»Eine unverzichtbare Autorität in der kulturellen und politischen Szene der Türkei« Orhan Pamuk
Als Mustafa beim Fischen ein kleines Baby entdeckt, das von einem der vielen Flüchtlingsboote in der Ägäis stammt, ändert sich für ihn und seine Frau Mesude alles. Statt das Kind den Behörden zu übergeben, versteckt Mustafa es. Doch was, wenn die Mutter des Kindes noch lebt? Ein Roman von großer emotionaler Wucht über Elternschaft unter existenziellen Umständen.
Mustafa und Mesude leben in einem kleinen Dorf in der Ägäis vom Fischfang. Seit ihr kleiner Sohn Deniz ertrunken ist, zeigt sich das Glück nur noch selten. Doch als Mustafa eines Morgens aufs Meer hinausfährt, sieht er die Leichen von zwei Menschen, die auf dem Seeweg nach Europa umgekommen sind, und er rettet ein lebendes Baby aus einem kleinen Schlauchboot. Mustafa und Mesude wissen, dass sie das Kind offiziell melden müssen, doch vor allem Mustafa versucht alles, um das Baby behalten zu können. Eindrücklich und poetisch erzählt Zülfü Livaneli meisterhaft von einem menschlichen Drama und davon, was elterliche Liebe wirklich bedeutet.
»Zülfü Livaneli ist ein türkisches Universalgenie, das zu den wichtigsten Stimmen seines Landes zählt. Er ist zugleich Literat, Dichter und Musiker. Poesie bringt er in die Musik, vielfarbige Töne und Klänge in seine Bücher. Mit eleganter Leichtigkeit schlägt er große Bögen, etwa von Hannibal zu Hemingway. Sein neuestes Buch in Deutsch vorliegen zu haben, ist ein großes Glück.« Claudia Roth
Als Mustafa beim Fischen ein kleines Baby entdeckt, das von einem der vielen Flüchtlingsboote in der Ägäis stammt, ändert sich für ihn und seine Frau Mesude alles. Statt das Kind den Behörden zu übergeben, versteckt Mustafa es. Doch was, wenn die Mutter des Kindes noch lebt? Ein Roman von großer emotionaler Wucht über Elternschaft unter existenziellen Umständen.
Mustafa und Mesude leben in einem kleinen Dorf in der Ägäis vom Fischfang. Seit ihr kleiner Sohn Deniz ertrunken ist, zeigt sich das Glück nur noch selten. Doch als Mustafa eines Morgens aufs Meer hinausfährt, sieht er die Leichen von zwei Menschen, die auf dem Seeweg nach Europa umgekommen sind, und er rettet ein lebendes Baby aus einem kleinen Schlauchboot. Mustafa und Mesude wissen, dass sie das Kind offiziell melden müssen, doch vor allem Mustafa versucht alles, um das Baby behalten zu können. Eindrücklich und poetisch erzählt Zülfü Livaneli meisterhaft von einem menschlichen Drama und davon, was elterliche Liebe wirklich bedeutet.
»Zülfü Livaneli ist ein türkisches Universalgenie, das zu den wichtigsten Stimmen seines Landes zählt. Er ist zugleich Literat, Dichter und Musiker. Poesie bringt er in die Musik, vielfarbige Töne und Klänge in seine Bücher. Mit eleganter Leichtigkeit schlägt er große Bögen, etwa von Hannibal zu Hemingway. Sein neuestes Buch in Deutsch vorliegen zu haben, ist ein großes Glück.« Claudia Roth
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Den Autor Zülfü Livaneli kennt Rezensent Rainer Hermann als einen mutigen Menschenrechtsaktivisten, der eine bewegte, von Widerstand gegen diktatorische Regimes geprägte Geschichte hinter sich hat. Das merkt Hermann auch dem neusten Roman an, der einen Fischer in den Mittelpunkt der Handlung stellt. Dieser finde nicht nur Fische und auf der Flucht ertrunkene Flüchtlinge im Meer, sondern eines Tages auch ein noch lebendes Baby, das er heimlich mit seiner Frau aufziehen möchte, fast wie einen Ersatz für den eigenen Sohn, der im Meer ertrunken ist. Die Heimlichkeiten gehen nicht lange gut, verrät Hermann, Fischer Mustafa kommt ins Gefängnis und lernt dort einen Schlepper kenn, der ihm sein Geschäft und die Politik, die es ermöglicht, erklärt - der Autor wird dabei nie anklagend, lobt der Kritiker anerkennend, zeigt aber doch ganz genau, wie Humanität aussehen sollte und vielleicht auch aussehen kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.05.2023Wunder gibt
es nicht
Der neue Roman des türkischen Autors Zülfü Livaneli
Der Anfang ist biblisch. Ein Kind treibt in einem winzigen Schlauchboot übers Meer, begleitet von einem Delfin. „Yunus“ ist das türkische Wort für Delfin, Yunus aber ist auch Jonas, der Prophet, der von einem Wal verschluckt und so vor dem Ertrinken gerettet wird. In der Erzählung des türkischen Autors Zülfü Livaneli treibt der Delfin das planschbeckengroße Plastikboot einem Fischer zu, der rettet das Kind aus den Wellen. Der Fischer Mustafa findet auch zwei Leichen im Wasser. Die Toten übergibt er der Küstenwache, wo sie die Ertrunkenen einsammeln, routiniert, alles nach Protokoll. Gekenterte Migrantenboote gehören zum Alltag an der Ägäis-Küste.
