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Sechs Jahre Gefängnis, fünf Jahre Exil, elf Prozesse. Ein Leben unter Terroristen und Mafiosi. Der große italienische Krimiautor Massimo Carlotto hat aus seiner so unglaublichen wie wahren Lebensgeschichte spannende Literatur gemacht. 20. Januar 1976: Die 25-jährige Studentin Margherita Magello wird in ihrem Zimmer in Padua mit 59 Messerstichen ermordet. Massimo Carlotto, 19 Jahre, Student und Mitglied der linksradikalen Bewegung entdeckt das Opfer und geht zur Polizei, um den Vorfall zu melden. Er wird festgenommen und wegen Einbruchs angeklagt. Es beginnt ein beispielloser Schauprozess. Kurz…mehr

Produktbeschreibung
Sechs Jahre Gefängnis, fünf Jahre Exil, elf Prozesse. Ein Leben unter Terroristen und Mafiosi. Der große italienische Krimiautor Massimo Carlotto hat aus seiner so unglaublichen wie wahren Lebensgeschichte spannende Literatur gemacht.
20. Januar 1976: Die 25-jährige Studentin Margherita Magello wird in ihrem Zimmer in Padua mit 59 Messerstichen ermordet. Massimo Carlotto, 19 Jahre, Student und Mitglied der linksradikalen Bewegung entdeckt das Opfer und geht zur Polizei, um den Vorfall zu melden. Er wird festgenommen und wegen Einbruchs angeklagt. Es beginnt ein beispielloser Schauprozess. Kurz vor der Urteilsverkündung flieht Carlotto nach Paris und von dort einige Jahre später nach Mexiko. Unter politisch Verfolgten und brutalen Verbrechern lernt er zu überleben, ohne den Verstand zu verlieren.
Autorenporträt
Hinrich Schmidt-Henkel, geboren 1959, lebt in Berlin, übersetzt Prosa und Theaterstücke aus dem Französischen, Norwegischen und Italienischen, zuletzt vor allem Jean Echenoz, Yasmina Reza, Jon Fosse, Erlend Loe und Louis-Ferdinand Céline.

Massimo Carlotto, geboren 1956 in Padua, ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller Italiens. Als Sympathisant der linken Bewegung wurde er in den 1970er Jahren zu Unrecht wegen Mordes verurteilt. Nach fünfjähriger Flucht und einer Gefängnisstrafe von sechs Jahren wurde er 1993 begnadigt. Er lebt heute in Sardinien.

Hinrich Schmidt-Henkel, geboren 1959, lebt in Berlin, übersetzt Prosa und Theaterstücke aus dem Französischen, Norwegischen und Italienischen, zuletzt vor allem Jean Echenoz, Yasmina Reza, Jon Fosse, Erlend Loe und Louis-Ferdinand Céline.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2011

Wenn das Elend ausbricht, befreit Lakonik

Verurteilung, Gefängnis, Flucht, Rehabilitierung: Der Lebensbericht des Krimiautors Massimo Carlotto ist selbst ein Thriller - und ein Blick ins korrupte Italien.

Massimo Carlottos Krimi "Die dunkle Unermesslichkeit des Todes" erzählte von einer missglückten Geiselnahme und ihren Folgen: Ein Vater rächt auf grausame Weise den Tod von Frau und Kind. Was an sich eine geschmacklose Orgie des Ressentiments wäre, wird berührend, weil Raffaello Beggiato einen Teil des Romans erzählt: Er ist einer der Täter, der fünfzehn Jahre nach der Tat krebskrank ist und in Freiheit sterben möchte. Die Schilderung der Haft, des öden Alltags, der Fremdbestimmung ist so eindringlich, dass man - wider besseres Wissen - Mitleid mit dem ruchlosen Täter bekommt.

Carlotto, einer der erfolgreichsten italienischen Krimiautoren, hat jetzt eine autobiographische Erzählung vorgelegt. Wer "Der Flüchtling" liest, der versteht, warum es dem Autor gelingt, den Mikrokosmos Gefängnis zu beschreiben - und warum er so tiefe Einblicke in die Mentalität derjenigen hat, die jenseits des Gesetzes denken und handeln: "Ich habe sechs Jahre im Gefängnis gesessen, habe elf Prozesse über mich ergehen lassen müssen, in jeder Instanz bis hin zum Verfassungsgericht; es haben sich sechsundachtzig Richter und fünfzig Gutachter mit dem Fall befasst, und am Ende wäre ich beinahe an einer Krankheit gestorben, die mir der Knast eingebracht hat." Hinzu kommen Jahre der Flucht und des Exils: Siebzehn Jahre lang war Carlotto kein Mensch, sondern der "Caso Carlotto", ein Fall. Seine körperliche Substanz bestand nicht aus Fleisch und Knochen, sondern aus fünf großen Holzkisten mit 96 Kilogramm Gerichtsakten.

