Der Italiener Simon Simonini lebt in Paris, und er erlebt eine dunkle Geschichte: geheime Militärpapiere, die der jüdische Hauptmann Dreyfus angeblich an die deutsche Botschaft verkauft, piemontesische, französische und preußische Geheimdienste, die noch geheimere Pläne schmieden, Freimaurer, Jesuiten und Revolutionäre - und am Ende tauchen zum ersten Mal die Protokolle der Weisen von Zion auf, ein gefälschtes »Dokument« für die »jüdische Weltverschwörung«, das fatale Folgen haben wird.
Umberto Eco erzählt eine Geschichte des 19. Jahrhunderts - eine Geschichte, die tief in die Vergangenheit eindringt und doch immer auch von unserer Gegenwart erzählt.
Umberto Eco erzählt eine Geschichte des 19. Jahrhunderts - eine Geschichte, die tief in die Vergangenheit eindringt und doch immer auch von unserer Gegenwart erzählt.
'Der Friedhof in Prag' ist gelehrt, natürlich. Bitterböse, auch das. Florian Welle Süddeutsche Zeitung 20130604
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2011Der Zettelkasten des Weisen von Mailand
Spricht man vom Teufel: Umberto Eco hat die größte aller Verschwörungstheorien in ein Buch gepackt. Aber ist "Der Friedhof in Prag" ein Roman?
Von Jürgen Kaube
Ein Roman kann scheitern, weil sein Autor nichts zu erzählen hat. Oder weil er erst einmal seine oder irgendeine Sprache hätte lernen sollen. Weil ihm keine Figuren eingefallen sind. Weil er faul war und zu wenig über die erzählten Sachgehalte nachgedacht hat. Weil er sich zu früh mit sich zufriedengab, weil er Abziehbilder abgezogen hat, weil er affektiert ist oder humorlos oder langweilig oder dumm oder hartherzig. Oft hängen diese Gründe, es gibt noch mehr, zusammen, mitunter genügt aber auch einer von ihnen.
Aus keinem der genannten Gründe könnte ein Roman Umberto Ecos jemals scheitern. Belesen, denkend, fleißig, witzig, konversationsfreudig und also empfindlich gegen Langeweile ist Eco sowieso. Außerdem hat er den "Namen der Rose" geschrieben, die herrlichste Verteidigung des Verstandes unter ungünstigen Umständen, die wir je in einer langen Nacht, es ist fast dreißig Jahre her, durchgelesen haben. Dem Erfinder von Salvatore, Adson von Melk und später von Baudolino hält man keine Ansprachen über gute Figuren. Und dem Autor von "Zeichen", von "Lector in fabula" und von "Im Wald der Fiktionen" keine über Literatur. Eco ist, wie Enzensberger, Claude Simon oder Thomas Pynchon - ja, ja, Äpfel und Birnen, aber genau die muss man vergleichen! -, eine derjenigen Erscheinungen an Gelehrsamkeit und Phantasie, von denen man sich freut, ihr Zeitgenosse zu sein, von denen man ständig etwas lernt.
Das gilt auch für Ecos neues Buch. "Der Friedhof in Prag" handelt von einer, nein, von mehreren Verschwörungen, und zwar aus der Sicht eines Verschwörers, der eine Verschwörungstheorie in Umlauf setzt. Der Stoff ist die Entstehung der sogenannten "Protokolle der Weisen von Zion", einer Hetzschrift gegen das Judentum, die 1903 in Russland erschien, vermutlich auf Betreiben des Geheimdienstes, dem an Pogromstimmung und illiberaler Atmosphäre lag. Diesem Pamphlet zufolge sollen sich maßgebliche jüdische Repräsentanten einst im Geheimen getroffen haben, um sich über ihre Grundsätze künftiger Weltherrschaft auszutauschen. Eco erzählt die Literaturgeschichte dieses schon 1921 als Fälschung aufgeflogenen Dokuments. Er stellt uns ihren eigentlichen Erfinder vor.