Das erst wenige Wochen alte Baby versteckt Mustafa, der junge Fischer, auf seinem Boot, dann bringt er es nach Hause zu seiner Frau Mesude. Er überredet Mesude, die Widerstrebende, den Säugling zu behalten, in einer Mischung aus Beschützerinstinkt und verrücktem Glücksempfinden. Denn Mustafa sieht in dem Kind ein „Gottesgeschenk“. Er hat vor nicht langer Zeit seinen eigenen siebenjährigen Sohn verloren, in einem Sturm, an das Meer.
Damit beginnt der neue Roman „Der Fischer und der Sohn“ des türkischen Erfolgsautors, Musikers und Regisseurs Livaneli. Der ist dafür bekannt, dass er mit seinen Büchern und Filmen die Aufmerksamkeit dorthin richtet, wo es wehtut. Livaneli schrieb über den so gut wie vergessenen Untergang des Flüchtlingsschiffes Struma 1942 vor der Küste Istanbuls mit fast 800 Juden an Bord, über die Unkultur der Ehrenmorde und die Verbrechen des IS an den Jesiden. Trotz der Themenschwere tat er das meist im Stil spannend erzählter Unterhaltungsliteratur, in einfacher schnörkelloser Sprache. Der Autor erreicht damit regelmäßig hohe Auflagen in der Türkei und in zahlreichen Übersetzungen auch im Ausland. Livaneli, geboren 1946 in der zentralanatolischen Provinz Konya, gilt zudem als eine Art republikanisches Gewissen seines Landes, er ist ein wortreicher Vertreter einer strikt säkularen Türkei. Ein paar Jahre saß er sogar für die größte Oppositionspartei, die CHP, im Parlament.
Nun hat sich Livaneli ein Thema vorgenommen, mit dem er weder bei der konservativ-islamischen Erdoğan-Regierung, der womöglich Mitte Mai ihr Ende bevorsteht, noch bei der Opposition Beifall finden dürfte: die Dauermigrationskrise und ihre Opfer. Präsident Recep Tayyip Erdoğan war lange stolz darauf, wie gut die Türkei die Aufnahme von mehr als vier Millionen Flüchtlingen, die meisten davon Syrer, bewältige. Allein die Zahlen sind weltweiter Rekord. Immer wieder drohte Erdoğan aber auch der EU damit, den Grenzschutz einzustellen und die Flüchtlinge nach Europa weiterzuschicken. Die oppositionelle CHP aber, die den Präsidenten bei den Wahlen am 14. Mai, bildlich gesprochen, am liebsten in die Wüste schicken würde, hat ihn in der Flüchtlingsfrage längst an Schärfe übertroffen. Ihr populäres Wahlversprechen lautet: alle Flüchtlinge innerhalb von zwei Jahren in ihre Heimatländer abzuschieben. Ob ins zerstörte Syrien oder in das von den Taliban beherrschte Afghanistan. Egal. Abschiebungen nach Kabul hat Ankara ohnehin nie länger ausgesetzt.
Mustafa erfährt davon aus erster Hand, von einem Schlepper, und ist entsetzt. Sein Findelkind geht ihm nicht aus dem Kopf. Mesude und er haben es inzwischen Deniz genannt. „Deniz“, wie das türkische Wort für Meer, und wie der im Meer ertrunkene Sohn des Paares. Auf den Menschenschlepper trifft Mustafa in einer Gefängniszelle, denn es kommt, wie es kommen muss. Die „Kindsentziehung“ ist eine Straftat, das Baby mit der olivfarbenen Haut lässt sich in einem geschwätzigen türkischen Dorf nicht dauerhaft verbergen. Polizei und Staatsanwaltschaft bringen den einfachen, wortkargen Fischer an den Rand des Nervenzusammenbruchs.
