EINE AUFWÜHLENDE GESCHICHTE ÜBER FREUNDSCHAFT UND LIEBE, VERRAT UND VERFOLGUNG
Als er 1892 errichtet wird, ist der Feuerturm von Bukarest das höchste Gebäude der Stadt. 1989, beim Aufstand gegen die kommunistische Diktatur, ist er es längst nicht mehr, aber er war Zeuge eines ereignisreichen Jahrhunderts. Victor Stoica, der Ich-Erzähler dieses Romans, dessen Familie seit Generationen Feuerwehrmänner stellt und beim Turm lebt, ist der erste, der mit dieser Tradition bricht. Aber sein Leben, das von einem tückischen Verrat gebrandmarkt ist, steht doch ganz im Zeichen des Turms... Victor, Opfer der Repression, der durch die Hölle gehen musste, erlebt 1989 wider Erwarten, dass es doch möglich ist, auf Freiheit und Glück zu hoffen.
In seinem fesselnden, ein Jahrhundert umfassenden Roman erzählt Catalin Dorian Florescu von den Wechselfällen der Geschichte, von Familie und Freundschaft, Verrat und Liebe, von der Kraft der Resilienz und vom sich wandelnden, bunten und dann wieder traurigen Leben in dieser stetig wachsenden, bedeutenden europäischen Metropole. Die erschütternden Tage vom Dezember 1989 erleben wir noch einmal in ihren Anfängen mit... Mit fünf Generationen der Stoicas und einer Fülle unvergesslicher Figuren, mit leisem Humor, unbestechlich und doch immer von Hoffnung getragen, ist "Der Feuerturm" ein großes, aufwühlendes Leseerlebnis.
Die Geschichte einer Familie über fünf Generationen Ein Roman über Freundschaft, Liebe und einen tückischen Verrat Ein großer Gesellschafts- und Stadtroman aus Bukarest
Als er 1892 errichtet wird, ist der Feuerturm von Bukarest das höchste Gebäude der Stadt. 1989, beim Aufstand gegen die kommunistische Diktatur, ist er es längst nicht mehr, aber er war Zeuge eines ereignisreichen Jahrhunderts. Victor Stoica, der Ich-Erzähler dieses Romans, dessen Familie seit Generationen Feuerwehrmänner stellt und beim Turm lebt, ist der erste, der mit dieser Tradition bricht. Aber sein Leben, das von einem tückischen Verrat gebrandmarkt ist, steht doch ganz im Zeichen des Turms... Victor, Opfer der Repression, der durch die Hölle gehen musste, erlebt 1989 wider Erwarten, dass es doch möglich ist, auf Freiheit und Glück zu hoffen.
In seinem fesselnden, ein Jahrhundert umfassenden Roman erzählt Catalin Dorian Florescu von den Wechselfällen der Geschichte, von Familie und Freundschaft, Verrat und Liebe, von der Kraft der Resilienz und vom sich wandelnden, bunten und dann wieder traurigen Leben in dieser stetig wachsenden, bedeutenden europäischen Metropole. Die erschütternden Tage vom Dezember 1989 erleben wir noch einmal in ihren Anfängen mit... Mit fünf Generationen der Stoicas und einer Fülle unvergesslicher Figuren, mit leisem Humor, unbestechlich und doch immer von Hoffnung getragen, ist "Der Feuerturm" ein großes, aufwühlendes Leseerlebnis.
