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So liest man die Geschichte des Abendlandes einmal anders! Wir folgen einem Finger - einem kleinen, langen, krummen, gichtigen, eleganten oder schönen Finger, der zwischen den Seiten eines Buches steckt. Wir sehen dabei eine Person, die liest. Ihr Blick zeigt tiefe innere Bewegung an. Diese intime Verbindung zwischen Buch und Lesergestalt ist in der Kunst selten, doch die Künstlerinnen und Künstler sind durchaus prominent: Tizian, Raffael und Rubens gehören ebenso dazu wie Angelika Kauffmann oder Bassano. Es ist eine ungewöhnliche und spannende Geschichte, die Ulrich Johannes Schneider auf…mehr

Produktbeschreibung
So liest man die Geschichte des Abendlandes einmal anders! Wir folgen einem Finger - einem kleinen, langen, krummen, gichtigen, eleganten oder schönen Finger, der zwischen den Seiten eines Buches steckt. Wir sehen dabei eine Person, die liest. Ihr Blick zeigt tiefe innere Bewegung an. Diese intime Verbindung zwischen Buch und Lesergestalt ist in der Kunst selten, doch die Künstlerinnen und Künstler sind durchaus prominent: Tizian, Raffael und Rubens gehören ebenso dazu wie Angelika Kauffmann oder Bassano.
Es ist eine ungewöhnliche und spannende Geschichte, die Ulrich Johannes Schneider auf diese Weise für uns aufblättert. In dreißig Gemälden, Skulpturen und Fotografien erkundet er dieses eine, vermeintlich kleine ikonografische Detail westlicher Bild- und Buchgeschichte: den Finger im Buch. Allerdings tauchen allgemeinere Fragen auf. Was bedeutet Lesen überhaupt? Was lernen wir aus diesen stummen Zeugen der Buchkultur? Und wie sehr gleichen wir selbst den dargestellten Frauen und Männern?
Zur Vielfalt des Lesens gehören unterschiedliche Situationen und Haltungen der Hingabe. Es gibt die private, die gelehrte und die fromme Lektüre. Doch als inneres Erlebnis bleibt das Lesen der Betrachtung verborgen. Nur im Moment seiner Unterbrechung offenbart es sich als Dialog zwischen Geist und Text, zwischen Imagination und Literatur.
Die hier versammelten Kunstwerke von 1331 bis 1935 laden ein zur Betrachtung und zur Reflexion. So ergibt sich ein Panorama der abendländischen Leselust und eine kleine Phänomenologie der immer wieder neu genährten Hoffnung, sich durch Lektüre zu verändern.
Autorenporträt
Schneider, Ulrich Johannes
Ulrich Johannes Schneider, geboren 1956 in Gelnhausen (Hessen), ist Kulturphilosoph und Bibliotheksdirektor an der Universität Leipzig. Er studierte in Frankfurt am Main, Berlin und Paris. Einjährige Forschungsaufenthalte am Getty Center for the History of Arts and the Humanities in Los Angeles und an der Maison des Sciences de l'Homme in Paris. Er arbeitet zu Wissenspraktiken und veröffentlichte zuletzt über Lexika (Die Erfindung des allgemeinen Wissens, 2013) und die frühe Seitengestaltung im Buchdruck (Textkünste, 2016). Das Motiv des Fingers im Buch ist ihm vor langen Jahren zuerst in Museen der USA aufgefallen. Gegenwärtig schreibt er eine Globalgeschichte moderner Bibliotheken, deren zentraler Ort seit dem 19. Jahrhundert der Lesesaal ist. Schneider lebt in Leipzig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2020

Gemaltes liegt so gut in der Hand
Ulrich Johannes Schneider flirtet philosophisch mit dem "Finger im Buch"

"Die unterbrochene Lektüre im Bild" steht auf der linken Seite vor dem Titelblatt, hinter einer gezeichneten Hand, deren überlanger Zeigefinger darauf hinweist, wie in einer etwas altmodischen Gebrauchsanleitung: hier öffnen. So ein Finger ist bestens geeignet als eben "Der Finger im Buch", der dort steckt, wo gerade innegehalten wird. Um gleich fortfahren zu können, nach einer Unterbrechung, welche Ursache sie auch immer gehabt haben mag. "Über das Lesen als Problem" ist dann die Einleitung überschrieben. Allerdings wird es überhaupt nicht problematisch, sondern ausgesprochen anregend.