Livaneli reißt in dem Roman auf knapp 200 Seiten noch eine Reihe anderer Krisenthemen der Türkei an: die Umweltzerstörungen durch Minenkonzerne, die Megahotels an den Küsten. Die Überfischung der Ägäis. Das illegale Bauen, das für den Tod so vieler Menschen in den Erdbebengebieten mitverantwortlich ist. Und eben die Flüchtlinge, mit denen auch ein „riesiges internationales Geschäft“ gemacht wird, wie der Schlepper in der Geschichte erzählt. „Die aus Afrika werden zunächst immer in den Iran gebracht … auch Kriegsflüchtlinge aus Ländern wie Afghanistan oder Pakistan kommen über den Iran.“ So redet der Menschenhändler. Die Türkei hat entlang der Grenze zu Iran inzwischen eine lange Mauer gebaut. Aber es gibt immer noch Wege. Tagelang marschierten die Geflüchteten über die Berge, sagt der Schlepper. „Viele verirren sich in den Bergen. Die meisten werden von Wölfen gefressen oder erfrieren.“ Auch das dürfte stimmen. Livaneli recherchiert für seine Bücher stets in der realen Welt. Dass die Boote überladen werden, dass griechische Küstenwächter sie nicht selten in türkische Gewässer zurückdrängen – all das lässt sich auch in Berichten von Menschenrechtsorganisationen nachlesen.
Für einen schmalen Roman ist das viel Stoff. Immer wieder aber findet der Autor zu seiner Geschichte zurück, dem Gewissenskonflikt des Fischerpaares, zwischen Gesetz und Emotion, Behördenangst und Menschlichkeit. Streckenweise verdichtet sich das Ganze zum Krimi.
Mit den Tücken des Meeres kennt sich Livaneli aus. Im Vorwort erzählt er, wie er als Jugendlicher die Bücher von Hemingway verschlang, „Der alte Mann und das Meer“ las er immer wieder. Zülfü riss von zu Hause aus, schlug sich in einen Hafen durch und lernte von einem Fischer den Umgang mit Netzen und Angeln. Bis ihn das Schuldgefühl nach Hause zurücktrieb.
So wie bei Hemingway der Fischer Santiago in einem epischen Zweikampf mit einem gewaltigen Marlin ringt, bis er ihn tötet, so tritt dem Fischer Mustafa immer wieder die Allmacht der Natur entgegen. Aber Livaneli nimmt nicht nur literarische, sondern auch historische Anleihen. Mesude und Mustafa bewegt, wie bei Livaneli meist, ein altes Trauma. In diesem Fall ist es die Erinnerung an den erzwungenen Bevölkerungsaustausch zwischen der Türkei und Griechenland, vor genau 100 Jahren, die Zwangsumsiedlung von mindestens 1,6 Millionen Menschen, mit der 1923 der griechisch-türkische Krieg endete. Mesudes Großeltern wurden damals aus Kreta vertrieben, dasselbe geschah den kleinasiatischen Griechen aus der Türkei. Geblieben ist aus solchen die Ägäis überspannenden Familiengeschichten oft ein Verständnis für die Nöte von Menschen auf der Flucht. Noch vor der deutschen Übersetzung des Romans ist Anfang des Jahres die griechische erschienen. Livaneli ist auch in Griechenland ein geschätzter Autor. Als Musiker praktizierte er früh türkisch-griechische Harmonie, in Auftritten mit dem großen Griechen Mikis Theodorakis.
Livaneli hat einen zeitgemäßen, anrührenden Roman geschrieben. Wunder gibt es darin nicht. Das Ende der Geschichte ist dann zwar überraschend, aber mythenfrei.
CHRISTIANE SCHLÖTZER
Livaneli hat einen
zeitgemäßen, anrührenden
Roman geschrieben
Zülfü Livaneli: Der
Fischer und der Sohn. Roman. Aus dem
Türkischen von Johannes Neuner. Klett-Cotta, Stuttgart 2023. 190
Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
es nicht
Der neue Roman des türkischen Autors Zülfü Livaneli
Der Anfang ist biblisch. Ein Kind treibt in einem winzigen Schlauchboot übers Meer, begleitet von einem Delfin. „Yunus“ ist das türkische Wort für Delfin, Yunus aber ist auch Jonas, der Prophet, der von einem Wal verschluckt und so vor dem Ertrinken gerettet wird. In der Erzählung des türkischen Autors Zülfü Livaneli treibt der Delfin das planschbeckengroße Plastikboot einem Fischer zu, der rettet das Kind aus den Wellen. Der Fischer Mustafa findet auch zwei Leichen im Wasser. Die Toten übergibt er der Küstenwache, wo sie die Ertrunkenen einsammeln, routiniert, alles nach Protokoll. Gekenterte Migrantenboote gehören zum Alltag an der Ägäis-Küste.
