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Glenn W. Most, einer der weltweit führenden Klassischen Philologen, stellt eine Glaubensfrage: Hat der ungläubige Thomas den Finger in die Wundmale Jesu gelegt oder nicht? Mosts ebenso vielschichtige wie geistvolle Analyse der in diesem Kontext interessanten Stellen der Evangelien und anderer theologisch bedeutender Schriften ist ein intellektueller Genuß - und führt zu einem überraschenden Ergebnis. Die Geschichte aus dem Johannes-Evangelium ist bekannt: Als Jesus nach seiner Auferstehung den Jüngern das erste Mal erscheint, fehlt Thomas, und als die anderen ihm erzählen, daß sie den Herrn…mehr

Produktbeschreibung
Glenn W. Most, einer der weltweit führenden Klassischen Philologen, stellt eine Glaubensfrage: Hat der ungläubige Thomas den Finger in die Wundmale Jesu gelegt oder nicht? Mosts ebenso vielschichtige wie geistvolle Analyse der in diesem Kontext interessanten Stellen der Evangelien und anderer theologisch bedeutender Schriften ist ein intellektueller Genuß - und führt zu einem überraschenden Ergebnis. Die Geschichte aus dem Johannes-Evangelium ist bekannt: Als Jesus nach seiner Auferstehung den Jüngern das erste Mal erscheint, fehlt Thomas, und als die anderen ihm erzählen, daß sie den Herrn gesehen haben, erwidert der: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben. Acht Tage später erscheint Jesus neuerlich seinen Jüngern, und diesmal ist Thomas zugegen, und er fordert den Zweifelnden auf, seine Hand in das Wundmal in seiner Seite zu legen und fortan zu glauben.
Ob Thomas der Aufforderung Jesu gefolgt ist oder nicht, wirft eine ganze Reihe von Fragen auf - darunter jene nach dem Verhältnis von Sehen und Glauben, aber auch die nach der Leiblichkeit des auferstandenen Heilands. So ist es nicht verwunderlich, daß diese Stelle in der Heiligen Schrift seit fast zweitausend Jahren Gegenstand zahlreicher theologischer Überlegungen ist. Glenn Most hat sie intensiv studiert, sie in seinem geistvollen, in hohem Maße anregenden Buch zusammengefaßt, und er scheut sich auch nicht, ein klares Ergebnis zu formulieren. Zudem erforscht Most die Rezeption der Thomas-Geschichte in der Malerei, in deren Zentrum er das verstörend realistische Meisterwerk Caravaggios rückt. So ist ein wunderbares Buch entstanden - über den Zweifel, den Glauben und die Kunst.
Autorenporträt
Kurt Neff, geboren 1940, lebt bei Tübingen. Er arbeitete mit an der Edition des Briefwechsels von Johann Georg Hamann und am "Kafka-Handbuch", edierte Texte zur Theorie des modernen Romans und zum Phänomen des Tanzes und übersetzte aus dem Englischen u. a. kulturhistorische Werke über die Maya, das frühe Christentum und Europa im Mittelalter.

Glenn W. Most, Prof. Dr. Dr., geboren 1952, lehrt Graecistik am Institut für klassische Philologie der Universität Heidelberg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.2007

Hat er oder hat er nicht?
Dieses Buch legt den Finger in die Wunde: Glenn W. Most mustert das Motiv des ungläubigen Thomas in der Kulturgeschichte

Man sieht ihn vor sich, den ungläubigen Thomas, wie er seine Finger in die Seitenwunde Christi steckt und durch diese tabulose Geste zum Glauben daran gebracht wird, wirklich den auferstandenen Heiland vor sich zu haben. So hat Caravaggio ihn in seinem berühmten Bild dargestellt, das die Berührung zur Penetration steigert: Geht Christus dort doch so weit, dass er die Hand des Zweiflers selbst tief in die Wunde einführt. Doch entspricht diese Vorstellung der Erzählung im Johannes-Evangelium?