Tatsächlich war es eine Literaturgeschichte, in der Szenen aus Romanen - etwa Abenteuerscharteken von Alexandre Dumas und Eugène Sue voller pittoresker Szenen - mit politischen Traktaten vermischt wurden, in der man Texte, die gegen die Jesuiten gerichtet waren, in Texte, die gegen die Freimaurer polemisierten, übertrug. Wo zunächst "Freimaurer" stand, war kurz darauf "Jude" zu lesen. Eco führt uns in das Verdachtsmilieu des neunzehnten Jahrhunderts, in dem die Diktatur des Antiquariats besonders unheilvoll wirkte und Geschichte mitunter als die Geschichte konfessioneller und intellektueller Deutungskämpfe darum erschien, wem man die Zumutungen der Moderne in die Schuhe schieben kann. Nicht selten verlieren dabei die Verschwörer auch selbst den Überblick, mit wem sie gerade - etwa in den Tagen der Pariser Kommune - gegen wen koalieren. Umberto Ecos Buch führt vor, wie verheerend bloße Geistigkeit ist und wie heillos eine Welt, in der allein Meinungen ausschlaggebend sind.
Ecos Protagonist, 1830 geboren und 1897 schreibend, ist der Sohn eines italienischen Offiziers. Der war selbst Anhänger der nationalen Revolution von Garibaldi und Mazzini, sein Nachwuchs aber, fast mehr aus Reiz an der Aufgabe als aus Überzeugung, neigte sich der katholischen Reaktion zu. Dagegensein individualisiert. Sein Großvater hielt die Juden für das Unglück, das genügte als Prägung. Odi ergo sum: Ich hasse, also bin ich. Bei einem Notar lernt jener Simonini das Fälschen von Dokumenten und auch, wie man durch Schreiben Tatsachen schafft. Zug um Zug und durchaus willens gerät er in die Netzwerke klerikaler wie monarchistischer Strategen. Er wird zum Handlanger, lügt, mordet, fälscht weiter, muss flüchten, landet in Paris und hat über all dem die Konspiration zum Beruf gemacht.
Sein Großvater hatte dem Autor eines Buches, das herausgefunden haben wollte, die Französische Revolution sei eigentlich das Werk bayerischer Freimaurer, einen Brief geschrieben. Darin stand, die Freimaurer seien ihrerseits das Werk von Juden. Diese Art zu denken zeichnet Ecos Roman aus der Perspektive des Konspirateurs und seiner Lust nach, sich zu allen vorfindlichen politischen Konflikten einen passenden Betrug einfallen zu lassen.
Wir lesen das Tagebuch Simoninis, der vor lauter Kostümwechseln und Hinterbühnenauftritten an seiner eigenen Identität fast irre wird, in ständig neuen Untergrundaktionen sich engagiert und zwischendurch nachhaltig essen geht, wobei am Nebentisch auch Doktor Froïde als junger Psychiater seinen Auftritt hat. Von ihm stammt der Rat an Simonini, sein Leben aufzuschreiben. Wir lesen außerdem, durchs Druckbild abgesetzt, die Anmerkungen, die Simonini zu seinem Tun von einem anderen Dunkelmann erhält, der wie eine zweite Stimme im Kopf des Fälschers spricht. Und wir folgen einem Erzähler, der beide kommentiert und die Lücken zwischen den Tagebucheinträgen füllt.
Eco schildert uns so die ganze Zitiergeschichte des Abschreibezusammenhanges, der zuletzt jene "Protokolle" hervorbrachte. Und zwar historisch überaus präzise. Leser diesseits der Antisemitismusforschung können Wikipedia-Einträge zu fast jeglicher Figur finden. Und es gibt viele Figuren - Weglassen war in diesem Buch nicht die Stärke Ecos. Nur den Protagonisten gab es nicht wirklich. Aus seiner aus Hass, Ambition, Geldnot und intellektueller Begabung entspringenden Bereitschaft zur Lüge wird eine Psychologie der virtuosen Niedertracht entwickelt.