Das erst wenige Wochen alte Baby versteckt Mustafa, der junge Fischer, auf seinem Boot, dann bringt er es nach Hause zu seiner Frau Mesude. Er überredet Mesude, die Widerstrebende, den Säugling zu behalten, in einer Mischung aus Beschützerinstinkt und verrücktem Glücksempfinden. Denn Mustafa sieht in dem Kind ein „Gottesgeschenk“. Er hat vor nicht langer Zeit seinen eigenen siebenjährigen Sohn verloren, in einem Sturm, an das Meer.
Damit beginnt der neue Roman „Der Fischer und der Sohn“ des türkischen Erfolgsautors, Musikers und Regisseurs Livaneli. Der ist dafür bekannt, dass er mit seinen Büchern und Filmen die Aufmerksamkeit dorthin richtet, wo es wehtut. Livaneli schrieb über den so gut wie vergessenen Untergang des Flüchtlingsschiffes Struma 1942 vor der Küste Istanbuls mit fast 800 Juden an Bord, über die Unkultur der Ehrenmorde und die Verbrechen des IS an den Jesiden. Trotz der Themenschwere tat er das meist im Stil spannend erzählter Unterhaltungsliteratur, in einfacher schnörkelloser Sprache. Der Autor erreicht damit regelmäßig hohe Auflagen in der Türkei und in zahlreichen Übersetzungen auch im Ausland. Livaneli, geboren 1946 in der zentralanatolischen Provinz Konya, gilt zudem als eine Art republikanisches Gewissen seines Landes, er ist ein wortreicher Vertreter einer strikt säkularen Türkei. Ein paar Jahre saß er sogar für die größte Oppositionspartei, die CHP, im Parlament.
Nun hat sich Livaneli ein Thema vorgenommen, mit dem er weder bei der konservativ-islamischen Erdoğan-Regierung, der womöglich Mitte Mai ihr Ende bevorsteht, noch bei der Opposition Beifall finden dürfte: die Dauermigrationskrise und ihre Opfer. Präsident Recep Tayyip Erdoğan war lange stolz darauf, wie gut die Türkei die Aufnahme von mehr als vier Millionen Flüchtlingen, die meisten davon Syrer, bewältige. Allein die Zahlen sind weltweiter Rekord. Immer wieder drohte Erdoğan aber auch der EU damit, den Grenzschutz einzustellen und die Flüchtlinge nach Europa weiterzuschicken. Die oppositionelle CHP aber, die den Präsidenten bei den Wahlen am 14. Mai, bildlich gesprochen, am liebsten in die Wüste schicken würde, hat ihn in der Flüchtlingsfrage längst an Schärfe übertroffen. Ihr populäres Wahlversprechen lautet: alle Flüchtlinge innerhalb von zwei Jahren in ihre Heimatländer abzuschieben. Ob ins zerstörte Syrien oder in das von den Taliban beherrschte Afghanistan. Egal. Abschiebungen nach Kabul hat Ankara ohnehin nie länger ausgesetzt.
Mustafa erfährt davon aus erster Hand, von einem Schlepper, und ist entsetzt. Sein Findelkind geht ihm nicht aus dem Kopf. Mesude und er haben es inzwischen Deniz genannt. „Deniz“, wie das türkische Wort für Meer, und wie der im Meer ertrunkene Sohn des Paares. Auf den Menschenschlepper trifft Mustafa in einer Gefängniszelle, denn es kommt, wie es kommen muss. Die „Kindsentziehung“ ist eine Straftat, das Baby mit der olivfarbenen Haut lässt sich in einem geschwätzigen türkischen Dorf nicht dauerhaft verbergen. Polizei und Staatsanwaltschaft bringen den einfachen, wortkargen Fischer an den Rand des Nervenzusammenbruchs.
