Das Problem der Freiheit und Unfreiheit des menschlichen Willens ist ein Labyrinth, in dem sich die menschliche Vernunft immer wieder verirrt hat und sich gegenwärtig angesichts der Befunde der Neurowissenschaften besonders herausgefordert sieht. Sich in diesem Irrgarten zu orientieren, ist das Ziel dieses Buches. Dabei geht es vornehmlich um vier Fragestellungen, zwei philosophische und zwei theologische:
1. Ist es ausschließlich im Rahmen des Indeterminismus sinnvoll, dem Menschen Freiheit zuzuschreiben?
2. Welche Art von Freiheit müsste der Mensch besitzen, damit er für sein Handeln verantwortlich wäre ?
3. Ist der Hinweis auf die Freiheit des menschlichen Willens geeignet, um das Böse und die Übel in der Welt in einer Weise zu erklären, die Gott von der Verantwortung entlastet?
4. Ist es vernünftig, zugleich anzunehmen, der Mensch besitze einen freien Willen und seine Verwandlung ins Gute sei allein das Werk der göttlichen Gnade? Wird die menschliche Willensfreiheit in dem Maße verkleinert, wie die Gnade Gottes vergrößert wird?
1. Ist es ausschließlich im Rahmen des Indeterminismus sinnvoll, dem Menschen Freiheit zuzuschreiben?
2. Welche Art von Freiheit müsste der Mensch besitzen, damit er für sein Handeln verantwortlich wäre ?
3. Ist der Hinweis auf die Freiheit des menschlichen Willens geeignet, um das Böse und die Übel in der Welt in einer Weise zu erklären, die Gott von der Verantwortung entlastet?
4. Ist es vernünftig, zugleich anzunehmen, der Mensch besitze einen freien Willen und seine Verwandlung ins Gute sei allein das Werk der göttlichen Gnade? Wird die menschliche Willensfreiheit in dem Maße verkleinert, wie die Gnade Gottes vergrößert wird?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.2005Bin ich mir gar aufgezwungen?
Friedrich Hermanni und Peter Koslowski bitten zur Willensfreiheit
Der aktuelle Wiederanstoß der altehrwürdigen Debatte um Determinismus versus Indeterminismus durch die Neurowissenschaften hat zu einer Schieflage geführt. Daß die von der Hirnforschung beigebrachten Daten und Experimente nicht ausreichen, daraus eine Determination der menschlichen Geistestätigkeit zu beweisen, daß ferner meinungsführende Hirnforscher zwischen den Kategorien schwimmen, wenn sie das Verhältnis von neuronalen Prozessen und geistiger Tätigkeit einmal als Verursachung, dann als Entsprechung auffassen, das ist wiederholt geltend gemacht worden, auch von Naturwissenschaftlern. Nicht gleichgewichtig ins Spiel gekommen ist bei der bisherigen Diskussion die Philosophie als klassische Verwalterin des Determinismus- und Willensfreiheitsproblems. Vor allem sind philosophische Überlegungen vernachlässigt worden, welche die wechselseitige Ausschließung von Determination und Willensfreiheit bestreiten und damit eine Folgerungsreihe der Kontroverse in Frage stellen, die sich auf die negativen oder positiven Auswirkungen einer deterministischen Position für Anthropologie, Ethik und Jurisprudenz beziehen.
Der vorliegende Sammelband unter prominenter theologischer und philosophischer Herausgeberschaft vereinigt überarbeitete und erweiterte Vorträge einer öffentlichen Tagung zum Thema. "Ist es ausschließlich im Rahmen des Indeterminismus oder vielleicht auch im Rahmen des Determinismus sinnvoll, dem Menschen Freiheit zuzuschreiben, und wie ist diese Freiheit näherhin zu bestimmen?" fragen die Herausgeber im Vorwort. Deutlich ist eine Tendenz der Beiträge, die Freiheitsproblematik praktisch zu fassen, als Frage nach dem Sachverhalt und, wenn ja, der Art, in der menschliche Verantwortlichkeit besteht. Willensfreiheit im engeren Sinne und Handlungsfreiheit werden gebündelt in der Frage: Gibt es Entscheidungsfreiheit und sind damit Entscheidungen zurechenbar? Ebenso praktisch ist das Bedürfnis, etwa bei Thomas Buchheim, den Begriff "Freiheit" nicht einfach als Verneinung von Determination zu bestimmen, sondern qualitativ zu füllen.
