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Der Fernsehgast', das ist eine Art Heimat- und Dorfroman, die etwas andere "Beschreibung eines Dorfes" um 1960: Ein Junge im Alter von acht, neun Jahren erlebt den Einbruch des Fernsehens in die fast noch archaische, ganz bäuerlich-handwerkliche Welt seines Fleckens. Er, dem das Fernsehen von den Eltern streng verboten ist, muß sich, um trotzdem in den schwarz-weißen Genuß zu kommen, heimlich Zutritt zu den weit verstreuten 'Fernsehhäusern' des Dorfes verschaffen. Und wie sich dieser altkluge, beherzte, neugierige, aber auch ganz und gar naive Junge, dieser Bildhausierer, nun hineinmogelt,…mehr

Produktbeschreibung
Der Fernsehgast', das ist eine Art Heimat- und Dorfroman, die etwas andere "Beschreibung eines Dorfes" um 1960: Ein Junge im Alter von acht, neun Jahren erlebt den Einbruch des Fernsehens in die fast noch archaische, ganz bäuerlich-handwerkliche Welt seines Fleckens. Er, dem das Fernsehen von den Eltern streng verboten ist, muß sich, um trotzdem in den schwarz-weißen Genuß zu kommen, heimlich Zutritt zu den weit verstreuten 'Fernsehhäusern' des Dorfes verschaffen. Und wie sich dieser altkluge, beherzte, neugierige, aber auch ganz und gar naive Junge, dieser Bildhausierer, nun hineinmogelt, hineinschwadroniert in die ersten 'Fernsehgastgeberzimmer', hin vor die Apparate der Nachbarschaft, was er nun an Eindrücken und Erlebnissen mitbringt von seinen Streifzügen auf der Spur der Antennen, was sich in seiner jungen, noch 'unverbildeten' Seele bewegt: das alles zusammen gibt ein faszinierendes Muster, ein starkes, auch witziges Beispiel kindlicher Weltaneignung und Welterfahrung . Andererseits aber entsteht in dieser 'Dorfweltgeschichte' auch das bewegende Bild einer 'menschelnden' Gesellschaft, die den Fortschritt so ersehnt wie fürchtet...
Autorenporträt
Kurt Oesterle, 1955 in Oberrot geboren, studierte Literatur, Geschichte und Philosophie, Dr. phil., seit 1988 freier Autor und Journalist, insbesondere für die Süddeutsche Zeitung und das Schwäbische Tagblatt, aber auch für Zeitschriften wie "Allmende" oder "Rowohlts Literaturmagazin".
Monographien über die Schriftsteller Wolfgang Koeppen und Peter Weiss. Essays u.a. zu Schiller und Uhland ("Ich hatte einen Kameraden"), wofür er 1997 den Theodor-Wolff-Preis erhielt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.08.2002