Dort steht lediglich geschrieben, dass Thomas vom auferstandenen Jesus aufgefordert wird, seine Hand in dessen verwundete Seite zu legen, um zum Glauben zu finden. Aber nirgendwo steht geschrieben, dass Thomas dieser Aufforderung auch nachgekommen wäre. Offenbar reichte schon Jesu bloßes Angebot, die Wundmale berühren zu können, um Thomas sprechen zu lassen: "Mein Herr und mein Gott!" So gesehen hat der liebgewordene kulturgeschichtlich Mythos vom ungläubigen Thomas, der wie bei Caravaggio seine Finger in Jesu Wunden legt, keine Grundlage. Das ist das ernüchternde Fazit, das der Altphilologe Glenn W. Most in seinem lesenswerten Buch zieht.

Strategisch geschickt verfährt Most in seiner Argumentation, indem er zuerst die entsprechenden Berichte der Synoptiker von den Geschehnissen nach Christi Tod untersucht, dann den Johannes-Text selbst, um schließlich das Thomas-Motiv in seiner rhetorisch-kommunikativen, literarischen und psychologischen Funktion durch die neutestamentlichen Apokryphen über die Kirchenväter bis zur Gegenreformation zu verfolgen und abschließend Thomas-Darstellungen in ausgewählten Beispielen der bildenden Kunst zu präsentieren.

Die glaubensstiftende Funktion der Erzählung von den Ereignissen nach dem Kreuzestod Christi ist evident: Es geht um autoritative Berichte vom Wunder der Auferstehung, der zentralen und verbindenden Heilsbotschaft christlichen Glaubens. Rhetorisch wird diese bei den Synoptikern in unterschiedlicher Weise instrumentiert. Es sei hier nur auf Lukas verwiesen, der in seinem Text eine ganze Kaskade mehrstufiger Zweifel an der Auferstehung durchläuft, um die Gewissheit am Ende umso strahlender proklamieren zu können. Most charakterisiert Lukas als einen Autor "mit dem eines Polizeibeamten würdigen Glauben an den Wahrheitsbeweis mittels einer protokollarisch erfassten Zeugenschaft" und verfolgt diese immer neuen Anläufe der Zweifelsüberwindung mit detektivischem Elan: Erst sind es Frauen, dann Männer, die vom leeren Grab berichten (was auf gendermäßig abgestufte Glaubwürdigkeit hindeutet); Petrus als herausgehobene Autorität in der Jüngerschar wird bemüht; als dies auch nichts hilft, muss Christus selbst erscheinen; er wird zuerst zweifelnd betrachtet und bietet daraufhin den Jüngern an, ihn zu betasten; doch wahrhaft überzeugend wirkt er erst, als er ein Stück gebratenen Fisch isst, was körperlose Gespenster gemeinhin nicht tun.

Johannes spitzt die Argumentation mit Hilfe zweier rhetorischer Kunstgriffe weiter zu: Als erster führt er Thomas als Protagonisten in die Geschichte ein, und er konstruiert in Maria Magdalena eine wichtige Kontrastfigur. Dadurch, dass Christus ihr nämlich in der bekannten und ebenfalls unzählige Male abgebildeten Noli-me-tangere-Szene die Berührung ausdrücklich untersagt, wirkt die spätere Berührungsforderung des Thomas umso drastischer. Bezeichnenderweise tritt dieser seinen literarischen Siegeszug in den nichtkanonisierten neutestamentlichen Apokryphen an, in dem Schrifttum, das von der sich langsam institutionalisierenden Kirche marginalisiert wurde, da er offensichtlich als Figur mit beträchtlichem unorthodoxem und unkanonischem Potential rezipiert wurde.