Durchgehend ist die Neigung, Verantwortlichkeit auch innerhalb eines deterministischen Rahmens zu bejahen, allerdings mit einem Fächer von Antworten. Er reicht von der traditionellen Begründung von Kontingenz, und damit Verantwortlichkeit, aus der Möglichkeit alternativer Handlungsentscheidungen bis zur Weise menschlicher Selbsterfahrung, daß die Vorfindlichkeit unseres Selbst für unser Bewußtsein zwar als Determination, nicht aber als Aufgezwungenheit eines Fremden erfahren werden kann. Mithin wären unsere Handlungen aus unserem gegebenen Selbst "determiniert" und wir trotzdem für sie als unsere Handlungen - und nicht als die eines Fremden - verantwortlich. Allerdings scheint mir hier die Position des Determinismus verengt, denn abgesehen vom Unterschied zwischen metaphysisch gedachter und naturgesetzlich gedachter Determination kann etwas erzwungen und doch nicht determiniert sein, und es kann etwas determiniert und doch nicht erzwungen sein.
Soweit ich sehe, vertritt keiner der Beiträger dieses Bandes den Standpunkt einer unbedingten Freiheit, der als Popanz in der Polemik naturwissenschaftlich geprägter Deterministen umgeht. Als systematischen Mangel empfinde ich, daß zwar Positionen der vorkritischen Philosophie von der Scholastik bis zu Leibniz und des deutschen Idealismus von Hegel bis zu Baader und dem späten Schelling kritisch aufgenommen werden, die Position Kants in der Willensfreiheitsdiskussion aber in einem Beitrag (Steinvorth) zwar angerissen wird, aber nicht zum Tragen kommt. Problematisch ist auch, daß ohne wissenschaftstheoretische Reflexion eine schlichte Nebeneinanderordnung von Beiträgen stattfindet, deren Argumentationsbedingungen und -rahmen sehr verschieden sind: teils historisch theologisch, so die Abhandlungen über Luther (Friedrich Hermanni unter Kritik an Luther) und Calvin (Eberhard Mechels), teils philosophisch ohne Voraussetzung Gottes, teils philosophisch mit Voraussetzung Gottes (besonders Peter Koslowski und Armin Kreiner, bei denen die alte Theodizee-Frage der Metaphysik vortritt).
Zweifellos kann genau so stringent unter Voraussetzung Gottes argumentiert werden wie ohne diese Voraussetzung, aber die Weisen der Stringenz liegen auf verschiedenen Ebenen. Ich sehe in der Opposition von Denken mit versus ohne Gottesvoraussetzung ein größeres Verständigungshindernis bei der Willensfreiheitsdiskussion als zwischen Naturwissenschaftlern und Geisteswissenschaftlern.
GERHARD KAISER
Friedrich Hermanni, Peter Koslowski (Hrsg.): "Der freie und der unfreie Wille". Philosophische und theologische Perspektiven. Wilhelm Fink Verlag, München 2005. 235 S., br., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Friedrich Hermanni und Peter Koslowski bitten zur Willensfreiheit
Der aktuelle Wiederanstoß der altehrwürdigen Debatte um Determinismus versus Indeterminismus durch die Neurowissenschaften hat zu einer Schieflage geführt. Daß die von der Hirnforschung beigebrachten Daten und Experimente nicht ausreichen, daraus eine Determination der menschlichen Geistestätigkeit zu beweisen, daß ferner meinungsführende Hirnforscher zwischen den Kategorien schwimmen, wenn sie das Verhältnis von neuronalen Prozessen und geistiger Tätigkeit einmal als Verursachung, dann als Entsprechung auffassen, das ist wiederholt geltend gemacht worden, auch von Naturwissenschaftlern. Nicht gleichgewichtig ins Spiel gekommen ist bei der bisherigen Diskussion die Philosophie als klassische Verwalterin des Determinismus- und Willensfreiheitsproblems. Vor allem sind philosophische Überlegungen vernachlässigt worden, welche die wechselseitige Ausschließung von Determination und Willensfreiheit bestreiten und damit eine Folgerungsreihe der Kontroverse in Frage stellen, die sich auf die negativen oder positiven Auswirkungen einer deterministischen Position für Anthropologie, Ethik und Jurisprudenz beziehen.
Der vorliegende Sammelband unter prominenter theologischer und philosophischer Herausgeberschaft vereinigt überarbeitete und erweiterte Vorträge einer öffentlichen Tagung zum Thema. "Ist es ausschließlich im Rahmen des Indeterminismus oder vielleicht auch im Rahmen des Determinismus sinnvoll, dem Menschen Freiheit zuzuschreiben, und wie ist diese Freiheit näherhin zu bestimmen?" fragen die Herausgeber im Vorwort. Deutlich ist eine Tendenz der Beiträge, die Freiheitsproblematik praktisch zu fassen, als Frage nach dem Sachverhalt und, wenn ja, der Art, in der menschliche Verantwortlichkeit besteht. Willensfreiheit im engeren Sinne und Handlungsfreiheit werden gebündelt in der Frage: Gibt es Entscheidungsfreiheit und sind damit Entscheidungen zurechenbar? Ebenso praktisch ist das Bedürfnis, etwa bei Thomas Buchheim, den Begriff "Freiheit" nicht einfach als Verneinung von Determination zu bestimmen, sondern qualitativ zu füllen.