Die Verhockten
Ist er an? Ja, er ist an:
Kurt Oesterles Fernseh-Roman
Ein Buch über das Fernsehen ist auch nur ein Buch. Aber es wird vielleicht ein Buch sein, das neidisch aufs Fernsehen blickt und sagt: Ich wäre gern wie du. Aber auch das Gegenteil ist möglich, das Buch sagt: Sieh her, ich bin ein Buch! So ein Buch ist der Roman „Der Fernsehgast” von Kurt Oesterle. Der neunjährige Junge aus der schwäbischen Provinz, der ihm seine Stimme leiht, ist der Fernsehgast. Es ist die Zeit um 1960, und seine Eltern zählen zur abnehmenden Zahl derer, die keinen Fernseher besitzen und das neue Gerät verteufeln. Deshalb muss er bei den fortschrittlicheren Nachbarn ums Recht auf Fernsehen betteln. Er hat nichts anderes im Kopf als bunte Bilder, stiehlt sich aus dem Haus, um später die Eltern mit erfundenen Geschichten vom Sportplatzrand zu linken, feiert das Fernsehen als Segen einer neuen Zeit – und merkt bei aller Begeisterung fürs Fernsehen nicht, dass er einen Roman erzählt, und gewiss keinen schlechten.
Der Autor Kurt Oesterle, 1955 in Nordwürttemberg geboren, schreibt die Provinzgeschichte einer von den Menschen kaum bemerkten Revolution, die mit dem Fernsehen kam, um ein ganzes Zeitalter enden und ein neues beginnen zu lassen. Er zeigt, wie sie in der deutschen Nachkriegszeit noch das abgeschiedenste Dorf erreichte und veränderte. Denn das Fernsehen hat Macht. Den Leuten, für die schon die Kreisstadt weit weg ist, eröffnet es eine neue Welt. Sogar religiöse Bedeutung hat es, weil sein Blick allgegenwärtig zu sein scheint wie der des Allmächtigen.
Die Antennen auf den Dächern der Bauernhäuser fischen Zeichen aus dem Himmel, die sich in der Stube, in einem monströsen, brummenden Apparat, den niemand versteht, zu Bildern fügen, die jedem einleuchten. So kommt es auch, dass mit den Bildern das Erzählen verschwindet. Vor dem Fernseher spricht man nämlich so: „Ist er an? – Ja, er ist an. – Kommt etwas? – Nein, es kommt nichts. – Dann schalt aus. – Warte! – Wieso? – Vielleicht bringen sie ja noch was...”. Auch diese Gespräche hören auf, wenn nur die Leute vom Fernsehen noch etwas bringen. Vor allem aber ist das Fernsehen ein Zeichen der Zeit. Im Moment, in dem es gegeben wird, ist seine Wirkung so groß, dass die Erinnerungen an früher zu einer festen Form zusammenschießen, die den Namen „alte Zeit” erhält. Vor allem um sie geht es in diesem Buch.
Wer könnte bessere Einblicke in diese Zeit im Umbruch geben als der Fernsehgast? Er und sein Medium befinden sich auf einer Höhe: Das Fernsehen kommt überall hin, und der Fernsehgast kommt überall dort hin, wo Fernseher sind. Er blickt hinter die Kulissen, besucht Kriegerwitwen, schroffe Bauern oder Vater und Sohn Heilmann, die ganze Galerie der Verhockten. So entsteht das Porträt eines Dorfes mit seinen Sippen und Originalen, Festen und Schlachttagen, Familiengeschichten und den auf alle Ewigkeit kolportierten Kuriosa, wie sie die Erinnerung besonders wert hält.
Dieses Leben – keine Geschichte mit Anfang und festem Ende – schildert Oesterle mit so kraftvollen, experimentierfreudigen und treffsicheren Worten, dass sich heutige junge Städtebewohner vor lauter Urtümlichkeit darüber wundern können, dass es das Fernsehen von damals heute noch gibt. Oesterle lässt hinter aller Herbheit aber auch eine Art lyrischen Goldgrund sichtbar werden: Die Verse, die die Leute zu allen Lebenslagen parat haben, sind der unmittelbarste und knappste Ausdruck einer mündlichen Tradition, die mit dem Fernsehen in eine Krise gerät. Im Dokumentarischen aufmerksam und gescheit, schaut Oesterle mit liebe- und kauzig-humorvollem Blick den Leuten in die Stube ihres Lebens, ohne das Landleben zur Pastorale zu verklären. Er hat ein echtes und bildschönes Buch geschrieben.
KAI MARTIN WIEGANDT
KURT OESTERLE: Der Fernsehgast. Oder wie ich lernte die Welt zu sehen. Roman. Verlag Klöpfer und Meyer, Tübingen 2002. 224 Seiten, 18,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.2003

Das Medium war die Ortschaft
Im Vorprogramm: Kurt Oesterle erzählt eine frühe Fernsehkindheit

Ein Leben ohne das Fernsehen und seine kollektiv vermittelten Bilder ist heutzutage undenkbar. Und doch ist es nur wenige Jahrzehnte her, daß die Vorfahren der "Generation Golf" überhaupt erst lernen mußten, die Möglichkeiten des neuen Mediums für sich zu nutzen. Das war in den fünfziger Jahren nicht immer einfach, waren doch Fernsehgeräte damals längst noch keine Selbstverständlichkeit, und viele der Älteren begegneten der neumodischen "Flimmerkiste" mit Mißtrauen, ja mit offener Ablehnung.

Von solchen Erfahrungen erzählt der 1955 geborene Kurt Oesterle, selbst ein Kind der ersten Fernsehgeneration, in seinem kleinen, elegant geschriebenen Roman. Die Hauptfigur des Buches, offenbar ein Alter ego des Verfassers, durchlebt eine bemerkenswerte Karriere als "Fernsehgast". Was es mit dieser eigentümlichen Bezeichnung auf sich hat, wird schnell deutlich.