Die Geschichte einer Familie über fünf Generationen Ein Roman über Freundschaft, Liebe und einen tückischen Verrat Ein großer Gesellschafts- und Stadtroman aus Bukarest
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Lerke von Saalfeld erklärt, wie gewissenhaft Catalin Dorian Florescu recherchiert hat, um ein möglichst lebendiges Bild von Bukarest um 1900 zu zeichnen. Gelungen ist dem Autor laut Saalfeld das liebevolle Porträt einer Stadt und ihrer Bewohner, vor allem der im Zentrum des Romans stehenden Dynastie von Feuerwehrleuten. An ihr macht der Autor eindringlich die Umbrüche der Zeit deutlich, etwa den Untergang der jüdischen Gemeinde in der Vielvölkermetropole, erklärt Saalfeld.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.2022Von der Ablösung eines Veteranen
Bukarests Schicksal, erzählt am Beispiel eines Bauwerks: Catalin Dorian Florescus Roman "Der Feuerturm" umspannt fast ein Jahrhundert
Seit vierzig Jahren lebt der in Rumänien geborene Catalin Dorian Florescu in der Schweiz. 1982 durfte er zusammen mit seiner Familie wegen einer Muskelkrankheit ausreisen. Er war damals fünfzehn Jahre alt, der deutschen Sprache nicht mächtig, eigentlich wollte die Familie nach Deutschland, aber durch Zufälle blieb die Familie in Zürich hängen. Inzwischen ist Florescu zum deutschsprachigen Autor mit stattlichen Preisen und Stipendien herangereift, die Schweiz ist seine zweite Heimat; die erste Heimat bleibt aber immer noch Rumänien, wo er seine Kindheit verbrachte und wo er alle seine Romane ansiedelt, oft als Jahrhunderte übergreifende Zeitporträts.
Der jüngste stellt einen Feuerturm in den Mittelpunkt, erbaut 1892 am Rande von Bukarest, zur Warnung vor Bränden in der Stadt. Fünf Generationen der Familie Stoica scharen sich als Feuerwehrleute um das 42 Meter hohe Gebäude, damals der höchste Turm von Bukarest. Als die Familie den Turm in Besitz nimmt, reist sie wie in einer großen Prozession quer durch die Stadt. An jeder Kirche wird haltgemacht, um die jeweiligen Heiligen zu ehren und um Hilfe anzuflehen, aber auch Straßenkämpfe und Krawalle versperren den direkten Weg. Florescu gibt den Lesern viel Zeit, Bukarest um 1900 kennenzulernen: eine quirlige Vielvölkermetropole, die von allen Seiten bedroht ist: "Auf dem großen Marktplatz wurde gekämpft. Zeitungen riefen zum Aufstand auf, Pamphlete wetterten gegen den allzu deutschen König, Gerüchte von Verschwörungen und wirkliche Verschwörungen machten die Runde. Es gab Aufrufe zur Absetzung der Regierung und zum Kampf gegen Ungarn - das die Ungarn jenseits der Karpaten knechtete -, Putsche und Verrat. Das Überkochen der Gefühle machten sich jene zunutze, die gerade an die Macht gekommen waren, wie auch jene, die sie verloren hatten."
Der Balkan ist in Aufruhr, eine Gefühlslage, die sich durch das ganze zwanzigste Jahrhundert zieht und bis heute spürbar ist. Es gibt keine Sicherheit, alle politischen Kräfte sind untereinander verstritten: "Weg mit dem König! Zu deutsch, um rumänisch zu fühlen! Hoch lebe der König! Dank ihm beschützt uns der österreichische Kaiser! Weg mit dem Kaiser, weg mit Österreich-Ungarn und Deutschland, her mit Frankreich, her mit Russland! Für den Zaren sind wir ein Pickel mehr auf seinem Hintern. Fürchtet den Zaren! Die Ungarn sind gefährlicher als die Russen, keiner steht uns gegen die bei. Die Liberalen sind Verräter, weil sie nach Deutschland schielen, die Konservativen sind teuflisch, weil sie nach Russland schielen. Alles soll sich verändern, alles soll bleiben, wie es ist."
Die Feuerwehrleute dienen allen Fraktionen, sie fühlen sich unparteiisch, ihr Feuerturm steht wie ein Wächter über der Stadt und beschützt. Er wirkt wie eine Metapher des Widerstands und ist zugleich Zeuge einer niedergehenden Zeit. Schon zwanzig Jahre nach der Errichtung ist seine Funktion bedroht: Brände werden per Telefon gemeldet und nicht mehr von der Plattform aus gesichtet. Die Rituale rings um den Turm nehmen ab, sei es bei Hochzeiten oder Beerdigungen. Man umkreist ihn nicht mehr, der Verkehr ist zu dicht geworden. Und es entsteht über die Jahrzehnte Konkurrenz, höhere Türme werden gebaut, Plattenbauten überragen den alten Veteranen.
