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Als Wunderheiler zieht Friedrich Meisner durch die Lande, von den einen wie ein Guru verehrt, von den anderen gejagt, weil sie in ihm einen Scharlatan und Volksverhetzer sehen. Den fünften Winter auf der Flucht vor seinen Verfolgern verbringt er das Jahr 1793 in der kleinen bayerischen Stadt Seefond, wo er die blinde Tochter des Arztes Claus Selinger durch Magnetismus und Hypnose zu heilen vermag. Ein spektakulärer Erfolg, mit dem er auch den skeptischen Selinger für sich einnimmt. Bereitwillig assistiert dieser bei den Seancen und führt aufmerksam Protokoll. Eines Tages ertappt er eine…mehr

Produktbeschreibung
Als Wunderheiler zieht Friedrich Meisner durch die Lande, von den einen wie ein Guru verehrt, von den anderen gejagt, weil sie in ihm einen Scharlatan und Volksverhetzer sehen. Den fünften Winter auf der Flucht vor seinen Verfolgern verbringt er das Jahr 1793 in der kleinen bayerischen Stadt Seefond, wo er die blinde Tochter des Arztes Claus Selinger durch Magnetismus und Hypnose zu heilen vermag. Ein spektakulärer Erfolg, mit dem er auch den skeptischen Selinger für sich einnimmt. Bereitwillig assistiert dieser bei den Seancen und führt aufmerksam Protokoll. Eines Tages ertappt er eine Patientin bei einem geradezu grotesken Betrug, der von Meisner bewusst vertuscht wird. Und plötzlich hat der Wunderheiler eine ganze Stadt, die in seinem Bann stand, gegen sich.
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Autorenporträt
Per Olov Enquist, geboren 1934 in Nordschweden, arbeitete als Theater- und Literaturkritiker und zählt zu den bedeutendsten Autoren Europas. Für seinen international erfolgreichen Roman ¿Der Besuch des Leibarztes¿ (Bd. 15404) wurde er u.a. in Leipzig mit dem Deutschen Bücherpreis 2002 ausgezeichnet. Per Olov Enquist starb am 25. April 2020 in Vaxholm.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002

Lahme sehen, Blinde gehen
Der Embryo hat Hühnerknochen: Per Olov Enquist magnetisiert eine ganze Stadt / Von Tilman Spreckelsen

Ist Friedrich Meisner ein Betrüger? Ein Scharlatan, der den Kranken Heilung verspricht und sich doch nur an ihnen bereichern will? Ein Illusionist, der die Leichtgläubigkeit seiner Umgebung ohne jede Rücksicht für seine Zwecke ausnutzt? Per Olov Enquist hütet sich, ein Urteil über seine Romanfigur zu sprechen. Seine Zurückhaltung geht so weit, daß er die Handlung um Meisner stetig bis zu dem Punkt erzählt, an dem über den Magnetiseur vor Gericht ein Urteil in dieser Frage gesprochen werden soll. Dann bricht er ab - wie die sichtlich ratlosen Richter in wenigen Minuten entscheiden werden, ist völlig offen.

Diese Ambivalenz ist Prinzip, sie zieht sich durch das gesamte Buch und kommt dem Phänomen des Magnetismus damit möglicherweise näher, als es die überlieferten Begeisterungsausbrüche seiner Anhänger oder die grundsätzliche Ablehnung seiner Gegner vermögen. Meisner ist ein Magnetiseur in der Nachfolge Franz Anton Mesmers, des großen Popularisators dieser Lehre. Mesmer verkündete kurz vor der Französischen Revolution die Entdeckung eines "Fluidum", das im Kosmos wie im einzelnen Menschen wirksam sei. Krankheiten seien auf einen gestörten Fluß dieser Substanz zurückzuführen, Heilung müsse vom Kranken selbst kommen. Dabei unterstützt ihn ein Magnetiseur, der ihn in einen künstlichen Schlaf versetzt. In diesem somnambulen Zustand vermag der Kranke selbst das Mittel zu seiner Heilung anzugeben und Fragen zu beantworten, von denen sein Alltagsbewußtsein nichts weiß.

So glauben es jedenfalls Mesmers Anhänger, und die Lehre vom "tierischen Magnetismus", dessen man sich in therapeutischer Absicht bedienen könne, verbreitet sich über Europa und die Neue Welt als vor allem literarisch ungemein folgenreiche und kontrovers dargestellte Innovation. Edgar Allan Poe widmet diesem Thema zwei seiner düstersten Erzählungen, aber mit einem deutlich zustimmenden Tenor, während andere Autoren in ihren Werken Magnetiseure lediglich als Scharlatane zeichnen, die am Ende entlarvt werden. Seit dem mittleren neunzehnten Jahrhundert schien der Fall zumindest literarisch entschieden und der Magnetismus in das Arsenal der okkulten Relikte verbannt. Allerdings wurde auch erkannt, daß sich von Mesmers Ansatz, der auf die Befragung des Unterbewußten setzt, eine verschlungene Linie zu Freud ziehen läßt. Mesmers Lehre steht im Kontext der Aufklärungszeit keineswegs isoliert da, und ihre Entsprechung findet sie in den Forschungen wegweisender Naturwissenschaftler sogar aus dem Umkreis der Encyclopédie.