Hinzu kommen zahllose Ratschläge zum "creative writing": Wie weckt man bei wem wodurch Verdacht? Welche Lügen lassen sich nicht widerlegen? Wie unglaubwürdig dürfen Mitteilungen sein? ("Die Geheimdienste aller Länder glauben nur das, was sie irgendwo schon einmal gehört haben und weisen jede wirklich unerhörte Behauptung zurück.") Wie geht man mit der "Freimaurer sind Juden"-Hypothese um, wenn man die von Freimaurern geprägte französische Armee gegen Dreyfus aufhetzen will? Ist es nicht besser, explosive Nachrichten, anstatt sie herauszutrompeten, zu stückeln, damit die Leute sich mit jeder Mitteilung an die vorige erinnern?
"Der Friedhof in Prag" ist also profund, kompliziert, moralisch, philologisch und verweisungsstark. Doch es ist auch ein gescheiterter Roman. Genauer: Es ist nach dreihundert Seiten gar kein Roman mehr, sondern gibt sich als Zettelkasten zu erkennen, als Personenkartei, als Straßenplan und Bibliographie, als ein riesiger Anmerkungsapparat, der in den Text gerutscht ist. Eigentlich lesen wir dauernd Fußnoten, ohne es an etwas anderem zu merken als daran, dass uns das Buch irgendwann auf die Nerven geht, weil wir längst verstanden haben, was es uns sagen will und trotzdem nach Art der Wissenschaft mit immer weiteren Funden belegt wird, was schon bewiesen ist. So geschieht im Sinne einer Erzählung nach den ersten zwei Dritteln kaum mehr etwas Neues, weder mit den Personen noch mit der Geschichte, sondern es wälzt sich nur eine Verschwörung immer weiter, die uns zu diesem Zeitpunkt längst lächerlich vorkommt. Entsprechend hat das Buch auch kein Ende, es hört einfach auf.
Schon 1994 hatte Eco in seinen Norton Lectures an der Harvard University die "Protokolle der Weisen von Zion" herangezogen, um die wirklichkeitserzeugende Macht von Fiktionen, den "Einbruch des Romans in das Leben" zu belegen. Jetzt hat er gewissermaßen umgekehrt eine erfundene Figur verwendet, um einem Sachbuch zur Literatur zu verhelfen. Doch man versteht den Sinn dieses Vorgehens nicht. In Aufklärung kann er nicht bestehen: Die Macht des Betrugs erschließt sich nicht aus den Gedanken des Betrügers. Man kann nur vermuten, dass Umberto Eco die Aufgabe reizte, den Einbruch der Philologie in einen Roman auszuprobieren, der vom Einbruch der Fälschung ins Leben handelt. Einfacher gesagt: Umberto Eco ist am Einzigen gescheitert, an dem er scheitern kann, an seinem Spieltrieb.
Umberto Eco: "Der Friedhof in Prag". Roman.
Aus dem Italienischen von Burkhard Kroeber. Hanser Verlag, München 2011. 519 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Spricht man vom Teufel: Umberto Eco hat die größte aller Verschwörungstheorien in ein Buch gepackt. Aber ist "Der Friedhof in Prag" ein Roman?
Von Jürgen Kaube
Ein Roman kann scheitern, weil sein Autor nichts zu erzählen hat. Oder weil er erst einmal seine oder irgendeine Sprache hätte lernen sollen. Weil ihm keine Figuren eingefallen sind. Weil er faul war und zu wenig über die erzählten Sachgehalte nachgedacht hat. Weil er sich zu früh mit sich zufriedengab, weil er Abziehbilder abgezogen hat, weil er affektiert ist oder humorlos oder langweilig oder dumm oder hartherzig. Oft hängen diese Gründe, es gibt noch mehr, zusammen, mitunter genügt aber auch einer von ihnen.