Auch die Dynastie der Feuerwehrleute wird brüchig. Nach fünf Generationen bricht die ehrwürdige Tradition ab. Der Ich-Erzähler Viktor Stoica, geboren in den Dreißigern, will als jüngster Enkel nicht mehr Feuerwehrmann werden, er möchte studieren und gerät in andere Feuersbrünste, die des Kommunismus. Mitte der Fünfzigerjahre verrät ihn sein Halbbruder bei der Securitate, und Viktor wird acht Jahre lang im Gefängnis gequält und gefoltert. Er soll aufgewiegelt und für den Ungarn-Aufstand 1956 agitiert haben. Kein Wort davon ist wahr. Aber die Wahrheit zählt nicht, überall werden Volksfeinde gewittert. Die Mitglieder der Stoica-Familie, die der Autor so liebevoll, hinreißend lebendig und kraftvoll dargestellt hat, sterben langsam aus. Ihre Zeit ist vorüber. Der Feuerturm steht wie ein grauer Koloss einsam in der Gegend, ein Gespenst, an das sich kaum einer noch erinnern kann. Er ist zum Museum erstarrt, das keiner besucht.
Der jüngste Enkel erzählt die Geschichte aus dem Rückblick des Jahres 1989. Die Vorgeschichte des Turms reicht bis ins fünfzehnte Jahrhundert, im zwanzigsten erlebt er alle Verwerfungen der Geschichte bis in die bleierne Zeit der Achtzigerjahre unter dem Conducator Ceausescu. Drei Jahre lang hat Florescu in Bukarest für diesen Roman Material gesammelt und recherchiert. In allen Facetten wollte er die Farben und das Leben der Stadt einfangen. Besonders eindrucksvoll ist, wie er den Untergang der jüdischen Gemeinde in der Stadt sichtbar macht.
Und dennoch bahnt sich etwas Neues an, ohne dass sich klar abzeichnete, wohin die Reise geht. Viktor ist entmutigt und hat jedes Vertrauen verloren. Zu oft wurde er gedemütigt, erniedrigt und enttäuscht. Seine Tochter Iana hört jedoch andere Stimmen. Sie spürt einen Aufbruch, eine bevorstehende Wende. Noch ist Ceausescu an der Macht, aber sein Thron wackelt. Viktor ist skeptisch, zu viel Grauenhaftes hat er erlebt, die junge Generation jedoch lässt sich nicht mehr einschüchtern. Der bewegende und aufrüttelnde Roman, der gerade in den Zeiten des Krieges in der Ukraine eindrucksvoll die Mitte Europas für den Westen in den Blick rückt, endet hoffnungserfüllt: "Der Junge nickt mir ermutigend zu und klopft mir auf die Schulter. 'Wenn du jetzt nicht rausgehst, wirst du es für immer bereuen. Mach dir keine Sorgen um uns . . .' Und dann fällt noch ein Satz, bevor sich die Tür in meinem Rücken schließt. Der Turm schützt uns." LERKE VON SAALFELD
Catalin Dorian Florescu: "Der Feuerturm". Roman.
Verlag C. H. Beck, München 2022. 361S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bukarests Schicksal, erzählt am Beispiel eines Bauwerks: Catalin Dorian Florescus Roman "Der Feuerturm" umspannt fast ein Jahrhundert
Seit vierzig Jahren lebt der in Rumänien geborene Catalin Dorian Florescu in der Schweiz. 1982 durfte er zusammen mit seiner Familie wegen einer Muskelkrankheit ausreisen. Er war damals fünfzehn Jahre alt, der deutschen Sprache nicht mächtig, eigentlich wollte die Familie nach Deutschland, aber durch Zufälle blieb die Familie in Zürich hängen. Inzwischen ist Florescu zum deutschsprachigen Autor mit stattlichen Preisen und Stipendien herangereift, die Schweiz ist seine zweite Heimat; die erste Heimat bleibt aber immer noch Rumänien, wo er seine Kindheit verbrachte und wo er alle seine Romane ansiedelt, oft als Jahrhunderte übergreifende Zeitporträts.