Am Anfang steht naives Vertrauen: Am 20. Januar 1976 findet der neunzehnjährige Student mit linksradikalen Sympathien eine Kommilitonin vor, die niedergestochen wurde und im Sterben liegt. Er informiert die Polizei - fortan gilt er als Hauptverdächtiger. Er wird inhaftiert, erst freigesprochen und dann in Revision verurteilt.

Es beginnt der Reigen der Urteile und Berufungsverhandlungen. Nach Ablehnung eines Revisionsantrags im November 1982 verbringt Carlotto die folgenden Jahre auf der Flucht. In Mexiko wird er 1985 verhaftet, kommt zurück nach Italien. Sein Fall, der inzwischen die Öffentlichkeit mobilisiert, wird immer absurder, die Justiz verirrt sich in Formalismen und Fehlurteilen. Beendet wird die Odyssee erst am 7. April 1993 durch eine Begnadigung des Staatspräsidenten Oscar Luigi Scalfaro.

Kern von "Der Flüchtling" ist die Flucht: Carlotto beschreibt, wie er Überlebenskünstler wird. Er verwandelt sein Äußeres, erfindet Tarnidentitäten. Er lernt, wie man eine Wohnung sichert und Nachbarn ausspioniert. Er gewöhnt sich ans Exil, bekommt nur wenige Besuche seiner Eltern und seiner Freundin, die ihn schließlich verlässt. Tragikomisch ist seine Bulimie, in Paris nimmt er prompt dreißig Kilo zu: komisch, weil Carlotto humorvoll seine Orgien beschreibt, tragisch, weil die Ursache Nahrungsentzug im Gefängnis und die Folge eine schwere Krankheit ist.

Das alles sind Fakten, die Bezeichnung "Roman" verwirrt. Literarisch ist vor allem die Sensibilität des Autors: Carlottos ironische Gelassenheit ist so fein wie bewundernswert. Wie im Krimi inszeniert er flott, kühl, zeigt eine abgebrühte Leichtfüßigkeit. Ein "Verhör" durch die mexikanische Polizei etwa beschreibt er so lakonisch, als spreche er von einer Romanfigur: "Kurz, es war eine hässliche Erfahrung, und die Erinnerung daran überfällt mich jedes Mal, wenn ich beim Pinkeln die hellen Narben sehe, die zurückgeblieben sind." Literarisch ist auch der Sinn fürs Absurde, der in Italien leider lebensnotwendig ist: Carlotto beschreibt nebenbei exemplarisch, wie die Bürger dieses Landes so gründlich das Vertrauen in ihre Institutionen verlieren konnten - die Folgen sind heute zu besichtigen.

NIKLAS BENDER

Massimo Carlotto: "Der Flüchtling". Roman.

Aus dem Italienischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Tropen Verlag, Stuttgart 2010. 184 S., geb., 18,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Fast zwanzig Jahre lang Massimo Carlotto die italienische Justiz beschäftigt, seit er 1976, damals ein junger linksradikaler Student, den Tod einer Kommilitonin bei der Polizei meldete. Er wurde prompt wegen Mordes angeklagt und verurteilt, freigesprochen, ein Urteil wurde aufgehoben, die Revision wird kassiert, und Carlotto flieht nach Mexiko. Von diesem Leben auf der Flucht erzählt Carlotto, der 1993 vom Staatspräsidenten begnadigt wurde und inzwischen zu einem der erfolgreichsten Krimiautoren Italiens avancierte, in seinem Roman "Der Flüchtling", der eigentlich eine Autobiografie ist. Bewundernswert findet Rezensent Niklas Bender, mit welcher Lakonie und feiner Ironie Carlotto erzählt, grandios auch die "abgebrühte Leichtfüßigkeit".

© Perlentaucher Medien GmbH