Für eine reich gekleidete, bestimmt gebildete Dame - sie kann ja lesen - aus dem fünfzehnten Jahrhundert auf dem Porträt von Jacques Daret ist es gewiss eine Störung, die ihren Blick ins Leere lenkt, während der Daumen ihrer linken Hand zwischen den Seiten eines Buchs liegt. Bei der Lektüre handelt es sich wahrscheinlich um ein wertvolles Stundenbuch voller Bibelstellen, Gebete und Fürbitten, das zum Schutz in einen Stoff- umhang gehüllt ist. Ihm hatte sie sich gerade hingegeben. Das Bild enthält so "ein Drama, einen Konflikt zwischen dem, was sein soll, und dem, was ist".

Der Verfasser Ulrich Johannes Schneider, Direktor der Universitätsbibliothek Leipzig und Professor für Philosophie am Institut für Kulturwissenschaften der Universität, hat eine echte Lücke ausgemacht. Frage man nämlich Theoretiker wie Historiker und Kulturwissenschaftler, was beim Lesen selbst denn geschehe, so schreibt er, schaue man "in ratlose Gesichter; sie untersuchen das Gelesenhaben, die vollendete Lektüre".

Was Schneider indessen will, ist, analytisch über das Lesen zu räsonieren, und er befindet: Glücklicherweise existiere eine Art Spiegelung der Lesekultur in einem nicht selbst literarischen Medium, nämlich der Kunst. Dreißig Kunstwerke - Gemälde, Grafiken, Skulpturen und Fotografien - betrachtet er deshalb näher mit einer Intensität, die sich eine philosophische Inspektion nennen lässt unter Einbezug sozialer und gesellschaftlicher Umstände. Wobei er sich für die unterbrochene Lektüre eben auf das eher seltene Motiv des Fingers im geschlossenen Buch konzentriert. Lesende in offenen Büchern, mit Händen darauf und daneben, so ließe sich ergänzen, sind in der Kunst durchaus vertraut.

Charmant ist, dass Schneider seinem beim Lesen unterbrochenen Personal auch gern geeignete Lektürevorschläge mitgibt. So traut er Peter Paul Rubens' "Isabella Brant", die beinah lasziv über schwellendem Dekolleté in den Raum zu blicken scheint, zu, dass das kleinformatige Büchlein, in das ihr rechter Zeigefinger taucht, Gedichte enthält oder Ottavio Rinuccinis Libretto für "L'Euridice", eine der ersten Opern überhaupt, komponiert von Jacopo Peri - Sehnsuchtsstoff allemal für die verträumt nachsinnende Dame. Ganz anders erfasst ist ein junger Dominikanermönch auf Juan Bautista Maínos Porträt "Bruder Alonso Enriquez".

Der war der uneheliche Sohn des spanischen Königs Philipp IV. und einer Gräfin im Dienst von dessen Gattin. Er scheint sich, mit innerlich bewegtem Gesichtsausdruck und die Kutte wie eine Bürde tragend, an ein Büchlein mit schwarzem Schnitt fast zu klammern, in dem sich die Ordensregeln vermuten lassen. Später wird der ins Kloster geflohene Alonso, erklärt uns Schneider, mit 37 Jahren Bischof von Andalusien werden.