Der jüngste stellt einen Feuerturm in den Mittelpunkt, erbaut 1892 am Rande von Bukarest, zur Warnung vor Bränden in der Stadt. Fünf Generationen der Familie Stoica scharen sich als Feuerwehrleute um das 42 Meter hohe Gebäude, damals der höchste Turm von Bukarest. Als die Familie den Turm in Besitz nimmt, reist sie wie in einer großen Prozession quer durch die Stadt. An jeder Kirche wird haltgemacht, um die jeweiligen Heiligen zu ehren und um Hilfe anzuflehen, aber auch Straßenkämpfe und Krawalle versperren den direkten Weg. Florescu gibt den Lesern viel Zeit, Bukarest um 1900 kennenzulernen: eine quirlige Vielvölkermetropole, die von allen Seiten bedroht ist: "Auf dem großen Marktplatz wurde gekämpft. Zeitungen riefen zum Aufstand auf, Pamphlete wetterten gegen den allzu deutschen König, Gerüchte von Verschwörungen und wirkliche Verschwörungen machten die Runde. Es gab Aufrufe zur Absetzung der Regierung und zum Kampf gegen Ungarn - das die Ungarn jenseits der Karpaten knechtete -, Putsche und Verrat. Das Überkochen der Gefühle machten sich jene zunutze, die gerade an die Macht gekommen waren, wie auch jene, die sie verloren hatten."
Der Balkan ist in Aufruhr, eine Gefühlslage, die sich durch das ganze zwanzigste Jahrhundert zieht und bis heute spürbar ist. Es gibt keine Sicherheit, alle politischen Kräfte sind untereinander verstritten: "Weg mit dem König! Zu deutsch, um rumänisch zu fühlen! Hoch lebe der König! Dank ihm beschützt uns der österreichische Kaiser! Weg mit dem Kaiser, weg mit Österreich-Ungarn und Deutschland, her mit Frankreich, her mit Russland! Für den Zaren sind wir ein Pickel mehr auf seinem Hintern. Fürchtet den Zaren! Die Ungarn sind gefährlicher als die Russen, keiner steht uns gegen die bei. Die Liberalen sind Verräter, weil sie nach Deutschland schielen, die Konservativen sind teuflisch, weil sie nach Russland schielen. Alles soll sich verändern, alles soll bleiben, wie es ist."
Die Feuerwehrleute dienen allen Fraktionen, sie fühlen sich unparteiisch, ihr Feuerturm steht wie ein Wächter über der Stadt und beschützt. Er wirkt wie eine Metapher des Widerstands und ist zugleich Zeuge einer niedergehenden Zeit. Schon zwanzig Jahre nach der Errichtung ist seine Funktion bedroht: Brände werden per Telefon gemeldet und nicht mehr von der Plattform aus gesichtet. Die Rituale rings um den Turm nehmen ab, sei es bei Hochzeiten oder Beerdigungen. Man umkreist ihn nicht mehr, der Verkehr ist zu dicht geworden. Und es entsteht über die Jahrzehnte Konkurrenz, höhere Türme werden gebaut, Plattenbauten überragen den alten Veteranen.
Auch die Dynastie der Feuerwehrleute wird brüchig. Nach fünf Generationen bricht die ehrwürdige Tradition ab. Der Ich-Erzähler Viktor Stoica, geboren in den Dreißigern, will als jüngster Enkel nicht mehr Feuerwehrmann werden, er möchte studieren und gerät in andere Feuersbrünste, die des Kommunismus. Mitte der Fünfzigerjahre verrät ihn sein Halbbruder bei der Securitate, und Viktor wird acht Jahre lang im Gefängnis gequält und gefoltert. Er soll aufgewiegelt und für den Ungarn-Aufstand 1956 agitiert haben. Kein Wort davon ist wahr. Aber die Wahrheit zählt nicht, überall werden Volksfeinde gewittert. Die Mitglieder der Stoica-Familie, die der Autor so liebevoll, hinreißend lebendig und kraftvoll dargestellt hat, sterben langsam aus. Ihre Zeit ist vorüber. Der Feuerturm steht wie ein grauer Koloss einsam in der Gegend, ein Gespenst, an das sich kaum einer noch erinnern kann. Er ist zum Museum erstarrt, das keiner besucht.