An der Frage "Hat er oder hat er nicht?" schieden sich in den folgenden Jahrtausenden die Geister. Mosts Spurensuche nach den Transformationen des Johanneischen Thomas, die sich streckenweise wie ein Krimi liest, kann hier nicht im einzelnen nachvollzogen werden. Einige Hinweise mögen genügen, um die immer wieder neue Brisanz der Thomas-Deutungen zu illustrieren: In Texten, die von der Gnosis geprägt sind, hat Thomas Christus nicht berührt. Er wird in dieser Überlieferungstradition zu einer Mittlerfigur mit exklusiv-esoterischem Wissen, das allein ihm unmittelbar von Christus offenbart worden ist. Und er mutiert weiterhin zum Missionar Indiens.

Eine ganz andere Position nimmt Thomas in einem konträren und letztlich dominanten Motivstrang ein: Von den Kirchenvätern bis zur Gegenreformation muss er Christus unbedingt berührt haben, da die Berührungsfrage sich in dem Moment zu einer prekären Glaubensfrage universalen Ausmaßes wandelt, in dem die Thomas-Episode argumentativ in die Frage nach der leiblichen Auferstehung Christi eingebunden wird. War die Auferstehung des Heilands eine des Leibes oder "nur" eine des Geistes? Leibliche Integrität und wiedererkennbare Identität sind für die meisten Gläubigen die Voraussetzung, um der Vorstellung vom ewigen Leben etwas abgewinnen zu können. Um Most zu paraphrasieren: Was habe ich von der ganzen Auferstehung, wenn ich meinen lieben Onkel Wolfgang nicht wieder in die Arme schließen kann? Und wie soll ich ihn erkennen, wenn er nicht mehr diese kleine Narbe am Kinn hat, die ihm von einer Jugendprügelei zurückblieb?

Mosts Buch ist ein Meisterstück des subtilen Umgangs mit Texten, der behutsamen Erschließung latenter Sinngehalte, der Entschlüsselung von Motivtransformationen und Intertextualitäten, des Abtastens alternativer Deutungsmöglichkeiten. Offensiv wird hier ein transdisziplinärer Ansatz vertreten, der nicht als Sahnehäubchen das harte Brot der disziplinären Kärrnerarbeit garniert, sondern zu Recht als unverzichtbares Instrument für die Erschließung kultureller Phänomene und damit als einzig dem Gegenstand angemessene Arbeitsweise postuliert wird. Die Kritik mangelnder Tiefe im Einzelfall, die Most zweifellos aus dem Lager ängstlicher Abgrenzer und fachlicher Schrebergärtner zuteil werden wird, antizipiert er mit einer charmant-ironischen Entschuldigung beim Leser gleich zu Beginn.

Und auch wenn im kunsthistorischen Teil des Buches seine Vorstellungen von Stilentwicklung durch Auftraggeberlaunen in der Tat etwas zu blauäugig sind, sein Bildbegriff bisweilen allzu sehr im Sinne kirchlicher Propaganda daherkommt oder er leicht veraltete Vorstellungen von der unmittelbaren Aussagekraft von Bildern kultiviert, so ändert dies weder etwas an der Überzeugungskraft seiner äußerst gelungenen Einzelinterpretationen (vor allem der Caravaggio-Bilder) noch an dem unbestreitbaren Verdienst des gesamten Buches.

CHRISTINE TAUBER

Glenn W. Most: "Der Finger in der Wunde". Die Geschichte des ungläubigen Thomas. C. H. Beck Verlag, München 2007. 304 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Findet Rezensentin Christine Tauber das Fazit des Buches auch ernüchternd, des Autors Weg dahin bekränzt sie mit Lorbeer. Tauber folgt Glenn W. Most bei seiner "geschickten" Argumentation - über die Untersuchung des Johannes-Texts, die Berichte der Synoptiker, die Thomas-Darstellungen in der bildenden Kunst und weiter. Die kriminalistische Ader des Autors macht ihr die bloße "glaubensstiftende Funktion" des Thomas-Mythos' einmal mehr evident. Spannend ist das, mehr will sie dazu gar nicht schreiben. Lieber den Autor als rackernden Meister subtiler, transdisziplinärer Texterschließung feiern. Die paar Seichtheiten und Blauäugigkeiten (in Sachen Kirchenpropaganda etwa) vergibt sie Most gerne. Lesen!

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