Bernhard Brunner schildert am Beispiel des besetzten Frankreich die Lebensläufe einer NS-Elite über den Zusammenbruch des »Dritten Reiches« hinaus und folgt den Tätern auf ihrem Weg in die Gesellschaft der Bundesrepublik.Während der nationalsozialistischen Besatzung Frankreichs wurden 75.721 Juden in Konzentrationslager deportiert. Zusätzlich wurden mehrere zehntausend Menschen als »Sühnepersonen« erschossen oder bei »Bandenkampfmaßnahmen« getötet. Verantwortlich für diese Taten waren rund 75 Männer, die als »Kommandeure der Sicherheitspolizei und des SD« oder als deren Stellvertreter die NS-Terrorpolitik in Frankreich durchsetzten. Bernhard Brunner rekonstruiert die Lebensläufe dieser NS-Funktionäre über den Zusammenbruch des »Dritten Reiches« hinaus und folgt ihnen in die Bundesrepublik. Dabei tritt Erstaunliches zu Tage: Obwohl die deutsche Justiz schon in den sechziger Jahren gut informiert war und mit dem »Frankreich-Komplex« ein gewaltiges Ermittlungsverfahren anstrengte, kam es lange zu keinen Anklagen. Stattdessen gelang einem Großteil der ehemaligen NS-Funktionäre die Rückkehr in die Bürgerlichkeit. Erst 1980 wurden drei dieser Männer zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, der Rest blieb straffrei.Ein genauer Blick auf den »Frankreich-Komplex« erklärt diese schlechte Bilanz. Bis Ende der sechziger Jahre wurden den Ermittlern in der »Zentralen Stelle Ludwigsburg« und anderswo so viele Steine in den Weg gelegt, daß das Verfahren aussichtslos wurde. Doch fanden hartnäckige Juristen einen Weg, die Ermittlungen fortzusetzen: Ein Sonderabkommen mit Frankreich mußte abgeschlossen werden. Doch das Projekt wurde verschleppt. Erst als die »Nazijäger« Beate und Serge Klarsfeld, die für den Band Unterlagen und Abbildungen aus ihrem Privatarchiv zur Verfügung gestellt haben, zu drastischen Mitteln griffen und versuchten, einen der Exkommandeure zu entführen, wurde die Weltöffentlichkeit auf den Fall aufmerksam, und das Abkommen konnte geschlossen werden.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Beschämend ist es, was Bernhard Brunner in seiner Studie über die juristische Behandlung von NS-Verbrechen auf französischem Boden herausgefunden hat, findet Franziska Augstein. Der Autor deckt ein "Netzwerk altverbundener Seilschaften" und Absprachen zwischen den politischen Eliten Deutschlands und Frankreichs auf, die zu einer "Strafvereitelung" von NS-Verbrechen "im Großmaßstab" geführt haben. Brunner beschreibt, wie noch bis in die Mitte der 70-er Jahre Ermittlungen gegen Kriegsverbrecher behindert und Gesetze verabschiedet wurden, die es ermöglichten, veritable Massenmörder als unwissende Gehilfen darzustellen, die man höchstens wegen Totschlags belangen konnte. Da selbst diese Möglichkeit 1960 verjährte, war es letztlich dem Engagement einiger weniger zu verdanken, dass NS-Verbrechern überhaupt der Prozess gemacht wurde, wie Konrad Lischka in Köln 1979. "Aus eigener Kraft" jedenfalls trug die "Justiz und Gesellschaft" der Bundesrepublik erschreckend wenig zur Aufklärung der Nazi-Verbrechen bei, resümiert Augstein das ernüchternde Ergebnis von Brunners Studie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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