Ein Schriftsteller bekommt ein geheimes Manuskript zugespielt, das seit Jahren in New Yorker Verlagskreisen zirkuliert, doch keiner wagt sich an die Veröffentlichung; zu brisant und intim sind diese Aufzeichnungen von Clyde Tolson, des zweiten Manns des FBI und Stellvertreters John Edgar Hoovers. Die Geschichte, die darin erzählt wird und die wir lesen, ist atemberaubend: John Edgar Hoover war der gefährlichste Mann der USA, weil er durch seine geheimen Abhöraktionen alles wußte und jeden in der Hand hatte. Hoover, der oberste Mann des Federal Bureau of Investigation prägte ein halbes Jahrhundert von 1924 bis 1972 die amerikanische Geschichte und überlebte in seiner Amtszeit 8 Präsidenten und 18 Justizminister. Seine Polizei- und Geheimdienstorganisation schreckte vor nichts zurück, seine Geheimakten beinhalteten erpresserisches Material über die wichtigsten Persönlichkeiten. Berüchtigt für seine peinlichen Mc Carthy Exzesse, ging er mit der Mafia auffällig zurückhaltend um.Der Roman Marc Dugains widmet sich der faszinierenden Biographie des FBI-Direktors Hoover aus dem Blickwinkel seines engsten Mitarbeiters, und wie wir heute wissen, Lebenspartners Clyde Tolson. Ein ungleiches Paar, das Truman Capote einmal treffend Jonny und Clyde nannte. Dugains Roman über die andere, dunkle Seite der amerikanischen Politik zeichnet ein spannendes Panorama einer bewegten Zeit, eine skandalöse und erschreckende Geschichte über zynische Realpolitik, die Verstrickungen bekannter Politiker wie JF Kennedy mit den Mafiagrößen der Zeit und eines skrupellosen Mannes.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.2007Mutter Hoover war an allem schuld
Antiamerikanismus lassen wir uns gefallen, wenn er geistvoll daherkommt. Doch Marc Dugain lässt in seinem Buch über den FBI-Chef J. Edgar Hoover kein Klischee aus - kein Epochenporträt, ein Pamphlet aus zweiter Hand.
Bei einem ungewöhnlich schlechten Buch stellen sich gleich mehrere Fragen. Warum genau ist es so missraten? Wie hat es einen Verlag gefunden? Und wie einen Übersetzer - in diesem Fall den Schriftsteller Michael Kleeberg, der mit seinen Übersetzungen von Barbey d'Aurevilly und Joris-Karl Huysmans früher einmal bessere Fracht geladen hatte?
Die erste Frage ist leicht zu beantworten. Wer einen Roman schreibt, sollte die Lebenswelt kennen, in der er seine Handlung ansiedelt, er sollte den Ton der Menschen im Ohr haben, die Arten ihres Redens und Schweigens. Ihre Landschaft, ihre Behausungen, ihr Geschmack, ihr Geruch müssen sprechen. Der Romancier muss ein Minimum von Loyalität seinen Figuren gegenüber aufbringen, nicht, um sein Personal weichzuzeichnen oder schönzufärben, sondern um es dem Leser nahezubringen, mag es sich auch hundertmal um Ritter von der traurigen Gestalt oder schlimme Unholde handeln.
Marc Dugain, der einen Roman über den legendären FBI-Chef J. Edgar Hoover geschrieben hat - aber hier stocken wir schon, der Titel des Buches lässt ja die Namensinitiale weg und spricht knapper von "Edgar Hoover" -, Marc Dugain wurde 1957 im Senegal geboren, war im Pariser Investmentgeschäft tätig und lebt heute nach Verlagsinformationen in Marokko. Was befähigt ihn, einen Roman über die Vereinigten Staaten zu schreiben, nein mehr: über das halbe amerikanische Jahrhundert, das Hoovers Amtszeit umfasst? Woher hat er seine Kenntnisse des amerikanischen Lebens? Aus zweiter Hand, so viel ist sicher. Er mag viel über seinen Gegenstand gelesen haben, manches vom Hörensagen kennen, anderes vielleicht aus Wikipedia. Zu einem Amerika-Roman befähigt ihn: nichts.