Aus keinem der genannten Gründe könnte ein Roman Umberto Ecos jemals scheitern. Belesen, denkend, fleißig, witzig, konversationsfreudig und also empfindlich gegen Langeweile ist Eco sowieso. Außerdem hat er den "Namen der Rose" geschrieben, die herrlichste Verteidigung des Verstandes unter ungünstigen Umständen, die wir je in einer langen Nacht, es ist fast dreißig Jahre her, durchgelesen haben. Dem Erfinder von Salvatore, Adson von Melk und später von Baudolino hält man keine Ansprachen über gute Figuren. Und dem Autor von "Zeichen", von "Lector in fabula" und von "Im Wald der Fiktionen" keine über Literatur. Eco ist, wie Enzensberger, Claude Simon oder Thomas Pynchon - ja, ja, Äpfel und Birnen, aber genau die muss man vergleichen! -, eine derjenigen Erscheinungen an Gelehrsamkeit und Phantasie, von denen man sich freut, ihr Zeitgenosse zu sein, von denen man ständig etwas lernt.
Das gilt auch für Ecos neues Buch. "Der Friedhof in Prag" handelt von einer, nein, von mehreren Verschwörungen, und zwar aus der Sicht eines Verschwörers, der eine Verschwörungstheorie in Umlauf setzt. Der Stoff ist die Entstehung der sogenannten "Protokolle der Weisen von Zion", einer Hetzschrift gegen das Judentum, die 1903 in Russland erschien, vermutlich auf Betreiben des Geheimdienstes, dem an Pogromstimmung und illiberaler Atmosphäre lag. Diesem Pamphlet zufolge sollen sich maßgebliche jüdische Repräsentanten einst im Geheimen getroffen haben, um sich über ihre Grundsätze künftiger Weltherrschaft auszutauschen. Eco erzählt die Literaturgeschichte dieses schon 1921 als Fälschung aufgeflogenen Dokuments. Er stellt uns ihren eigentlichen Erfinder vor.
Tatsächlich war es eine Literaturgeschichte, in der Szenen aus Romanen - etwa Abenteuerscharteken von Alexandre Dumas und Eugène Sue voller pittoresker Szenen - mit politischen Traktaten vermischt wurden, in der man Texte, die gegen die Jesuiten gerichtet waren, in Texte, die gegen die Freimaurer polemisierten, übertrug. Wo zunächst "Freimaurer" stand, war kurz darauf "Jude" zu lesen. Eco führt uns in das Verdachtsmilieu des neunzehnten Jahrhunderts, in dem die Diktatur des Antiquariats besonders unheilvoll wirkte und Geschichte mitunter als die Geschichte konfessioneller und intellektueller Deutungskämpfe darum erschien, wem man die Zumutungen der Moderne in die Schuhe schieben kann. Nicht selten verlieren dabei die Verschwörer auch selbst den Überblick, mit wem sie gerade - etwa in den Tagen der Pariser Kommune - gegen wen koalieren. Umberto Ecos Buch führt vor, wie verheerend bloße Geistigkeit ist und wie heillos eine Welt, in der allein Meinungen ausschlaggebend sind.
Ecos Protagonist, 1830 geboren und 1897 schreibend, ist der Sohn eines italienischen Offiziers. Der war selbst Anhänger der nationalen Revolution von Garibaldi und Mazzini, sein Nachwuchs aber, fast mehr aus Reiz an der Aufgabe als aus Überzeugung, neigte sich der katholischen Reaktion zu. Dagegensein individualisiert. Sein Großvater hielt die Juden für das Unglück, das genügte als Prägung. Odi ergo sum: Ich hasse, also bin ich. Bei einem Notar lernt jener Simonini das Fälschen von Dokumenten und auch, wie man durch Schreiben Tatsachen schafft. Zug um Zug und durchaus willens gerät er in die Netzwerke klerikaler wie monarchistischer Strategen. Er wird zum Handlanger, lügt, mordet, fälscht weiter, muss flüchten, landet in Paris und hat über all dem die Konspiration zum Beruf gemacht.