Der jüngste Enkel erzählt die Geschichte aus dem Rückblick des Jahres 1989. Die Vorgeschichte des Turms reicht bis ins fünfzehnte Jahrhundert, im zwanzigsten erlebt er alle Verwerfungen der Geschichte bis in die bleierne Zeit der Achtzigerjahre unter dem Conducator Ceausescu. Drei Jahre lang hat Florescu in Bukarest für diesen Roman Material gesammelt und recherchiert. In allen Facetten wollte er die Farben und das Leben der Stadt einfangen. Besonders eindrucksvoll ist, wie er den Untergang der jüdischen Gemeinde in der Stadt sichtbar macht.
Und dennoch bahnt sich etwas Neues an, ohne dass sich klar abzeichnete, wohin die Reise geht. Viktor ist entmutigt und hat jedes Vertrauen verloren. Zu oft wurde er gedemütigt, erniedrigt und enttäuscht. Seine Tochter Iana hört jedoch andere Stimmen. Sie spürt einen Aufbruch, eine bevorstehende Wende. Noch ist Ceausescu an der Macht, aber sein Thron wackelt. Viktor ist skeptisch, zu viel Grauenhaftes hat er erlebt, die junge Generation jedoch lässt sich nicht mehr einschüchtern. Der bewegende und aufrüttelnde Roman, der gerade in den Zeiten des Krieges in der Ukraine eindrucksvoll die Mitte Europas für den Westen in den Blick rückt, endet hoffnungserfüllt: "Der Junge nickt mir ermutigend zu und klopft mir auf die Schulter. 'Wenn du jetzt nicht rausgehst, wirst du es für immer bereuen. Mach dir keine Sorgen um uns . . .' Und dann fällt noch ein Satz, bevor sich die Tür in meinem Rücken schließt. Der Turm schützt uns." LERKE VON SAALFELD
Catalin Dorian Florescu: "Der Feuerturm". Roman.
Verlag C. H. Beck, München 2022. 361S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von der Ablösung eines Veteranen
Bukarests Schicksal, erzählt am Beispiel eines Bauwerks: Catalin Dorian Florescus Roman "Der Feuerturm" umspannt fast ein Jahrhundert
Seit vierzig Jahren lebt der in Rumänien geborene Catalin Dorian Florescu in der Schweiz. 1982 durfte er zusammen mit seiner Familie wegen einer Muskelkrankheit ausreisen. Er war damals fünfzehn Jahre alt, der deutschen Sprache nicht mächtig, eigentlich wollte die Familie nach Deutschland, aber durch Zufälle blieb die Familie in Zürich hängen. Inzwischen ist Florescu zum deutschsprachigen Autor mit stattlichen Preisen und Stipendien herangereift, die Schweiz ist seine zweite Heimat; die erste Heimat bleibt aber immer noch Rumänien, wo er seine Kindheit verbrachte und wo er alle seine Romane ansiedelt, oft als Jahrhunderte übergreifende Zeitporträts.
Der jüngste stellt einen Feuerturm in den Mittelpunkt, erbaut 1892 am Rande von Bukarest, zur Warnung vor Bränden in der Stadt. Fünf Generationen der Familie Stoica scharen sich als Feuerwehrleute um das 42 Meter hohe Gebäude, damals der höchste Turm von Bukarest. Als die Familie den Turm in Besitz nimmt, reist sie wie in einer großen Prozession quer durch die Stadt. An jeder Kirche wird haltgemacht, um die jeweiligen Heiligen zu ehren und um Hilfe anzuflehen, aber auch Straßenkämpfe und Krawalle versperren den direkten Weg. Florescu gibt den Lesern viel Zeit, Bukarest um 1900 kennenzulernen: eine quirlige Vielvölkermetropole, die von allen Seiten bedroht ist: "Auf dem großen Marktplatz wurde gekämpft. Zeitungen riefen zum Aufstand auf, Pamphlete wetterten gegen den allzu deutschen König, Gerüchte von Verschwörungen und wirkliche Verschwörungen machten die Runde. Es gab Aufrufe zur Absetzung der Regierung und zum Kampf gegen Ungarn - das die Ungarn jenseits der Karpaten knechtete -, Putsche und Verrat. Das Überkochen der Gefühle machten sich jene zunutze, die gerade an die Macht gekommen waren, wie auch jene, die sie verloren hatten."