Aber sehen wir näher hin. Der Prolog entwickelt eine Herausgeberfiktion: Dieser Roman sei gar kein Roman, sondern das nachgelassene Memoirenwerk von Hoovers rechter Hand Clyde Tolson, der Nummer zwei des FBI. "Was wir wollen", erklärt der aus New Orleans angereiste Mann, der das Tolson-Manuskript für einen Spottpreis erwerben will, "ist, eine bestimmte Epoche unserer Geschichte zu untersuchen, in der Paranoia, Schizophrenie, Frauenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus im Schatten unserer ursprünglichen Gründerzeit-Prüderie ihr Unwesen trieben."
Genau darum geht es nun wirklich - wir haben es mit einem Enthüllungswerk zu tun, einer chronique scandaleuse. Im Verlauf der Erzählung werden Hoover der Reihe nach alle im Prolog erwähnten Sünden in den Mund gelegt, primitivste Hetzreden von solcher Art, dass der Leser mehr oder weniger sanft gezwungen wird, sich die linke, im amerikanischen Sprachgebrauch "liberale" Ansicht der Geschichte zu eigen zu machen. Hoover, so will es uns Dugains Roman nahelegen, war ein zu spät psychoanalysiertes Monstrum, ein amerikanischer Dämon, der in seinem Wahn überall Bedrohungen sehen wollte. Ein Kontrollfreak. Ein Feind des Guten, also Pazifistischen.
Tolsons "Erinnerungen", die dem Prolog folgen, beginnen gleich im ersten Satz buchstäblich mit Dreck: "Der Mann, der sich an jenem Abend unserem Tisch näherte und dabei versuchte, hinter seiner massigen Gestalt ein sehr junges Mädchen zu verbergen, strahlte dieselbe Entschlossenheit aus wie ein einzelgängerischer Keiler, der bei Anbruch der Nacht seine Suhle verlässt." Das Bild gibt den Ton vor: Das Schweinische und Geile, der Morast dominieren in Dugains Blick auf die Vereinigten Staaten. Und gegen Ende, in der Ära Nixon, werden wir Zeugen eines gealterten Hoover, der sich in einem privaten Vorführraum "schmutzige Filme" ansieht und der keinen Tag vergehen lässt, ohne über Tolson "einen Kübel Unrat" auszuschütten.
Parallel zu Hoovers wachsender Macht im Staat, seiner Leitung des FBI, die von 1924 bis 1972 dauerte, schildert Dugain den Aufstieg der Familie Kennedy. Auf Joseph "Joe" Kennedy, den Vater des Präsidenten, fällt ein besonders böser Blick - der ältere Kennedy war in den dreißiger Jahren ein Fürsprecher des "Appeasements", folglich auf der falschen Seite. Dann kommen John und Jackie, Bobby, Nixon, die Atomspione, der Senator McCarthy, die Mafia, Oswald, Verschwörungen und Gegenverschwörungen, Hippies, Vietnam. Und Hoover hört immer mit, hört ab. Man kennt den Stoff und die Epoche aus den unvergleichlich höher stehenden Romanen von Gore Vidal, der den Vorteil hat, von einer Klasse zu berichten, der er entstammt und die er kennt wie kein anderer.
Das Rätsel des "Fluchs", so will es der Roman, sei Hoovers ängstlich verschwiegene Homosexualität. Dugains Darstellung folgt dem Gerücht, dass Tolson Hoovers Lebenspartner war. Als Stimme höherer Weisheit tritt gegen Ende ein Psychoanalytiker auf, den Hoover - ach, viel zu spät! - konsultiert. Nach der erwartbaren Kritik an der "vorherrschenden Sexualmoral, die wir von der Kirche geerbt haben", folgt die Diagnose: fehlgeleitete Beziehung zu Mutter Hoover. Oder, professionell gesagt: "Sie sind niemals fähig gewesen, das tatsächliche Geschlecht Ihrer Mutter anzuerkennen . . . In Ihrer Logik ist das andere und begehrte Geschlecht nicht das einer Frau, sondern das Ihrer Mutter, die Sie sich mit einem Penis denken." Versteht sich, dass Hoover auch diesen einsichtsvollen Mann für "subversiv" hält. Dugains Werk, eine Versammlung von Klischees, ist motiviert vom Hass. Zu schmale Grundlage für einen Roman! Und darum ist dieses Buch nicht nur schlecht: Es ist schmutzig.
