarthy-Gefühl: nämlich dass die Menschheitsgeschichte womöglich nur eine kurze Phase in der Geschichte des Planeten ist, deren Spuren schon morgen wieder von Geißblatt und Giftefeu überwuchert sein könnten.
JAN WIELE.
Cormac McCarthy: "Der Feldhüter". Roman.
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2016. 287 S., br., 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Meister, der sein Medium vollkommen im Griff hat. The Washington Post