Georg Magirius besingt das Kaiserkind im Futtertrog
Die Weihnachtsgeschichte. Die ist bekannt – sollte man meinen. Alle Jahre wie-der erinnern wir uns an sie. Jedes Jahr Weihnachten hat der Vater sie vorgelesen, wir ha-ben in der Schule darüber gesprochen, sie in der Kirche gehört, in
Darstellungen aufgebaut gesehen, als Thea-terstück aufgeführt. Inzwischen lesen wir sie vielleicht selbst…mehrGeorg Magirius besingt das Kaiserkind im Futtertrog
Die Weihnachtsgeschichte. Die ist bekannt – sollte man meinen. Alle Jahre wie-der erinnern wir uns an sie. Jedes Jahr Weihnachten hat der Vater sie vorgelesen, wir ha-ben in der Schule darüber gesprochen, sie in der Kirche gehört, in Darstellungen aufgebaut gesehen, als Thea-terstück aufgeführt. Inzwischen lesen wir sie vielleicht selbst unseren Kindern vor. Wir ken-nen sie in- und auswendig. Wie gesagt: Sollte man meinen.
Doch Georg Magirius zeigt uns neue überraschende und erfrischende Aspekte an dieser alten Erzählung. In seiner Analyse blickt er hinter den Text, verschränkt geschickt die damalige mit der heutigen Zeit, sodass sich ungeahnte Perspektiven eröffnen. Neue Gedanken und Assozia-tio-nen ergeben sich in großer Fülle. Keiner, der hier nicht einen Anknüpfungspunkt in seinem eigenen Leben findet. Wie Perlen auf eine Kette reiht der Autor Bild an Bild, so viele, dass man nicht jedem einzelnen Geistesblitz nachgehen kann. Doch gerade das macht dieses Büch-lein zu einer unerschöpflichen Fundgrube: Man kann es Jahr um Jahr lesen, und wird immer wieder Neues entdecken.
Georg Magirius entdeckt zwei Stränge in der Erzählung des Lukas, die kunstvoll ineinander verschränkt sind, weil sie ohne einander nicht auskommen: auf der einen Seite die Hirten und die Engel, auf der anderen Seite Maria, Josef und das Kind in der Krippe. Plastisch führt er dem Leser die Situation vor Augen, in der sie sich befinden. Doch plötzlich – in dem Mo-ment, in dem das Göttliche in Gestalt der Engel zu den Hirten tritt – verschwinden die Bilder aus seiner Rede. Hier kann auch ein Autor von der Sprachgewalt eines Georg Magirius nur staunend beschreiben, loben und preisen. Die Wirkung dieser Begegnung, die ist wieder in vielfältigen Bildern ausgemalt. Was hat sich geändert? Äußerlich nicht viel, um nicht zu sa-gen: nichts. Was sich geändert hat, ist die innere Einstellung. Das Buch ist ein Plädoyer gegen die Ordnung, die Ordnung, die alles in Listen eintragen, registrieren, katalogisieren will. Wer immer darauf bedacht ist, auf der Liste weit oben zu stehen, der verpasst das Leben, der findet die Freude nicht. Erst der freie Blick zum Himmel, der den Kontakt zum Göttlichen möglich macht, hilft uns, damit unsere Suche erfolgreich wird, erst wenn unser Gemüt nicht mehr von Listen, Registern und Katalogen umgeben ist, finden wir die wirkliche Freude.
Ist dies ein Buch nur für Gläubige? Auf den ersten Blick mag es so scheinen, immerhin hat es durch die Erzählung vom Kind in der Krippe einen eindeutigen Bezug auf ein christliches Fest. Aber wie die Botschaft nicht auf die Weihnachtszeit beschränkt ist, wie das Schielen auf Ordnungen, eben diese Listen, Register und Kataloge, das Menschen den Blick auf das eigene Le-ben verbaut, Menschwerdung verhindert, ganzjährig überwunden werden muss, so besteht die Not – wend – igkeit genau dieser Überwindung auch für Menschen, die nicht religiös sind. Auch für sie besteht schließlich die Möglichkeit der Freude an alltäglichen Dingen wie der Ge-burt eines Kindes – wenn sie auch nicht in jedem Kind ein Kaiserkind sehen – ungeachtet aller Ordnungen, Listen, Register und Kataloge.
Georg Magirius nennt seine Leser zuweilen „Freunde der überraschend -gesetzten Worte“. Es ist ihm hier erneut gelungen, sich als der zu präsentieren, der die Worte über-ra-schend setzt.
In der Kommunikationstheorie gibt es einen grundlegenden Satz: Wer etwas von sich gibt, gibt immer auch etwas von sich. Georg Magirius gibt in dieser nicht ganz alltäglichen Weih-nachtsgeschichte viel von sich. Gerade das macht jedoch den Reiz des Büchleins aus, denn es sind alltägliche Situationen, die er anspricht, sodass sich jeder darin wiederfinden kann, weil man es so oder ähnlich oder doch wieder ganz anders selbst schon einmal erlebt hat. So wird sein Weihnachtsbuch zu einem unvergesslichen Leseerlebnis!