Enquists im Original 1964 erschienener Roman "Der fünfte Winter des Magnetiseurs", der im Zuge des Erfolgs von "Der Besuch des Leibarztes" jetzt wieder auf deutsch erschienen ist, nimmt diesen Zusammenhang auf und legt ihn seinem Text so deutlich zugrunde, daß das Buch nie in die Nähe eines naiven Historienromans alter Schule gerät. Die Verbindung zum Struensee-Roman ist offensichtlich: Beide Texte spielen kurz vor der Wende zum neunzehnten Jahrhundert, in beiden geht es um Aufklärung und Okkultismus, in beiden sind die Hauptfiguren Ärzte. Aber während Enquist in "Der Besuch des Leibarztes" entschieden Partei für eine rationalistische Weltsicht bezieht, läßt er in seinem jetzt wieder publizierten Frühwerk diese Frage unentschieden - was dem Roman bestens bekommt.

Die Hauptfigur, deren Name nur durch wenige Buchstaben von dem des Vorbilds abweicht, kommt als Magnetiseur in die deutsche Kleinstadt Seefond, um dort eine Praxis zu eröffnen. Meisner gibt sich den Anschein wissenschaftlicher Seriosität, bestimmt einen Arzt als Kontrolleur seiner Behandlungen und kann sich bald zahlreicher Erfolge rühmen. Schließlich ertappt der mißtrauisch gewordene Kontrolleur eine Patientin bei einem geradezu grotesken Betrug - sie trage seit über einem Jahr einen verkümmerten Embryo in sich, sagt sie im somnambulen Zustand, den sie mit Meisners Hilfe in Einzelteilen ausscheiden werde, und präpariert ihren Kot dann mit angeblichen Embryoknochen, die tatsächlich von einem Huhn stammen. Zur Rede gestellt, behauptet Meisner, diesen Betrug geduldet zu haben, weil der Glaube an ihn und seine Behandlung die Voraussetzung für die Heilung zahlreicher Patienten sei.

Meisner ist sich jedenfalls seiner Manipulationen sehr bewußt. So erinnert er sich an eine Situation, in der er auf einem Dorf als Regenmacher auftrat: "Ich habe ihnen ein Wunder geschenkt. Ich begann mit einem kleinen Fingerschnipsen. Dann war es, als wäre ein Tuch, ein Stofffetzen vor ihre Gesichter gezogen worden, ein Netz. Sie konnten nicht sehen, wie die Wirklichkeit um sie herum aussah. Sie sahen ihren eigenen Glauben."

In seiner Absicht, die Bewertung von Meisners Aktivitäten bewußt in der Schwebe zu lassen, wählt Enquist einen Kunstgriff, der es ihm erlaubt, jede eigene Festlegung zu vermeiden: Er läßt die Geschehnisse abwechselnd von einem auktorialen Erzähler und aus der Perspektive des zunehmend von Meisner überzeugten Kontrolleurs erzählen, der von der Entdeckung des Betrugs zutiefst erschüttert ist. Diesen Arzt entwirft Enquist als eine Figur, die Meisner gegenüber eine zwiespältige Haltung einnehmen muß: Denn Claus Seligers Heilkunst versagt an der eigenen Tochter, die nach einem traumatischen Erlebnis buchstäblich die Augen vor der Welt verschließt und seitdem blind ist. Meisner gibt ihr die Sehkraft zurück, und selbst im heftigsten Zweifel muß Seliger anerkennen, daß der Magnetiseur dort reüssierte, wo die Methoden des eigenen Berufsstandes nicht ausreichten: "Wir taten, was wir konnten, wir lernen immer mehr hinzu, und wir müssen weitermachen. Aber irgendwo ist eine Leere, ein Bedürfnis, das wir nicht erreichen." Diese Leere füllt Meisner aus, einige Wochen lang, solange Seefonds Bevölkerung ihn läßt.

Und wenn alles nur Betrug, nur Illusion ist, wie kann Meisner dann Seligers Tochter heilen? Und dies so nachhaltig, daß das Mädchen auch über Meisners Sturz hinaus ihr Augenlicht behält? Tatsächlich wird der Magentiseur im gesamten Verlauf des Romans immer wieder nicht nur als Scharlatan, sondern auch als Christusfigur gezeichnet, die sich ihrer Macht über die Menschen bewußt ist. Und in den Augen seines Gefolgsmanns, Schuldners, Kontrolleurs und Denunzianten, in den Augen Seligers also, verkörpert Meisner beide Seiten in verwirrender Symbiose: Der Magnetiseur sei "ein Scharlatan, der ein Wunder vollbringen konnte".

Per Olov Enquist: "Der fünfte Winter des Magnetiseurs". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Hans-Joachim Maass. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2002. 264 S., geb., 21,50 .

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