Durchgehend ist die Neigung, Verantwortlichkeit auch innerhalb eines deterministischen Rahmens zu bejahen, allerdings mit einem Fächer von Antworten. Er reicht von der traditionellen Begründung von Kontingenz, und damit Verantwortlichkeit, aus der Möglichkeit alternativer Handlungsentscheidungen bis zur Weise menschlicher Selbsterfahrung, daß die Vorfindlichkeit unseres Selbst für unser Bewußtsein zwar als Determination, nicht aber als Aufgezwungenheit eines Fremden erfahren werden kann. Mithin wären unsere Handlungen aus unserem gegebenen Selbst "determiniert" und wir trotzdem für sie als unsere Handlungen - und nicht als die eines Fremden - verantwortlich. Allerdings scheint mir hier die Position des Determinismus verengt, denn abgesehen vom Unterschied zwischen metaphysisch gedachter und naturgesetzlich gedachter Determination kann etwas erzwungen und doch nicht determiniert sein, und es kann etwas determiniert und doch nicht erzwungen sein.
Soweit ich sehe, vertritt keiner der Beiträger dieses Bandes den Standpunkt einer unbedingten Freiheit, der als Popanz in der Polemik naturwissenschaftlich geprägter Deterministen umgeht. Als systematischen Mangel empfinde ich, daß zwar Positionen der vorkritischen Philosophie von der Scholastik bis zu Leibniz und des deutschen Idealismus von Hegel bis zu Baader und dem späten Schelling kritisch aufgenommen werden, die Position Kants in der Willensfreiheitsdiskussion aber in einem Beitrag (Steinvorth) zwar angerissen wird, aber nicht zum Tragen kommt. Problematisch ist auch, daß ohne wissenschaftstheoretische Reflexion eine schlichte Nebeneinanderordnung von Beiträgen stattfindet, deren Argumentationsbedingungen und -rahmen sehr verschieden sind: teils historisch theologisch, so die Abhandlungen über Luther (Friedrich Hermanni unter Kritik an Luther) und Calvin (Eberhard Mechels), teils philosophisch ohne Voraussetzung Gottes, teils philosophisch mit Voraussetzung Gottes (besonders Peter Koslowski und Armin Kreiner, bei denen die alte Theodizee-Frage der Metaphysik vortritt).
Zweifellos kann genau so stringent unter Voraussetzung Gottes argumentiert werden wie ohne diese Voraussetzung, aber die Weisen der Stringenz liegen auf verschiedenen Ebenen. Ich sehe in der Opposition von Denken mit versus ohne Gottesvoraussetzung ein größeres Verständigungshindernis bei der Willensfreiheitsdiskussion als zwischen Naturwissenschaftlern und Geisteswissenschaftlern.
GERHARD KAISER
Friedrich Hermanni, Peter Koslowski (Hrsg.): "Der freie und der unfreie Wille". Philosophische und theologische Perspektiven. Wilhelm Fink Verlag, München 2005. 235 S., br., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In der bisher ergebnislosen Diskussion um das Problem Determinismus versus Willensfreiheit, die momentan durch die Fortschritte der Neurowissenschaften wieder Konjunktur hat, sieht Rezensent Gerhard Kaiser die Philosophie, die sich klassischerweise mit dieser Frage befasste, etwas außen vor. Vor allem wurden seines Erachtens philosophische Überlegungen vernachlässigt, wonach sich Determinismus und Willensfreiheit gar nicht gegenseitig ausschließen. Der von Friedrich Hermanni und Peter Koslowski herausgegebene Sammelband "Der freie und der unfreie Wille" widmet sich zur Freude des Rezensenten nun genau diesen Überlegungen. Kaiser sieht bei den Beiträgen durchgehend die Tendenz, das Freiheitsproblem praktisch, als Frage menschlicher Verantwortlichkeit, zu fassen, und Verantwortlichkeit auch innerhalb eines deterministischen Rahmens zu bejahen - wenn auch auf durchaus unterschiedliche Weise. Als "systematischen Mangel" des Bandes empfindet Kaiser, dass zwar Positionen der vorkritischen Philosophie von der Scholastik bis zu Leibniz und des deutschen Idealismus von Hegel bis zu Baader und dem späten Schelling kritisch aufgenommen werden, die Position Kants zwar angerissen wird, aber nicht zum Tragen kommt. Für problematisch hält er zudem die "schlichte Nebeneinanderordnung" von Beiträgen mit sehr verschiedenen Argumentationsbedingungen und -rahmen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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