Livaneli reißt in dem Roman auf knapp 200 Seiten noch eine Reihe anderer Krisenthemen der Türkei an: die Umweltzerstörungen durch Minenkonzerne, die Megahotels an den Küsten. Die Überfischung der Ägäis. Das illegale Bauen, das für den Tod so vieler Menschen in den Erdbebengebieten mitverantwortlich ist. Und eben die Flüchtlinge, mit denen auch ein „riesiges internationales Geschäft“ gemacht wird, wie der Schlepper in der Geschichte erzählt. „Die aus Afrika werden zunächst immer in den Iran gebracht … auch Kriegsflüchtlinge aus Ländern wie Afghanistan oder Pakistan kommen über den Iran.“ So redet der Menschenhändler. Die Türkei hat entlang der Grenze zu Iran inzwischen eine lange Mauer gebaut. Aber es gibt immer noch Wege. Tagelang marschierten die Geflüchteten über die Berge, sagt der Schlepper. „Viele verirren sich in den Bergen. Die meisten werden von Wölfen gefressen oder erfrieren.“ Auch das dürfte stimmen. Livaneli recherchiert für seine Bücher stets in der realen Welt. Dass die Boote überladen werden, dass griechische Küstenwächter sie nicht selten in türkische Gewässer zurückdrängen – all das lässt sich auch in Berichten von Menschenrechtsorganisationen nachlesen.
Für einen schmalen Roman ist das viel Stoff. Immer wieder aber findet der Autor zu seiner Geschichte zurück, dem Gewissenskonflikt des Fischerpaares, zwischen Gesetz und Emotion, Behördenangst und Menschlichkeit. Streckenweise verdichtet sich das Ganze zum Krimi.
Mit den Tücken des Meeres kennt sich Livaneli aus. Im Vorwort erzählt er, wie er als Jugendlicher die Bücher von Hemingway verschlang, „Der alte Mann und das Meer“ las er immer wieder. Zülfü riss von zu Hause aus, schlug sich in einen Hafen durch und lernte von einem Fischer den Umgang mit Netzen und Angeln. Bis ihn das Schuldgefühl nach Hause zurücktrieb.
So wie bei Hemingway der Fischer Santiago in einem epischen Zweikampf mit einem gewaltigen Marlin ringt, bis er ihn tötet, so tritt dem Fischer Mustafa immer wieder die Allmacht der Natur entgegen. Aber Livaneli nimmt nicht nur literarische, sondern auch historische Anleihen. Mesude und Mustafa bewegt, wie bei Livaneli meist, ein altes Trauma. In diesem Fall ist es die Erinnerung an den erzwungenen Bevölkerungsaustausch zwischen der Türkei und Griechenland, vor genau 100 Jahren, die Zwangsumsiedlung von mindestens 1,6 Millionen Menschen, mit der 1923 der griechisch-türkische Krieg endete. Mesudes Großeltern wurden damals aus Kreta vertrieben, dasselbe geschah den kleinasiatischen Griechen aus der Türkei. Geblieben ist aus solchen die Ägäis überspannenden Familiengeschichten oft ein Verständnis für die Nöte von Menschen auf der Flucht. Noch vor der deutschen Übersetzung des Romans ist Anfang des Jahres die griechische erschienen. Livaneli ist auch in Griechenland ein geschätzter Autor. Als Musiker praktizierte er früh türkisch-griechische Harmonie, in Auftritten mit dem großen Griechen Mikis Theodorakis.
Livaneli hat einen zeitgemäßen, anrührenden Roman geschrieben. Wunder gibt es darin nicht. Das Ende der Geschichte ist dann zwar überraschend, aber mythenfrei.
CHRISTIANE SCHLÖTZER
Livaneli hat einen
zeitgemäßen, anrührenden
Roman geschrieben
Zülfü Livaneli: Der
Fischer und der Sohn. Roman. Aus dem
Türkischen von Johannes Neuner. Klett-Cotta, Stuttgart 2023. 190
Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.06.2023Das Baby aus dem Schlauchboot
Die Stimme erheben: Der türkische Autor Zülfü Livaneli schreibt im Roman "Der Fischer und der Sohn" über das Drama der Flüchtlinge im Mittelmeer
Nun wird nicht mehr eintreten, auf was Zülfü Livaneli, eine der großen Stimmen der türkischen Kultur, vor den Schicksalswahlen im Mai gehofft hatte. "Wenn es zu einem radikalen Regierungswechsel kommt, werden wir natürlich auch Veränderungen im Kulturbereich erleben", hatte er geschrieben. Dann würde der kreativen Kultur wieder ein Weg geebnet. Wirklichkeit werden dürfte eher wieder ein Bonmot aus früheren Zeiten, bei dem ein Häftling aus der Gefängnisbibliothek ein Buch bestellt und ihm geantwortet wird, das Buch sei nicht da, wohl aber sein Autor.
