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  • Verlag: De Gruyter
  • ISBN-13: 9783110158052
  • Artikelnr.: 33241526
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.02.1998

1929 - Der Film in der Weimarer Republik

Nie waren die Dialoge banaler als zu Beginn des Tonfilms. Spielfilme könnten nicht gewinnen, sondern nur verlieren, wenn man ihre "visuelle Reinheit" zerstöre, hieß es bereits in frühen Untersuchungen zum Kino: Béla Bálazs sah am Ende des Stummfilms "eine ganz reiche Kultur des visuellen Ausdrucks gefährdet", und Hugo Münsterberg empfand die Speicherung gesprochener Worte als ebenso störend wie "Farbe auf der Kleidung einer Marmorstatue". Über die Theorien, die auf ein l'art pour l'art des Stummfilms setzten, brach die Erfindung des Tonfilms wie eine Katastrophe herein; die trivialen Dialoge waren ein Teil davon.

Wenn Gero Gandert seine Reihe zum "Film der Weimarer Republik" mit dem Band zum Jahr 1929 eröffnet, tut er dies mit gutem Grund. Es ist das Jahr der großen Zäsur, ein Schwellenjahr, in dem der stumme Film ein letztes Mal dominierte. Die Presse besprach Musik, Gesang, Geräusch und Dialog eine Zeitlang gesondert, bis der Tonfilm den Stummfilm endgültig verdrängt hatte.

Ganderts Nachschlagewerk, das nach Fertigstellung den Zeitraum von 1919 bis 1933 abdecken soll, ist ein bemerkenswertes Unternehmen: Es wird sämtliche deutschen Filme der Weimarer Zeit mit einer Zusammenfassung der Handlung, mit Filmographie und bibliographischen Angaben dokumentieren. Ihre Erfassung erfolgt über die Prüflisten der Reichsfilmzensur. Für Gandert ist Filmgeschichte Rezensionsgeschichte; die zeitgenössische Kritik steht in seinem Handbuch an erster Stelle. Sie wird zum Gradmesser für den Ereignischarakter der Filme in ihrer Zeit. Daß etwa ein Film von Fritz Lang stets großes Aufsehen erregte, selbst wenn er so vehement verrissen wurde wie "Frau im Mond", oder daß ein Bergner-Film wie "Fräulein Else" selbst die ersten Namen der Berliner Theaterkritik beschäftigte, fällt sofort ins Auge.

Wer Näheres zu Regie, Darstellungstil und zur Kameraarbeit einzelner Filme aus der Zeit vor 1933 erfahren wollte, war lange auf die Auskünfte der Filmhistoriker angewiesen. Mit Namen wie Kalbus, Kracauer oder Eisner verband sich jedoch stets auch eine bestimmte Kanonisierung, die Gandert mit seinem Handbuch zu durchbrechen sucht. (Unsere Abbildung zeigt eine Szene aus Johannes Meyers "Hochverrat" mit Gerda Maurus und Gustav Fröhlich.) Doch auch die Niederungen des Populär-Trivialen sind für ihn nicht tabu. Neben Sensations-, Kriminal- und Expeditionsfilmen findet sich die Kategorie der Aufklärungsfilme: fadenscheinige, nie gehörte Titel wie "Engel im Séparée", "Das Mädchenschiff" oder "Die Frau für diskrete Beratung".

Angesichts der rasanten Entwicklung des Films ist Gero Ganderts Werk ein erstaunliches Kapitel deutscher Filmgeschichte. Es schließt die Jahre des frühen Tonfilms mit ein - und mit Filmen wie "Der blaue Engel", "Niemandsland" oder "Kuhle Wampe" auch den Abgesang auf eine demokratische Filmkunst vor Hitler. Es ist das Verdienst des Herausgebers, diese Epoche neu zugänglich gemacht zu haben. Der (bisher einzige) Jahresband 1929, vor fünf Jahren als gebundene Ausgabe erschienen, liegt jetzt auch im Paperback vor. (Gero Gandert [Hrsg.]: "1929. Der Film der Weimarer Republik". Ein Handbuch der zeitgenössischen Kritik. De Gruyter-Verlag, Berlin und New York 1997. 916 S., br., 78,- DM.) jia

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