LORENZ JÄGER
Marc Dugain: "Der Fluch des Edgar Hoover".
Roman. Aus dem Französischen übersetzt von
Michael Kleeberg. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2007. 400 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Antiamerikanismus lassen wir uns gefallen, wenn er geistvoll daherkommt. Doch Marc Dugain lässt in seinem Buch über den FBI-Chef J. Edgar Hoover kein Klischee aus - kein Epochenporträt, ein Pamphlet aus zweiter Hand.
Bei einem ungewöhnlich schlechten Buch stellen sich gleich mehrere Fragen. Warum genau ist es so missraten? Wie hat es einen Verlag gefunden? Und wie einen Übersetzer - in diesem Fall den Schriftsteller Michael Kleeberg, der mit seinen Übersetzungen von Barbey d'Aurevilly und Joris-Karl Huysmans früher einmal bessere Fracht geladen hatte?
Die erste Frage ist leicht zu beantworten. Wer einen Roman schreibt, sollte die Lebenswelt kennen, in der er seine Handlung ansiedelt, er sollte den Ton der Menschen im Ohr haben, die Arten ihres Redens und Schweigens. Ihre Landschaft, ihre Behausungen, ihr Geschmack, ihr Geruch müssen sprechen. Der Romancier muss ein Minimum von Loyalität seinen Figuren gegenüber aufbringen, nicht, um sein Personal weichzuzeichnen oder schönzufärben, sondern um es dem Leser nahezubringen, mag es sich auch hundertmal um Ritter von der traurigen Gestalt oder schlimme Unholde handeln.
Marc Dugain, der einen Roman über den legendären FBI-Chef J. Edgar Hoover geschrieben hat - aber hier stocken wir schon, der Titel des Buches lässt ja die Namensinitiale weg und spricht knapper von "Edgar Hoover" -, Marc Dugain wurde 1957 im Senegal geboren, war im Pariser Investmentgeschäft tätig und lebt heute nach Verlagsinformationen in Marokko. Was befähigt ihn, einen Roman über die Vereinigten Staaten zu schreiben, nein mehr: über das halbe amerikanische Jahrhundert, das Hoovers Amtszeit umfasst? Woher hat er seine Kenntnisse des amerikanischen Lebens? Aus zweiter Hand, so viel ist sicher. Er mag viel über seinen Gegenstand gelesen haben, manches vom Hörensagen kennen, anderes vielleicht aus Wikipedia. Zu einem Amerika-Roman befähigt ihn: nichts.
Aber sehen wir näher hin. Der Prolog entwickelt eine Herausgeberfiktion: Dieser Roman sei gar kein Roman, sondern das nachgelassene Memoirenwerk von Hoovers rechter Hand Clyde Tolson, der Nummer zwei des FBI. "Was wir wollen", erklärt der aus New Orleans angereiste Mann, der das Tolson-Manuskript für einen Spottpreis erwerben will, "ist, eine bestimmte Epoche unserer Geschichte zu untersuchen, in der Paranoia, Schizophrenie, Frauenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus im Schatten unserer ursprünglichen Gründerzeit-Prüderie ihr Unwesen trieben."
Genau darum geht es nun wirklich - wir haben es mit einem Enthüllungswerk zu tun, einer chronique scandaleuse. Im Verlauf der Erzählung werden Hoover der Reihe nach alle im Prolog erwähnten Sünden in den Mund gelegt, primitivste Hetzreden von solcher Art, dass der Leser mehr oder weniger sanft gezwungen wird, sich die linke, im amerikanischen Sprachgebrauch "liberale" Ansicht der Geschichte zu eigen zu machen. Hoover, so will es uns Dugains Roman nahelegen, war ein zu spät psychoanalysiertes Monstrum, ein amerikanischer Dämon, der in seinem Wahn überall Bedrohungen sehen wollte. Ein Kontrollfreak. Ein Feind des Guten, also Pazifistischen.