Viele türkische Intellektuelle und Schriftsteller leben bereits im Exil. Livaneli, geboren 1946, harrt indessen weiter in Istanbul aus. Jahre in der Fremde hat er hinter sich. 1971 steckten ihn die Militärputschisten ins Gefängnis. Abermaligen Verfolgungen entzog er sich durch Aufenthalte in Stockholm und Paris, später in Athen, wo er Freundschaft mit Mikis Theodorakis schloss und sein Einsatz für die türkisch-griechische Aussöhnung begann. 1984 kehrte er, nach einem weiteren Militärputsch, mit einem legendär gewordenen Konzert in die Türkei zurück.
Mit Livanelis Liedern sind Generationen aufgewachsen, als Regisseur wurde er international ausgezeichnet, seine Bücher verarbeiten aktuelle politische Themen. In seinem 2018 erschienenen, aufwühlenden Roman "Unruhe" trifft ein junger Istanbuler Journalist auf junge Jesidinnen, die dem IS entkommen sind. Davor hatten sein Roman "Glückseligkeit" und der Film dazu die Türkei mit der engstirnigen Welt der Ehrenmorde und dem sinnlosen Krieg im Südosten des Landes konfrontiert. Sein Roman "Der Eunuch von Konstantinopel" spielt zwar im 17. Jahrhundert, ist jedoch eine zeitlose Schilderung von Macht und Gewalt in totalitären Systemen.
In seinem jüngsten Roman "Der Fischer und der Sohn", der nun auf Deutsch erschienen ist, steht das Flüchtlingsdrama in der Ägäis zwischen dem türkischen Festland und den griechischen Inseln im Mittelpunkt. Livaneli verlegt den Ort der Handlung in ein Fischerdorf, das nach und nach seine idyllische Ruhe verliert. Es könnte Gümüslük bei Bodrum sein, wo am 2. September 2015 der zweijährige Aylan Kurdi tot an den Strand gespült worden ist. Von dort wären es nur wenige Kilometer bis zu einer der griechischen Inseln Kalymnos oder Kos gewesen.
Der Fischer, das ist der Eigenbrötler Mustafa, der wortkarg ist, seit an einem stürmischen Tag das Meer seinen sieben Jahre alten Sohn Deniz zu sich genommen hatte. Er fährt jeden Morgen auf das Meer hinaus. Einmal erzählt ihm ein Tourist von Ernest Hemingway und dessen Roman "Der alte Mann und das Meer" und wie dieser alte Mann den Kampf um einen riesigen Schwertfisch gegen die Haie verlor. Mustafa erwidert ihm ungerührt, ein guter Fischer könne der nicht gewesen sein. Wenn der Schwertfisch tage- und nächtelang um sein Leben gekämpft hat, dann hätte er die Leine durchschneiden und sagen sollen: "Du hast dir dein Leben verdient, ab zurück ins Meer mit dir."
Eines Morgens findet Mustafa zwei im Meer treibende Leichname. Als er sie an Land bringt, seufzt der diensthabende Unteroffizier: "Das nimmt ja kein Ende. Das Meer ist zur Todeszone geworden." Wenig später hört Mustafa in den Fernsehnachrichten: "Im Mittelmeer haben damit nun mehr als sechzehntausend Migranten ihr Leben verloren."
Der Sohn, das ist ein zwei Monate altes Baby, das Mustafa am selben Morgen wie die beiden Leichen in einem kleinen Schlauchboot findet, das ihm ein Delphin entgegentreibt. Er nimmt es an Bord, versteckt es vor der Dorfbevölkerung und bringt es in sein Haus. Er und seine Frau Mesude nennen es, wie ihren ersten Sohn, Deniz, also Meer. Gemeinsam hecken sie aus, wie sie es behalten können, geraten aber rasch ins Visier der Justiz, nachdem eine afghanische Frau im Krankenhaus aus dem Koma erwacht ist und nach ihrem Baby ruft. Mustafa wird wegen Kindesentführung und Freiheitsberaubung angeklagt.
In der Gefängniszelle lernt Mustafa einen Schlepper kennen, der ihm kühl erklärt, wie sein Wirtschaftszweig funktioniert: "Das ist ein riesiges internationales Geschäft. Es geht um jede Menge Geld." Und es geht um Politik. Es geht darum, dass die türkischen Behörden mal mit den Schleppern zusammenarbeiten und dann wieder nicht. Es geht auch um ziemlich robuste Pushbacks der griechischen Küstenwache.
Auch für diesen Roman hat Livaneli sehr genau recherchiert. Er beschreibt, wie die türkischen Behörden alle Flüchtlinge außer den syrischen, selbst diese Mutter aus Afghanistan, in Rückführungszentren überstellen, von denen sie in ihre Heimat abgeschoben werden. "Sie wird dort mit größter Wahrscheinlichkeit ebenfalls getötet", sagt der Anwalt der verzweifelten Frau. Ebenso wie die Taliban ihren Mann und ihre Eltern und Geschwister getötet haben.