Der aufgeweckte Junge, Sohn eines Tischlers, wächst in den fünfziger und sechziger Jahren in ländlicher Abgeschiedenheit auf. Das heimatliche Dorf erlebt er in einer Phase des Übergangs. Am Dorfrand entstehen Neubaugebiete; Brachflächen verwandeln sich über Nacht in Bauerwartungsland; Familientraditionen werden durch "Traumberufe" abgelöst. Wichtigstes Zeichen der voranschreitenden Moderne sind aber eben die Fernsehgeräte, die bereits in vielen Häusern des Dorfes stehen und die ehemals "guten Stuben" in fortschrittliche Wohnzimmer verwandeln. Die seltsam gedoppelte Formulierung "fernsehgucken" wird zum Signum all dieser Veränderungen.

Zum Kummer des Sohnes widersetzen sich Eltern und Großeltern aber dieser verlockenden Neuerung, so daß der phantasievolle Knabe dem gewohnten Familienleben mehr und mehr seine "Bilderlosigkeit" vorwirft, die er überhaupt erst durch die Existenz des Fernsehens als Mangel wahrzunehmen beginnt. Heute, wo in zahlreichen Kinderzimmern ein Computer neben Fernseher und Videogerät steht, sind das nostalgische Nachrichten aus einer fernen Vergangenheit. Vor aller verklärenden Beschwörung einer guten alten Zeit bewahrt Oesterle aber seine erzählerische Genauigkeit und vor allem die leise Ironie, mit der er von der Bildersucht seines jungen Helden erzählt.

Als einziger Ausweg aus dem fernsehlosen Dasein bleibt dem Knaben nämlich die Flucht in ein Doppelleben. Kaum verläßt er das elterliche Heim, verwandelt er sich zielstrebig in einen hartnäckigen "Fernsehgast", der jeden Fernsehapparat im Dorf kennt und sich allerlei Tricks einfallen läßt, damit er von wildfremden Menschen die Erlaubnis bekommt, seine geliebten Fernsehserien möglichst ungestört betrachten zu können. Fernsehen wird auf diese Weise zu einem riskanten Abenteuer, denn stets droht dem ungeladenen Gast die Gefahr, vor die Tür gesetzt zu werden, bevor die Schlußmelodie einsetzt.

Allmählich weitet sich die persönliche Erinnerung, die niemals die kindliche Perspektive verläßt, zur erhellenden Zeitdiagnose. Denn idyllisch ist die traditionelle Welt des Dorfes auch vor dem Siegeszug der Fernseher nicht. Ein wütender Bulle trampelt unversehens seinen stolzen Besitzer zu Tode; die scharfen Sägen und Messer in der väterlichen Werkstatt behalten auch in der Hand des erfahrenen Handwerkers ihre zerstörerische Kraft.

Eine größere und dunklere Bedrohung als in den konkreten Dingen aber liegt in der Vergangenheit. Der Krieg wird in den Erzählungen der Erwachsenen zum Inbegriff der Gegenwelt zur heimischen Geborgenheit. Verstört bemerkt der aufmerksame Knabe die Unterschiede zwischen den phantasievollen Erzählungen des Großvaters aus dem Ersten Weltkrieg und den vagen Andeutungen des Vaters über jenen zweiten großen Krieg, der die Welt nachhaltig in Unordnung gebracht hat und über den jedes direkte Gespräch vermieden wird. Ohne je in einen altklugen Ton der Besserwisserei zu verfallen, beschreibt Oesterle die Sprachlosigkeit der Kriegsheimkehrer, die viele Kinder der fünfziger und sechziger Jahre an ihren Eltern erlebt haben. Zugrunde liegt diesen Erfahrungen die kleinbürgerliche Mentalität, die sich vor zukunftsweisenden Veränderungen fürchtet und zugleich den bedrückenden Erinnerungen ausweichen will. Zum Sinnbild für diese Bemühungen, die Zeit stillstehen zu lassen, werden die langen Abende in der Familienküche, bei denen die Großeltern geduldig und wortlos den Einbruch der Dunkelheit erwarten.

Es war nicht zuletzt das Fernsehen, das solch häusliches Stilleben nachhaltig in Bewegung gebracht hat. Was heute rückblickend als mediale Revolution erscheint, vollzog sich zunächst ganz unscheinbar innerhalb der familiären Gewohnheiten. Wie stark aber das Private und Individuelle zum Spiegel für gesellschaftliche Veränderungen werden kann, das demonstriert Oesterle anschaulich an seinem hartnäckigen Fernsehgast. In seinem unbedingten Vertrauen in die Macht der bewegten Bilder werden sich viele der heute Vierzig- bis Fünfzigjährigen wiedererkennen.

SABINE DOERING

Kurt Oesterle: "Der Fernsehgast oder Wie ich lernte die Welt zu sehen". Roman. Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 2002. 192 S., geb., 18,90 [Euro].

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