Der Balkan ist in Aufruhr, eine Gefühlslage, die sich durch das ganze zwanzigste Jahrhundert zieht und bis heute spürbar ist. Es gibt keine Sicherheit, alle politischen Kräfte sind untereinander verstritten: "Weg mit dem König! Zu deutsch, um rumänisch zu fühlen! Hoch lebe der König! Dank ihm beschützt uns der österreichische Kaiser! Weg mit dem Kaiser, weg mit Österreich-Ungarn und Deutschland, her mit Frankreich, her mit Russland! Für den Zaren sind wir ein Pickel mehr auf seinem Hintern. Fürchtet den Zaren! Die Ungarn sind gefährlicher als die Russen, keiner steht uns gegen die bei. Die Liberalen sind Verräter, weil sie nach Deutschland schielen, die Konservativen sind teuflisch, weil sie nach Russland schielen. Alles soll sich verändern, alles soll bleiben, wie es ist."
Die Feuerwehrleute dienen allen Fraktionen, sie fühlen sich unparteiisch, ihr Feuerturm steht wie ein Wächter über der Stadt und beschützt. Er wirkt wie eine Metapher des Widerstands und ist zugleich Zeuge einer niedergehenden Zeit. Schon zwanzig Jahre nach der Errichtung ist seine Funktion bedroht: Brände werden per Telefon gemeldet und nicht mehr von der Plattform aus gesichtet. Die Rituale rings um den Turm nehmen ab, sei es bei Hochzeiten oder Beerdigungen. Man umkreist ihn nicht mehr, der Verkehr ist zu dicht geworden. Und es entsteht über die Jahrzehnte Konkurrenz, höhere Türme werden gebaut, Plattenbauten überragen den alten Veteranen.
Auch die Dynastie der Feuerwehrleute wird brüchig. Nach fünf Generationen bricht die ehrwürdige Tradition ab. Der Ich-Erzähler Viktor Stoica, geboren in den Dreißigern, will als jüngster Enkel nicht mehr Feuerwehrmann werden, er möchte studieren und gerät in andere Feuersbrünste, die des Kommunismus. Mitte der Fünfzigerjahre verrät ihn sein Halbbruder bei der Securitate, und Viktor wird acht Jahre lang im Gefängnis gequält und gefoltert. Er soll aufgewiegelt und für den Ungarn-Aufstand 1956 agitiert haben. Kein Wort davon ist wahr. Aber die Wahrheit zählt nicht, überall werden Volksfeinde gewittert. Die Mitglieder der Stoica-Familie, die der Autor so liebevoll, hinreißend lebendig und kraftvoll dargestellt hat, sterben langsam aus. Ihre Zeit ist vorüber. Der Feuerturm steht wie ein grauer Koloss einsam in der Gegend, ein Gespenst, an das sich kaum einer noch erinnern kann. Er ist zum Museum erstarrt, das keiner besucht.
Der jüngste Enkel erzählt die Geschichte aus dem Rückblick des Jahres 1989. Die Vorgeschichte des Turms reicht bis ins fünfzehnte Jahrhundert, im zwanzigsten erlebt er alle Verwerfungen der Geschichte bis in die bleierne Zeit der Achtzigerjahre unter dem Conducator Ceausescu. Drei Jahre lang hat Florescu in Bukarest für diesen Roman Material gesammelt und recherchiert. In allen Facetten wollte er die Farben und das Leben der Stadt einfangen. Besonders eindrucksvoll ist, wie er den Untergang der jüdischen Gemeinde in der Stadt sichtbar macht.