Sein Großvater hatte dem Autor eines Buches, das herausgefunden haben wollte, die Französische Revolution sei eigentlich das Werk bayerischer Freimaurer, einen Brief geschrieben. Darin stand, die Freimaurer seien ihrerseits das Werk von Juden. Diese Art zu denken zeichnet Ecos Roman aus der Perspektive des Konspirateurs und seiner Lust nach, sich zu allen vorfindlichen politischen Konflikten einen passenden Betrug einfallen zu lassen.
Wir lesen das Tagebuch Simoninis, der vor lauter Kostümwechseln und Hinterbühnenauftritten an seiner eigenen Identität fast irre wird, in ständig neuen Untergrundaktionen sich engagiert und zwischendurch nachhaltig essen geht, wobei am Nebentisch auch Doktor Froïde als junger Psychiater seinen Auftritt hat. Von ihm stammt der Rat an Simonini, sein Leben aufzuschreiben. Wir lesen außerdem, durchs Druckbild abgesetzt, die Anmerkungen, die Simonini zu seinem Tun von einem anderen Dunkelmann erhält, der wie eine zweite Stimme im Kopf des Fälschers spricht. Und wir folgen einem Erzähler, der beide kommentiert und die Lücken zwischen den Tagebucheinträgen füllt.
Eco schildert uns so die ganze Zitiergeschichte des Abschreibezusammenhanges, der zuletzt jene "Protokolle" hervorbrachte. Und zwar historisch überaus präzise. Leser diesseits der Antisemitismusforschung können Wikipedia-Einträge zu fast jeglicher Figur finden. Und es gibt viele Figuren - Weglassen war in diesem Buch nicht die Stärke Ecos. Nur den Protagonisten gab es nicht wirklich. Aus seiner aus Hass, Ambition, Geldnot und intellektueller Begabung entspringenden Bereitschaft zur Lüge wird eine Psychologie der virtuosen Niedertracht entwickelt.
Hinzu kommen zahllose Ratschläge zum "creative writing": Wie weckt man bei wem wodurch Verdacht? Welche Lügen lassen sich nicht widerlegen? Wie unglaubwürdig dürfen Mitteilungen sein? ("Die Geheimdienste aller Länder glauben nur das, was sie irgendwo schon einmal gehört haben und weisen jede wirklich unerhörte Behauptung zurück.") Wie geht man mit der "Freimaurer sind Juden"-Hypothese um, wenn man die von Freimaurern geprägte französische Armee gegen Dreyfus aufhetzen will? Ist es nicht besser, explosive Nachrichten, anstatt sie herauszutrompeten, zu stückeln, damit die Leute sich mit jeder Mitteilung an die vorige erinnern?
"Der Friedhof in Prag" ist also profund, kompliziert, moralisch, philologisch und verweisungsstark. Doch es ist auch ein gescheiterter Roman. Genauer: Es ist nach dreihundert Seiten gar kein Roman mehr, sondern gibt sich als Zettelkasten zu erkennen, als Personenkartei, als Straßenplan und Bibliographie, als ein riesiger Anmerkungsapparat, der in den Text gerutscht ist. Eigentlich lesen wir dauernd Fußnoten, ohne es an etwas anderem zu merken als daran, dass uns das Buch irgendwann auf die Nerven geht, weil wir längst verstanden haben, was es uns sagen will und trotzdem nach Art der Wissenschaft mit immer weiteren Funden belegt wird, was schon bewiesen ist. So geschieht im Sinne einer Erzählung nach den ersten zwei Dritteln kaum mehr etwas Neues, weder mit den Personen noch mit der Geschichte, sondern es wälzt sich nur eine Verschwörung immer weiter, die uns zu diesem Zeitpunkt längst lächerlich vorkommt. Entsprechend hat das Buch auch kein Ende, es hört einfach auf.