Nie klagt Livaneli direkt an. Der Kämpfer für Menschenrechte lässt aber keinen Zweifel daran, was er für richtig hält und was für inhuman. Er belässt es nicht bei dieser menschlichen Tragödie. Er baut in seinen Roman viel Geschichte ein. So sind Mustafa und Mesude Nachkommen von Muslimen, die im Bevölkerungsaustausch 1923 mit Griechenland von Kreta in die Türkei gebracht worden sind. Die Zwangsumsiedlung ist auch eine Geschichte von Vertreibung aus der Heimat.
Eindringlich beschreibt Livaneli neben der Haupthandlung, wie menschliche Gier das Idyll um das Fischerdorf Schritt für Schritt zerstört. Mit dem Roden der Wälder, dem illegalen Bau großer Hotels, dem Abbau von Gold mittels Zyanid, riesigen Fischfarmen. Dagegen erhebt sich Protest. Studenten ketten sich an Olivenbäume, und der trainierte Taucher Mustafa zerschneidet die Netze einer Fischfarm.
Die Welt, die Livaneli uns nahebringt, hat ihr Gleichgewicht, hat ihre Menschlichkeit verloren. Ermutigend ist, dass Autoren wie er dagegen ihre Stimme erheben. RAINER HERMANN
Zülfü Livaneli: "Der Fischer und der Sohn". Roman.
Aus dem Türkischen von Johannes Neuner. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2023. 190 S., geb.,
20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Stimme erheben: Der türkische Autor Zülfü Livaneli schreibt im Roman "Der Fischer und der Sohn" über das Drama der Flüchtlinge im Mittelmeer
Nun wird nicht mehr eintreten, auf was Zülfü Livaneli, eine der großen Stimmen der türkischen Kultur, vor den Schicksalswahlen im Mai gehofft hatte. "Wenn es zu einem radikalen Regierungswechsel kommt, werden wir natürlich auch Veränderungen im Kulturbereich erleben", hatte er geschrieben. Dann würde der kreativen Kultur wieder ein Weg geebnet. Wirklichkeit werden dürfte eher wieder ein Bonmot aus früheren Zeiten, bei dem ein Häftling aus der Gefängnisbibliothek ein Buch bestellt und ihm geantwortet wird, das Buch sei nicht da, wohl aber sein Autor.
Viele türkische Intellektuelle und Schriftsteller leben bereits im Exil. Livaneli, geboren 1946, harrt indessen weiter in Istanbul aus. Jahre in der Fremde hat er hinter sich. 1971 steckten ihn die Militärputschisten ins Gefängnis. Abermaligen Verfolgungen entzog er sich durch Aufenthalte in Stockholm und Paris, später in Athen, wo er Freundschaft mit Mikis Theodorakis schloss und sein Einsatz für die türkisch-griechische Aussöhnung begann. 1984 kehrte er, nach einem weiteren Militärputsch, mit einem legendär gewordenen Konzert in die Türkei zurück.
Mit Livanelis Liedern sind Generationen aufgewachsen, als Regisseur wurde er international ausgezeichnet, seine Bücher verarbeiten aktuelle politische Themen. In seinem 2018 erschienenen, aufwühlenden Roman "Unruhe" trifft ein junger Istanbuler Journalist auf junge Jesidinnen, die dem IS entkommen sind. Davor hatten sein Roman "Glückseligkeit" und der Film dazu die Türkei mit der engstirnigen Welt der Ehrenmorde und dem sinnlosen Krieg im Südosten des Landes konfrontiert. Sein Roman "Der Eunuch von Konstantinopel" spielt zwar im 17. Jahrhundert, ist jedoch eine zeitlose Schilderung von Macht und Gewalt in totalitären Systemen.
In seinem jüngsten Roman "Der Fischer und der Sohn", der nun auf Deutsch erschienen ist, steht das Flüchtlingsdrama in der Ägäis zwischen dem türkischen Festland und den griechischen Inseln im Mittelpunkt. Livaneli verlegt den Ort der Handlung in ein Fischerdorf, das nach und nach seine idyllische Ruhe verliert. Es könnte Gümüslük bei Bodrum sein, wo am 2. September 2015 der zweijährige Aylan Kurdi tot an den Strand gespült worden ist. Von dort wären es nur wenige Kilometer bis zu einer der griechischen Inseln Kalymnos oder Kos gewesen.