Und dennoch bahnt sich etwas Neues an, ohne dass sich klar abzeichnete, wohin die Reise geht. Viktor ist entmutigt und hat jedes Vertrauen verloren. Zu oft wurde er gedemütigt, erniedrigt und enttäuscht. Seine Tochter Iana hört jedoch andere Stimmen. Sie spürt einen Aufbruch, eine bevorstehende Wende. Noch ist Ceausescu an der Macht, aber sein Thron wackelt. Viktor ist skeptisch, zu viel Grauenhaftes hat er erlebt, die junge Generation jedoch lässt sich nicht mehr einschüchtern. Der bewegende und aufrüttelnde Roman, der gerade in den Zeiten des Krieges in der Ukraine eindrucksvoll die Mitte Europas für den Westen in den Blick rückt, endet hoffnungserfüllt: "Der Junge nickt mir ermutigend zu und klopft mir auf die Schulter. 'Wenn du jetzt nicht rausgehst, wirst du es für immer bereuen. Mach dir keine Sorgen um uns . . .' Und dann fällt noch ein Satz, bevor sich die Tür in meinem Rücken schließt. Der Turm schützt uns." LERKE VON SAALFELD
Catalin Dorian Florescu: "Der Feuerturm". Roman.
Verlag C. H. Beck, München 2022. 361S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bukarests Schicksal, erzählt am Beispiel eines Bauwerks: Catalin Dorian Florescus Roman "Der Feuerturm" umspannt fast ein Jahrhundert
Seit vierzig Jahren lebt der in Rumänien geborene Catalin Dorian Florescu in der Schweiz. 1982 durfte er zusammen mit seiner Familie wegen einer Muskelkrankheit ausreisen. Er war damals fünfzehn Jahre alt, der deutschen Sprache nicht mächtig, eigentlich wollte die Familie nach Deutschland, aber durch Zufälle blieb die Familie in Zürich hängen. Inzwischen ist Florescu zum deutschsprachigen Autor mit stattlichen Preisen und Stipendien herangereift, die Schweiz ist seine zweite Heimat; die erste Heimat bleibt aber immer noch Rumänien, wo er seine Kindheit verbrachte und wo er alle seine Romane ansiedelt, oft als Jahrhunderte übergreifende Zeitporträts.
Der jüngste stellt einen Feuerturm in den Mittelpunkt, erbaut 1892 am Rande von Bukarest, zur Warnung vor Bränden in der Stadt. Fünf Generationen der Familie Stoica scharen sich als Feuerwehrleute um das 42 Meter hohe Gebäude, damals der höchste Turm von Bukarest. Als die Familie den Turm in Besitz nimmt, reist sie wie in einer großen Prozession quer durch die Stadt. An jeder Kirche wird haltgemacht, um die jeweiligen Heiligen zu ehren und um Hilfe anzuflehen, aber auch Straßenkämpfe und Krawalle versperren den direkten Weg. Florescu gibt den Lesern viel Zeit, Bukarest um 1900 kennenzulernen: eine quirlige Vielvölkermetropole, die von allen Seiten bedroht ist: "Auf dem großen Marktplatz wurde gekämpft. Zeitungen riefen zum Aufstand auf, Pamphlete wetterten gegen den allzu deutschen König, Gerüchte von Verschwörungen und wirkliche Verschwörungen machten die Runde. Es gab Aufrufe zur Absetzung der Regierung und zum Kampf gegen Ungarn - das die Ungarn jenseits der Karpaten knechtete -, Putsche und Verrat. Das Überkochen der Gefühle machten sich jene zunutze, die gerade an die Macht gekommen waren, wie auch jene, die sie verloren hatten."
Der Balkan ist in Aufruhr, eine Gefühlslage, die sich durch das ganze zwanzigste Jahrhundert zieht und bis heute spürbar ist. Es gibt keine Sicherheit, alle politischen Kräfte sind untereinander verstritten: "Weg mit dem König! Zu deutsch, um rumänisch zu fühlen! Hoch lebe der König! Dank ihm beschützt uns der österreichische Kaiser! Weg mit dem Kaiser, weg mit Österreich-Ungarn und Deutschland, her mit Frankreich, her mit Russland! Für den Zaren sind wir ein Pickel mehr auf seinem Hintern. Fürchtet den Zaren! Die Ungarn sind gefährlicher als die Russen, keiner steht uns gegen die bei. Die Liberalen sind Verräter, weil sie nach Deutschland schielen, die Konservativen sind teuflisch, weil sie nach Russland schielen. Alles soll sich verändern, alles soll bleiben, wie es ist."
