Der englische Reiseschriftsteller Jeremy Seal hat als Lehrer längere Zeit in der Türkei gelebt. In seinem sehr persönlichen Reisebericht, der reich an sachlichen Informationen aber auch an Anekdotischem ist, schreibt er über die moderne Türkei, abseits der ausgetretenen Touristenpfade.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.1998Europa
"Der Fez - Eine Reise durch die Türkei auf der Suche nach einem Hut" von Jeremy Seal. Klett-Cotta, Stuttgart 1998. 348 Seiten, eine Karte. Gebunden, 39,80 Mark. ISBN 3-93414-6.
Wenig, schien mir", schreibt Jeremy Seal, "war seinem Wesen nach so türkisch wie der Fez." Grund genug für ihn, die Türkei zu bereisen auf der Suche nach diesem Hut - einem Hut freilich, den es allenfalls noch in Tourismusorten gibt. Denn am 25. November 1925 hatte Atatürk den Türken das Tragen des Fez mit der Begründung verboten, es sei reaktionär und widerspräche der Moderne; zeitweise wurde es sogar mit der Todesstrafe geahndet. So entwickelt sich Seals Fahndung nach dem Kleidungsstück zur Spurensuche in Geschichte und Gegenwart zugleich, zu einer Recherche in Politik, Kultur und im Alltag von heute. Jeremy Seal, der lange in der Türkei gelebt hat und die Sprache des Landes offenbar fließend beherrscht, ist Journalist in England, unter anderem für die "Times" und die "Sunday Times". Was er unterwegs gesehen und gehört hat, beschreibt er allerdings in der Tradition der literarischen Reiseerzählung, deren Kunstformen er so grandios beherrscht, daß er den Vergleich mit Bruce Chatwin nicht zu scheuen braucht und "Der Fez" es verdient, das schönste Reisebuch des Jahres genannt zu werden. Von Istanbul bis Hakkâri an der Grenze zum Irak führte Seals Fahrt in Zügen und öffentlichen Bussen. Er sprach in den Großstädten mit Geschäftsleuten und wohnte bei Bauern auf dem Land, besuchte Kurden-Dörfer und historische Stätten in den Bergen - eher dem türkischen Wesen als dem Fez auf der Spur. Was Seal auf seiner Reise fand, ist ein Land der Zerrissenheit, in dem die Moderne Urständ feiert und die islamische Erneuerung in manchen Regionen immer mehr Anhänger findet. Ein Land, das seit Jahrhunderten gefangen scheint in dem Konflikt, dem Orient zuzugehören, aber dem Westen entgegenzustreben - und das auch ein dreiviertel Jahrhundert nach seiner Staatsgründung noch Schwierigkeiten damit hat, daß sich die eigene Identität auf eine mehr als fragwürdige ethnographische Definition stützt. (F.L.)
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"Der Fez - Eine Reise durch die Türkei auf der Suche nach einem Hut" von Jeremy Seal. Klett-Cotta, Stuttgart 1998. 348 Seiten, eine Karte. Gebunden, 39,80 Mark. ISBN 3-93414-6.
Wenig, schien mir", schreibt Jeremy Seal, "war seinem Wesen nach so türkisch wie der Fez." Grund genug für ihn, die Türkei zu bereisen auf der Suche nach diesem Hut - einem Hut freilich, den es allenfalls noch in Tourismusorten gibt. Denn am 25. November 1925 hatte Atatürk den Türken das Tragen des Fez mit der Begründung verboten, es sei reaktionär und widerspräche der Moderne; zeitweise wurde es sogar mit der Todesstrafe geahndet. So entwickelt sich Seals Fahndung nach dem Kleidungsstück zur Spurensuche in Geschichte und Gegenwart zugleich, zu einer Recherche in Politik, Kultur und im Alltag von heute. Jeremy Seal, der lange in der Türkei gelebt hat und die Sprache des Landes offenbar fließend beherrscht, ist Journalist in England, unter anderem für die "Times" und die "Sunday Times". Was er unterwegs gesehen und gehört hat, beschreibt er allerdings in der Tradition der literarischen Reiseerzählung, deren Kunstformen er so grandios beherrscht, daß er den Vergleich mit Bruce Chatwin nicht zu scheuen braucht und "Der Fez" es verdient, das schönste Reisebuch des Jahres genannt zu werden. Von Istanbul bis Hakkâri an der Grenze zum Irak führte Seals Fahrt in Zügen und öffentlichen Bussen. Er sprach in den Großstädten mit Geschäftsleuten und wohnte bei Bauern auf dem Land, besuchte Kurden-Dörfer und historische Stätten in den Bergen - eher dem türkischen Wesen als dem Fez auf der Spur. Was Seal auf seiner Reise fand, ist ein Land der Zerrissenheit, in dem die Moderne Urständ feiert und die islamische Erneuerung in manchen Regionen immer mehr Anhänger findet. Ein Land, das seit Jahrhunderten gefangen scheint in dem Konflikt, dem Orient zuzugehören, aber dem Westen entgegenzustreben - und das auch ein dreiviertel Jahrhundert nach seiner Staatsgründung noch Schwierigkeiten damit hat, daß sich die eigene Identität auf eine mehr als fragwürdige ethnographische Definition stützt. (F.L.)
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