Schon 1994 hatte Eco in seinen Norton Lectures an der Harvard University die "Protokolle der Weisen von Zion" herangezogen, um die wirklichkeitserzeugende Macht von Fiktionen, den "Einbruch des Romans in das Leben" zu belegen. Jetzt hat er gewissermaßen umgekehrt eine erfundene Figur verwendet, um einem Sachbuch zur Literatur zu verhelfen. Doch man versteht den Sinn dieses Vorgehens nicht. In Aufklärung kann er nicht bestehen: Die Macht des Betrugs erschließt sich nicht aus den Gedanken des Betrügers. Man kann nur vermuten, dass Umberto Eco die Aufgabe reizte, den Einbruch der Philologie in einen Roman auszuprobieren, der vom Einbruch der Fälschung ins Leben handelt. Einfacher gesagt: Umberto Eco ist am Einzigen gescheitert, an dem er scheitern kann, an seinem Spieltrieb.
Umberto Eco: "Der Friedhof in Prag". Roman.
Aus dem Italienischen von Burkhard Kroeber. Hanser Verlag, München 2011. 519 S., geb., 26,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Durchwachsen findet Christiane Pöhlmann der neue Roman von Umberto Eco. Dass der Autor mit "Der Friedhof in Prag" nach eigenen Bekunden einen Roman mit "pädagogischer Absicht" geschrieben hat, scheint ihr ein wenig das Problem dieses Werks. Die Geschichte um den Mörder, Fälscher und Spitzel Simon Simonini, der sich zum willigen Werkzeug von mehreren Geheimdiensten macht und ihnen gefälschte Verschwörungen liefert, untersucht für sie auf der einen Seite gesellschaftliche Strukturen, auf der anderen die psychische Disposition des Protagonisten, der ein völliger Durchschnittstyp ist. Zwischen diesen beiden Ansätzen verliert sich nach Ansicht von Pöhlmann der Roman. Den Vorwurf des Antisemitismus, der dem Schriftsteller gemacht wurde, hält sie allerdings für absolut absurd. Nein, moralisch ist Eco in ihren Augen ohne jeden Fehl. Literarisch allerdings findet sie diesen Roman nicht so ganz gelungen. Den Grund sieht sie zum einen darin, dass Eco sich nicht zwischen Soziogramm und Psychogramm entscheiden kann, zum anderen darin, dass er dem Leser allzuviel vorkaut.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Umberto Eco zettelt eine Verschwörung gegen eine Verschwörung an und schreibt mal wieder einen fabelhaften Roman." Hannes Stein, Die Welt, 01.10.11
"Eco hat sich, geduldig und großartig dokumentiert wie stets, als Chronist der beliebtesten Verschwörungstheorien in Europas Geschichte betätigt. Neu ist, dass hier jemand den Wahnsinn von innen beschreibt." Dirk Schümer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.10.11
"Es ist ein Genuss, Eco, dem Hohepriester der Ironie, in seine raffinierte, kultivierte und stilistisch glänzende Parodie irrwitzig fabulierter Trivialklassiker zu folgen. In seinem neuen grandiosen Roman analysiert Umberto Eco den Antisemitismus." Stephan Maus, Der Stern, 06.10.11
"Eco hat sich, geduldig und großartig dokumentiert wie stets, als Chronist der beliebtesten Verschwörungstheorien in Europas Geschichte betätigt. Neu ist, dass hier jemand den Wahnsinn von innen beschreibt." Dirk Schümer, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.10.11
"Es ist ein Genuss, Eco, dem Hohepriester der Ironie, in seine raffinierte, kultivierte und stilistisch glänzende Parodie irrwitzig fabulierter Trivialklassiker zu folgen. In seinem neuen grandiosen Roman analysiert Umberto Eco den Antisemitismus." Stephan Maus, Der Stern, 06.10.11