Die Feuerwehrleute dienen allen Fraktionen, sie fühlen sich unparteiisch, ihr Feuerturm steht wie ein Wächter über der Stadt und beschützt. Er wirkt wie eine Metapher des Widerstands und ist zugleich Zeuge einer niedergehenden Zeit. Schon zwanzig Jahre nach der Errichtung ist seine Funktion bedroht: Brände werden per Telefon gemeldet und nicht mehr von der Plattform aus gesichtet. Die Rituale rings um den Turm nehmen ab, sei es bei Hochzeiten oder Beerdigungen. Man umkreist ihn nicht mehr, der Verkehr ist zu dicht geworden. Und es entsteht über die Jahrzehnte Konkurrenz, höhere Türme werden gebaut, Plattenbauten überragen den alten Veteranen.
Auch die Dynastie der Feuerwehrleute wird brüchig. Nach fünf Generationen bricht die ehrwürdige Tradition ab. Der Ich-Erzähler Viktor Stoica, geboren in den Dreißigern, will als jüngster Enkel nicht mehr Feuerwehrmann werden, er möchte studieren und gerät in andere Feuersbrünste, die des Kommunismus. Mitte der Fünfzigerjahre verrät ihn sein Halbbruder bei der Securitate, und Viktor wird acht Jahre lang im Gefängnis gequält und gefoltert. Er soll aufgewiegelt und für den Ungarn-Aufstand 1956 agitiert haben. Kein Wort davon ist wahr. Aber die Wahrheit zählt nicht, überall werden Volksfeinde gewittert. Die Mitglieder der Stoica-Familie, die der Autor so liebevoll, hinreißend lebendig und kraftvoll dargestellt hat, sterben langsam aus. Ihre Zeit ist vorüber. Der Feuerturm steht wie ein grauer Koloss einsam in der Gegend, ein Gespenst, an das sich kaum einer noch erinnern kann. Er ist zum Museum erstarrt, das keiner besucht.
Der jüngste Enkel erzählt die Geschichte aus dem Rückblick des Jahres 1989. Die Vorgeschichte des Turms reicht bis ins fünfzehnte Jahrhundert, im zwanzigsten erlebt er alle Verwerfungen der Geschichte bis in die bleierne Zeit der Achtzigerjahre unter dem Conducator Ceausescu. Drei Jahre lang hat Florescu in Bukarest für diesen Roman Material gesammelt und recherchiert. In allen Facetten wollte er die Farben und das Leben der Stadt einfangen. Besonders eindrucksvoll ist, wie er den Untergang der jüdischen Gemeinde in der Stadt sichtbar macht.
Und dennoch bahnt sich etwas Neues an, ohne dass sich klar abzeichnete, wohin die Reise geht. Viktor ist entmutigt und hat jedes Vertrauen verloren. Zu oft wurde er gedemütigt, erniedrigt und enttäuscht. Seine Tochter Iana hört jedoch andere Stimmen. Sie spürt einen Aufbruch, eine bevorstehende Wende. Noch ist Ceausescu an der Macht, aber sein Thron wackelt. Viktor ist skeptisch, zu viel Grauenhaftes hat er erlebt, die junge Generation jedoch lässt sich nicht mehr einschüchtern. Der bewegende und aufrüttelnde Roman, der gerade in den Zeiten des Krieges in der Ukraine eindrucksvoll die Mitte Europas für den Westen in den Blick rückt, endet hoffnungserfüllt: "Der Junge nickt mir ermutigend zu und klopft mir auf die Schulter. 'Wenn du jetzt nicht rausgehst, wirst du es für immer bereuen. Mach dir keine Sorgen um uns . . .' Und dann fällt noch ein Satz, bevor sich die Tür in meinem Rücken schließt. Der Turm schützt uns." LERKE VON SAALFELD
Catalin Dorian Florescu: "Der Feuerturm". Roman.
Verlag C. H. Beck, München 2022. 361S., geb., 25,- Euro.
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