Tolsons "Erinnerungen", die dem Prolog folgen, beginnen gleich im ersten Satz buchstäblich mit Dreck: "Der Mann, der sich an jenem Abend unserem Tisch näherte und dabei versuchte, hinter seiner massigen Gestalt ein sehr junges Mädchen zu verbergen, strahlte dieselbe Entschlossenheit aus wie ein einzelgängerischer Keiler, der bei Anbruch der Nacht seine Suhle verlässt." Das Bild gibt den Ton vor: Das Schweinische und Geile, der Morast dominieren in Dugains Blick auf die Vereinigten Staaten. Und gegen Ende, in der Ära Nixon, werden wir Zeugen eines gealterten Hoover, der sich in einem privaten Vorführraum "schmutzige Filme" ansieht und der keinen Tag vergehen lässt, ohne über Tolson "einen Kübel Unrat" auszuschütten.
Parallel zu Hoovers wachsender Macht im Staat, seiner Leitung des FBI, die von 1924 bis 1972 dauerte, schildert Dugain den Aufstieg der Familie Kennedy. Auf Joseph "Joe" Kennedy, den Vater des Präsidenten, fällt ein besonders böser Blick - der ältere Kennedy war in den dreißiger Jahren ein Fürsprecher des "Appeasements", folglich auf der falschen Seite. Dann kommen John und Jackie, Bobby, Nixon, die Atomspione, der Senator McCarthy, die Mafia, Oswald, Verschwörungen und Gegenverschwörungen, Hippies, Vietnam. Und Hoover hört immer mit, hört ab. Man kennt den Stoff und die Epoche aus den unvergleichlich höher stehenden Romanen von Gore Vidal, der den Vorteil hat, von einer Klasse zu berichten, der er entstammt und die er kennt wie kein anderer.
Das Rätsel des "Fluchs", so will es der Roman, sei Hoovers ängstlich verschwiegene Homosexualität. Dugains Darstellung folgt dem Gerücht, dass Tolson Hoovers Lebenspartner war. Als Stimme höherer Weisheit tritt gegen Ende ein Psychoanalytiker auf, den Hoover - ach, viel zu spät! - konsultiert. Nach der erwartbaren Kritik an der "vorherrschenden Sexualmoral, die wir von der Kirche geerbt haben", folgt die Diagnose: fehlgeleitete Beziehung zu Mutter Hoover. Oder, professionell gesagt: "Sie sind niemals fähig gewesen, das tatsächliche Geschlecht Ihrer Mutter anzuerkennen . . . In Ihrer Logik ist das andere und begehrte Geschlecht nicht das einer Frau, sondern das Ihrer Mutter, die Sie sich mit einem Penis denken." Versteht sich, dass Hoover auch diesen einsichtsvollen Mann für "subversiv" hält. Dugains Werk, eine Versammlung von Klischees, ist motiviert vom Hass. Zu schmale Grundlage für einen Roman! Und darum ist dieses Buch nicht nur schlecht: Es ist schmutzig.
LORENZ JÄGER
Marc Dugain: "Der Fluch des Edgar Hoover".
Roman. Aus dem Französischen übersetzt von
Michael Kleeberg. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2007. 400 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Ganz großartig findet Rezensent Thomas Laux , wie Marc Dugain in seinem Roman über die Machenschaften des FBI-Direktors J. Edgar Hoover "Macht, Mafia, Politik und Sex" miteinander verstrickt. Acht Präsidenten hatte Hoover unter sich, und nach Dugain hat er sie alle zusammen mit seinem Lebens- und FBI-Partner Clyde Tolson so manipuliert, wie es seinem "Hass auf Liberalität und Intellektualität" zupass kam. Auch die Ermordung von John F. und Robert Kennedy schreibt Dugain den beiden Herren des FBI zu. Was an dem Kolportage-Roman nun Fiction ist, was Tatsache oder Ressentiment - Laux scheint alles so plausibel, dass er es unterschiedlos hinnimmt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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