Der Fischer, das ist der Eigenbrötler Mustafa, der wortkarg ist, seit an einem stürmischen Tag das Meer seinen sieben Jahre alten Sohn Deniz zu sich genommen hatte. Er fährt jeden Morgen auf das Meer hinaus. Einmal erzählt ihm ein Tourist von Ernest Hemingway und dessen Roman "Der alte Mann und das Meer" und wie dieser alte Mann den Kampf um einen riesigen Schwertfisch gegen die Haie verlor. Mustafa erwidert ihm ungerührt, ein guter Fischer könne der nicht gewesen sein. Wenn der Schwertfisch tage- und nächtelang um sein Leben gekämpft hat, dann hätte er die Leine durchschneiden und sagen sollen: "Du hast dir dein Leben verdient, ab zurück ins Meer mit dir."
Eines Morgens findet Mustafa zwei im Meer treibende Leichname. Als er sie an Land bringt, seufzt der diensthabende Unteroffizier: "Das nimmt ja kein Ende. Das Meer ist zur Todeszone geworden." Wenig später hört Mustafa in den Fernsehnachrichten: "Im Mittelmeer haben damit nun mehr als sechzehntausend Migranten ihr Leben verloren."
Der Sohn, das ist ein zwei Monate altes Baby, das Mustafa am selben Morgen wie die beiden Leichen in einem kleinen Schlauchboot findet, das ihm ein Delphin entgegentreibt. Er nimmt es an Bord, versteckt es vor der Dorfbevölkerung und bringt es in sein Haus. Er und seine Frau Mesude nennen es, wie ihren ersten Sohn, Deniz, also Meer. Gemeinsam hecken sie aus, wie sie es behalten können, geraten aber rasch ins Visier der Justiz, nachdem eine afghanische Frau im Krankenhaus aus dem Koma erwacht ist und nach ihrem Baby ruft. Mustafa wird wegen Kindesentführung und Freiheitsberaubung angeklagt.
In der Gefängniszelle lernt Mustafa einen Schlepper kennen, der ihm kühl erklärt, wie sein Wirtschaftszweig funktioniert: "Das ist ein riesiges internationales Geschäft. Es geht um jede Menge Geld." Und es geht um Politik. Es geht darum, dass die türkischen Behörden mal mit den Schleppern zusammenarbeiten und dann wieder nicht. Es geht auch um ziemlich robuste Pushbacks der griechischen Küstenwache.
Auch für diesen Roman hat Livaneli sehr genau recherchiert. Er beschreibt, wie die türkischen Behörden alle Flüchtlinge außer den syrischen, selbst diese Mutter aus Afghanistan, in Rückführungszentren überstellen, von denen sie in ihre Heimat abgeschoben werden. "Sie wird dort mit größter Wahrscheinlichkeit ebenfalls getötet", sagt der Anwalt der verzweifelten Frau. Ebenso wie die Taliban ihren Mann und ihre Eltern und Geschwister getötet haben.
Nie klagt Livaneli direkt an. Der Kämpfer für Menschenrechte lässt aber keinen Zweifel daran, was er für richtig hält und was für inhuman. Er belässt es nicht bei dieser menschlichen Tragödie. Er baut in seinen Roman viel Geschichte ein. So sind Mustafa und Mesude Nachkommen von Muslimen, die im Bevölkerungsaustausch 1923 mit Griechenland von Kreta in die Türkei gebracht worden sind. Die Zwangsumsiedlung ist auch eine Geschichte von Vertreibung aus der Heimat.
Eindringlich beschreibt Livaneli neben der Haupthandlung, wie menschliche Gier das Idyll um das Fischerdorf Schritt für Schritt zerstört. Mit dem Roden der Wälder, dem illegalen Bau großer Hotels, dem Abbau von Gold mittels Zyanid, riesigen Fischfarmen. Dagegen erhebt sich Protest. Studenten ketten sich an Olivenbäume, und der trainierte Taucher Mustafa zerschneidet die Netze einer Fischfarm.
Die Welt, die Livaneli uns nahebringt, hat ihr Gleichgewicht, hat ihre Menschlichkeit verloren. Ermutigend ist, dass Autoren wie er dagegen ihre Stimme erheben. RAINER HERMANN
Zülfü Livaneli: "Der Fischer und der Sohn". Roman.
Aus dem Türkischen von Johannes Neuner. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2023. 190 S., geb.,
20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Die Welt, die Livaneli uns nahebringt, hat ihr Gleichgewicht, hat ihre Menschlichkeit verloren. Ermutigend ist, dass Autoren wie er dagegen ihre Stimme erheben.« Rainer Hermann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Juni 2023 Rainer Hermann FAZ 20230615