Das Buch ist in Kapitel unterteilt wie "Lesen als Hingabe" oder auch "Lesen verändert", jeweils mit Deutungen der Kunstwerke. Unter "Lesen entführt" firmiert Allan Ramseys Doppelporträt der "Nichten von Horace Walpole" von 1765. Während die eine der Schwestern von ihrer Stickerei aufblickt, schaut die andere stehend in deren Richtung, ein wohl noch ungebundenes Buch in der linken Hand haltend, in dem ihr Zeigefinger steckt.

Lesbar wird das als Beschreibung unterschiedlicher gesellschaftlicher Rollen, nicht zuletzt bildungsgeschichtlich, wobei der Schauerroman von beider Onkel Walpole, "The Castle of Otranto", seine Rolle haben könnte, der 1764 zunächst anonym erschien. Dass endlich Maria, die einst Mutter Gottes sein wird, als Leserin eine Sonderposition einnimmt, lässt Schneider in seinem kleinen Panoptikum nicht aus: Diese Lesende sei verwandelt und könne nicht so weiterleben wie bisher. Francisco de Zurbarán lässt auf seinem zauberischen Gemälde "Die Jungfrau Maria als schlafendes Mädchen" ungeachtet der physiologischen Überwältigung dennoch die kleine Hand zwischen den Seiten des gewichtigen Buchs verweilen, in dem ihre Zukunft geschrieben steht.

So ist es mit dem Akt des Lesens, bei dem die Bücher mit einem machen können, was sich eine Transformation nennen lässt. Im Abschnitt "Über Lesen und Haptik" zitiert Schneider Roland Barthes' Satz aus dem Essay "Über das Lesen": Die Lektüre sei eine körperliche Geste, denn man lese nun einmal mit seinem Körper, sie setze und verändere aber zugleich dessen Ordnung. So könne der Finger im Buch, folgert Schneider, heute zur "Sehnsuchtsgeste in Richtung buchgebundener Literatur" werden. In Richtung einer Nähe vielleicht überhaupt, wo physische Distanzierung herrscht, ließe sich hinzufügen.

Schneider beschenkt uns mit kleinen gelehrten Erzählungen. Wer ihnen folgt, wird das eine oder andere Mal selbst seinen Finger in dieses Buch stecken - das übrigens dankenswerterweise einen flexiblen Umschlag hat, mithin bei der Lektüre nicht so leicht entgleitet -, um nachzusinnen. Doch nach dem "Gelesenhaben" des geistvollen Breviers, das gerade im Piet Meyer Verlag erschienen ist, holen wir einen eigenen Liebling zum Thema aus der Ansichtskartensammlung hervor: El Grecos "Fray Hortensio Félix Paravicino", das Bildnis des spanischen Trinitariermönchs, Dichters und engen Freunds des Künstlers.

Wohin dieser schönäugig schaut, gleich zwei seiner überschlanken Finger in zwei Bücher steckend, soll uns ein Rätsel bleiben. Ulrich Johannes Schneider wird ihn kennen, ihm sein Geheimnis lassend, denn: "In solchen Augenblicken der Unterbrechung ist das Lesen ganz bei sich, gewissermaßen auf dem Höhepunkt einer körperlich gewordenen Verbindung von Buch und Finger, einer Verkoppelung von Text und Individuum." Schließlich gehören das Lesen und die Erotik schon immer untrennbar zusammen.

ROSE-MARIA GROPP

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Arno Widmann lernt mit dem Philososophiehistoriker Ulrich Johannes Schneider, mit dem Finger im Buch zu lesen, genauer erörtert und fantasiert der Autor über dreißig Gemälde, auf denen jemand den Finger im Buch stecken hat. Widmann ist hin und weg - von der schönen Aufmachung des Buches wie von Schneiders inspirierenden Überlegungen zum Lesen und zur Kunst. Etwa zur Maria mit Kind von Raffael oder Foschis Lesender von 1535. Auf die autoerotische Komponente des Fingers im Buch kommt Widmann schließlich von allein. Lesen Sie selbst.

© Perlentaucher Medien GmbH